Kein Muttersöhnchen! Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2011

Zu: Martin Walser: Muttersohn, Rowohlt Verlag, Reinbeck bei Hamburg 2011, ISBN 978-3-498-07378-7, Preis 24,95 Euro

Martin Walser hat einen Roman geschrieben, in dem das Thema „Glauben“ eine wichtige Rolle spielt, wenn nicht sogar das Leitmotiv ist. Insofern ist es eine Art narrative Predigt. Dennoch wirkt das Buch an keiner Stelle gewollt oder konstruiert. Die Erzählung steht ganz im Vordergrund. Die Personen entfalten ihr Potential in der erzählten Interaktion und im erzählten Gespräch. Die Hauptperson Anton Parzival Schlugen, genannt Percy, ist im Hauptberuf Krankenpfleger, scheint jedoch nicht zum Stammpersonal der psychiatrischen Klinik Scherblingen zu gehören. Er wird vielmehr vom Leiter Augustin Feinlein geholt, wenn es schwierige Fälle zu bearbeiten gilt. Percys Begabung liegt eher auf spirituellem als auf pflegerischem Gebiet. Er pflegt zu predigen. Den Patienten gegenüber gebraucht er die Methode des „Schwerblinger Schweigens“. Dies Schweigen wird jedoch dahingehend gebrochen, dass er dem ausgewählten Patienten Ewald Kainz seine Lebensgeschichte erzählt, die eigentlich die Geschichte seiner Mutter Josephine ist. Percy ist kein Sohn ihres damaligen Ehemanns, soviel steht fest. Sie ist ohnehin der Meinung, Percy sei ohne Vater auf die Welt gekommen. Ewald seinerseits wird nun ermutigt, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben, doch von Josefine weiß er nichts, oder er kann bzw. will sich nicht erinnern. Trotzdem sind die Geschichten Ewalds und Percys miteinander verwoben und werden es zusehends. Professor Augustin Feinlein dagegen versteht sich als Ziehvater Percys, seitdem dieser auf der Scherblinger Krankenpflegeschule war. Auch er beschäftigt sich mit Religion, da er sich als virtueller Nachfolger des Abts sieht, da Scherblingen früher ein Kloster war. In vielen Äußerungen Augustin Feinleins und in seiner Niederschrift „Mein Jenseits“ wie in den erzählten Reden und Gesprächen Percys tauchen religiöse Motive auf. Die Erzählung wertet nicht. Sie entfaltet die Religion als Lebensdimension vor dem Hintergrund moderner, säkularer Lebensentwürfe. Obwohl Percy grundsätzlich „frei“ redet, fließen Zitate von Mystikern wie Swedenborg, Nikolaus von Flue und Augustin ein. Biblische Anspielungen werden dagegen selten als solche markiert. Verschiedene religiöse Lebensentwürfe stehen nebeneinander. Einmal sogar hat Percy es sogar mit einer Form von Satanismus zu tun, die aber so nicht bezeichnet wird. Percys Glauben ist nicht mehr der seiner Mutter, die sich „geleitet“ fühlte. Manchmal sagt er, er folge einem Irrlicht, oder Gott wohne in einem Dunkel, das zu uns gehört. Er hat nichts dagegen, dass Sinnloses geschieht, weil sich in jedem Geschehen die Heiligkeit des Augenblicks vollzieht. Augustin Feinlein legt dagegen ein eher schon theologisch reflektierten Zugang zur Religion vor, der aber Gott nicht festlegen mag auf das pure „es gibt“. Die metaphysisch-ideologische Gestalt der kirchlichen Religion desavouiert er mittels eines Tricks, der ihn jedoch an den Rand einer kriminellen Handlung bringt. Percys und Augustins Schicksal verknüpfen sich immer enger.
Der Schluss oder das Fazit der Erzählung gehört nicht in den Inhalt einer Rezension. Die Aussagen des Glaubens ließen sich zitieren, wobei zu beachten ist, dass sie im Erzählzusammenhang zu interpretieren sind. Die Formulierungskunst Walsers zeigt sich in diesen weltanschaulichen Aussagen. Wird das Hauptmotiv von Percys Vaterlosigkeit um den Anspruch seine adligen Herkunft ergänzt, ließe sich hier ein Christusmotiv wiederfinden, das jedoch völlig säkular daherkommt und kaum religiös aufgeladen ist. Was bleibt, ist festzustellen, dass es Menschen gibt, die anderen Hoffnung geben und ihnen helfen, selbst zu glauben. So einer war Anton Parzival Schlugen, genannt Percy, erfunden von Martin Walser.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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