Predigt über Apostelgeschichte 16 , 23-34. Christoph Fleischer, Werl 2012

Vierter Sonntag nach Ostern, Kantate

 

Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Aufseher, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, darf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie. Plötzlich aber geschah ein großes Erdbeben, so dass die Grundmauern des Gefängnisses wankten. Und sogleich öffneten sich alle Türen und vor allem fielen die Fesseln ab. Als aber der Aufseher aus dem Schlaf auffuhr und sah die Türen des Gefängnisses offen stehen, zog er das Schwert und wollte sich selbst töten; denn er meinte, die Gefangenen wären entflohen. Paulus aber rief laut: tue dir nichts an; denn wir sind alle hier! Da forderte der Aufseher ein Licht und stürzte hinein und fiel zitternd Paulus und Silas zu Füßen. Und er führte sie heraus und sprach: liebe Herren, was muss ich tun, dass ich gerettet werde? Sie sprachen: Glaube an den Herrn Jesus, so wirst du und dein Haus selig! Und sie sagten ihm das Wort des Herrn und allen, die in seinem Hause waren. Und er nahm sie zu sich in derselben Stunde der Nacht und wusch ihnen die Striemen. Und er ließ sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und deckte ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.

Liebe Gemeinde,

Paulus und Silas waren im Gefängnis gelandet.

Die Vorgeschichte:

Nach Philippi sind sie gekommen, in Griechenland, herüber gesetzt von Kleinasien, und betraten damit europäischen Boden.

 

Dort hatten sie einen Wahrsagegeist ausgetrieben. Die Wahrsagerin war eine Sklavin gewesen und hatte zwei Männern gehört. Um ihre Einnahmequelle gebracht, klagten diese Paulus und Silas an.

 

Unruhestifter wie schon Jesus, erfuhren die Apostel die Gewalt an ihrem eigenen Leib. Sie entlarvtem Betrug und Täuschung und landeten im Knast. Der Geist der Freiheit zählte nicht viel zu dieser Zeit. Wer den Geist der Knechtschaft mit Gottes Geist widerstand, konnte Ärger bekommen. Wer das Heil der Menschen predigte, konnte letztlich sogar dafür bestraft werden.

In dieser Welt sind Systeme am Werk. Es gibt ein Macht-System. Das haben die Menschen aufgebaut. Ich nenne es deshalb das menschliche System. Es besteht aus Abhängigkeit, Macht, Gewalt, Verdienst, Lohn und Ausbeutung. Gott hat mit Jesus ein neues, anderes System in die Welt gebracht. Ich nenne es das göttliche System. Es besteht darin, jeden Menschen zu achten, seine menschliche Würde zu respektieren und ihm menschenwürdig zu begegnen. Als Geschöpfe Gottes haben alle Menschen, ja alle Lebewesen die gleiche Würde. Daher wird jeder Mensch in der Bibel als Bild Gottes bezeichnet.

Zwischen dem menschlichen System und den göttlichen System besteht ein Konflikt, der sich in Spannungen, der teilweise sogar in Gewalt entlädt. Jesus hat am Kreuz dafür gelitten. Es ist kein Machtkampf, weil auch das Denken der Macht ein menschliches Denken ist. Es gibt kein göttliches Denken der Macht. Letztlich entstand auch dieses Denken in der Schöpfung. Auch bei manchen Tieren gibt es vergleichbare Systeme.

So ist dieses menschliche System ist eine ganz normale, weltliche Einrichtung. Daraus erwachsen Schulen und Fabriken, Gerichte und Rathäuser aber auch Banken und Industrien. Dieses System besteht aus Leistung und Kontrolle. Abhängigkeiten sind normal. Im Rechtssystem gibt es daher völlig zu Recht auch ein Gefängnis.

Im Gefängnis von Philippi, in das Paulus und Silas gekommen sind, erleben alle miteinander eine Naturgewalt. Zuvor verrichteten Paulus und Silas um Mitternacht ihr Abendgebet. Sie lobten Gott so laut, dass alle Gefangenen es hören konnten. Ob sie dabei wirklich gesungen haben, weiß man nicht. In diesem Moment ereignete sich ein Erdbeben. Naturgewalten gehören nicht zum menschlichen System und zeigen der Macht die Grenzen auf. Das konnten auch mir in den letzten Jahren immer wieder erleben, zuletzt beim Tsunami wie in Japan.

Paulus bezeugt in seiner frohen Botschaft von Jesus Christus, dass wir immer in Gottes Gegenwart leben, in welcher Situation wir uns auch befinden. Wir sind nie außerhalb der Gegenwart Gottes. Auch Jesus am Kreuz war nicht außerhalb der Gegenwart Gottes. Gott war bei ihm auch wenn er ihn nicht gerettet hat.

Die menschliche Macht im Rechtssystem ist durch die Mauer des Gefängnisses eingeschränkt, Gottes Gegenwart ist dagegen universal. Menschliche Systeme sind immer begrenzt und beziehen sich nur auf bestimmte konkrete Verhältnisse, Bildung, Recht, Wirtschaft usw. Die Macht des menschlichen Systems bezieht sich immer nur auf einen eingeschränkten Bereich und ist immer begrenzt.

Der lebendige Gott dagegen ist größer und weiter als jede menschliche Mauer. Ist es der Mut der Aposteln, im Gefängnis zu singen, oder ist es die unbeschreibliche Macht der Naturgewalten, die Mauern des Gefängnisses zum Einsturz bringt?  – Es geschieht einfach, dass die Türen sich öffnen.

Der Aufseher ist so entsetzt, dass er sich selbst umbringen will. Die Naturgewalt des Erdbebens hat ihn entmachtet. Mitten in der Nacht, es ist stockdunkel, stürzt er mit seinem Schwert in das Gefängnis herein und erkennt, dass alle Gefangenen frei sind. Er ist entsetzt. Fassungslos. Und dann doch überrascht.

Paulus wird zum Sprecher der Gefangenen: „Tue Dir nichts an; denn wir sind alle hier!“ Weder die Apostel noch die übrigen Gefangenen haben das Gefängnis während des Erdbebens verlassen. Nicht eine groß angelegte Befreiungsaktion, nicht die Zerstörung des Gefängnisses bis auf die Grundmauern, sondern allein der Glaube ist das Ziel der Verkündigung des Apostels.

Es ist faszinierend, aber das menschliche System hier im Gefängnis bleibt unangetastet. Der Aufseher bleibt der Aufseher und die Gefangenen bleiben die Gefangenen. Etwas jedoch ändert sich. Paulus und Silas, die ohnehin im Gefängnis nichts zu suchen hatten, wurde vom Aufseher nun entlassen und in sein Haus ausgeführt. Dort wurde nun Dank-Gottesdienst gefeiert. Paulus legte dem Aufseher das Evangelium von Jesus Christus aus.

Der Glaube an Gott, so wie in Jesus Christus verkündigt und vorgelebt hat, führt in die Freiheit. Das ändert nichts an den Mauern des menschlichen Systems. Doch um dieses System herum ist die lebendigen Gegenwart Gottes. Gottes Lebendigkeit bemächtigt sich dem menschlichen Geist und gibt allen Menschen Freiheit, in welchem Zwang sie auch leben. Zeichen dieser Freiheit sind hier das Gebet und Gesang. Das haben Paulus und Silas im Gefängnis vorgelebt.

Der Glaube an den lebendigen Gott bekommt die Gestalt einer Gemeinde,  Gemeinde im Namen Jesu. Die Gemeinde Jesu lebt unsichtbar im menschlichen System und doch sprengt der Geist Gottes alle Mauern und Ketten.

Heute am Sonntag Kantate wird der Gesang zum Thema. Es geht dabei aber nicht um Musik an sich. Es geht um den Gesang für Gott, um das Lob Gottes. Wir haben am Beispiel der Geschichte von Paulus und Silas gehört, dass dieser Gesang nicht von einer bestimmten Lebenslage abhängig ist, z. B. von einer guten Stimmung oder einer heiligen Atmosphäre. Hier beten und singen zwei Apostel im Gefängnis. Das Lob Gottes ist ein Lied der Freiheit dazu nun zwei Beispiele

  1. Dietrich Bonhoeffer
  2. Nelson Mandela

Zu 1. Wie den meisten bekannt, war Dietrich Bonhoeffer von 1943 bis 1945 im Gefängnis den Nationalsozialisten. Schon im Winter 1943 waren der Vater und der Bruder seiner Verlobten bereits in Russland gefallen. Der Krieg an der Ostfront schien nicht zu gewinnen. Die Bombenangriffe der Alliierten haben bereits eingesetzt. Das haben die Gefangenen des Wehrmachtsuntersuchungsgefängnisses am eigenen Leibe zu spüren bekommen. Wie auch der Stein-Wache in Dortmund war es den Insassen nicht erlaubt einen Luftschutzbunker aufzusuchen. Sie waren den Bombenangriffen schutzlos ausgeliefert. Ende 1944 wurde Dietrich Bonhoeffer in das Gestapogefängnis verlegt. Sein persönliches Schicksal wurde immer ungewisser, während das Kriegsende in absehbarer Zeit bevorstand. Die Rettung des Landes und Ermordung des Häftlings Stunden bevor. Gegensätzlicher konnten Gefühle kaum sein. Bezeichnend die Überschrift des vorletzten Gedichts von Dietrich Bonhoeffer der „Tod des Mose“. Mose führte das Volk ins Gelobte Land und konnte trotzdem nicht mit dorthin ziehen. Er wurde im April 1945 in Flossenbürg ermordet. Doch im Dezember 1944 war alles noch offen. Stand auch Bonhoeffers Tod noch vor dem Erreichen des Friedens bevor? Vorahnung des dann doch leider eingetretenen Todes und Hoffnung auf den Tag des Friedens schwingen in diesem Gedicht mit. In dieser Stimmung schrieb Bonhoeffer sein berühmtes Gedicht:

Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar, so will ich diese Tage mit euch leben und mit euch gehen in ein neues Jahr; noch will das alte unsre Herzen quälen noch drückt uns böser Tage schwere Last, ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen das Heil, für das du uns geschaffen hast. Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern, des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand, so nehmen ihn wir dankbar ohne Zittern aus deiner guten und geliebten Hand. Von guten Mächten wunderbar geborgen erwarten wir getrost, was kommen mag. Gott ist bei uns am Abend und am Morgen, und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

(Widerstand und Ergebung: Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft [Taschenbuch] Dietrich Bonhoeffer (Autor), Ilse Tödt (Autor), Christian Gremmels (Herausgeber), Eberhard Bethge (Herausgeber), Renate Bethge (Herausgeber), Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011)

Dieses Gedicht ist in der Nachkriegszeit zum Kirchenlied geworden. Es ist ein Text voller Zuversicht und Hoffnung der dennoch die Angst vor dem Unvermeidbaren nicht verschweigt. Ein Lied der Hoffnung, geschrieben im Gefängnis. Nicht die Klage, nicht die Angst, nicht die Verzweiflung, nicht die Einsamkeit, nicht die Enge,  nicht die Fesseln haben das letzte Wort, sondern das Vertrauen auf Gottes Gegenwart heute und in der Zukunft. In der Situation höchster und Freiheit gelingt Dietrich Bonhoeffer das Freiheitslied des Glaubens.

Zum 2.: Vor einiger Zeit lief einen Film mit Namen Invictus in den Kinos. Hauptperson der Geschichte ist Nelson Mandela. Dem Jahr als er die Präsidentschaft angetreten hat, die erste farbige Präsident Südafrikas nach der Zeit der Apartheid, musste Südafrika die Weltmeisterschaft im Rugby ausrichten. Und in Südafrika war Rugby der Sport der Weißen, Fußball dagegen der Sport der Schwarzen. Die Unterstützung der weißen Rugby Mannschaft war also bei den Anhängern Nelson Mandelas unbeliebt. Trotzdem wollte es Nelson Mandela erreichen, dass die Nationalmannschaft mit einem schwarzen Mitspieler die Weltmeisterschaft im eigenen Land erreichte. Doch diese Mannschaft galt als schlecht. Sie hatten keine Chance auf den Titel. Dann lud Nelson Mandela den Spielführer der Nationalmannschaft zu sich ein. Er erzählte ihm von den Jahrzehnten in der Gefangenschaft. Von 1964 bis 1989 Wandels in Mandela im Gefängnis vor Kapstadt auf der Insel Robben Island. Er motivierte sich so erzählte er diesen Spielführer, mit einem Gedicht das er während seines Studiums in England kennen gelernt hatten die Titel lautet Invictus, d.h. unbesiegt.

In deutscher Sprache lautet das Gedicht etwa folgendermaßen:

Aus dieser Nacht, die mich umhüllt,
von Pol zu Pol schwarz wie das Grab,
dank ich welch immer Gottes Bild
die unbezwung’ne Seel mir gab.

Wenn grausam war des Lebens Fahrt,
habt ihr nie zucken, schrein mich sehn!
Des Schicksals Knüppel schlug mich hart –
mein blut’ger Kopf blieb aufrecht stehn!

Ob zornerfüllt, ob tränenvoll,
ob Jenseitsschrecken schon begann:
das Grauen meines Alters soll
mich furchtlos finden, jetzt und dann.

Was kümmert’s, daß der Himmel fern
und daß von Straf‘ mein Buch erzähl‘,
ICH bin der Herr von meinem Stern,
ICH bin der Meister meiner Seel‘!

Invictus (Unconquered) William Ernest Henley (1849-1903)

Auch dieses Gedicht ist ein Freiheitslied. Es geht um die innere menschlichen unverletzbare seelische Freiheit eines einzelnen Menschen der unter unsäglichen Qualen leidet. Der Autor des Gedichts war nämlich an Knochentuberkulose erkrankt. Nelson Mandela entdeckte in diesem Gedicht den Hoffnungs-Psalm des Gefangenen, der den Kopf nicht senken wollte wenn auch die Werte der Strafe und des Gefängnisses auf ihm drückte.

Kantate das heißt also heut: Singt das Lied von der Auferstehung Jesu Christi, das Lied des Glaubens, der keine Beweise kennt, nur Hoffnung und Vertrauen und schöpft aus diesem Vertrauen die Kraft, Euer Leben jetzt zu meistern. Amen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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