Zu: Thomas de Wesselow: Das Turiner Grabtuch und das Geheimnis der Auferstehung, aus dem Englischen übertragen von Susanne Kuhlmann-Krieg, C. Bertelsmann München 2013, 544 Seiten, ISBN 978-3-570-10150-6, 22,99 Euro
Der in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts bekannte und verbreitete Band von Werner Keller „Und die Bibel hat doch recht“ war gerade ins Land der Legende verwiesen, die Gläubigen in Turin und darüber hinaus der Anbetung symbolischer materieller Objekte überführt, da kommt nun der britische Kunsthistoriker Thomas de Wesselow und nimmt den Fehdehandschuh rationaler Wahrheitssuche im Bereich der Religion wieder auf. Neu ist eben, dass er keine Legenden nacherzählt, verklärt oder durch Abbildungen von Gegenständen illustriert, sondern dass er auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erforschung des Grabtuchs von Turin mit kritischer Hand die Auferstehung Jesu zu deuten weiß. Fast erscheint dieses von profunder Detailkenntnis überfließende Sachbuch, das zudem die Darstellung mit zahlreichen Illustrationen über das Grabtuch untermauert, wie eine Erzählung, deren Pointe am Ende liegt. Ja, fast scheint es, als führe er in einem Spannungsbogen „Grabtuch“ und die „Erzählungen von der Auferstehung Jesu“ zueinander, um im Schlusskapitel die Lösung zu präsentieren, bei der sich die christlichen Leser verwundert die Augen reiben. Die letzten Sätze des Buches lauten: „Das Turiner Grabtuch ist mitnichten ein Stück mittelalterlicher Fälschungskunst, sondern jener Gegenstand, an dem sich vor zwei Jahrtausenden der Glaube an die Auferstehung entzündete und der der neuen Religion des Christentums den Weg bereitete. Das Grabtuch, das umstrittenste Bildnis de Welt, ist nichts Geringeres als das Abbild des auferstandenen Christus, Alpha und Omega aller christlichen Historie.“ (S. 432): Es ist schon richtig, dass man von dort her noch einmal beginnt zu reflektieren: Ist dies alles wirklich so aus den Ausführungen des Buches konsequent ableitbar? Richtig an dieser Beobachtung des Buchtextes ist, dass er lange Strecken die Themen „Grabtuch“ und „Auferstehung“ penibel trennt und parallel verhandelt. Um dann zum Schluss zu sagen: Das Grabtuch ist nicht nur ein Beweis des Kreuzestodes Jesu, als solches hat es ja schon Werner Keller präsentiert, nein, es ist der Beweis der Auferstehung Christi, wenn man es denn richtig zu deuten weiß. Wem das Ganze dann doch zu unheimlich ist, sollte nicht darauf verzichten, wenigstens die Anfangskapitel über die Auferstehung Jesu zu lesen, in denen de Wesselow eine eigenständige und auf der Basis der Textexegese gründliche Darstellung der Vorstellung der Auferstehung zu geben vermag. Dabei zeigt sich eine wundersame Vielfalt von Auferstehungsberichten, die sich zum Teil zu widersprechen scheinen und darüber hinaus von einem leeren Grab ausgehen. Diesen steht der eher sachlich argumentierende Paulustext im 1. Korintherbrief gegenüber, der die Auferstehung Jesu streng vor dem Hintergrund jüdischer Schriftauslegung darstellt, wobei das Grab als solches im Prinzip irrelevant ist, da die Erscheinungen Jesu vor den Jüngern unabhängig vom Zustand seiner Leiche erscheinen. Das Bild von Samen und Keim (1. Korinther 15,37) zeigt symbolisch, dass der Auferstandene, wie es denn auch sei, nicht im natürlichen Körper lebt und erscheint, sondern in einem „geistigen/geistlichen“ Leib. Die Erscheinungsberichte des Paulus, die wohl aus der Jerusalemer Urgemeinde stammen, unterscheiden sich zudem in Personenzahl und Beteiligung völlig von denen der Evangelien. Es fehlt z. B. bei Paulus die Erwähnung Maria Magdalenas, in der sich bei aller Unterschiedlichkeit die Evangelien einig sind.
Doch es gibt hier wie bei einer Erzählung keine Pointe zu verraten, steht doch die Antwort bzw. die Lösung der Frage bereits im Buchtitel, wiewohl die Leser dies erst nach der Lektüre des Buches verstehen werden: Vorausgesetzt, dass das Turiner Grabtuch das Grabtuch Jesu ist, was wiederum nicht beweisbar ist, aber wofür einige Indizien auch gegen das Ergebnis einer Radiokarbonmethode sprechen, die das Tuch ins Mittelalter datiert, ergibt sich die zitierte Schlussfolgerung: Dieses Tuch selbst ist die Erscheinung des Auferstandenen. Es ist die erste Reliquie und zugleich die erste Ikone. Das Bild des Tuches ist die Repräsentation des Auferstandenen, an dessen geistlichem Leib nun niemand mehr zweifelt. Schon ist es fast egal, letztlich jedoch für die lückenlose Argumentation wichtig, ob dieses Tuch in Turin wirklich das echte Tuch war, denn diese Erklärung würde auch zu einem anderen Grabtuch passen. Das Bild zeigt die Gegenwart des Auferstandenen, der zuvor gekreuzigt worden ist.
Der Autor legt Wert darauf, eine säkulare Erklärung der Erscheinung des Auferstandenen gegeben zu haben. Nicht ein irrationaler Wunderglaube, sondern die Deutung einer Reliquie, sowie die aus dem Judentum schon bekannte Idee der Auferstehung als einer Neuexistenz nach dem Tod, passen nun zueinander. Bleibt die Frage, ob der Autor bei aller exegetischen Gründlichkeit nicht zuletzt Opfer seiner eigenen Vorstellung wird und ganz wie auch manch andere Exegeten mehr in den Text hinein – als hinaus liest. Die Unterscheidung der Auferstehungstexte in die zur Grablegung und die zur Vision Christi ist weitreichend und hilfreich. Ganz ohne die Versuche, eine Lebendigkeit Christi irgendwie beweisen oder belegen zu müssen, lässt sich, modern gesprochen, die lebendig-geistige Präsenz des Auferstandenen unter Zuhilfenahme der Bildgestalt eines Grabtuchs verdeutlichen. Glaube bleibt Glaube und lässt sich so oder so nicht beweisen. Die Evidenz einer Alternative zur gewöhnlichen kirchlichen Auffassung zeigt, dass der Glaube auch anders entstanden sein könnte, als die die Kirche bis heute in den Quellen zu lesen meint. Die gleichen Quellen und ein paar andere Fakten, schon entsteht ein durchaus mit dem Judentum kompatibles Bild des Auferstandenen. Hut ab vor dieser Publikation.