Zu: Reinhard Marx: glaube!, Kösel-Verlag München 2013, ISBN 978-3-466-37084-9, Preis: ?
Sicherlich kann man nicht behaupten, dass der Erzbischof und Kardinal, der jetzt zum Vorsitzenden der deutschen Bischofskonferenz gewählt worden ist, ein nicht-theistisches Gottesbild vertritt. Aber er richtet sich gegen vollmundiges Gotteswissen seitens der Kirche. Die schon aus der Bibel bekannte negative Theologie gibt hier eine Richtung vor, die Gott nicht absolut aus dem Wissen einer höheren Macht ableiten will, sondern als Glaubenserfahrung versteht. Gott ist anders und niemand kann Gott direkt begegnen. Allerdings wird sich Gott kleinmachen, wird Mensch. Vielleicht kann man sagen, dass an die Stelle der Erlösung die Menschwerdung Gottes tritt. Wichtiger als das Was des Glaubens ist das Wen, die Beziehungsebene.
Diese wird in Christus erfahren, in dem sich Gott selbst mitteilt: „So (wie Jesus, der Rez.) bin ich für euch; …“ (S. 32) Daraus folgt für die Gott-Mensch-Beziehung die grundlegende Aussage: „Gott hat den Menschen nicht geschaffen als seinen Untergebenen, sondern er hat ihn nach seinem Bild erschaffen…“ (S. 9f)
Nicht die feststehende Gültigkeit einer bestimmten Offenbarung ist der Ausgangspunkt, sondern die Frage nach Gott, nach dem, was im Menschsein fehlt. Nach Jürgen Habermas fragt der Kardinal: „Fehlt nicht doch etwas ohne Glaube?“ (S. 13) Und er folgert daraus, dass Religion etwas Entscheidendes für die Zukunft der Menschheit beiträgt. Wenn Glaube ein wichtiges Element des Menschseins ist, dann kann es auch keinen letztgültigen Unterschied zwischen Vernunft und Glauben geben. Die Vernunft bleibt eine ständige Herausforderung für den Glauben und darf nicht als Negation des Glaubens aufgefasst werden (so wie der Glaube seinerseits ein Korrektiv der Vernunft sein kann, wovon in diesem Buch aber weniger die Rede ist; der Rezensent).
Der Glaube führt allerdings das Denken und das Menschsein auf die Erfahrungsebene, die immer auch eine Beziehungsebene ist. Leiden und Tod sind kein Widerspruch zu diesem Glauben, sondern können zu seiner Vertiefung beitragen.
Ein paar kurze Gedanken aus dem Buch seien noch zum Glauben gesagt: Glaube ist die Erfahrung einer Grenze, die es zu respektieren gilt. Glaube beinhaltet die Erkenntnis des Menschseins, das nicht von sich selbst abhängt. Die Begegnung mit Gott kann gewollt, aber nicht eigenständig hergestellt werden. Gott ist demnach immer der oder die Andere.
Sicherlich spricht Reinhard Marx noch von Gottes Allmacht, zeigt aber zugleich, dass Gott diese Allmacht teilt, dass Gott in Beziehung ist und nur sein kann, wenn er liebt und sich zuwendet. Er sagt auch: „Gott lebt und wirkt in uns.“ (S. 41)
In Christus will Gott das Leben der Menschen und das Leben der Welt. Von Gott und dem Glauben geht das Vertrauen aus, dass die Gesellschaft benötigt, aber nicht selbst herstellen kann. Sicherlich changiert die Sprache des Bischofs manchmal und wechselt zwischen traditionellen und moderneren Formeln. Im Grunde merkt man aber das Bemühen dieser kirchlichen Generation, auf die Menschen zuzugehen und die christlichen Inhalte so auszulegen, dass sie in die Gegenwart passen.
Die christliche Religion ist so verstanden ein wichtiges Element der Gesellschaft, das sich sogar in das plurale Gefüge einbringt, ohne Alleinvertretungsansprüche zu behaupten. So formuliert eine Kirche, die die Anfragen der Reformation und der Aufklärung versteht, aufnimmt und beantwortet. Das kirchliche Gottesbild steht im Dialog zwischen Tradition und Gegenwart. Gott ist in Jesus bei den Menschen. Was man hier noch kritisieren könnte, ist vielleicht, dass das zwar inhaltlich entfaltet und zugesprochen wird, aber die von der Öffentlichkeit erwartete kritischer Aufarbeitung mit kirchlicher Vergangenheit zu wenig geleistet wird. Die Richtung ist allerdings klar und wird nicht wieder rückgängig zu machen sein, wenn der Bischof sagt: „Wenn ich mich auf meinen Bischofsstab stütze, dann stütze ich mich im übertragenen Sinn gerade nicht auf einen stolzen, erhabenen, unerschrockenen Glauben, sondern auf den schwachen Glauben, den ‚Senfkornglauben‘ (vgl. Lk 17,5-6), wie ihn Jesus an anderer Stelle nennt, einen Glauben, der den Zweifel kennt.“ (S. 85f)