Buber-Biographie für den interreligiösen Dialog, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015

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Zu: Karl-Josef Kuschel, Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum, Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2015, ISBN 978-3-579-07086-5, Preis: 24,99 Euro

Martin Buber - seine Herausforderung an das Christentum von Karl-Josef Kuschel
Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum von Karl-Josef Kuschel

Karl-Josef Kuschel (geb. 1948), emeritierter Professor für Kultur und interreligiösen Dialog der Fakultät für Katholische Theologie in Tübingen, legt zum 50. Todestag des jüdischen Religionsphilosophen und Bibelübersetzers Martin Buber (1878-1965) eine Biographie vor, die zugleich eine anschauliche Einführung in dessen umfangreiches publizistisches Werk darstellt. Dabei ist das Buch spannend und gut lesbar. Die Lebensdaten stellen uns einen Menschen vor Augen, dessen Lebenslauf religiöse, philosophische, psychologische und politische Themen und Ereignisse des 20. Jahrhunderts verbindet. Die Rezension muss darauf verzichten, hieraus eine Essenz herzustellen, sondern muss einfach dazu auffordern, dieses Buch zu lesen. Es ist wissenschaftlich rezipierbar, ohne dabei ständig in ein Lexikon blicken zu müssen, anrührend und verständlich von der ersten bis zur letzten Seite. Die  Werkausgaben sind angeführt genauso wie die zahlreiche Sekundärliteratur. Zeitgenössische Quellen werden belegt, der historische Kontext erläutert. Es gibt nichts zu kritisieren. 

Eine kleine Anmerkung sei dennoch erlaubt, und zwar den Untertitel betreffend. Das Wort „Herausforderung“ steht hier im Singular. Stattdessen hätte es „Herausforderungen“ heißen müssen. Ich versuche einmal einige dieser Herausforderungen Bubers für den heutigen interreligiösen Dialog in Gestalt von Fragen aufzuführen:

Gibt es das noch in Deutschland, dass Menschen, die einer Minderheitsreligion angehören, sich dem Anpassungsdruck einer Mehrheitsreligion fügen müssen, wie es zum Beispiel durch die geforderte trinitarische Formel zum Schulbeginn in den Schulen Österreichs im 19. Jahrhundert der Fall war?

Wie stellt sich die Gesellschaft zu einer Konzeption, die eine Religion zu einer politischen Minderheit abstempelt und ihre rechtmäßige Stellung in der Gesellschaft in Frage stellt, wie das beim Aufkommen des politischen Antisemitismus der Fall war?

Bedeutet der Glaube an den lebendigen Gott, wie er aus dem Judentum ins Christentum hinübergekommen ist, etwas anderes als die Lebenspraxis, die offen ist für die Nähe Gottes in der Welt, wie es beispielsweise Worte der chassidischen Lehrer ausdrücken wie: „Gott  wohnt, wo man ihn einlässt?“

Wie würde das Christentum aussehen, wenn man das Urchristentum und damit die neutestamentlichen Texte als Beispiele gelebten Judentums ansehen würde? Wie würde es aussehen, wenn man Jesu Worte vom Messias auch zugleich so verstehen würde, dass sie einen zukünftigen Messias ankündigen?

Welche Möglichkeiten gibt es im interreligiösen Dialog, wenn man nicht nur versucht, Gemeinsamkeiten zu finden und zu verstärken, sondern auch genauso im jeweils Anderen das Fremde der anderen Religion als spannendes Gottesgeheimnis zu entdecken, um dann zu spüren, dass dieses Fremde genauso interessant und anrührend ist wie das Bekannte und Vergleichbare?

Wie entscheiden sich Menschen, wenn sie aufgefordert sind zuzulassen, dass Menschen anderen Glaubens nicht nur verunglimpft, sondern wie nach 1933 an Leib und Leben bedroht werden? Und wie geht man um mit Scham und Schuld einer versagten Solidarität anderer oder der eigenen Religion?

Kann man nach Auschwitz noch von und sogar mit Gott reden, und wie können die säkularen Formen von Religion mit dem Begriff „Gottesfinsternis“ gedeutet werden? Wie und warum konnte Martin Buber, der seit 1938 in Jerusalem lehrte und von Anfang an am Aufbau des Lands Israel beteiligt war, jemals deutschen Boden wieder betreten, ja sogar zeitweise eine Zweitwohnung in Tübingen unterhalten?

Die große Herausforderung Bubers, die diese kleinen Herausforderungen zusammenfasst, liegt wahrscheinlich darin, ihm auch zu widersprechen, wenn er im Christentum eine jüdische und eine hellenistische Glaubensweise trennen möchte und darüber hinaus fragen, ob der Hellenismus nicht auch sogar zumindest teilweise eine philosophisch geprägte Form des Judentums war, wie sie von Jesus und von Paulus gepredigt worden ist. Warum sollte sich das gebildete antike Judentum den Herausforderungen antiker Philosophie und Rhetorik verschlossen haben?

Ein vorläufiges Fazit sollte man schon aufgrund der Lektüre der Biographie Kuschels wagen, auch wenn man danach noch mehr von Martin Buber lesen möchte: der interreligiöse Dialog ist nicht nur eine Notwendigkeit, um Verständnis unter Menschen zu fördern, sondern auch um an die immer verborgene und unbekannte Gegenwart Gottes hinter allen unterschiedlichen und öffentlichen Glaubensweisen zu vermuten, die letztlich zur Gemeinsamkeit alle Religionen führen kann, zumindest im Verständnis füreinander. Denn genau dies hat wohl Martin Buber im Alter dazu ermutigt, den lebendigen Gott hinter allen Ausformen von menschlicher Religion zu glauben und daher zu wissen, dass er sich nicht in ein bestimmtes Bekenntnis einsperren kann und lässt. Das hieße aber dann als Fazit: Die Ereignisse und Gedankenführungen des 20. Jahrhunderts führen letztlich heraus aus jeder Exklusivität, sei sie religiös oder politisch.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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