Zu: Ella de Groot: Gott – Der Atem der Welt. = Schriften zur Glaubensreform, Band 4. Hg. v. Hubertus Halbfas und Klaus-Peter Jörns. Gütersloh [Gütersloher Verlagshaus] 2015
Im Gütersloher Verlagshaus liegt ein schmales Bändchen vor, in dem die Autorin Ella De Groot unter dem Titel „Gott – Der Atem der Welt“ nichts geringeres als ein neues Gottesbild entwirft. Ella De Groot lebt Seelsorge; sie ist Pfarrerin im Kreis Seidenberg der reformierten Kirche Muri-Gümligen im Kanton Bern in der Schweiz.
Den wesentlichen Bezugspunkt von Religion beschreibt de Groot so: „Da ist ein Seinsgrund, der mich trägt, ein Mysterium, das mich umgibt, und das sich in mir und durch mich wie durch alles Lebendige entfalten will.“ (5-6) In Frage also steht mit dieser Angabe eines Seinsgrundes, eines Mysterium ein personales Gottesbild ebenso, wie überlieferte Vorstellungen vom dem, was wir mit dem Bild „im Himmel“ verbinden.
Die Autorin spricht von sehr persönlichen Glaubenserfahrungen und dass dazu auch Erfahrungen gehören, die sich nicht anders als mit zweifeln beschreiben lassen. Und dann die Frage, die im Raum steht, wenn Seelsorger_innen denjenigen begegnen, die in ihren Gemeinden immer weniger mit Gott als Person oder mit einer transzendenten Wirklichkeit anfangen können, weder emotional, noch intellektuell. Und dann geht es nicht nur um Seelsorge in den Gemeinden, dann geht es um die Frage nach Religion, Kirche und Theologie im 21. Jahrhundert insgesamt. Es geht um die Fundamente des Glaubens und um religio im wörtlichen Sinn. Die Herausforderung ist: „Können wir die christliche Glaubenstradition in einer Weise formulieren, die der Weltsicht und Lebenserfahrung der Menschen heute Rechnung trägt?“ (9)
De Groot schlägt konsequent eine „nicht-theistische Sprache“ (10) vor und bezieht sich auf den niederländischen Theologen Gijs Dingemans, der eine Theologie des Geistes entworfen hat, die eine Kraft beschreibt, die in allem Lebendigen wirkt. Eine solche Theologie verabschiedet sich davon, „Gott“ auf den Begriff zu bringen und handhabbar zu machen. In ihrem Mittelpunkt stehen die Erfahrungen des Lebendigen, die sich eher als eine aisthetische Rationalität oder eine mystische Erfahrung beschreiben ließen. Sich auf diese „Geistkraft“ (16) des Lebendigen einzulassen hat Folgen für Ethik und Moral, denn de Groot reformuliert mit ihrer Hilfe die Zukunft einer gerechten Welt, „die Zukunft des Reiches Gottes“ (ebd.), in dem sich Liebe, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ereignen. Die Theologie des Geistes ermöglicht de Groot auch eine Reformulierung von Tod und Auferstehung, ihr geht es nicht um den historischen Jesus, sondern um den „Geist des Christus“ (21): „Er ist (Hervorhebung mc.) tot, aber seine kreative Kraft wirkt weiter in der Geschichte.“ (Ebd.) Das Grab ist leer, und de Groot spricht von dem „leeren Moment“ des Vorbeigehens Marias an dem Fremden, den sie für den Gärtner hält. Der leere Moment ist der unverhoffte Moment der Begegnung mit dem_der Anderen, der einen Raum der Seelsorge, der Veränderung ermöglicht, der eher durch ein Schweigen, ein gemeinsames Abwarten, ein Noch-Nicht-Wissen, ein Miteinander-sein gekennzeichnet ist.
Die Stärke des Buches sind seine Verwurzelung in der Seelsorge und der Blick auf das, worunter Menschen leiden und welche Brüche sich in ihre Lebensgeschichten eingeschrieben haben. Die Autorin kündigt nichts geringeres an, als eine paradigmatische Wende für die Theologie des 21. Jahrhunderts, die in vieler Hinsicht mehr als notwendig ist.
Eine beiliegende CD dokumentiert den abgedruckten Vortrag, den die Autorin im März 2014 auf Schloss Fürstenberg bei der Jahrestagung der Gesellschaft für eine Glaubensreform gehalten hat.