Zu: Peter Trawny: Martin Heidegger, Eine kritische Einführung, Klostermann RoteReihe, Vittorio Klostermann GmbH, Frankfurt/Main 2016, Softcover, 183 Seiten, ISBN 9783465042617, Preis: 17,80 Euro
Peter Trawny (geb. 1964), Professor für Philosophie in Wuppertal und Leiter des Martin-Heidegger-Instituts, Wuppertal, ist Mitherausgeber der „Gesamtausgabe“ Martin Heideggers und hat die bisher erschienenen Ausgaben der „Überlegungen“ und „Anmerkungen“ herausgegeben, die als „Schwarze Hefte“ bezeichnet werden. Diese Schriften haben auch Heideggers Anknüpfung an den Nationalsozialismus und seine antisemitischen Aussagen gezeigt und für Peter Trawny dazu geführt, Heideggers Philosophie neu kritisch zu lesen. Auf diese Anforderung könnte der Untertitel der „Kritischen Einführung“ in Heideggers Philosophie zurückgehen. Aber warum erinnert Peter Trawny jetzt (erst) daran, dass eine kritische Lesart Heideggers ebenso auch dazu geeignet ist, seine Philosophie insgesamt dennoch zu würdigen?
Im Sinne von Trawnys Formulierungen müsste man sagen: Nur wer in der Lage ist, die antisemitischen Aussagen Heideggers als Dummheit zu bezeichnen, wird Heideggers Philosophie darstellen und würdigen dürfen. Dass beides möglich ist, lässt zudem einige Blicke auf die Zeit des Nationalsozialismus werfen und fragen, in welchen Kontexte das verbrecherische Anliegen dieses Denkens hinter Propaganda oder auch modern wirkenden Gedanken versteckt werden konnte, zumindest so lange, wie die Vernichtungspolitik der Nazis nicht offensichtlich war.
Die Kapitel dieser Darstellung der Arbeit Heideggers orientieren sich an der zeitlichen Abfolge seines Wirkens. Die Anfangszeit unter dem Stichwort der „Faktizität des Lebens“, die Arbeit mit „Sein und Zeit“, seinem Hauptwerk, die Zeit des Nationalsozialismus unter dem Stichwort „Geschichte des Sein“ und die Nachkriegszeit mit Äußerungen zum „Wesen der Technik“. Vorweg die Einleitung und am Ende ein Resümee.
Ich habe mir für die Rezension einige Inhalte aus dem ersten und dritten Kapitel sowie der Einleitung herausgesucht.
Bedeutend für die Philosophie seit Heidegger ist die Feststellung zu Beginn der Einleitung, dass Martin Heidegger Denkwege gegangen ist, die zum Teil abbrechen und zu Neuanfängen führen. Vielleicht ist es eher durch die zeitgeschichtlichen Auswirkungen bedingt, aber dennoch sehr deutlich eine Bedeutung der Postmoderne, dass sie meist in Versuchen argumentiert. Doch es gibt auch Kontinuität. Trawny schreibt: „Immer wieder thematisiert er die ‚Entscheidungen‘ und ‚Brüche‘, die tiefen Einschnitte und Schrecken der Existenz, aber auch das Heilende, das jedes Leben kennt.“ (S. 9)
Ein Gedanke, de sich durch alle Epochen zieht, ist seine kritische Einstellung zur Wissenschaft, der gegenüber er den Begriff des Denkens vorzieht: „Denken ist Danken (Heidegger)“. (S. 10) Die Frage nach dem Sein, die zunächst abstrakt klingt, meint gerade den Blick auf das gelebte Leben. Die Seinsfrage weist damit auf die Existenz, das Leben und das Denken als Geschichte. Trawny schreibt: „Wer Heideggers Denken kennenlernen will, wird unweigerlich den Abgründen dieser Geschichte auf abgründige Art und Weise begegnen.“ (S. 16) Ob in der doppelten Verwendung des gleichen Begriffs hier ein wenig Heidegger auf Trawny abfärbt?
Zu Beginn seines philosophischen Wirkens stand Heideggers Abschied vom Lebensziel des Priesteramts. Damit sind die Theologie oder das Christentum aber nicht obsolet, sondern haben sich unter der Voraussetzung säkularen Denkens und Redens zu artikulieren. Dazu gehört auch die Betonung des „gelebten Lebens“ und die aus diesem Zusammenhang zwischen Leben und Sprache folgenden Hermeneutik. Heidegger bedient sich der Methode der Phänomenologie und beschreibt das Denken ohne die metaphysischen Vorgaben des Christentums, sondern vielmehr unter den Bedingungen des „faktischen Lebens“.
Die Erkenntnisse der christlichen Religion werden vermutlich mit dem Stichwort „Zeitlichkeit“ aufgenommen und in philosophische Sprache umgearbeitet. Damit wird „Leben“ zugleich als „Sein“ aufgefasst. Heidegger befasst sich vor allem auch in seinen Lehrveranstaltungen mit Aristoteles und Platon und bezieht von daher die Vorstellung der „Anwesenheit“ auf den Begriff des „Seins“.
Auch die akademischen Lehrmethoden sind damals von Heidegger reformiert worden, da er die Klassikertexte mit den Studierenden Satz für Satz interpretierte. Aus der biographischen Perspektive gesehen wird die Vorarbeit zum Buch „Sein und Zeit“ von den Fragestellungen der christlichen Theologie und von denen der antiken christlichen Philosophie her geprägt.
Ich überspringe hier die Kapitel zu „Sein und Zeit“ und danach und auch die anderweitig breit diskutierten Frage zum Verhältnis Heideggers zum Nationalsozialismus, um auch in späteren Texten noch einmal nach der Betonung des faktischen Lebens zu suchen.
Trawny geht hier auch den Ursprüngen der Dekonstruktion (Jacques Derrida) auf die Spur, die bei Heidegger noch „Destruktion“ heißt. Hiermit ist zugleich auch die Überwindung der Metaphysik gemeint. Allerdings stellt Trawny fest, dass diese paradoxerweise die Beschäftigung mit Metaphysik nicht überflüssig macht, da gerade die Methodik der Metaphysik weiterhin zu thematisieren ist. Das gilt ja vor allem für die Ontologie und die Begrifflichkeit des Sein, mit der Heidegger in allen Phasen seines Wirkens operiert.
Es geht bei der Überwindung der Metaphysik um die Offenbarung der Differenz zwischen dem Sein und dem Seienden. Die Sprache als das „Haus des Seins“ darf nicht den Fehler machen, sich allein dem Seienden zu widmen. Die Sprache bezieht sich auf Sagen und Hören und ist immer mehr als ein Instrument, sie ist „Behausung“.
Dem traditionellen Christentum gegenüber ist der späte Heidegger kritisch und meint mit Nietzsche, dass der christliche Gott aufgebraucht sei. Er kritisiert im Rückblick, dass der Anspruch des Monotheismus auch wie ein vorbereitendes Modell der Diktatur zu deuten ist und plädiert so eher für eine Vielfalt der Götter oder spricht vom Erscheinen des „letzten Gottes“, eine Formulierung, die aber auch im Sinn der Eschatologie interpretiert werden kann.
Auch wenn die Lektüre dieser kritischen Einführung hier abbricht und exemplarisch bleibt, wird doch deutlich, dass Kritik und Selbstkritik dem philosophischen Denken heute immanent sind. Die postmoderne Philosophie kann Wege des Denkens Heideggers aufnehmen und eigenständig weiterführen. Das Denken ist hier keinem Vorbild verpflichtet, sondern knüpft in der Freiheit eigener Denkversuche dort an und bleibt ebenso anschlussfähig für die Dialoge in der Gegenwart. Der gesellschaftliche Kontext ist präsent, ohne dass sich die Philosophie die Freiheit des Denkens nehmen lässt. Philosophie gerade mit dem späten Heidegger zeigt sich als Gesprächspartner von Literatur und Kunst. Wer aus den säkularen Formulierungen Heideggers auf schlichten Atheismus schließt, befindet sich auf dem Holzweg.
Heidegger lesen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015