Verstrickungen eines Philosophen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016

Zu: Walter Homolka, Arnulf Heidegger (Hg.): Heidegger und der Antisemitismus, Positionen im Widerstreit, Mit Briefen von Martin und Fritz Heidegger, Herder Verlag, Freiburg 2016, gebunden, 443 Seiten, ISBN 978-3-451-37529-3, Preis: 24,99 Euro

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Wenn bisweilen in der Diskussion um die „Schwarzen Hefte“ Martin Heideggers die Veröffentlichung des Briefwechsels der Brüder Fritz und Martin Heidegger angefragt wird, so ist dieser Wunsch soweit in Erfüllung gegangen, dass davon nun eine Auswahl im Verlag Herder erschienen ist. Die Autorinnen und Autoren der im zweiten Teil veröffentlichten Aufsätze, gesammelt und eingeleitet von Walter Homolka, gehen also nicht nur auf die Diskussion um die „Schwarzen Hefte“ aus den Jahren 1931 bis 1948 ein, sondern auch auf den im Buch vorgelegten Briefwechsel. Walter Homolka ist Professor für jüdische Religionsphilosophie an der Universität Potsdam und Rektor des Abraham-Geiger-Kollegs für die Rabbiner Ausbildung in Deutschland. Arnulf Heidegger, von Beruf Rechtsanwalt, ist als Enkel Martin Heideggers der aktuelle Nachlassverwalter.

Aufgefallen ist mir im Briefwechsel auch die zum Ausdruck kommende „Verbundenheit mit Boden und Heimat“ (S. 19), die zu einer (späteren) Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus geführt haben mag. Diese ist jedenfalls schon früh auffällig. Martin Heidegger wirbt regelrecht bei seinem Bruder für den Nationalsozialismus, auch mit der Zusendung von Büchern über Hitler. Leider fehlen im Briefwechsel zwei Jahrgänge, und zwar die Rektoratszeit betreffend von Mitte 1933 bis Mitte 1935 (laufende Nummer von 52 bis 61). Auch aus dem Jahr 1942 fehlen zehn Briefe.

In der Kriegszeit lässt Martin Heidegger die Vorlesungen von seinem Bruder abschreiben, der dadurch mehr und mehr auch mit der Terminologie vertraut ist. Später gibt es immer wieder Anspielungen an eine Aktion, die dazu dienen soll, diese Manuskripte sicher zu verstecken. Martin Heidegger erwähnt vorher auch seine Mitarbeit an der Nietzsche-Ausgabe in Weimar, was aber offensichtlich ab 1939 zum Erliegen kam. Später berichtet er von einer Predigt des Freiburger Erzbischofs im Münster gegen einen Philosophen, der das „Sein zum Tode“ lehre und meinte, „dann bliebe angesichts einer solchen Philosophie nur noch der Ausweg, sich eine Pistole zu kaufen und sich eine Kugel in den Kopf zu jagen.“ (Martin an Fritz, S. 85).

Das Ende des Nationalsozialismus hingegen war irgendwann absehbar. Martin erzählt seinem Bruder, dass er in Freiburg einem Bombenangriff entgangen ist, weil es zum Volkssturm abkommandiert war. Im Zusammenhang des Krieges ist von „Schrecken und Nöten“ die Rede. „Jetzt geht eine Welt zu Ende, die seit langem schon der inneren Größe und Wahrheit entbehrte und nur noch Fassade, Lärm, Vergnügen und Gleichgültigkeit war.“ (S. 114) Für ehemalige Anhänger des Nationalsozialismus bricht im nahen Kriegsende eine Welt zusammen. Doch von dieser Welt, von der er einmal fasziniert war, distanziert er sich jetzt. Doch es ist noch nichts Neues an dessen Stelle getreten.

Interessant daher ist die Schilderung seiner Entnazifizierung und Emeritierung als Hochschullehrer ohne Lehrauftrag. Von einem Klinikaufenthalt in Badenweiler schrieb Martin Heidegger 1946, er sei dort, „um Abstand zu gewinnen“ (S. 132). Der „Hinauswurf“ löste bei ihm eine pauschale Verurteilung der „Deutschen“ aus, die „durch die eigene gegen sich selbst betriebene Verräterei am eigenen Wesen“ erfolgte (S. 133). Einerseits diese Ausdrucksweise und andererseits die Bewertung als „Verrat“ zeigen immer noch eine starke Affinität zum nationalsozialistischen Denken. Die Frage, inwiefern diese Einstellung in der Philosophie zum Ausdruck kommt, ist mit der Lektüre der Briefe nicht zu beantworten, da sie eher einen biographischen Wert haben und ihre Dokumentation lückenhaft ist (s.o.).

Die Aufsätze sind hier stärker pointiert. Der Herausgeber hat keine Wertung in der Gliederung vorgenommen und die Aufsätze einfach in alphabetischer Reihenfolge sortiert. Walter Homolka selbst meint, die Unterscheidung von Leben und Werk wäre sinnvoll, wobei der Nationalsozialismus eher zum Leben Heideggers als zum Werk gehört.

Die Aufsätze sollen nun kurz reflektiert werden. Bei den Namen der Autorinnen und Autoren nenne ich nur den Ort und nur dann die Funktion, wenn es sich nicht um Lehrende an Hochschulen handelt.

Der Schlusssatz von Luca di Blasi (Bern) ist schon eine gute Zusammenfassung: „Was 1933 in Gestalt einer nationalmessianischen Euphorie begann, endet hier, 1945, in einer unüberbietbaren verschwörungstheoretischen Paranoia.“ (S. 201).

Donatella di Cesare (Rom) geht weniger auf die Briefe ein und bleibt bei ihrer Beurteilung der „Schwarzen Hefte“: „Heideggers metaphysischer Antisemitismus hat eine theologische Herkunft, eine politische Absicht und einen philosophischen Rang.“ (S. 214).

Markus Gabriel (Bonn) sieht eine Aufnahme des „Anti-Christus“ von Friedrich Nietzsche, der auch das Judentum einschließt (vgl. S. 222). Er bezeichnet die heute übliche „Islamophobie“ als „Ersatzantisemitismus“ (S. 227). Heideggers Einstellung nach 1945 sei verweigerte Trauerarbeit.

Jean Grondin (Montréal, Kanada) meint, Heidegger habe die politische Propaganda der Nazis geglaubt, weil er keine Alternative dazu sah (vgl. S. 241).

Wichtig scheint mir, nicht nur wegen ihrer persönlichen Nähe zu Heidegger, die Position Hannah Arendts, die von Antonia Grunenberg (Oldenburg) beschrieben wird. Arendt dekonstruierte sämtliche Grundkategorien Heideggers: Dasein, Existenz, Geschichte, Macht, Herrschaft (vgl. S. 248). Sie lehnt, so Grunenberg, die Gleichsetzung von Macht und Gewalt ebenso ab, wie die von Handeln und Danken (vgl. S. 250f). Zuletzt wollte Hannah Arndt Heidegger noch ein Buch widmen, starb aber darüber vor ihm schon 1975.

Klaus Heldt (Wuppertal) verweist auf die in den dreißiger Jahren entstandenen „Beiträge“ und meint, das „Ereignis“-Denken sei eine Anspielung auf den Nationalsozialismus. Später allerdings habe Heidegger die politische Reflexion wieder Verlassen und durch einen Aufruf zur „Gelassenheit“ ersetzt. Er geht ausführlich auf die antisemitischen Äußerungen Heideggers ein, sieht aber in ihnen auch eine Form der Herstellung von Beziehung.

Elad Lapidot zitiert dabei sogar ein bekanntes Motiv bei Heidegger: „Aus der Perspektive der Philosophie stellt Kritik gegen das Judentum eine Beziehung zu ihm her, etwas was Gleichgültigkeit gegenüber dem Judentum nicht schafft. Um eine von Heideggers anti-jüdischen Aussagen gegen sich selbst zu kehren: ‚Der Anti-christ muß wie jedes Anti- aus dem selben Wesensgrund stammen wie das wogegen es anti- ist. ‘ (Heidegger GA 97, Anmerkungen I, S. 20). Aus diesem rund glaube ich, dass aller philosophische Antijudaismus zugleich auf eine Brücke zum Judentum hindeutet.“ (S. 274/275). Nach Elad Lapidot (Berlin) erinnert Heidegger daran, dass die Philosophie die „Frage nach dem Sein“ vergessen hat (S. 275). Das Jüdische erscheint als Motiv der Metaphysik.

Rosa Maria Marafioti (Reggio Calabria) erinnert an die Distanzierung Heideggers vom realen Nationalsozialismus und vom „verbrecherischen Wahnsinn Hitlers“ (Zitat Heidegger, GA 97, S. 444, hier S. 280). Die Shoah sei für Heidegger allerdings schlicht „Nihilismus“. Er nennt diese fatal den Höhepunkt der „Selbstvernichtung“ (S. 284). Heidegger meinte wohl von sich, er habe sich im (heimlichen) Widerstand befunden und wurde bespitzelt (vgl. S. 288). In seinen Vorlesungen über Nietzsche oder Hölderlin äußerte er so etwas wie immanente Kritik an der vorherrschenden Deutung und der offiziellen Lesart der „Parteiideologen“ (S. 288)..

Der Aufsatz Reinhard Mehrings (Heidelberg) gipfelt darin, Heidegger habe bewusst die Veröffentlichung der „Schwarzen Hefte“ ans Ende gesetzt, um damit sein eigenes Werk posthum selbst zu zerstören. (Vgl. S. 299).

Thomas Meyer (München) analysiert das Thema historisch und stellt fest, dass Heidegger faktisch zu (fast) keinem Zeitpunkt mit Nazi-Organisationen und –Funktionären in Verbindung stand. Zur Philosophie schlägt er vor, den Begriff „Seynsgeschichte“ als Deutungsmotiv zu sehen, in dem Naziideologie abgebildet werden kann. Inhalte Heideggers laufen damit teilweise parallel zum NS-Denken wie „Moderne-Kritik, Subjekt-Objekt-Kritik, Zurückweisung der Aufklärung“ (S. 307). Heidegger hält nichts von „Bildung“, „Kultur“ und „Humanismus“ (S. 308). Allerdings sei Heidegger kein Anhänger einer bestimmten Ideologie, sondern denke auf „eigene Rechnung“ (Vgl. S. 309).

Hanspeter Padrutt (Arzt aus Zürich) erinnert an die persönlichen Begegnungen mit Heidegger in den Zollikoner Seminaren. Zum Schluss des Artikels schreibt er: „Für mich ist etwas ganz anderes ein viel größeres Problem (als Heideggers Verstrickung in den Nationalsozialismus, d. Rez.): dass nämlich wegen Heideggers Verstrickung seine In-Frage-Stellung der herrschenden naturwissenschaftlichen Weltsicht in fataler Weise nicht beachtet oder unbesehen abgelehnt wird.“ (S. 323).

Hermann Schmitz (Kiel) beobachtet, dass das Denken der Philosophie Heideggers nicht (allein) der klassischen Philosphie, sondern auch der Scholastik entlehnt ist (Vgl. S. 330). Zum Schluss des Artikels zeigt er, dass Heidegger das Sündenbock-Denken in die Philosophie eingeführt habe.

Zum Ende des Buches wiederholen sich die Argumente. Daher bleibt der Artikel von Harald Seubert (Basel), des neuen Vorsitzenden der Martin-Heidegger-Gesellschaft,  hier unberücksichtigt.

Christian Sommer (Paris) versteigt sich zu der Behauptung, der Nationalsozialismus sei dazu da gewesen, den „Untergang“ herbeizuführen, der erst die Religion des „letzten Gottes“ ermögliche (S. 358).

Wichtig ist noch einmal der Aufsatz Dieter Thomä (St. Gallen), der den Briefwechsel des Buches vor dem historischen Hintergrund deutet und zeigt, wie stark Martin Heidegger seit 1930 in das NS-Denken involviert war. Er sei nach „Sein und Zeit“ in eine Krise geraten, da er nicht mehr daran anknüpfen konnte und habe in der Krise das NS-Denken willkommen aufgenommen. Nach 1945 habe er sich sogar von einer „christlichen Front“ verfolgt gesehen (S. 371). Den Opfern des Nationalsozialismus gibt er kein Wort des Bedauerns oder Erbarmens, von einem Schuldbekenntnis ganz zu schweigen. Die einzige Bemerkung dazu klinge eher sarkastisch: „Wir müssen KZ-Leute in die Wohnung nehmen.“ (S. 372).

Rainer Thurnher (Innsbruck) sieht in Heideggers Schriften eine Unterscheidung zwischen dem durch ihn angelehnten „Vulgärnationalsozialismus“ und einem „wahren Nationalsozialismus“ (S. 380).

Peter Trawny (Wuppertal) hingegen bleibt bei der Bewertung des „metaphysischen Antisemitismus“, der mit einer Kritik am Christentum verbunden sei (nach Nietzsche). Kurz gesagt: Aus dem Glauben an den „Schöpfergott“ folgt die „Technik“ (S. 387).

In der Skizzierung der angeblichen „Selbstvernichtung“ hingegen folgt Heidegger nach Trawny schlicht der NS-Propaganda, die die offizielle Schuld am Krieg „den Juden“ zuschrieb. (S. 387). Wichtig ist auch nach Trawny, dass die Lektüre allein nicht ausreicht, sondern die Kontextanalyse und Kritik einschließt.

Thomas Vašek (Hamburg, Herausgeber des Philosophiemagazin) plädiert klipp und klar dafür, die Lektüre Heideggers schlicht zu beenden. Heidegger sei u. a. ein „neuheidnischer Esoteriker“ (S. 400).

Silvio Vietta (Hildesheim) ist eher dafür, die Differenz zwischen Heidegger und der gängigen Nazi-Sprache zu beachten. Auch weist er darauf hin, dass Heidegger als Freiburger Rektor die angeordneten Bücherverbrennungen verhindert hat. Heidegger habe zudem die „Vergötzung des Volkes“ kritisiert (S. 413) und habe sich nach anfänglicher Identifizierung zunehmend vom Nationalsozialismus distanziert. Später sieht er sogar Russland und Deutschland in einem Boot. (Vgl. S. 416/417).

Holger Zaborowski (Vallendar) sieht die „Schwarzen Hefte“ als „Irrwege, Abwege, Scheitern“ (S. 435). Es darf keine Heidegger-Orthodoxie geben. Die Rezension schließt bewusst mit einem Zitat aus diesem Aufsatz: „Und noch stärker als je zuvor wird es notwendig sein, Heideggers Denken zu kontextualisieren – zum einen in die Kontexte der Geschichte der Philosophie und zum anderen auch in die biographischen und zeitgeschichtlichen Kontexte, die vielleicht nicht alles erklären, aber doch vieles verstehen lassen.“ (S. 437).

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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