Familiengeschichte Bonhoeffer, Rezension, Christoph Fleischer, Welver 2019

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Aus dem Leben der Familie Bonhoeffer, Die Aufzeichnungen von Dietrich Bonhoeffers jüngster Schwester Susanne Dreß, Herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Jutta Koslowski, Mit einem Geleitwort von Andreas Dreß, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2018, gebunden, 868 Seiten, ISBN 978-3-579-07152-7, Preis: 49,00 Euro

Die promovierte Theologin und Lehrbeauftragte Jutta Koslowski hat eine Mammutaufgabe gestemmt. Sie hat die 600 Schreibmaschinenseiten des Manuskripts von Susanne Dreß bearbeitet, korrigiert und als Buch herausgegeben, die etwa 40 Jahre der Familiengeschichte der Bonhoeffers in Breslau und Berlin umfassen. Da Susanne Dreß, wie im Untertitel angedeutet, Dietrich Bonhoeffers jüngste Schwester war, dient diese Familienbeschreibung zugleich als Darstellung des familiären Hintergrundes von Dietrich Bonhoeffer.

Interessant ist aber auch die etwa 50-seitige Einleitung der Herausgeberin. Die Geschichte der Auffindung fast aller Schreibmaschinenseiten aus unterschiedlichen Quellen der Dietrich-Bonhoeffer-Forschung ist mehr als abenteuerlich. 

Die hier genannten Personen und Orte sind wichtige Zeugen für manche Unebenheiten der biografischen Aufarbeitung der Werk-Geschichte Dietrich Bonhoeffers, die nach einer Odyssee nun endgültig seinen Platz im Staatsarchiv in Berlin gefunden hat.

Doch Susanne Dreß dokumentiert nicht nur die Umstände der Erziehung Dietrich Bonhoeffers im Elternhaus zusammen mit den Geschwistern, sondern auch die Lebensgeschichte seiner Schwester Susanne Dreß selbst. Sie war als Pfarrfrau in die Geschichte der Bekennenden Kirche involviert.

Die Autobiografie von Susanne Dreß liest sich flüssig und locker. Durch die Anekdoten und geschilderten Ereignisse ist die Erzählung voller Witz und Farbe. Es bereitet keine Mühe, sich in die Verhältnisse der Familie Bonhoeffer hineinzuversetzen, wenn auch deren Lebensumstände als großbürgerlich zu bezeichnen sind.

Die erzählte Geschichte der Familie Bonhoeffer hat keinen fortlaufenden Erzählfaden, sondern ist in thematische Abschnitte eingeteilt. Dabei gibt es zuerst den Teil „Kindheit und Jugend“, der sich mit den Aspekten des Familienlebens umfasst und zugleich den Kontext der Vorfahren, Eltern, Erzieherinnen, Geschwister und die weitere Verwandtschaft schildert.

Ein besonderer Schwerpunkt liegt dabei auf den Umständen des ersten Weltkriegs, dem auch ein Bruder der Autorin zum Opfer fällt. Ausführlich kommt auch die Revolutionszeit in Berlin und die Inflation zur Sprache. Weitere Kapitel beschreiben das „gesellschaftliche“, „kulturelle“ und „religiöse Leben der Familie Bonhoeffer“.

Besondere Akzente sind durch die Perspektive des jungen Mädchens „Susanne“ gegeben, die zumeist eigene Beobachtungen schildert und eigene Wertungen einfließen lässt.

Erstaunlich ist die Größe des Hauses der Bonhoeffers besonders in Berlin, das nicht nur die acht Geschwister beherbergt, auch das Personal und zeitweise die Großmutter und andere Verwandte und daneben noch die privaten Praxisräume des Psychiaters Karl Bonhoeffer, der an der Charité arbeitete und an der medizinischen Fakultät lehrte.

Einzelne Beobachtungen lassen immer mal wieder einen Blick auf den Bruder „Dietrich“ werfen, mit dem Susanne als nächst jüngerer Schwester eine besondere Beziehung verband.

In den Rangeleien und dem Spotten der Geschwister ist der Bruder „Dietrich“ kein Heiliger. So kränkt er seine ältere Schwester Ursel einmal, indem er am Tisch bemerkt, sie habe dicke Lippen.

Auch gesellschaftliche und politische Fakten werden vom Kind Susanne berichtet. Erwähnt werden Hakenkreuze schon in der Putsch- und Revolutionszeit nach 1918. Auch in der frühen Weimarer Zeit ist das Phänomen des Kommunismus interessant für die Schülerin, die sich sogar für die Lektüre einiger Marx-Schriften interessierte.

Der zweite Teil ist schon eher an einer Chronologie interessierte als der erste. Susanne Dreß, die einen Pfarrer heiratete und in Berlin-Dahlem lebte ist eine kritische Chronistin der Zeit der Bekennenden Kirche und der Nachkriegszeit. So teilt sie ihren besonderen Ärger darüber mit, dass ihr inhaftierter Bruder, der als Pfarrer immerhin ein Predigerseminar der Bekennenden Kirche geleitet hat, von den Fürbittlisten gestrichen worden ist.

Doch nicht nur Dietrich, sondern ach die anderen Familienmitglieder kommen zur Sprache, die sich ebenfalls im Widerstand engagierten.

Die erzählte Zeitperiode endet etwa mit dem Jahr 1949, womit die ersten vierzig Jahre des Lebens von Susanne Dreß und ihrer Angehörigen im Blick sind. Die Familiengeschichte ist anschaulich geschildert und erhält ihre besondere Würze durch die Perspektive der jüngsten Schwester Dietrich Bonhoeffers, die sich hier als kritische und selbstbewusste Botschafterin erweist.