Mehr als ein Blumenstrauß, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2021ö

Zu: Toon Horsten: Der Pater und der Philosoph, Die abenteuerliche Rettung von Husserls Vermächtnis, Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas, Verlag Galiani (Kiepenheuer und Witsch), Berlin 2021, gebunden, 288 Seiten, Namensregister und Bibliographie, ISBN: 978-3-86971-211-6, Preis: 24,00 Euro

Auf einem Familienfoto, und zwar dem der Profess seiner Tante, findet der Autor Toon Horsten das Bild des Paters Herman Leo van Breda (1911 – 1974). Aus der Spurensuche nach der Bedeutung dieses Franziskaners wurde das Buch, das in Belgien als Bestseller bekannt wurde und nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. Der Philosoph, um den es im Titel geht, ist Edmund Husserl aus Freiburg, über dessen Werk der genannte Pater ab 1936 in Leuven (Löwen, die flämische Schreibweise wird im Buch durchgehalten, d. Rez.) promoviert.

Rettung eines philosophischen  Nachlasses

1935 war Husserl aufgrund der sog. Rassegesetze der NS-Diktatur zwangsemeritiert worden und erhielt zum Abschied aus der Universität von der Familie Heidegger einen Blumenstrauß als Zeichen der Dankbarkeit. Ein öffentlicher Dank war dem Schüler Husserls und Nachfolger auf dessen Lehrstuhl nicht möglich.

Husserl selbst starb schon kurz nach dieser Verabschiedung im Jahr 1938. Van Breda war inzwischen nach Freiburg gereist, um im Archiv Husserls zu forschen und erhielt diese Nachricht. Was ihm übrig blieb, war die Kenntnisnahme des umfangreichen Nachlasses, den es nun aus Furcht vor der Zerstörungswut der Nazis zu retten galt. Diese Rettung ist in der Tat abenteuerlich. Hier soll die Rezension der Lektüre nicht vorgreifen.

Das Buch von Toon Horsten geht in diesem Zusammenhang auch inhaltlich auf die Methode der Phänomenologie und ihre Bedeutung ein und macht Leserinnen und Leser mit dem international wirkenden Kreis der Schüler und Schülerinnen Husserls bekannt.

Das daraus entstehende Husserls-Archiv hat dementsprechend auch verschiedene Standorte: Köln, Freiburg, Prag, Leuven und Paris in Europa und weitere in den USA.

Trotz der Bemühungen um das Verstecken des Nachlasses und später auch der Bibliothek Husserls, mussten gleichzeitig die Manuskripte ausgewertet und entziffert werden. Hierbei wurde van Breda zur Schlüsselfigur, da er als einziger das Versteck kannte. Es blieb tatsächlich über die gesamte Kriegszeit hin unentdeckt.

Biographie als wissenschaftliche Erzählung

Das Buch von Toon Horsten ist eine wissenschaftliche Erzählung aus einer durch Rassenhass und Krieg bedrohten Zeit. Vor dem Hintergrund dieser antijüdischen Hetze und Verfolgung nimmt die Rettung der Papiere und die Gründung des Husserls Archivs die Gestalt einer Betonung der Freiheit des Denkens in der Philosophie an. Und dies geschah unter der Ägide eines katholischen Ordensgeistlichen, der auch den Rückhalt seines Bischofs besaß.

Er wird zum Motor dieser Bemühungen. Es gelang ihm auch, die Witwe Husserls zum Umzug nach Leuven zu bewegen. Sie war inzwischen zum katholischen Glauben konvertiert. Sie wohnte mit Ihrer Haushaltshilfe in einem Trakt eines Frauenklosters. Eine Weiterfahrt in die USA, wo die Kinder zwischenzeitlich lebten, war nicht mehr möglich.

Es ist ein wenig eine Geschichte nach dem Muster von Anne Frank und Schindlers Liste, genauso aber auch eine Erzählung über die Bedeutung und Wertschätzung der Methode Husserls, die sich später bis in die Kreise der französischen Existenzialisten verfolgen lässt.

Rettung jüdischen Kulturguts

Die Rolle der Kirche als Retterin des Kulturguts der Philosophie sollte nicht unerwähnt bleiben. Übrigens wurde in diesem Zusammenhang auch das Archiv der inzwischen in einen katholischen Orden eingetretenen Edith Stein gerettet und wird seitdem auch vom Husserls Archiv herausgegeben. Der Versuch, die Ordensfrau und Lehrerin selbst zu retten misslang allerdings, wohl weil sie den Weg in die Vernichtung bewusst auf sich genommen hat, auch um ihre Schwester zu begleiten. Sie starb am 9. August 1942 in Auschwitz.

Das Buch endet streng biografisch mit dem recht frühen Tod des Protagonisten im Jahr 1974. In einem Nachwort wird die weitere Geschichte von Husserls Archivs kurz skizziert. Es ist ein spannendes Buch, wie es nur das Leben selbst schreiben kann.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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