Joachim Leberecht, Karfreitagspredigt 2023, Herzogenrath 2023

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Ich bin der wahre Weinstock Johannes 15,1-5+8-16

Predigttext            :

Der wahre Weinstock

1 Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. 2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, nimmt er weg; und eine jede, die Frucht bringt, reinigt er, dass sie mehr Frucht bringe. 3 Ihr seid schon rein um des Wortes willen, das ich zu euch geredet habe. 4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch ihr nicht, wenn ihr nicht an mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.

8 Darin wird mein Vater verherrlicht, dass ihr viel Frucht bringt und werdet meine Jünger.

Das Gebot der Liebe

9 Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch. Bleibt in meiner Liebe! 10 Wenn ihr meine Gebote haltet, bleibt ihr in meiner Liebe, so wie ich meines Vaters Gebote gehalten habe und bleibe in seiner Liebe. 11 Das habe ich euch gesagt, auf dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde. 12 Das ist mein Gebot, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe. 13 Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde. 14 Ihr seid meine Freunde, wenn ihr tut, was ich euch gebiete. 15 Ich nenne euch hinfort nicht Knechte; denn der Knecht weiß nicht, was sein Herr tut. Euch aber habe ich Freunde genannt; denn alles, was ich von meinem Vater gehört habe, habe ich euch kundgetan.

Vom Bleiben in der Liebe

Liebe Gemeinde,

was ich euch heute sage ist ein Geheimnis, gerichtet ganz allein an Jesu Jüngerinnen und Jünger. Wir können uns das gar nicht mehr vorstellen, weil wir die Worte Jesu aus dem Johannesevangelium schon oft gehört haben, aber vielleicht begreifen wir etwas mehr von dem Geheimnis oder nähern uns ihm erneut an, wenn wir von Freude und Liebe erfüllt werden.

Wenn wir uns die Ich-Bin-Worte Jesu in ihrer Reihenfolge anschauen, können wir eine Steigerung feststellen.

In den ersten fünf Ich-Bin-Worten wendet sich Jesus an alle Menschen. Er macht seinen Anspruch geltend und fast traditionelle Bilder und Hoheitstitel, wie etwa Christus oder Sohn Gottes weiter als die synoptischen Evangelien. Johannes entwickelt die Christologie weiter und umfassender. Es sind ja gerade die starken Bilder, die Jesus selbst benutzt, die uns ansprechen und die immer wieder neu in uns lebendig werden. Sie sind Stützpunkte und Sehnsuchtsbilder für unseren täglichen Glauben. Jesus verheißt mit ihnen Lebensgewinn, ja Sinn.

  1. Ich bin das Brot – Einladung

Wer zu Jesus kommt, wird satt.

  1. Ich bin das Licht der Welt – Ruf in die Nachfolge

Wer von Jesus gekostet hat, kann die Entscheidung treffen, ihm nachzufolgen.

  1. Ich bin die Tür – Konversion

Wer Jesus nachfolgt, tritt in einen neuen Raum ein.

  1. Ich bin der gute Hirte – gemeinsam unterwegs

Wer Jesus folgt, hört auf seine Stimme.

  1. Ich bin die Auferstehung – Teilhabe am ewigen Leben

Wer Jesus glaubt, hat schon heute Teil am ewigen Leben.

Nach diesen fünf Ich-Bin-Worten wendet sich Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern zu. Jesus teilt sich ihnen in besonderer Weise mit. Es sind seine letzten Worte, bevor er am Kreuz erhöht wird und zu seinem Vater geht. Es sind Worte in einer Situation von Trauer und Angst. Es sind sehr intime Worte. Beide Ich-BIN-Worte haben seine innige Verbindung mit dem Vater zum Inhalt. Diese Einheit mit seinem göttlichen Vater wünscht sich Jesus auch mit seinen Jüngerinnen und Jüngern damals und heute. Nach seiner Erhöhung am Kreuz ist das das Bleibende in der Beziehung zu denen, die zu Jesus gehören.

Daher sagt Jesus uns heute am Karfreitag:

  1. Ich bin der Weg – zum Vater

Ich bin der Weg zu Gott dem Vater. Mein Weg führt jetzt über das Sterben in die Gemeinschaft mit dem Vater. Ich kenne keinen anderen Weg. Dieser Weg ist auch für euch der einzige Weg.

  1. Ich bin der wahre Weinstock – mein Vater der Weingärtner

Das siebte ICH-BIN-WORT: Ich bin der wahre Weinstock zeigt auf, wie die Beziehung zu Jesus gelebt werden kann, was der Grund der Beziehung ist und was die Aufgabe derer ist, die erkannt haben, dass Jesus das wahre und ewige Leben ist.

Vertraut darauf: Ich bin der wahre Weinstock und mein Vater der Weingärtner. Dieses Bild prägt sich tief ein. Jesus, der wahre Weinstock, der Vater der Weingärtner und die mit Jesus verbundenen sind die Reben.

Das Gleichnis aus der Natur ist ein altes biblisches Bild. Jesaja hat eindrücklich darüber ein Weinberglied gedichtet. (Jesaja 5,1-7) Gott hat diesen Weinberg angelegt, aber der Weinberg ist verwildert und bringt keine Frucht. Das Weinberglied ist eine prophetische Zustandsbeschreibung zur Zeit Jesajas für das Volk Gottes (Israel). Gott „wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei und Schlechtigkeit“(V.7), wie Luther lautmalerisch das Hebräische ins Deutsche überträgt. Jesus greift diesen bekannten Vergleich auf und transformiert ihn auf die Beziehung zu seinen Jüngerinnen und Jüngern.

Bei Jesus geht es nicht um eine Frucht, die alles aus sich selbst leisten muss. In dem so oft missverstandenen Wort: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (V.5b) liegt gerade nicht eine Beschneidung der Autonomie des Menschen, sondern für den Menschen, der mit Jesus verbunden ist, liegt darin eine große Freiheit, eine Freude, ein am Lebensstrom und der Kraft Jesu angeschlossen sein. Ja, sogar ein Wechselspiel der Kräfte im gesamten Organismus Weinstock:

„Ein Weinstock ist kein Weinstock, wenn er nicht in seinen Blättern atmen kann, und er findet seine Erfüllung nicht, wenn er nicht Frucht ansetzt, sich weiterzuzeugen. Die Reben sind nicht das Produkt des Weinstocks, sie sind die Art, wie der Weinstock selbst lebt; ohne sie wäre er selbst buchstäblich nichts.“ (Eugen Drewermann, Das Johannesevangelium, Zweiter Teil, Seite 154)

Einheit mit dem Weinstock

Es ist die lebendige Einheit mit dem Weinstock, die die Reben reifen lässt und umgekehrt. Auch der Weinstock braucht die Reben. Das ist das Geheimnis, das Jesus den Seinen anvertraut. Der Weingärtner beschneidet die Reben, dass sie mehr Frucht bringen. Alles, was keine Frucht bringt, wird weggeschnitten und anschließend verbrannt. Wenn wir das ganze Bild vom Weinstock, Reben und dem Weingärtner auf uns wirken lassen, wird uns die Schönheit dieses Bildes guttun. Wir sind, wenn wir bei Jesus bleiben, am göttlichen Lebensstrom angeschlossen und mehren ihn.

Wer so nah am Lebensstrom ist, lebt gefährlich. Die größte Gefahr und das größte Übel sind in der christlichen Religion immer von den Menschen ausgegangen, die sich selbst mit dem Weingärtner verwechselt haben, statt einfach sich am Weinstock und Jesu Vorbild zu halten.

Was aber nun ist die Frucht, die die Reben hervorbringen? Natürlich der Wein, der Freude schenkt. Jesu Gleichnis geht aber über das ästhetische Verständnis weit hinaus, obgleich wir bei der Freude schon richtig liegen. Schon Johannes gibt im Gespräch Jesu mit der Samariterin im vierten Kapitel seines Evangeliums eine Deutung der Frucht. „Wer erntet, empfängt Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, auf das sich miteinander freuen, der da sät und der da erntet.“ (Joh 4,36)

Die Liebe ist die reife Frucht

Jetzt, ja erst jetzt, kommen wir zum Höhepunkt des Gleichnisses vom Weinstock und den Reben. Es ist recht gesehen eine echte Karfreitagsbotschaft: Freude in und an der vollkommenen Liebe. Die Liebe ist die reife Frucht, die Freude bringt.

Jesus liebt seine Jüngerinnen und Jünger: „Wie mich mein Vater liebt, so liebe ich euch auch.“ (Johannes 15,9) Das sagt er nur ihnen, der kleinen Schar. Im Johannesevangelium ist Jesus mit Worten über die Liebe sehr sparsam, aber ohne die Liebe Gottes zur Welt: „Und also hat Gott die Welt geliebt“ (3,16a) ist Jesu Sendung in die Welt nicht zu verstehen. Und Jesus ist nicht zu verstehen ohne seine Liebe zu den Seinen. Jesus setzt auf Liebe. „Bleibt in meiner Liebe!“(V.9) „Das habe ich zu euch gesagt, dass meine Freude in euch sei und eure Freude vollkommen werde.“(V.11)

„Ihr seid meine Freunde!“(V.14a) „Niemand hat größere Liebe als die, dass er sein Leben lässt für seine Freunde.“

Karfreitag.

Und Jesus geht sogar noch einen Schritt weiter. Er gibt seinen Jüngerinnen und Jüngern ein neues Gebot mit auf den Weg. Eine Weisung, wie sie leben sollen. „Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch liebe.“ (V.12)

Es geht um Gemeinschaft. Um dazugehören. In dieser Gemeinschaft gilt nicht mehr Herr und Knecht, da ist jeder Statusunterschied aufgehoben, das ist wahre Egalität, da dient einer dem anderen, da lässt sogar einer für den anderen sein Leben, da ist der Unterschied zwischen Gott und Mensch aufgehoben. In der wahren Liebe ist nichts Trennendes mehr.

Amen

 

Literatur:

Eugen Drewermann: Das Johannes Evangelium. Bilder einer neuen Welt. Zweiter Teil, Verlag Patmos, 2003, S.134-150

Gerd Theißen: Die Religion der ersten Christen. Eine Theorie des Urchristentums, Gütersloher Verlagshaus, Dritte durchgesehene Auflage 2003, S. 261-278

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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