Bronzekreuz (Quelle:http://www.Christliche-Kunst-Bauer.de , der eigentliche Rechteinhaber ist unbekannt)
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, liebe Festgemeinde,
bei der Einsegnung wird euch ein Bronzekreuz umgehängt. Darauf sind fünf runde Brote und zwei Fische zu sehen und die Worte: „Wer teilt, gewinnt“ treten reliefartig hervor. Das Kreuz fand ich von Anfang an für euch Konfirmandinnen und Konfirmanden schön: eine handfeste und bleibende Erinnerung an eure Konfirmandenzeit in der Lydia-Gemeinde und an eure Einsegnung. Mit den Worten habe ich mich schwerer getan, da sie für mich etwas zu einfach die christliche Botschaft auf den Punkt bringen. Sie klingen für mich, wie die zahlreichen Titel der in jeder Bahnhofsbuchhandlung erhältlichen Ratgeberliteratur oder die vielen moralisierenden Appelle, die uns in den Medien täglich präsentiert werden. Was wir nicht alles zu tun oder zu lassen haben! Davon ist euer Leben eh schon geprägt, und je sensibler ihr veranlagt seid, desto mehr wächst der Erwartungs- und Anpassungsdruck.
Moralisierender Zeitgeist
Wir sind nicht erst seit Corona – und diese Zeit mit den vielen Einschränkungen und Verunsicherungen hat euch ganz schön gebeutelt – zu einer sehr moralisierenden Gesellschaft geworden. Um überhaupt einigermaßen den Durchblick zu behalten, werden komplexe Zusammenhänge zunehmend vereinfacht, und längst überwunden geglaubtes Schwarz-Weiß-Denken ist mit Macht zurückgekehrt. Kaum eine Woche vergeht, in der nicht neue Sprach- und Denkverbote durch die Medien geistern, und viele haben das Gefühl, sich nicht mehr frei äußern zu können und sagen lieber nichts zu umstrittenen Themen. Gleichzeitig verbreitet sich das Phänomen, bekenntnishaft durch Sprache und Handeln zu zeigen, ich stehe auf der guten und richtigen Seite. Wir wollen zu den Guten gehören, die anderen aber liegen nicht nur falsch, sie handeln auch falsch und müssen deshalb permanent erzogen werden. Darunter leidet das Gespräch, das Aufeinander-Hören, der Austausch der Argumente und das, was uns alle miteinander verbindet: das Menschsein.
Narrative der Hoffnung contra Appellbotschaften
Was ist dem entgegenzusetzen oder wo finden wir in diesen verwirrenden Zeiten Orientierung und Hoffnung? Sicherlich nicht in Handlungsanweisungen, sondern in Geschichten, die uns Mut machen angesichts apokalyptischer Szenarien, die an die Wand gemalt werden und inzwischen fast in jeder Nachricht vorkommen. Wir leben von den tradierten großen Geschichten und Erzählungen – manche stehen neuerdings wieder auf einem ungeschriebenen und sich stets erweiternden Index, weil sie angeblich ein Menschenbild transportieren, das heute nicht mehr tragbar ist. Wir leben aber von Erzählungen, die weitererzählt werden. Sie enthalten Wesentliches, das weit über die Vernunft oder einer reinen Pflichtethik hinausgeht. Erzählungen sind menschlich und sie sprechen zu uns als Menschen, ob sie nun Märchen, Mythen oder biblische Geschichten sind.
Essen und Trinken stiftet Gemeinschaft
Die Erzählung von den fünf Broten und den zwei Fischen ist dafür ein gutes Beispiel. Es wird von einer großen Mahlzeit berichtet. Menschen lassen sich nieder und teilen das, was sie empfangen haben. Wer miteinander isst, kommt sich nah. Kaum etwas schafft so viel Vertrauten und Gemeinschaft, wie gemeinsames Essen und Trinken. Und wenn wir ein Fest planen, nimmt das gemeinsame Essen und Trinken einen großen Platz ein. Alles will gut vorbereitet sein. Die Einladenden sind angespannt, ob es auch gut schmeckt und das Gespräch in Gang kommt. Ist es ein gelungenes Fest, überkommt die Gastgeberinnen und Gastgeber ein wohliges Gefühl. Die Gemeinschaft ist gestärkt und erneuert worden.
Mit Jesus wird es ein gelungenes Fest. Auf wundersame Weise wird der Mangel gestillt. Alle werden satt. „Nur auf Wunder ist Verlass“, dichtet Mascha Kaléko und sie hat recht. Denn wir können noch so viel tun, noch so gut ein Fest vorbereiten und an alles denken, ob es aber ein schönes Fest wird, liegt nicht in unserer Hand.
Gesegnete Mahlzeit
Die Mahlzeit von der Johannes berichtet, ist mehr als eine Mahlzeit. Sie weist über sich hinaus. Sie steht für ein gelingendes Leben. Die fünf Brote und zwei Fische werden zu Symbolen der Hoffnung. „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes kommt.“(Mt 4,4)
Das Gemeinschaftsmahl beginnt mit einem Gebet. Jesus empfängt die fünf Brote und die zwei Fische von einem Kind und dankt Gott dafür. Gott ist mit im Spiel. Gott ist der Geber aller guten Gaben. Das auszudrücken und diesem eine Gestalt zu geben ist Religion. Das ist der Mehrwert eines Lebens aus dem Glauben und aus dem Vertrauen, dass Gott es gut machen wird.
Oder, um es anders zu beschreiben: Im Glauben geschieht eine Hinwendung zu dem Urgrund allen Lebens und gleichzeitig eine Erfahrung, miteinander verbunden zu sein und aufeinander zu achten. Die Verbindung mit Gott, verbindet uns mit allem, was lebt. Erst dann entfaltet der Satz: „Wer teilt, gewinnt“ seine religiöse Tiefendimension.
Alles Leben ist Hingabe
Alles Leben ist Hingabe. Die frühen Kirchenväter und -mütter haben sich das so vorgestellt: Die Schöpfung ist aus dem Überfließen der Energie Gottes und seiner Sehnsucht nach einem Gegenüber entstanden. Und wenn der Mensch selbst von dieser Energie erfasst wird, dann antwortet er mit seinem Leben selbst, mit Hingabe und Liebe. Der Mensch wird selbst zur Schöpferin und zum Schöpfer des Guten und erlebt sich als Teil eines Ganzen.
Ihr werdet heute eingesegnet, mit der Kraft Gottes verbunden. Ihr werdet beauftragt mit euren Fähigkeiten selbst schöpferisch tätig zu sein. Das ist ein überaus spannender und auch ambivalenter Prozess, da wir Menschen sind. Wir können nicht nur Gutes schöpfen, wir können auch zerstörerischen Kräften in uns Raum geben; wir können durch viele äußere Ursachen und Einwirkungen auf unserem Weg stecken bleiben oder uns verlaufen; wir können versucht und verführt werden; wir können auch eine Zeitlang gar nicht wissen, was wir wollen, oder abschätzen, ob das, was wir tun, gut ist für uns und andere.
Die Erzählung von den fünf Broten und den zwei Fischen gibt uns aber Hinweise, wie ein erfülltes Leben trotz Mangel gelingen kann.
In der Gemeinschaft bleiben
Das Wichtigste in eurem Leben sind zurzeit eure Freundinnen und Freunde. Das ist das Feld, wo ihr euch ausprobiert, wo ihr unglaublich viel über euch selbst und auch über euch selbst lernt. Hier seid ihr verletzlich und es schmerzt riesig, wenn Freundschaften zerbrechen oder ihr spürt, ihr gehört gar nicht mehr richtig dazu. Hier seid ihr aber auch stark und habt Erlebnisse, die euch glücklich machen. Das sind die kleinen und großen Geschichten, die ihr euch erzählt.
Auch wenn es nicht so läuft, wie ihr es euch wünscht, zieht euch nicht zurück, wagt es weiter Freundschaften einzugehen, euch mitzuteilen, euch auszudrücken, von euch zu erzählen was euch wirklich bewegt. Und wenn es nicht mehr passt, sucht neue Kontakte, bleibt nicht an der Oberfläche, tauscht euch über Wesentliches aus.
Oft begleitet euch unterschwellig die Angst, nicht gemocht zu werden. Wisst ihr, diese Angst hat jede und jeder. Haltet ein wenig aus und ihr werdet merken, dass ihr so wie ihr seid, dazu gehört. Und wenn ihr das Gefühl habt, ihr gehört nicht mehr dazu oder ihr müsst euch so sehr anpassen, dass ihr euch verbiegt und ein schlechtes Gewissen habt, dann ist es Zeit, sich von einer Gruppe oder einer Person zu trennen.
Sich hingeben
Ihr habt von der Erfahrung berichtet, dass ihr euch selbst vergesst, wenn ihr euch einer Aufgabe, einem Menschen oder einem Tier ganz widmet. Dann erfahrt ihr eine Resonanz, die euch spüren lässt, hier bin ich genau richtig. Das ist Glück. Glück hat mit sich selbst geben und sich selbst empfangen zu tun.
Wer teilt, gewinnt. Wer sich mitteilt, gewinnt. Wer etwas von sich gibt, bekommt mehr zurück als er gibt. Lasst euch aber nicht ausnutzen. Das merkt ihr daran, wenn ihr ausgesaugt und ausgelaugt seid.
Christus hat sich uns hingegeben, auf eine Weise, die uns noch heute glücklich macht. Wenn ihr gleich Brot und Wein empfangt, werdet ihr das spüren.
Amen