Predigt: „Denn alles Fleisch ist wie Gras.“ über 1. Petrus 1,24, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023          

Zum Ewigkeitssonntag 2023

          

Liebe Gemeinde,

kennen Sie das Deutsche Requiem von Johannes Brahms? Johannes Brahms hat in seinem Requiem Verse zu Sterben und Tod aus der Bibel vertont und sie kunstvoll aneinandergefügt. Das Requiem beginnt mit dem mehrstimmigen Chorsatz zur Seligpreisung: „Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden.“(Mt.5,4) Die Melodie ist sehr getragen. Dann folgt eine kurze Pause und es wird dramatisch. Langsames, marschmäßiges Trommeln eröffnet den nächsten Satz in Moll, erst instrumental und dann setzen die tiefen Bassstimmen ein: „Denn alles Fleisch ist wie Gras.“ In der Wiederholung wird die Dramatik musikalisch noch gesteigert: „Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen.“ Der Satz wird minutenlang wiederholt bis die Musik auf einen Höhepunkt zustrebt, kippt und der Chor laut ruft: „Aber des HERRN Wort bleibet in Ewigkeit.“ (1. Petr.1,24-25)

 

Was ist der Mensch?

Was ist der Mensch? Die Bibel hält fest, der Mensch ist vergänglich. Alles Leben ist vergänglich und gleicht – ob kurz oder lang – einem Grashalm. Der Psalmist dichtet: „Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde; wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da.“ (Ps. 103,15)

Nimmer da. Das ist der Verlust. Das ist die schmerzliche Wahrheit. Wir wussten es eigentlich immer: unsere Lieben werden sterben. Aber dann, wenn wir es erleben, fühlt es sich doch ganz anders an. Wir trösten uns damit, dass der Tod eine Erlösung war von den Schmerzen – und, dass ist er auch gewiss, wenn das Weiterleben eines Menschen nur eine Verlängerung seines Leidens wäre – und dennoch widerhallt das Nimmer da in uns. Saß er nicht dort immer in seinem Sessel und hat seine Kreuzworträtsel gelöst? Hat sie nicht immer alles schön dekoriert?  Wir hatten erst wieder seit kurzem Kontakt, jetzt ist es als würden wir unser Kind ein zweites Mal verlieren! Nimmer da. Das ist keine Kategorie für unser Denken, aber wir erfahren es. Es gibt viele Arten von Trauer. Eine davon ist der unwiederbringliche Verlust. Der Tod erschüttert, wir aber müssen funktionieren. Das federt den Schrecken ab und zeigt gleichzeitig wie sehr wir der modernen Arbeitsteilung unterworfen sind und für die Trauer gesellschaftlich kein Platz ist. Die Beerdigung muss geplant werden. Wie geht das? Was ist der Wunsch des Verstorbenen, was die Vorstellungen der einzelnen Familienmitglieder? Der Tod setzt in der Familie eine Zäsur, führt zusammen, relativiert Meinungsverschiedenheiten, lässt uns bestenfalls gnädiger miteinander umgehen. Eltern spüren die Nähe und Unterstützung ihrer Kinder, Kinder begreifen, wie viel sie miteinander als Geschwister verbindet oder auch trennt.

Schönes und Schmerzhaftes

Schönes und Schmerzhaftes führt der Tod zu Tage. Dankbarkeit über die Erziehung und für die Liebe der Eltern. Auch für die Ehe oder Partnerschaft gilt das. Von einem Tag auf den anderen Tag geht all das Vertraute verloren. Die Einsicht, es war vielleicht nicht alles gut, aber ich sehe, dass der oder die Verstorbene auch ein Kind seiner Familie und seiner Zeit, seines Wesens war und es gut mit mir meinte – selbst wenn die Wirkung eine andere war. Der Verlust bringt uns unweigerlich mit uns selbst ins Gespräch. Es ist jetzt die Zeit noch einmal auf die Beziehung und wie sie sich gestaltet hat zu schauen, was mir die und der Verstorbene bedeutet hat und auch über seinen Tod hinaus bedeutet. Kann ich ihn in Frieden gehen lassen? Gibt es noch etwas zu klären, etwas zu sagen, sich zu versöhnen? Selbst, wo ich weiß, dass es keinen sinnlichen Austausch mehr mit dem Verstorbenen gibt, ist ein Zwiegespräch sinnvoll. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie allein sind und ganz selbstverständlich mit dem Toten sprechen oder auf einmal mit Gewissheit sagen können, dass sie sich von ihr oder von ihm auf eine gute Weise umgeben fühlen. Der Friede mit dem Verstorbenen stiftet Geborgenheit, Kraft und Mut den eigenen Weg als Ehepartner, Sohn oder Tochter weiter zu gehen. Es ist mehr als ein sich erinnern. Es ist ein Verbunden-Sein über den Tod hinaus. Es ist auch ein Annehmen der eigenen Sterblichkeit. Der andere ist vorausgegangen, ich werde hinterhergehen.

Vergänglichkeit

Mi der Vergänglichkeit haben wir es alle zu tun. Für den Sterbenden vergeht die Welt, bricht der Kontakt zu allen ab, die er liebt und auch zu allem, was ihn wichtig war. Und für die, die weiterleben, fährt die Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit wie ein Blitz durch Mark und Bein. Manchmal sind es nur scheinbar ewig langandauernde Sekunden des Überwältigt-Werdens der eigenen Sterblichkeit, bei anderen nistet sich eine Melancholie über die eigene Vergänglichkeit und über das Vergehen aller Dinge ein. Die Grenzen zur Resignation und zum nicht mehr Leben wollen sind dabei fließend. Es gibt einen Lebensüberdruss und auch ein sehnliches Erwarten des Todes.

Das Rätsel um den Tod ist das Rätsel des Menschen. Der Mensch ist (sich selbst) ein Geheimnis (Dostojewskij). Die Wissenschaft kann das Geheimnis um den Tod nicht lösen. Kein Mensch kann das, und wer das behauptet, lügt. Gewissheit bringt hier allein der Glaube, aber nicht im Sinne eines Wissens, das überprüft werden kann, sondern in einem Grundvertrauen auf einen Gott, der da hilft – auch durch den Tod und über den Tod hinaus.

 

Unvergänglichkeit Gottes

Der Vergänglichkeit allen Lebens stellt die Bibel die Unvergänglichkeit Gottes gegenüber. „Denn alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit des Menschen wie des Grases Blumen.“ „Aber des HERRN Wort bleibet in Ewigkeit.“ (1. Petr. 1,24-25)

Der Ewige, der alles vergängliche Leben durch sein Wort geschaffen hat, der einen ewigen Bund mit den Menschen geschlossen hat, wie sollte Gott nicht treu sein, seine geliebten Geschöpfe ins ewige Leben zu rufen? Oder, wie der Apostel Paulus schreibt: „Was soll uns trennen von der Liebe Gottes? Etwa der Tod? Nein, nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.“ (nach Römer 8,38f)

Eine konkrete Vorstellung, was das genau heißt, gibt es nicht. Es übersteigt auch unsere Erkenntnismöglichkeiten, selbst die Bibel malt den Himmel nicht konkret aus, gewährt nur Einzelnen visionäre Bilder, etwa vom himmlischen Jerusalem, wo Gott und die Menschen in Frieden und Gerechtigkeit zusammenleben (Offb. 21,3).

Von daher dürfen wir glauben: Unsere Toten und wir selbst sind und werden in Gottes Hand geborgen sein.

In Brahms Requiem kommt die christliche Hoffnung deutlich zum Ausdruck, wo Brahms 1. Kor. 15,54 unübertroffen vertont: „Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“

 

Predigt über Genesis 13 „Denn wir sind Brüder“, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023              

             

 Am 21. Sonntag n.Tr. 2023

Liebe Gemeinde,

die Geschichte der gütlichen Trennung von Abraham und Lot findet wie von selbst Widerhall in dem gegenwärtig besonders von Gewalt geplagten Landstrich in Palästina und Israel. Es geht um Land, es geht um die Erde, die trägt und nährt, Sicherheit und Freiheit ermöglicht.

Doch bevor wir – vielleicht vorschnell – den Text auf die heutige politische Lage – und das heißt das leidvolle Erleben der Menschen in Israel und der Menschen in den palästinensischen Gebieten – beziehen, lasst uns ein wenig tiefer in die biblische Geschichte von Abraham und Lot und ihr Hoffnungspotential blicken.

Abraham

Abraham ist der Träger der Verheißung Gottes. Gott verheißt ihm ein Land in das er ziehen soll und welches ihm und seinen Nachkommen Zukunft schenkt. Diese Zukunft ist nicht exklusiv, sondern schließt alle Menschen ein: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden.“ (Gen 12,3)

Der Aufbruch Abrahams aus Ur in Chaldäa wird mit einem Ziel verbunden, einem Land, das ihm und seinen Nachkommen versprochen ist.

Scheinbar geht Abraham mit dieser Landverheißung leichtfertig um, als er seinen Neffen Lot wählen lässt, wo er mit seinen Hirten und Herden lagern und sesshaft werden will. Oder ist hier schon ein Stück Altersweisheit bei Abraham zu erkennen, dass er nicht meint, er müsste um dieses versprochene Land kämpfen und selbst die Grenzen abstecken? Der HERR wird seine Sache schon führen auch gegen jeden Augenschein. Wenn das nicht Gelassenheit ist!

Lot

Lot jedenfalls lässt sich von seinen Augen leiten, von dem, was er sieht, ein fruchtbares Tal, das Wasser des Jordans, eine goldene Zukunft für Hab und Gut. Doch Lot hat nicht damit gerechnet, dass hinter dem glanzvollen Augenschein eine ganz andere Macht und Wirklichkeit zum Vorschein kommt. Es leben böse Menschen in Sodom, die ihm seine Wahl so richtig versalzen werden. Wer kann schon in Frieden mit bösen Menschen leben? Am Ende bleibt ihm – wie so vielen – nur die Flucht. Und auf der Flucht der Verlust seiner Frau, die zurückschaut und zur Salzsäule erstarrt. (Gen 19,26)

 

Das verheißene Land

Abraham dagegen ist zu bewundern für seine Großzügigkeit. Er, der Ältere, lässt dem Jüngeren den Vortritt und fügt sich seiner Wahl. Vorher hatte er im Gebet den HERRN angerufen. Mag das der entscheidende Unterschied gewesen sein?

Jedenfalls ist es bei näherer Betrachtung auffällig, dass der HERR Abrahams Blick über sein künftiges Weideland schweifen lässt und dieser es anschließend nicht mit Pflöcken und Grenzziehungen absteckt, sondern an besonderen Orten Altäre für den HERRN baut. Das verheißene Land ist hier nicht geografisch konnotiert, sondern an die Wirklichkeit und den Glauben an den HERRN gebunden (Altäre).

Immer wieder betont der biblische Text, dass das Land schon bewohnt war, dass der HERR Abraham zuweist. Das ist in diesem eher noch fluiden Stadium der Sesshaftwerdung und des Glaubens an den einen HERRN überhaupt kein Problem. Für Abraham ist der Glaube an den HERRN gerade Voraussetzung einer friedvollen Koexistenz mit den Mitbewohnern des Landes, ist ihm doch verheißen: „In dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter der Erde.“ (Gen 12,3)

Hoffnungspotential

Wenn wir also auf das Hoffnungspotential dieser Geschichte schauen, können wir festhalten, dass die Verheißung Gottes sich auch gegen den Augenschein durchsetzt und Ziel der Verheißung – auch der Landverheißung an Abraham, später an Israel – das Wohlergehen aller im Blick hat (Segen). Mit einer gewissen Ironie wird das Schicksal von Lot erzählt. Sein alleiniges Setzen auf den Augenschein und auf die menschliche Vernunft wird kritisiert. Wer sich von Macht, Kapital und Sicherheit blenden lässt, erlebt ein böses Erwachen.

Bilder des Schreckens

Wenn wir jetzt die schrecklichen Bilder der Gewalt in den Kriegen der Welt und besonders in letzten Wochen in Israel und Gaza sehen und uns in den Kommentaren der Medien und Politiker, der Kriegstreiber und Kriegsbefürworter, aber auch der Mahner verlieren, fragen wir uns als die, die wir heute Gottesdienst feiern, was können wir denn der Verzweiflung über das Leid und auch der Abstumpfung entgegensetzen? Gibt es nicht Wege aus Unterwerfung, Unterdrückung und der ewigen Spirale der Vergeltung heraus?

Unsere Abrahams-Geschichte enthält nicht die eine Lösung – und wir haben sie alle nicht – gleichzeitig bewahrt sie heilsames Potential des Umgangs miteinander in Konflikten auf, die uns auch heute noch Wegweisung sein können.

Der Glaube an Gott stiftet Frieden

Erinnern wir uns an die friedliche Revolution in der ehemaligen DDR am Ende der achtziger Jahre im letzten Jahrhundert. Von den Leipziger Friedensgebeten, den Montagsgebeten und Montagsdemonstrationen ging der Ruf aus: Keine Gewalt!

Die friedlichen Demonstrationen waren vom Geist des Friedens beseelt und der Machtapparat wurde dadurch überwunden.

Konfliktpotential erkennen und präventiv Handeln

Abraham nimmt den Konflikt der Hirten um die Wasserquellen wahr. Er macht sich Gedanken, wie der schwelende Konflikt mit seinem Neffen zu lösen ist. Abraham hat die Größe zurück zu treten. Verzichtet auf Macht und Anspruch, er benutzt Gottes Verheißung nicht, um sich einen Vorteil zu verschaffen.

Wir brauchen ein neues Hören auf die Frühwarnsysteme, auf Menschen, die vorausdenken können und Empathie für alle Seiten von Beteiligten an Konflikten und Kriegen haben. Ohne das Hineinversetzen in den anderen, in seine Angst, in sein Sicherheitsbedürfnis, in sein Wertesystem wird es keine Verständigung geben. Es geht um Verstehen, was ein himmelweiter Unterschied ist zu Verständnis haben für z.B. Gewalt. Mir scheint, dass wir die Zeit des Verstehens zugunsten von Durchsetzung von Recht und von Interessen übersprungen haben, einfach ausgeblendet. Das aber führt nicht zur Verständigung, sondern verstärkt das Recht behalten um jeden Preis – doch die Toten können Gott nicht mehr loben.

Denn wir sind Brüder

Diese vier Worte Abrahams an Lot sind der Grund der Verständigung. Ich kann und will dich nicht übervorteilen. Du trägst Sorge um das Leben deiner Familie und um deinen Besitz wie ich auch. Lass uns einen Weg finden, damit die Gräben zwischen uns nicht tiefer werden.

Was hat der Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt gesagt: „Besser hundert Mal verhandeln als einmal schießen.“ Wie konnte der Geist der Diplomatie und der Wille nach einem Waffenstillstand und Friedensverhandlungen im kriegsgeprüften Europa verschwinden? „Wir sind doch Brüder.“ Ein toter russischer Soldat unterscheidet sich nicht von einem toten ukrainischen Soldaten. Wann endlich schwenkt der Westen um und setzt nicht mehr auf Waffen, sondern auf Friedensverhandlungen?

Für Abraham und Lot war die Trennung ein Weg, den Konflikt zu entschärfen. Es gibt Unterschiede. Es gibt Gewalt, die es einzudämmen gilt. Es gibt das Recht auf Selbstverteidigung, doch bleibt die Frage, wie kann der Krieg beendet werden, „denn wir sind Brüder.“

Das gilt auch für Israel, dem erwählten Volk Gottes. Das über Jahrzehnte eingepferchte palästinensische Volk – ohne eigenen Staat – sind doch Schwestern und Brüder. Haben sie nicht auch ein Recht auf eigene Erde?

Fazit

Wenn Religion die Anbetung Gottes hervorhebt, dann immer gleichzeitig auch die Unversehrtheit allen Lebens. Wir können nicht Gott würdigen und achtlos an Schwester und Bruder vorübergehen. Wir sind füreinander und für den Frieden verantwortlich. Das sagt uns die Geschichte von Abraham und Lot.

 

 

 

Sicher nicht – oder? Predigt zur Eröffnung der Friedensdekade, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023

„Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit, dann überfällt sie schnell das Verderben.“ 1. Thessalonicher 5,3

Ihr Lieben,

auf der Bundeswehrtagung in Berlin am vergangenen Freitag (10.11.2023) hat Verteidigungsminister Boris Pistorius zum wiederholten Mal gefordert, Deutschland muss kriegstüchtig werden, da die Sicherheit in Europa auch zukünftig gefährdet ist und weitere Kriege auf unserem Kontinent nicht ausgeschlossen werden können. Kanzler Olaf Scholz verwies darauf, dass das mit 100 Milliarden Euro ausgestattete Sondervermögen für die Verteidigung nur „ein erster wichtiger Schritt sei.“ (Aachener Zeitung, 11. Nov 2023) Die Waffenlieferungen an die Ukraine wurden und werden damit begründet, dass das „tapfere Volk der Ukrainer“ (Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei Markus Lanz) auch für unsere Freiheit und Sicherheit kämpft. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschuss verstieg sich sogar zu der Aussage: „Waffen für die Ukraine sind Pflicht christlicher Nächstenliebe.“ (https://twitter.com/WAZ_Redaktion/status/1606315034203807760?lang=de)

Sicher nicht – oder?

Aus dem Slogan der Friedensbewegung zur Überwindung des Kalten Krieges und Aufruf zum Rüstungsabbau: „Frieden schaffen ohne Waffen“ wird in unseren Tagen: „Frieden schaffen mit Waffen.“ Ja, es ist richtig, dass Recht hoch zu halten und darauf zu pochen; Gewalt einzudämmen und alles dafür zu tun, dass ein gerechter Friede wieder hergestellt wird. Ich zweifle jedoch daran, dass die westlichen Waffen Frieden und Sicherheit bringen. Die Waffen müssen niedergelegt werden, der Konflikt muss eingefroren werden, eine internationale Friedenskonferenz einberufen werden. Allein es fehlt politisch dazu der Wille.

Sicher nicht – oder?

„Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn der Friede muss gewagt werden. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg…“ (Dietrich Bonhoeffer, London 1933-1935, DBW Band 13, Seite 300)

Es war der Theologe Dietrich Bonhoeffer, der in den frühen dreißiger Jahren hellsichtig vor einem Krieg in Europa gewarnt hat. Auf heute bezogen: Wann ist Sicherheit erreicht? Wie stark muss aufgerüstet werden, nachgerüstet werden bis eine Sicherheit garantiert werden kann? Schon die immer rigideren Coronamaßnahmen, die das Ziel Sicherheit hatten, haben diese Sicherheit gerade nicht erreicht, sondern zu Verwerfungen in der Gesellschaft geführt. Wo Misstrauen und Angst unser Handeln bestimmen, legt sich der Mehltau der Verdächtigungen auf uns und es wird kein Friede werden. Nein, Frieden wird aufs Spiel gesetzt. Das ist die Tragik der sogenannten Zeitenwende.

Sicher nicht – oder?

Bonhoeffer sagt aber noch etwas, was elementar wichtig ist für unser Zusammenleben als Gesellschaft, für das Zusammenleben der Völker und Staaten: „Friede muss gewagt werden.“

Jahrzehntelange Konfliktforschung wird über Nacht ad acta gelegt, eine rein defensiv angelegte Verteidigung wird inzwischen belächelt. Immer der Diplomatie den Vorrang einzuräumen ist in Frage gestellt. Diese Verschiebung macht mir Angst. Sie lässt uns den Frieden nicht mehr wagen, nicht im Kleinen und nicht im Großen. Sie führt zu einem verfestigten Freund-Feind-Denken und ich dachte, dass binäres Denken und Handeln überwunden ist.

Sicher nicht – oder?

Paulus schreibt der Gemeinde in Thessaloniki, dass sie sich nicht in ihrer Hoffnung auf den Tag Christi beirren lassen sollen, wenn ringsum Friede und Sicherheit ausgerufen wird. Auf welch brüchigen Fundament der Friede steht, der durch Waffen und Vernichtung hergestellt wird, erleben wir in unseren Tagen. „Seid Kinder des Lichts und nicht Kinder der Finsternis“(1. Thes 5,5), ruft Paulus der Gemeinde zu. Das Licht selbst aber ist Jesus Christus. Jesus hat seine Jüngerinnen und Jünger zu Gewaltverzicht und zur Feindesliebe aufgerufen. Dazu müssen wir uns verhalten. Ich will mich dafür einsetzen, dass wir als Kirchen und Gemeinden Orte sind, die das Friedenszeugnis Jesu bewahren, in die Gesellschaft einbringen und in versöhnter Verschiedenheit miteinander leben. Sehen Sie das anders?

Sicher nicht – oder?