Sicher nicht – oder? Predigt zur Eröffnung der Friedensdekade, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2023

„Wenn sie sagen: Friede und Sicherheit, dann überfällt sie schnell das Verderben.“ 1. Thessalonicher 5,3

Ihr Lieben,

auf der Bundeswehrtagung in Berlin am vergangenen Freitag (10.11.2023) hat Verteidigungsminister Boris Pistorius zum wiederholten Mal gefordert, Deutschland muss kriegstüchtig werden, da die Sicherheit in Europa auch zukünftig gefährdet ist und weitere Kriege auf unserem Kontinent nicht ausgeschlossen werden können. Kanzler Olaf Scholz verwies darauf, dass das mit 100 Milliarden Euro ausgestattete Sondervermögen für die Verteidigung nur „ein erster wichtiger Schritt sei.“ (Aachener Zeitung, 11. Nov 2023) Die Waffenlieferungen an die Ukraine wurden und werden damit begründet, dass das „tapfere Volk der Ukrainer“ (Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei Markus Lanz) auch für unsere Freiheit und Sicherheit kämpft. Die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschuss verstieg sich sogar zu der Aussage: „Waffen für die Ukraine sind Pflicht christlicher Nächstenliebe.“ (https://twitter.com/WAZ_Redaktion/status/1606315034203807760?lang=de)

Sicher nicht – oder?

Aus dem Slogan der Friedensbewegung zur Überwindung des Kalten Krieges und Aufruf zum Rüstungsabbau: „Frieden schaffen ohne Waffen“ wird in unseren Tagen: „Frieden schaffen mit Waffen.“ Ja, es ist richtig, dass Recht hoch zu halten und darauf zu pochen; Gewalt einzudämmen und alles dafür zu tun, dass ein gerechter Friede wieder hergestellt wird. Ich zweifle jedoch daran, dass die westlichen Waffen Frieden und Sicherheit bringen. Die Waffen müssen niedergelegt werden, der Konflikt muss eingefroren werden, eine internationale Friedenskonferenz einberufen werden. Allein es fehlt politisch dazu der Wille.

Sicher nicht – oder?

„Es gibt keinen Weg zum Frieden auf dem Weg der Sicherheit. Denn der Friede muss gewagt werden. Friede ist das Gegenteil von Sicherung. Sicherheiten fordern heißt Misstrauen haben, und dieses Misstrauen gebiert wiederum Krieg…“ (Dietrich Bonhoeffer, London 1933-1935, DBW Band 13, Seite 300)

Es war der Theologe Dietrich Bonhoeffer, der in den frühen dreißiger Jahren hellsichtig vor einem Krieg in Europa gewarnt hat. Auf heute bezogen: Wann ist Sicherheit erreicht? Wie stark muss aufgerüstet werden, nachgerüstet werden bis eine Sicherheit garantiert werden kann? Schon die immer rigideren Coronamaßnahmen, die das Ziel Sicherheit hatten, haben diese Sicherheit gerade nicht erreicht, sondern zu Verwerfungen in der Gesellschaft geführt. Wo Misstrauen und Angst unser Handeln bestimmen, legt sich der Mehltau der Verdächtigungen auf uns und es wird kein Friede werden. Nein, Frieden wird aufs Spiel gesetzt. Das ist die Tragik der sogenannten Zeitenwende.

Sicher nicht – oder?

Bonhoeffer sagt aber noch etwas, was elementar wichtig ist für unser Zusammenleben als Gesellschaft, für das Zusammenleben der Völker und Staaten: „Friede muss gewagt werden.“

Jahrzehntelange Konfliktforschung wird über Nacht ad acta gelegt, eine rein defensiv angelegte Verteidigung wird inzwischen belächelt. Immer der Diplomatie den Vorrang einzuräumen ist in Frage gestellt. Diese Verschiebung macht mir Angst. Sie lässt uns den Frieden nicht mehr wagen, nicht im Kleinen und nicht im Großen. Sie führt zu einem verfestigten Freund-Feind-Denken und ich dachte, dass binäres Denken und Handeln überwunden ist.

Sicher nicht – oder?

Paulus schreibt der Gemeinde in Thessaloniki, dass sie sich nicht in ihrer Hoffnung auf den Tag Christi beirren lassen sollen, wenn ringsum Friede und Sicherheit ausgerufen wird. Auf welch brüchigen Fundament der Friede steht, der durch Waffen und Vernichtung hergestellt wird, erleben wir in unseren Tagen. „Seid Kinder des Lichts und nicht Kinder der Finsternis“(1. Thes 5,5), ruft Paulus der Gemeinde zu. Das Licht selbst aber ist Jesus Christus. Jesus hat seine Jüngerinnen und Jünger zu Gewaltverzicht und zur Feindesliebe aufgerufen. Dazu müssen wir uns verhalten. Ich will mich dafür einsetzen, dass wir als Kirchen und Gemeinden Orte sind, die das Friedenszeugnis Jesu bewahren, in die Gesellschaft einbringen und in versöhnter Verschiedenheit miteinander leben. Sehen Sie das anders?

Sicher nicht – oder?