Playmobil — wer kennt sie nicht, die kleinen Plastikfiguren, die seit gut 50 Jahren in vielen Kinderzimmern zu finden sind? Ganze Welten lassen sich damit phantasievoll gestalten, ganze Epochen “nachspielen”. Mit dem Titel seiner neuesten Ausstellung, Praymobil, knüpft das Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen bewusst an diese Erfahrung an: Beweglichkeit, sinnliche Erfahrung und Spiel sind in dieser Schau verknüpft mit religiöser (Gebrauchs-)Kunst.
Bewegte Bildwerke
Die Ausstellung zeigt 80 Exponate, darunter 70 Leihgaben, davon viele aus Tirol und der Schweiz. Vor allem im Alpenraum sind etliche mit den gezeigten Werken verbundene Bräuche noch lebendig. So gibt Praymobileinen lebhaften Eindruck davon, wie Kunst und religiöses Brauchtum zusammenkommen. Diese Zusammenstellung ist insofern einzigartig, als noch nie so viele, auch seltene, bewegte Bildwerke zu sehen waren.
Im Spätmittelalter, aus dem die meisten Ausstellungsstücke stammen, wurde mithilfe beweglicher Elemente versucht, eine Illusion des Lebendigen herzustellen. Bei einem Jesus am Kreuz (Foto 2) Christus mit beweglichen Armen) können Kopf, Kinn und sogar die Zunge bewegt werden und das Bluten aus der Wunde in der Seite dargestellt werden. Das Karfreitagsgeschehen konnte auf diese Weise besonders realistisch nachvollzogen werden. Durch ihre ebenfalls beweglichen Arme konnte die Figur nach dem Gottesdienst sogar vom Kreuz abgenommen, Maria in den Schoß und anschließend in ein Grab gelegt werden.
Spielen mit dem neugeborenen Jesuskind
Neben beweglichen Christusfiguren sind Himmelfahrtsgruppen zu sehen: Dabei konnten Jesus oder auch Maria durch ein Loch in der Kirchendecke (das “Heilig-Geist-Loch”) hochgezogen werden. Auch das kleine Christuskind ist in zahlreichen Ausführungen ausgestellt. Gezeigt werden schwangere Marienfiguren, denen zu Weihnachten das kleine Baby aus dem Bauch genommen werden konnte. (Foto 3 Maria mit Bauchkasten).
Für das Baby gab es eine ganze Reihe von Möbeln; es konnte in Wiegen gelegt oder auf Kissen, Stühle oder der Mutter Maria auf den Schoß gesetzt werden. Diese Figuren waren besonders in Frauenklöstern beliebt und wurden den zum Teil sehr jungen Novizinnen zur Pflege anvertraut.
Die Ausstellung versucht erfolgreich ein Crossover von Kunst, Brauchtum, bildendem Theater, Musik, Performance und Gebrauchsgegenständen. Und Gebrauchsgegenstände sind die gezeigten Stücke im doppelten Sinn: Zum einen wurde die Kunst teilweise intensiv genutzt (beispielsweise indem Kinder sich an Palmsonntag zu Jesus auf seinen hölzernen Esel dazusetzen durften) (Foto 4 Jesus reitet auf einem Esel) und hat auch entsprechende Gebrauchsspuren. Zum anderen wurde sie auch gebraucht, um Glauben/Religion erlebbar und im wahrsten Sinne des Wortes begreifbar zu machen. Die sinnlich-spielerischen Aspekte von Kunst bzw. religiösen Gegenständen und deren interaktiver Gebrauch stellen eine Verbindung her zwischen den Menschen damals und uns heute.
Perspektivwechsel
Den Ausstellungsverantwortlichen ist es ein Anliegen, durch immer wieder neue Perspektivwechsel auf (mittelalterliche) Kunst die Relevanz von Kunst für die Menschen von heute zu erhalten. Dabei verschieben die Kuratoren Michael Rief und Dagmar Preising in ihrem Beitrag Handelnd oder bewegt? im Ausstellungskatalog (S.18-20) den von Peter Jetzler seit 1983 in die kunsthistorische Literatur eingebrachten Begriff von „handelnden Bildwerken“ in „bewegte Bildwerke“. Aus unserer Sicht greift der Begriff bewegte Bildwerke für das rituelle Nachspielen der Passionshandlung zu kurz, denn hier ist doch Christus der Handelnde. Vielleicht wird zukünftig unterschieden zwischen handelnden Bildwerken und bewegten Bildwerken. Für beides gibt es gute Argumente.
Für uns persönlich wirft die Ausstellung vor allem die Frage auf, wie die Relevanz von Religion und Glauben für die Menschen heute weiterhin erhalten bleiben und immer wieder neu vermittelt werden kann. Ähnlich wie die Kunst muss schließlich auch der Glaube immer wieder aktualisiert und mit dem eigenen (Er-)Leben verbunden sein, damit er uns Menschen im wahrsten Sinn des Wortes bewegt.
Praymobil geht es nicht um eine Zur-Schau-Stellung von Kuriositäten (auch wenn von “befremdlich” über “unfreiwillig komisch” bis “süß” einiges zu entdecken ist). Wer sich darauf einlässt, wird zum Nachdenken über den eigenen Glauben angeregt: Was verbindet mich mit den Menschen über die Jahrhunderte hinweg? Wo will ich vielleicht keinen blutenden Jesus mehr sehen; aber wo ist mir die vertraute große Krippe in der Kirche doch lieb geworden und lässt mir die frohe Weihnachtsbotschaft extra nahekommen? Spannende Anstöße, die die Ausstellung gleichzeitig spielerisch und mit Potential auf Tiefgang gibt.
Wann und wo?
Praymobil ist im Suermondt-Ludwig-Museum in Aachen, Wilhelmstr. 18, noch bis zum 15. März zu erleben. Neben einem normalen Museumsbesuch können auch Führungen durch die Ausstellung gebucht werden.
Einen besonderen Eindruck von der Wirkung der ausgestellten Kunst gibt eine musikalische Aufführung der spätmittelalterlichen Wolfenbüttler Marienklage am 22.2.26 in St. Adalbert in Aachen (https://ordovirtutum.de/marienklage/).
Dem reich bebilderten, informativen Katalog ist im besten Sinne anzumerken, dass die konzeptionell aufwändige Ausstellung durch eine jahrelange Vorlauf- und Planungsphase gegangen ist. Er ist im Paul Imhof Verlag erschienen und für 49,95 Euro im Museum erhältlich.



