Dietrich Bonhoeffer Auswahl. Hrsg. Von Christian Gremmels und Wolfgang Huber. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006, jetzt: Jokers bei Weltbild: 19,95 Euro
Die sechsbändige Auswahl aus den Werken und dem Nachlass Dietrich Bonhoeffers bietet zugleich die Eingangslektüre in seine Werke und auch eine kleine Auswahl seiner Briefe, Notizen, Manuskripte, Predigten und ähnlich biografisches Material. Im Folgenden möchte ich auf einige Fundstücke in dieser Auswahl hinweisen.
Band 1: Universität, Pfarramt, Ökumene, 1927-1932
Diese Überschrift ist irreführend, da sie ein rein biografisches Interesse vorgibt. Die Jahreszahl 1927markiert das Jahr der Promotion, mit deren Veröffentlichung Dietrich Bonhoeffer die Bühne der Öffentlichkeit betritt. . Wäre es nicht besser gewesen, Bonhoeffers Geburtsjahr den Zeitabschnitt des ersten Bandes zu beginnen? Der Band enthält sowohl die Promotionsschrift „Sactorum Communio“ als auch die Habilitationsschrift „Akt und Sein“. Diese frühen Schriften Bonhoeffers nur aus historischen Gründen zu lesen, wäre verfehlt. Sicherlich wird damit deutlich, dass Bonhoeffer eine akademische Laufbahn anstrebte, die ihm zuletzt durch den nationalsozialistischen Staat verwehrt wurde. Der Inhalt dieser beiden akademischen Schriften jedoch, ist gerade heute wieder aktuell, gelten sie doch als Brücke zwischen der dialektischen und der liberalen Theologie. Ein Beispiel aus „Akt und Sein“: „Wie das Sein Gottes kein ‚es gibt‘ ist, so auch nicht das der gläubigen oder sündigen menschlichen Existenz… ‚es gibt‘ keinen Glaubenden und keinen Sünder, ‚es gibt‘ keine menschliche Existenz…, sondern sie ‚ist‘ durch das Wort Gottes im Aktvollzug in der Kirche …“ (S. 72). So wird zwar entsprechend der dialektischen Theologie vom Wort Gottes her argumentiert, die aber dann immer zugleich mitgedachte Ontologie ausgeschaltet. Diese Akzentsetzung wird in den Schriften Bonhoeffers später aufgegriffen, z. B. im von ihm mitverfassten Betheler Bekenntnis, das hier nicht enthalten ist (siehe: Christoph Fleischer: Das Betheler Bekenntnis). Schon in der akademischen Promotionsschrift war dies angedeutet, als es hieß: „Christus als Gemeinde existierend“ (S. 39). Die Frage ist also nicht, wie und was jemand ist, sondern wie er oder sie durch Gottes Wort existiert. Gerade diese Weichenstellung wird später durch Dorothee Sölle aufgegriffen (siehe: Dorothee Sölle, Stellvertretung), was schon zeigt, dass Dietrich Bonhoeffer als Theologe zu würdigen ist und nicht nur als ein in der Nazizeit besonders interessanter Christ und Zeitgenosse. Auch die frühen Vorträge und Aufsätze sind mit diesem Akzent zu lesen, besonders die „Grundfragen einer christlichen Ethik“ und die Antrittsvorlesung „Die Frage nach dem Menschen in der gegenwärtigen Philosophie und Theologie“. Der Beginn seiner akademischen Tätigkeit wird markiert durch die Vorlesung zur Genesis unter dem Titel: „Schöpfung und Fall“, in der die theologische Grundlegung wie oben gesehen einen anthropologischen Akzent hat. Biografisch gesehen sollte durch diesen Band zu Recht der Eindruck entstehen, als sei hier eine akademische Laufbahn vorgezeichnet. Dass dieses Leben dann so ganz anders weiterging, hatte zeitgeschichtliche Gründe.
Band 2: Gegenwart und Zukunft der Kirche. 1933-1935
Der zweite Band enthält überwiegend kirchenpolitisches Material, ohne das die Biografie Dietrich Bonhoeffers schlechterdings nicht denkbar ist. Zu den Briefen und Predigten, die seine Beziehung zur Bekennenden Kirche zeigen, kommen hier die wichtigen Vorträge und Aufsätze, z. B. der Radiovortrag zum Führerprinzip, der zum Ende abgeschaltet wurde, sowie „Die Kirche vor der Judenfrage“, der „Arierparagraph in der „Kirche“ und die ökumenische Andacht „Kirche und Völkerwelt“. Zwischen den beiden Vorlesungen „Christologie“ und „Homiletik“ steht das Ende der aknemischen Laufbahn Bonhoeffers. Die Predigtlehre stammt aus seiner Tätigkeit als Leiter des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde, die er aufnahm, nachdem er sein Pfarramt in London zugunsten dieser Aufgabe aufgegeben hatte. Mit den Texten dieses Bandes wird vor allem deutlich, dass Bonhoeffer die Aktualisierung und Vergegenwärtigung der biblischen Botschaft am Herzen lag, für ihn theologisch verstanden eine Konsequenz aus seinen akademischen Schwerpunktsetzungen.
Band 3. Entscheidungen. 1936-1939
Schon an den Jahreszahlen, die wieder nur einen kleinen Zeitraum umfassen, wird deutlich, dass dieser Band biografisch geprägt ist. Der Band enthält Auszüge aus Schriften Bonhoeffers, da er in dieser Zeit auch publizistisch innerkirchlich Erfolg hatte z. B. mit dem Band „Nachfolge“, einem ethischen Entwurf auf der Basis der Bergpredigt und „Gemeinsames Leben“, einem Zeugnis der Zusammenarbeit im Predigerseminar Finkenwalde.
Band 4. Konspiration. 1939-1943
Durch einen großen Anfangsteil mit Briefen und Dokumenten wird der Eindruck einer biografischen Materialsammlung geweckt. Da diese Zeitspanne Bonhoffers Arbeit als Agent der Abwehr unter dem Kommando des Oberst Oster, einem Angehörigen des Widerstandes, betrifft, die im späteren Prozess eine Rolle spielt, wird hier ein Blick auf diese Tätigkeit geworfen, mit der er quasi seinen Militärdienst ableistete, falls er seine Arbeit denn überhaupt als Militärdienst verstanden haben wollte. Die Frage, was Bonhoeffer als Agent eigentlich gemacht hat, wird hier ein wenig beantwortet. Es wird aber auch z. B. im Briefwechsel mit Karl Barth bzw. Char4lotte von Kirschbaum (Basel) gezeigt, dass die Frage nach der Rolle Bonhoeffers auch im Ausland durch vertrauensbildende Maßnahmen beantwortet werden musste. Ob Bonhoeffers Anteil am politischen Widerstand mehr war, als eine Mitwisserschaft, wird aus diesen Texten nicht deutlich, denn auch der Schwerpunkt lag auf der kirchenpolitischen und theologischen Arbeit. Bonhoeffer nutzte seine Reisetätigkeit, um die stark eingeschränkte Kommunikation z. B. mit dem Theologen Karl Barth ein wenig aufrecht zu erhalten. Das unvollendete Manuskript der Ethik stammt aus dieser Zeit und wird hier in Auszügen kommentiert, wobei allerdings die Frage nach dem geplanten Aufriss des Werkes unbeantwortet bleibt (siehe Christoph Fleischer. Die Ethik Dietrich Bonhoeffers). Berichte, Entwürfe und Eingaben belegen Bonhoeffers Konspiration, beispielsweise der Bericht über die massenweise Deportation jüdischer Menschen nach „Polen“. Der eigentliche Zweck der „Evakuierung“ wird nicht genannt, nur erwähnt, dass die Betroffenen sehr große Angst davor hatten.
Band 5. Aufzeichnungen aus der Haft. 1943-1945
Die vorgegebene Ordnung wird nun aufgegeben, da sowohl Band 5 als auch Band 6 den gleichen Zeitraum umfassen, also als Teilbande eines Bandes anzusehen sind. Band 5 enthält ausnahmslos Briefe, und zwar sowohl von Dietrich Bonhoeffer als auch an ihn. Die Briefe der Eltern und des Freundes Eberhard Bethge sind dem Band „Widerstand und Ergebung“ entnommen. Die sogenannten Brautbriefe von und an seine Verlobte Maria von Wedemeyer wurden erst später veröffentlicht (Brautbriefe Zelle 92, München 1992).
Band 6. Aufzeichnungen aus der Haft. 1943-1945
Einige dieser Aufzeichnungen sind aus „Widerstand und Ergebung“ bekannt, vor allem die Notizen über die Hafterfahrung, das Testament, die „Gebete für Mitgefangene“, die „Traupredigt“, die Taufgedanken, der „Entwurf für eine Arbeit“ sowie die Gedichte. Ergänzend enthält der Band Auszüge der literarischen Versuche aus der Haft, des Drama, des Romans und der Erzählungen. Ergänzt wird dieses durch die Dokumente zum Prozess, die noch einmal die Frage aufkommen lassen, ob die Agententätigkeit als Tarnung für seine kirchliche Verbindungsarbeit gedacht war, um so möglicherweise später einen Verhandlungspartner zu haben, wodurch der Vorwurf seine Anklägers, er habe sich dem Militärdienst entzogen, nicht unberechtigt war. Diese Entscheidung ließe sich dann vor dem Hintergrund seiner früheren Schriften zum Thema Frieden als Kriegsdienstverweigerung deuten. Am Ende des Bandes schildert ein Abschnitt aus der Bonhoeffer Biographie von Eberhard Bethge Bonhoeffers Hinrichtung in Flossenbürg. Dass er mit Admiral Carais und General Oster gleichzeitig hingerichtet wurde zeigt vielleicht ein wenig, dass er jetzt von den nationalsozialisten dem Widerstand zugerechnet wurde. Da dieser Band der Abschlussband ist, enthält er die Kurzinfos über alle erwähnten Personen so wie ein Literaturverzeichnis.
Fazit:
Eine Auswahl aus den gesammelten Werken Dietrich Bonhoeffers kann als historische Quellensammlung angesehen werden, die der besonderen Bedeutung der Bekennenden Kirche und der Haftzeit Rechnung trägt. Sie bietet jedoch in ebensolchem Maße einen Einblick in sein theologisches Arbeiten und Denken und stellt große Abschnitte aus seinen Veröffentlichungen bereit. Jeder Band enthält ein Vorwort, das kurz auf die Einordnung der Texte in Bonhoeffers Leben und Wirken hinweist. Die Bände der Bonhoeffer – Auswahl sind informativ und lassen Dietrich Bonhoeffer sehr aktuell erschienen. Gedacht ist sie sicherlich zuerst als Einstieg in die Lektüre Bonhoeffers, zumal die Aufmachung der sechsbändigen Ausgabe nicht unattraktiv ist. Wer sich historisch oder inhaltlich weiter und tiefer informieren möchte, stößt bei dieser wie schon bei der Auswahl auf Grenzen. Sie zeigt jedoch wie aktuell und interessant die Lektüre Bonhoeffers auch noch heute ist und lädt zur weiteren Lektüre von Originaltexten oder einer Biografie ein.