Es gibt keine christlich-soziale Zauberformel, was aber dann? Christoph Fleischer, Werl 2011

Rezension zu: Zauberformel Soziale Marktwirtschaft? Jahrbuch Sozialer Protestantismus Band 4, Hrsg. von Heinrich Bedford-Strohm, Traugott Jähnichen, Hans-Richard Reuter, Sigrid Reihs, Gerhard Wegner. Gütersloher Verlagshaus Gütersloh 2010, ISBN 978-3-579-08053-6, Preis: 29,95 Euro

Die Besprechung dieses Buches soll einmal ausnahmsweise nicht mit einem Blick auf die Hauptartikel beginnen, sondern mit der Betrachtung des Dokumentarteils, der mannigfach mit den inhaltlichen Fragen der Aufsätze und den am Ende angefügten Rezensionen verknüpft ist. Auffallend ist in diesem Band hierin dokumentiert, dass die Stiftung Sozialer Protestantismus sich spürbar entfaltet. So wurde am 23.03.2010 Professor Thorsten Meireis der Klaus-von-Bismarck-Preis der Stiftung für seine Arbeit über den Umbruch der Arbeitsgesellschaft verliehen. Aus den im Internet zugänglichen Reden wird hier die Laudatio von Katrin Göring-Eckart, die Dankrede von Torsten Meireis und zusätzlich die Rezension seines Buches von Johannes Rehm abgedruckt (http://www.stiftung-sozialer-protestantismus.de/preis.html). Die Frage, in welche Richtung sich die Arbeitsgesellschaft weiterentwickelt und welche Rolle dabei die Sozialgesetzgebung spielt, wird im von Dieter Beese besprochenen Buch Nils Ole Oermanns „Anständig Geld verdienen?“ mit dem Hinweis auf Teilhabegerechtigkeit beantwortet. Wird „Soziale Marktwirtschaft“ von da her verstanden, so eröffnet sich zugleich der Kontext der Globalisierung und der Nachhaltigkeit, zweier Kategorien, die das Konzept der sozialen Marktwirtschaft schon fast abgelöst haben. Trotzdem scheint es gerade von diesem Grundmodell her sinnvoll, die Kritik der Nationalökonomie weiterzuentwickeln. In der hier ebenfalls dokumentierten Ausarbeitung der Evangelischen Kirche von Westfalen wird die Soziale Marktwirtschaft beispielhaft global und ökologisch weitergedacht. Ein anderes Dokument zeigt das Beispiel der konkreten politischen Konzeption einer Finanztransaktionssteuer auf, vorgeschlagen durch eine Arbeitsgruppe des Sozialwissenschaftlichen Instituts der EKD.

Vielleicht kommt jedoch das Thema „Arbeit“ trotz der Ehrung seitens der Stiftung im gesamten Inhalt der Aufsätze des Hauptteils trotzdem noch ein wenig zu kurz. Zu stark liegt der Schwerpunkt einerseits, wie schon im vergangenen Jahr auf der Regulierungsmöglichkeit von Marktwirtschaft, offenbar immer noch ausgelöst von der Problematik der Finanzkrise. Ein weiteres Thema des Hauptteils ist die Frage, wie stark der Einfluss des Protestantismus in der Geschichte der Entstehung der sozialen Marktwirtschaft in der Bundesrepublik Deutschland war, was aus dieser Blickrichtung ein wenig konfessionell klingt. In diesem Zusammenhang bleibt daher unklar, in welcher Beziehung der hier zu recht konstatierte protestantische Einfluss zur katholischen Soziallehre steht, die in der ehemaligen Zentrumspartei praktiziert wurde, die nach 1945 z. T. in der CDU aufging (Dazu: Reinhard Marx. Das Kapital. München 2008, z. B. mit Hinweis auf die Sozialenzyklika Quadragesimo anno, 1931 und der Arbeit von Joseph Höffner, dem späteren Kardinal von Köln). Dass die „soziale Marktwirtschaft“ von der Ordnungsfunktion des Sozialrecht lebt, das durch politisch demokratischen Einfluss, aber auch durch richterliche Entscheidungen geprägt ist, wird in den Artikeln ebenfalls kaum gesehen.

Es ist gut, dass in diesem Buch in historischer Kleinarbeit aufgezeigt wird, wie deutlich gerade ein protestantisches Laienengagement eingewandert ist in politisch-ökonomische Konzeptionen, mehr als eine evangelische, fachtheologische Ethik. Das Konzept der Sozialen Marktwirtschaft, das unter dem Einfluss des Neoliberalismus fast abgeschrieben schien, kann zu neuer Blüte kommen. Die Frage ist trotzdem am Schreibtisch nicht zu beantworten, ob die Markt- und Geldökonomie von einem solchen Konzept her regulierbar ist. Folgende Fragen blieben offen: Wie wirkt kirchliches Handeln auf die Sozialgesetzgebung und das aus ihr folgende Sozialrecht konkret ein? Welche Art von politischem Engagement ist in kirchlichen Institutionen gewollt und möglich, um solchen Einfluss wirklich vollziehen zu können? Wie bringen kirchliche Gremien und Institutionen entwicklungspolitische und ökologische Erfahrung wie die der Kindersklaverei, der Verschärfung des Welthungers durch Bioenergie-Preise und des immer schärfer werdenden Kampfes um die Rohstoffquellen in diese auch von heimischen sozialen Interessen bestimmte Debatte ein? Und, was als ein Defizit aller Beiträge zum Schwerpunktthema vermerkt sei: Wie wird die christliche Position von der biblischen Orientierung an der Zukunft des Lebens und der Gerechtigkeit aller Lebewesen, ja vom Gott der Hoffnung und der Liebe bestimmt? Reicht es wirklich, wenn theologisch die Rechtfertigungslehre ins Gespräch gebracht wird, um sodann zur sozialethisch-ökonomischen Sprache überzugehen? Es ist sicherlich nicht leicht, angesichts der aktuellen Notlage, den Blick von der Tagespolitik einmal einen Moment wegzuwenden  und auf die religiösen und biblische Grundlagen christlicher Orientierung zu richten. Aber wer sollte es tun, wenn nicht die ethisch ausgerichtete evangelische Theologie?

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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