Auf Spurensuche in einer Kathedrale – Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2012

Zu: Tobias Daniel Wabbel, Die Templerkathedrale, Der Geheimcode von Chartres, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2012, ISBN 978-3-579-06567-0, Preis 19,99 Euro

Ein Sachbuch als Erzählung – das legt Tobias Daniel Wabbel nach seinem Buch „Der Templerschatz“ nun erneut vor. Schon der Titel zeigt den inhaltlichen Zusammenhang beider Bücher Wabbels auf. Trotz des Begriffs „Templer“ gehören die Bücher von Tobias Daniel Wabbel nicht in die esoterische Ecke. Es gibt Formparallelen zu Dan Brown, von dem Wabbel sich zu unterscheiden bemüht. Ist dort der heilige Gral eine Frau (Maria Magdalena), die das Kind Jesu zur Welt bringt, da sie angeblich Jesu Gattin war, so zeigt Wabbel hier auf, dass man eine vergleichbare Symbolik viel naheliegender in der Symbolik der Bundeslade findet, die, wenn sie Gottes irdische Gegenwart darstellt, in der Welt der christlichen Kirche auf Maria als der realen Mutter Christi, des Sohnes Gottes übertragen werden kann. Was liegt also näher, als in einer Kirche, die der „Mutter Gottes“ gewidmet ist, nach Anspielungen auf die Bundeslade zu suchen? Die Art und Weise, Personen, und Objekte und damit Erzählinhalte der Bibel in der Geschichte der Kirche auf andere Personen oder Glaubensinhalte zu übertragen, wird Typologie genannt. Tobias Daniel Wabbel zeigt zu Recht, dass die historischen Zeugnisse wie die Bildwerke und die Architektur der gotischen Kathedrale nicht mit der modern gedachten symbolischen Interpretation erschöpfend interpretiert werden können. Dass westliche Kirchen vom Grundriss her das Kreuz Jesu darstellen ist nun wirklich nicht von der Gotik erfunden worden, sondern geht auf die Romanik zurück. Die Vergegenwärtigung des Jerusalemer Tempels wird nur vollständig, wenn die Darstellung der biblischen Typen nachempfunden wird, so durch die bildliche oder symbolische Erwähnung der Bundeslade und des Stiftzeltes. Die Wallfahrtskathedrale in Chartres dient der Gegenwart des Tuches, das Maria bei der Geburt ihres Kindes Jesus getragen haben soll. Wäre die Bundeslade auch eine solche Reliquie oder wäre sie aus antijudaistischen Motiven in der Kirche versteckt worden? Hätte sie und/oder die Gesetzestafeln des Mose in ihrem Versteck in der Kirche die Jahrhunderte unentdeckt überdauert? Ob Archäologen nach der Lektüre des Buches danach suchen werden, muss offen bleiben. Fakt ist jedoch, dass der Autor historische, theologische und kunsthistorische Fakten erzählerisch vermittelt und interessant darstellt, mit einigen Fotos und Grafiken illustriert. Vielleicht ist das Fazit des Buches postmodern bzw. über den Anspruch der Allwissenheit der Moderne hinausweisend: Es gibt noch offene Fragen, und es können noch Fakten aufgedeckt und geklärt werden, die die Geschichte bis heute verschweigt. Die umfangreiche Darstellung biblischer Bezüge zeigt darüber hinaus, wie die Welt der Bibel bis in die äußere Form hinein die christlichen Bauwerke prägt, allerdings nicht unberührt durch die Erkenntnisse der griechischen Philosophie bis in Maß und Statik hinein (z. B. der goldene Schnitt). Das Buch hätte von daher sogar ein Bibelstellenregister der Belege, die die Anmerkungen aufzeigen, verdient. Die Kathedrale in Chartres ist zudem exemplarisch für eine Epoche, da ihre Bildwerke Revolutionen und Kriege unzerstört überdauert hat. Doch woher kam das Geld für diesen grandiosen Kirchenbau? Haben die Templer später etwa ihren Einfluss eingebüßt und mussten gar gewaltsam beseitigt werden, weil sie ihr Geld zurück haben wollten, mit dem sie diese Kirchenbauten im 13. Jahrhundert finanziert haben? –  So muss man weiter denken. Was verbergen die Unterkirchen alter Kathedralen? Die Zitate der fiktiven Filmfigur „Indiana Jones“ führen auf die falsche Fährte, da verschwiegene Verstecke und verheimlichte Fakten in den Archiven nicht als Phantasie-Vorlage dienen, sondern Ausdruck ernsthaften und wahrhaftigen Forschergeistes waren.  Wer das Buch liest, betrachtet die alten christlichen Kirchen mit anderen Augen und rechnet mit der Wahrheit des Glaubens in ihrem konstruierten Raum göttlicher Gegenwart zwischen Himmel und Erde.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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