Die Stimme Gottes – Predigt über 1. Mose 4, 1-16a (Kain und Abel) – Christoph Fleischer, Werl 2012

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[1] Und Adam erkannte seine Frau Eva, und sie ward schwanger und gebar den Kain und sprach: Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des HERRN. [2] Danach gebar sie Abel, seinen Bruder. Und Abel wurde ein Schäfer, Kain aber wurde ein Ackermann. [3] Es begab sich aber nach etlicher Zeit, dass Kain dem HERRN Opfer brachte von den Früchten des Feldes. [4] Und auch Abel brachte von den Erstlingen seiner Herde und von ihrem Fett. Und der HERR sah gnädig an Abel und sein Opfer, [5] aber Kain und sein Opfer sah er nicht gnädig an. Da ergrimmte Kain sehr und senkte finster seinen Blick. [6] Da sprach der HERR zu Kain: Warum ergrimmst du? Und warum senkst du deinen Blick? [7] Ist’s nicht also? Wenn du fromm bist, so kannst du frei den Blick erheben. Bist du aber nicht fromm, so lauert die Sünde vor der Tür, und nach dir hat sie Verlangen; du aber herrsche über sie. [8] Da sprach Kain zu seinem Bruder Abel: Lass uns aufs Feld gehen! Und es begab sich, als sie auf dem Felde waren, erhob sich Kain wider seinen Bruder Abel und schlug ihn tot. [9] Da sprach der HERR zu Kain: Wo ist dein Bruder Abel? Er sprach: Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein? [10] Er aber sprach: Was hast du getan? Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde. [11] Und nun: Verflucht seist du auf der Erde, die ihr Maul hat aufgetan und deines Bruders Blut von deinen Händen empfangen. [12] Wenn du den Acker bebauen wirst, soll er dir hinfort seinen Ertrag nicht geben. Unstet und flüchtig sollst du sein auf Erden. [13] Kain aber sprach zu dem HERRN: Meine Strafe ist zu schwer, als dass ich sie tragen könnte. [14] Siehe, du treibst mich heute vom Acker, und ich muss mich vor deinem Angesicht verbergen und muss unstet und flüchtig sein auf Erden. So wird mir’s gehen, dass mich totschlägt, wer mich findet. [15] Aber der HERR sprach zu ihm: Nein, sondern wer Kain totschlägt, das soll siebenfältig gerächt werden. Und der HERR machte ein Zeichen an Kain, dass ihn niemand erschlüge, der ihn fände. [16] So ging Kain hinweg von dem Angesicht des HERRN und wohnte im Lande Nod, jenseits von Eden, gegen Osten.

Liebe Gemeinde,

Der erste Gedanke, der uns bei dieser Geschichte kommt, ist sicherlich der, das es absolut ernüchternd ist, traurig und zugleich realistisch, dass die Geschichte der Menschheit in der Erzählung der Bibel mit einem Mord beginnt. Die Geschichte von Kain und Abel ist die deutlichste und anschaulichste Darstellung des fünften Gebots: „Du sollst nicht töten.“ Gott bekennt sich eindeutig zum Leben mit allen Konsequenzen. Da diese Geschichte relativ klar ist, möchte ich heute einmal einen anderen Gedanken in den Vordergrund stellen.
Es geht mir um die Frage nach Gott. Welche Rolle spielt Gott in unserem Leben? Welche Rolle spielt Gott in unserer Welt? Gibt es eine Welt Gottes neben unserer Welt? Wie spricht Gott heute? Wie drückt sich Gott in der Bibel aus? Dieses Thema ist keine Nebenfrage, ja es ist sogar, wenn man richtig hinsieht und hinhört das eigentliche Thema dieses Textes im Zusammenhang der ganzen Urgeschichte.
Die Vorstellung Gottes ist schon das Thema der ersten drei Kapitel der Bibel über die Erschaffung der Welt, der Geschichte von Adam und Eva und vom verlorenen Paradies. In diesen Geschichten haben wir Leserinnen und Leser der Bibel gehört, dass Gott leibhaftig in Person auf dieser Erde gewesen ist, ja die Erde selbst ins Leben ruft und die Menschen als Mann und Frau geschaffen hat. Im Paradies, in der Begegnung mit Adam und Eva und dem Ereignis mit der Schlange ist Gott persönlich gegenwärtig und spricht mit den beteiligten Personen. Nach der Vertreibung aus dem Paradies ist das anders geworden.
Und genau darum geht es in der nun folgenden Geschichte von Kain und Abel. Und genau diese Geschichte, die Geschichte des ersten Mordes, ist eine Geschichte davon, wie Gott handelt, anders als im Paradies. Gott ist also nicht im Paradies geblieben. Gott ist also tatsächlich mit den Menschen selbst aus dem Paradies ausgezogen. Es gibt nicht mehr die eine Welt Gottes, das Paradies, und die andere Welt, die Welt der Menschen, in der all dies geschieht, wovon nun die Rede ist. Gott ist in unserer Welt zu erfahren, aber er hält den Lauf dieser Welt nicht auf. Was geschehen muss und soll geschieht. Der Wille Gottes zeigt sich nicht darin, dass ich irgendetwas anderes geeignet, als es von den Menschen aus gekommen wäre. Daran könnte man eine lange philosophische Debatte anfügen, was sie nicht geschehen soll. Am besten ist, man liest die Geschichte von Kain und Abel einfach mal aus dieser Perspektive.

Schon gleich im ersten Satz wird Gott genannt. Da muss man genau hinsehen. Zuerst geschieht etwas ohne Gott: „Adam erkannte seine Frau Eva und sie ward schwanger.“ Das geschieht sozusagen von selbst, so wie auf der Erde von selbst Gras und Kraut aufgeht und wächst. Die Geburt des Kindes dagegen ist nun nach der Bibel doch mehr als ein reiner Naturvorgang. Man könnte sagen: das Wunder des Lebens selbst ereignet sich im Vorgang der Geburt. Ob nach einer Schwangerschaft ein Mensch wirklich glücklich und gesund auf die Welt kommt, ist nicht selbstverständlich und demnach absolut unverfügbar. Von Gott ist also hier die Rede, weil von etwas Unverfügbaren die Rede ist, der Geburt eines Menschen-Kindes. Gott kommt der Frau zu Hilfe. Mit der Hilfe Gottes ist ein Mensch geboren. Dieser Mensch heißt Kain. Das Leben dieses Menschen ist ein Geschenk Gottes. Das Leben jedes Menschen ist ein Geschenk Gottes und daher im Prinzip unantastbar. Dass dies gerade auch in dieser Geschichte für das Leben Kains gilt, dem Mörder Abels, wird sich am Ende noch zeigen.

Doch verfolgen wir die Geschichte weiter. Nachdem nun auch Abel auf die Welt kommt, wird nur kurz erzählt, dass der eine ein Schäfer wurde und der andere einen Ackerbauer. Die Menschen leben also irgendwie von der Landwirtschaft, sei es durch Viehhaltung oder Getreideanbau. Damit vollzieht sich nun erneut etwas, was schon in der Geburt des Kindes aufschien, die Unverfügbarkeit des Ertrags. Sicherlich gibt es keine Ernte ohne die Arbeit. Doch ob es wirklich eine gute Ernte wird, das hängt auch von dem Klima und dem Wetter ab, von Faktoren, die die Menschen letztlich nicht in der Hand haben. Beide, Kain und Abel, opfern Gott von den Früchten des Feldes und den Tieren der Herde. Dieses Opfer ist ein Zeichen der Dankbarkeit dafür, dass das Leben auf dieser Erde möglich ist. Doch Religion ist keine Lebensversicherung. Dies zeigt sich darin, dass nun mit einem kurzen Satz erwähnt wird, dass Gott nur das eine Opfer gnädig ansah, das andere jedoch nicht. An dieser Stelle besteht der Eindruck, dass Gott als handelnde Person ins Spiel kommt. Das würde dann bedeuten, dass der Zorn Kains durch Gottes ungerechte Antwort auf das Opfer mit ausgelöst wurde und Gott indirekt mitschuldig ist am Mord Abels. Eine mögliche Antwort wäre natürlich hierauf, dass nicht das Motiv verantwortlich ist für die Tat, sondern allein der Täter. Doch damit ist die Rolle Gottes nicht eindeutig beantwortet. Vielleicht bleibt sie auch endgültig ein Rätsel. Aber vielleicht ist das Wort „Gott“ in diesem Satz von der Annahme des Opfers ein wenig anders gemeint als in der übrigen Geschichte. Es geht wahrscheinlich darum, dass das Opfer eine religiöse Handlung aus Dankbarkeit ist, und nicht mit dem Gedanken verknüpft werden darf, dass Gottes Gnade käuflich ist. Gottes Handeln ist dem Menschen gegenüber unabhängig und frei und letztlich sogar zufällig, zumindestens dann, wenn man es auf die Frage einschränkt, ob auf ein Gebet um gute Ernten auch zwangsläufig eine gute Ernte folgen müsse. Eine solche Gebetsautomatik gibt es nicht.
Das Opfer selbst jedoch zeigt, dass die Menschen anerkennen, dass Gott mit den Grund des Lebens verbunden ist. Das Handeln und der Erfolg der Menschen ist letztlich nicht berechenbar, weil das Leben auch aus Zufällen besteht. Hinter der Ablehnung des Opfers Kains steht von Gott aus kein böser Wille. Gott selbst hat keinen bösen Willen, sondern nur der Mensch. Gott will allein das Leben. Gott ist in dieser Geschichte von Kain und Abel eindeutig zwar nicht der Garant des Lebens, aber Gott hilft zum Leben, Gott segnet das Leben, Gott sieht den Verlust des Lebens und Gott verteidigt das Leben.

Im folgenden Abschnitt wird Gott zum Gesprächspartner Kains. Was also ist die Rolle Gottes hierbei? Gott ist also in dieser Geschichte außerhalb des Paradieses das unsichtbare Gegenüber des Menschen im Gespräch. Das kann man Gebet nennen, oder einfach Selbstgespräch. Gebet ist das Gespräch mit Gott sicherlich nur dann, wenn es vom Menschen aus auch gewollt ist. An dieser Stelle geschieht etwas anderes, nämlich dass sich die Stimme Gottes von selbst ins Gespräch bringt. Ich sehe im Gespräch zwischen Gott und Kain, sowohl vor dem Mord als auch danach, nicht Gott als handelnde Person, sondern als Erinnerung an die Weisheit, an das Gesetz und an das Leben selbst, dessen Vernichtung verflucht wird. Gottes Sätze und Fragen werden nur ein einziges Mal mit dem Wort „Ich“ in Verbindung gebracht und zwar in dem Satz: „Die Stimme des Blutes deines Bruders schreit zu mir von der Erde“. Ansonsten sind die Sätze Gottes im Gespräch mit Kain entweder Fragen oder Sprichwörter und allgemeine Sätze.

Die Fragen lauten vor dem Mord: „Warum erzürnst du?“ Und: „Warum senkst du deinen Blick?“ Danach wird ein Lehrsatz oder ein Sprichwort mit einer Frage eingeführt: „Ist es nicht also?“ –  „Wenn du fromm bist dann kannst du deinen Blick frei erheben. Bist du nicht fromm, dann herrsche wenigstens über das Verlangen des Bösen.“ Mit diesen Sätzen wird jedenfalls klar gemacht, dass der Mensch selbst verantwortlich ist für sein Tun und Denken. Was also ist es, dass in diesen Fragen und diesen Erkenntnissen zur Sprache kommt, was wir Gott nennen? Diese Sätze sind nicht mit dem Ich Kains identisch, aber sie kommen in ihm selbst zu Sprache. Die Sprache dieser Anfragen ist die Sprache Gottes, die eigentlich nur in uns selbst geschieht, noch nicht einmal als Antwort auf ein Gebet, sondern einfach so. Gott und die Stimme des Gewissens sind hier ein und dasselbe. Das Gewissen reflektiert eine mögliche Tat und Entscheidung noch einmal von einer anderen Warte aus als vom eigenen Willen. Der eigene Wille muss in die Schranken gewiesen werden durch eine innere Stimme, die sich sicherlich nicht automatisch zu Wort melden kann, die aber immer da ist, sich Gehör verschaffen will und zu der man in einer Art inneren Hörens eine Beziehung aufbauen kann. Die Fragen nach dem Mord entsprechen der Rolle des Gewissens ebenfalls: „Wo ist dein Buder Abel?“ Und: „Was hast du getan?“ Als Konsequenz spricht Gott nun einen Fluch aus. Menschliche Urteile sind anders. Gott handelt nur durch Segen und Fluch, so ist der Glaube des Alten Testaments. Die Segens Worte Gottes können wir weitergehen. Zu fluchen, ist nicht unser Auftrag.

Zum Schluss entwickelt sich ein Dialog mit Gott, der darauf hinausläuft, dass Gott ausdrücklich die Todesstrafe verbietet. „Wer Kain totschlägt der soll siebenfältig gerächt werden“. Es geht hier nicht darum, daraus nun eine neue Gesetzesanwendung zu entwickeln, sondern hier die Anknüpfung der Erzählung an den ersten Satz der Geschichte zu fühlen. Das Leben eines Menschen, auch das Leben Kains ist ein Geschenk Gottes. Jedes Leben steht unter Gottes Schutz.

Wir haben wir also in dieser Geschichte außerhalb des Paradieses eine doppelte Rolle Gottes. Die erste Rolle Gottes ist mit dem Leben selbst verbunden. Gottes Heiligkeit ist die Heiligkeit des Lebens. Das drückt sich in verschiedenen Ebenen unserer Existenz aus, sowohl in Geburt und Tod, als auch im Leben von der Natur. Die zweite Rolle Gottes ist die einer inneren Stimme im Menschen, die durchaus geprägt ist von den Traditionen des Glaubens und der Religion und von der Erziehung. Diese Stimme ist in erster Linie eine fragende Stimme, die Stimme des Gewissens. Hier ist aber auch eine Stimme, die an den Wert des Lebens erinnert, und zwar sowohl an den Wert anderen Lebens als auch den Wert des eigenen Lebens. Der Satz „Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst“ ist die beste Zusammenfassung dieser inneren Stimme Gottes. Diese Stimme Gottes ist zugleich die Quelle dessen, was wir den Sinn des Lebens nennen. Diese Vorstellung von Gott hat Jesus damit verknüpft, dass Gott unser Vater ist und wir seine Söhne und Töchter. Es ist wichtig, diese Stimme Gottes noch einmal von Gebet und auch vom eigenen Willen zu unterscheiden. Vielleicht ist es schon eines der wichtigsten Merkmal, dass Gottes Stimme niemals identisch ist mit dem eigenen Willen. In der Stimme Gottes meldet sich das Leben selbst zu Wort. Gott ist nach dem Auszug aus dem Paradies mit den Menschen gemeinsam hinaus gegangen die Welt, um hier im Leben zu teilen. Das zeigt sich schon in der Geschichte von Kain und Abel und wird im christlichen Glauben durch das Bekenntnis der Menschwerdung Gottes bekräftigt. Daher sind wir ihn dankbar für alles menschliche Leben das uns geschenkt wird und für das Leben der Natur, die uns umgibt und ernährt. Gottes Wille ist der Schutz des Lebens in seiner ganzen Würde und Heiligkeit. Amen.

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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