Erzählte Philosophiegeschichte, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2020

Zu: 

Richard David Precht, SEI DU SELBST, eine Geschichte der Philosophie, Band 3, Von der Philosophie nach Hegel bis zur Philosophie der Jahrhundertwende, Wilhelm Goldmann Verlag, München 2019, gebunden, 608 Seiten, ISBN: 978-3-442-31402-7, 24,00 Euro (print)

Link: https://www.randomhouse.de/Buch/Sei-du-selbst/Richard-David-Precht/Goldmann/e475933.rhd

Vorbemerkung: Ich wurde durch ein Kurzabo von Audible auf die Reihe der Philosophiegeschichte aufmerksam, die Richard David Precht seit einigen Jahren herausgibt. Ich habe während meiner dienstlichen Autofahrten innerhalb von zwei Jahren einige Zeit lang den ersten Band gehört und fand die erzählte Philosophiegeschichte außerordentlich spannend. Precht gelingt es, die Lektüre der bekannten griechischen Klassiker der Philosophie nicht nur mit Geographie und Geschichte zu verbinden, sondern auch mit der sozialen Situation der damaligen Zeit. Als der dritte Band im letzten Jahr erschien, hatte ich gerade wieder etwas zu Friedrich Nietzsche gelesen, so dass diese Auswahl, die sich weitestgehend dem 19. Jahrhundert widmet, mir gerade recht kam. 

Und so nahm ich mir zuerst den Abschnitt zu Friedrich Nietzsche vor, hier unter der Überschrift „Der Sinn des Lebens“ (S. 331 – 371). 

Wie bekannt, führt Richard David Precht in die Philosophie ein, indem er die Lebensgeschichte desjenigen Philosophen verknüpft mit dessen Werkbiografie nacherzählt. Als Einstieg wählt er das Jahr 1870, in dem Nietzsche als Kriegsfreiwilliger im Sanitätsdienst für Preußen auf der deutschen Seite kämpft. Zum Dienst an der Waffe taugte er nicht, da er als inzwischen staatenloser Professor aus Basel der Neutralität verpflichtet war. 

Precht schildert die Heimkehr Nietzsches mit den Begriffen „geschwächt und traumatisiert“ (S. 332). Dieser hat ein Schlachtfeld mit 20.000 Toten gesehen und Verletzte versorgt. Ist dieses Erlebnis etwa der Einschnitt in Nietzsches Biografie, die eine Zäsur zwischen dem frühen und dem späten Philosophen nachzeichnen lässt?

Der Autor lässt den Einstieg so stehen und folgt mit der üblichen Kurzbiografie. Precht stellt Beziehungen her und zieht Verbindungslinien. An Wagner, den Friedrich Nietzsche zunächst fast hörig verehrte, arbeitete er sich ab. Erstaunlich ist trotzdem, wie eigenständig der junge Philologe, der zudem Griechisch an einem Gymnasium unterrichten musste, inhaltlich zur Philosophie wechselte, um dann in seiner Frühpensionierungszeit zum Schriftsteller zu werden.

Die Biografie Nietzsches gestaltet Richard David Precht zu einer kleinen Werkgeschichte. Dabei will Precht den Nachlass nicht ausblenden und auch den späten Nietzsche nicht dem jungen vorziehen. Zwar gesteht er zu, dass die Schwester Elisabeth Förster Nietzsche das „eigenwillig zusammengebastelte Nachlasswerk Der Wille zur Macht (1901)“ (S. 365) erst nach Nietzsches Tod herausgegeben hat, aber geht zugleich aber davon aus, dass auch diese Notizen dessen eigene Gedanken waren. Dass hier ein Weg zu Hitler führt, wird nicht verschwiegen, so bleibt der Philosoph schillernd und ist nicht nur positiv zu würdigen. Im gleichen Atemzug jedoch ist er mit Sigmund Freud zu nennen und zu konstatieren: „Der Mensch, hilflos zwischen dem Abgrund einer sinnlosen Welt und dem Abgrund einer dunklen, sich nach Sinn sehnenden Seele – nicht anders ist die Ausgangs Konstellation bei Freud.“ (S. 370) 

Der nächste Philosoph, den ich mir aussuche, ist zeitlich und inhaltlich ein Schritt zurück: Sören Kierkegaard: „Der Spion“ (S. 56 – 71). 

Auch hier gibt es ein erzählerischen Einstieg, die Kindheit des Philosophen. Sören lebte als Kind ausschließlich beim Vater, der ihn nicht nur zu Hause unterrichtete, sondern hier auch Spaziergänge durch die Stadt Kopenhagen simulierte und so eine Scheinwelt erschuf, um das Kind Sören vor der Realität zu bewahren. Kierkegaard studierte erst Theologie, um nach dem Examen zur Philosophie zu wechseln und innerhalb eines Jahres zu promovieren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Berlin, wo er noch Schelling und Hegel hört, kehrt er nach Kopenhagen zurück und zieht sich an den Schreibtisch zurück. So Precht: „Die Schriften folgen Schlag auf Schlag“ (S.60).

Und nachdem der Erzähler die Schriften auflistet und über Kierkegaard referiert, fasst er seinen Impetus in einem Satz zusammen: „Und nicht: ‚Erkenne dich selbst!‘ heißt die Devise, sondern ‚Sei du selbst!‘“. (S. 61) 

Stop – wo habe ich das schon einmal gelesen? – richtig: Es ist der Buchtitel. 

Kierkegaard wird als der Erfinder der modernen Subjektivität zum Stichwortgeber des 19. Jahrhunderts und zum ersten Vertreter der Existenzphilosophie, die im 20. Jahrhundert neu geboren wird.

Ich lese weiter („Die Erforschung der Seele“, ab S. 72) und erfahre etwas über Johann Friedrich Herbart, Fakten die ich eigentlich mal im Studium hätte wissen sollen, wo ich Herbart ausschließlich als Pädagogen ansah. Eingeflochten wird in die Darstellung der Philosophie Herbarts nun der Grundzug der neuen Psychologie, die später noch die Pädagogik und parallel die Soziologie hervorbrachte. 

Ich breche ab, denn ich wollte das Buch nur vorstellen und neugierig machen. Mir persönlich wird auf einmal klar, wieso Friedrich Nietzsche so viel von der Seelenlehre wusste und in die Welt der Philosophie einführen wollte, ja zuletzt als Psychologe entlarvt wurde. Und wieso Karl Marx nicht nur mit Begründer der Soziologie und der Ökonomie war, sondern vom Ansatz her Philosoph.

Die erzählte Philosophiegeschichte von Richard David Precht zeigt doch gerade darin, dass sie auch die in verschiedene Richtung auseinander strebende Philosophie zeigt und die Prägung durch philosophierende Schriftsteller wie Sören Kierkegaard und Friedrich Nietzsche, dass in diesem Start der modernen Philosophie ein ganzer Wissenschaftsbetrieb der heutigen Zeit angelegt war. 

Er selbst lehrt nicht Philosophie, sondern erzählt sie. Damit wird klar, dass das Motto Sören Kierkegaards auch ein wichtiger Anstoß für die Gegenwart ist: 

Finde Deinen eigenen Weg und „Sei du selbst!“

Als Dichter nur Narren? Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2018

Zu: Katharina Grätz, Sebastian Kaufmann (Hrsg.): Nietzsche als Dichter, Lyrik-Poetologie-Rezeption, Unter redaktioneller Mitarbeit von Armin Thomas Müller, Milan Wenner, in: Andreas Urs Sommer u. a. (Hrsg.): Nietzsche Lektüren, Band 1, De Gruyter, Berlin/Boston 2017, gebunden, 488 Seiten, ISBN 978-3-11-051888-7 (print), Preis: 129,95 Euro

Die Tagung der „Klassik Stiftung Weimar“ zum Thema „Nietzsche als Dichter“ war als 2. Forum Junger Nietzscheforschung ausgeschrieben und fand vom 23. bis 28. März 2015 in Oßmannstedt bei Weimar statt. Das Tagungsprogramm findet sich im Internet unter http://www.klassik-stiftung.de/uploads/tx_lombkswmargcontent/2._Forum_Junger_Nietzscheforschung___Nietzsche_als_Dichter.pdf.

Die Einführung des Buches geht ganz auf inhaltliche Aspekte ein und lässt Fragen der Edition bzw. einen Rückblick auf die Veranstaltung außen vor. Das Buch enthält 20 Aufsätze, von denen sechs im Tagungsprogramm nicht enthalten sind. Auch ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren mit einer Kurzinfo zur Person fehlt. Am Ende des Buches findet sich allerdings ein Namensregister. „Als Dichter nur Narren? Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2018“ weiterlesen

Mensch der Gegenwart werden, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017

Zu:

Okko Herlyn: Das Vaterunser, Verstehen, was wir beten, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2017, gebunden, 149 Seiten, ISBN: 978-3-7615-6446-2 (print), Preis: 14,99 Euro

Das Buch ist in zweifacher Hinsicht praxisorientiert. Die Reflexionen von Okko Herlyn, Professor an der Evangelischen FH in Bochum und im Nebenberuf Kirchenkabarettist sind in praktischer Gemeindearbeit erprobt und auf den Lebensvollzug als Christ oder Christin bezogen. Der etwas steile exegetische Anfang hätte auch besser ans Ende gehört. Immerhin habe ich daraus erfahren, dass sich Okko Herlyn genauso in reformierter Tradition auskennt wie in eher lutherisch oder uniert geprägter, so wir es eben im Rheinland oder Westfalen vorfinden. „Mensch der Gegenwart werden, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen

Jesus, komm vom Kreuz herab! Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016

Zu: Detlev F. Neufert: Jesus, Das Interview, Neues vom Auferstandenen, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016, ISBN 978-3-579-07088-9

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Der Dokumentarfilmer Detlev Neufert (geb. 1948) hat ein Buch von Gesprächen mit Jesus geschrieben. Doch wie ist ihm Jesus persönlich begegnet? Das bleibt sein Geheimnis. –

Das Buch macht also schon erst einmal neugierig. Die kurze Einleitung „über unser Treffen“ und „über Jesus“ (S. 7) machen die Antwort auf diese Frage nicht leichter. Nur eben: Das Jesusbild soll sich weniger am Gekreuzigten als am Auferstandenen orientieren, so in etwa, wie es die Katakomben in Rom zeigen „als einen klugen, mutigen und schönen Jüngling“ (S. 7).

Diese kurze Einleitung erklärt zwar die Begegnung mit Jesus, aber doch nicht den persönlichen Hintergrund und evtl. auch den Anlass, dieses Buch zu schreiben. So hängt das Interview m. E. von den ersten Gesprächen an etwas in der Luft.

Zum Vergleich: Es gibt in den USA einen Bestsellerautor der Esoterik, der eine moderne Mystik in Gestalt der „Gespräche mit Gott“ bietet, von dem es inzwischen drei Bände und mehrere andere Titel gibt. Für diesen Autor Neal Donald Walsch war es eine persönliche Krise und deren Überwindung, die ihn bewogen hat, seine (inneren) Gespräche mit Gott zu notieren. Gott tritt dort als realer Gesprächspartner auf, wie hier bei Detlev Neufert Jesus.

Was ist also das Motiv dieses Autors von seinen Gesprächen mit Jesus zu berichten? „Jesus, komm vom Kreuz herab! Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016“ weiterlesen

Konfirmandenarbeit mit Bildungsanspruch, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015

Zu: Hans-Martin Lübking: Kursbuch Konfirmation, ein Anwendungsbuch, Für die unterschiedlichen Modelle in der Konfirmandenarbeit, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, ISBN 978-3-579-07435-1, 88 Seiten A-4, Preis: 9,99 Euro (kurz: Anwendungsbuch); Hans-Martin Lübking: Kursbuch Konfirmation, Arbeitsbuch für Konfirmandinnen und Konfirmanden, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 3. Auflage 2015 (1. Auflage 2013), Broschur ISBN 978-3-579-06180-1,160 Seiten A-4, Preis: 11,99 Euro, weitere Ausgaben: Loseblattsammlung und Ringbuchordner mit eingelegter Loseblattsammlung (kurz: Arbeitsbuch); Hans-Martin Lübking: Kursbuch Konfirmation, Ein Praxisbuch für Unterrichtende in der Konfirmandenarbeit, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh2014, ISBN 978-3-579-07414-6, 240 Seiten A-4 mit CD-ROM, Preis: 22,99 Euro (kurz: Praxisbuch).

Anwendungsbuch.

Kursbuch Konfirmation von Hans-Martin Luebking
Kursbuch Konfirmation von Hans-Martin Luebking

Obwohl das Leitmedium sicherlich das Arbeitsbuch darstellt, ist zunächst einmal das Anwendungsbuch zu besprechen, da es in diesem Jahr neu erschienen ist. Da der Konfirmandenunterricht (KU) bzw. die Konfirmandenarbeit, wie es hier heißt, in den Landeskirchen der EKD nicht einheitlich ist, geht dieses Buch auf die unterschiedlichen Modelle dafür ein und geht davon aus, dass sich das Arbeitsbuch auch für unterschiedliche Modelle eignet. Die „Umbruchphase“ ist nicht zu ignorieren. Hans-Martin Lübking, langjähriger Leiter des pädagogischen Instituts der westfälischen Landeskirche in Schwerte-Villigst, bedauert die Verkürzungstendenz auf ein Jahr, befürwortet hingegen die neue methodische und organisatorische Vielfalt, z. B. die Unterstützung durch ausgebildete Teamerinnen und Teamer. „Konfirmandenarbeit mit Bildungsanspruch, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2015“ weiterlesen