Zu halten am vorletzten Sonntag des Kirchenjahres (Volkstrauertag) in Bad Sassendorf-Neuengeseke und Möhnesee-Körbecke 2012:
Verlesung des Textes: Offenbarung 2,8-11
8An den Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe:
So spricht Er, der Erste und der Letzte, der tot war und wieder lebendig wurde:
9Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut; und doch bist du reich. Und ich weiß, dass du von solchen geschmäht wirst, die sich als Juden ausgeben;
sie sind es aber nicht, sondern sind eine Synagoge des Satans. 10Fürchte dich nicht vor dem, was du noch erleiden musst. Der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, um euch auf die Probe zu stellen, und ihr werdet in Bedrängnis sein, zehn Tage lang.
Sei treu bis in den Tod; dann werde ich dir den Kranz des Lebens geben.
11Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt:
Wer siegt, dem kann der zweite Tod nichts anhaben.
Liebe Gemeinde!
Zunächst ein erster Zugang zu diesem Text aus der Offenbarung.
Die Christinnen und Christen sind unter dem Zustand der Bedrängnis und der Armut. Sie sind die Volksversammlung der Armen und Bedrängten. Ihnen wird Reichtum zugesprochen. Das wird nicht näher erklärt. Doch es ergibt sich aus dem ersten Satz: Der das spricht ist „Er, der Erste und Letzte, der tot war und wieder lebendig wurde“. Johannes sieht diesen Verkündiger in der Vision und von ihm gehen diese Worte aus. Es ist der Menschensohn, der angekündigt ist zur Ankunft des letzten Tages, der eine neue Zeitrechnung, ja eine Neugeburt aller hervorbringt. Bibelkundige sagen sofort: Aha, Jesus. Doch der Name fällt nicht. Wer ist es, wenn es nicht Jesus ist? Gott selbst nimmt in diesem Bild Menschengestalt an. Gott ist Mensch geworden, und Gott wird Mensch, wenn er sich offenbart. Der Mensch ist nach Gottes Bild geschaffen. Gott ist der Erste und der Letzte, in der Bibel oft der Ewige genannt. Er war tot und ist wieder lebendig geworden. Wann war Gott tot, und wann ist er wieder lebendig geworden? Gott tritt aus sich heraus und stirbt mit Jesus am Kreuz. Gott starb bereits mit dem Volk Israel im Exil. Gott stirbt dort, wo Menschen unter Gewalt leiden und ermordet werden. Gottes Bild wird auf dieser Erde zerstört und Gott stirbt dabei mit. Wohl gemerkt: das ist keine philosophische Gott-ist-tot Aussage, sondern eine Aussage der Verletzbarkeit des Lebendigen. Wenn Gott lebendig ist, wie es die Bibel bezeugt, dann ist er auch verletzbar und sterblich. Und könnte er nicht sterben, so könnte er nicht wieder erstehen. Gott erhebt sich und erneuert seine Gegenwart. Dafür steht Jesus als ein Beispiel in Kreuz und Auferstehung, doch nicht exklusiv. Das gilt auch noch später, wie es schon früher erfahren wurde.
Zurück zur Versammlung der Armen und Bedrängten. Nun wird ihre Bedrängnis näher erklärt: Sie werden von einer Versammlung des Satans bedrängt, von Menschen, die sich als Juden ausgeben, es aber nicht sind. Die scheußlichsten und grässlichsten Folgen haben solche Worte später gehabt. Sogar Martin Luther forderte in einer Schrift dazu auf, die Synagogen anzuzünden, wie es dann in der sogenannten Reichskristallnacht am 9.11.1938 von den Nazis geschah. Darauf folgte im Schatten der Kriegsfront die massenweise Vernichtung, der Holocaust. Es wäre besser gewesen, die Worte gegen Juden wären nie aufgeschrieben worden. Die Bibel hat es in mancher Hinsicht nicht leicht, weil sie in der Hand von Fanatikern und Wahrheitsbesitzern zur Waffe werden kann und Gewalt auslöst.
Liebe Gemeinde, an dieser Stelle möchte ich innehalten. Landen wir nun bei der Betrachtung des Textes der Offenbarung unweigerlich in der Zeitgeschichte des Nationalsozialismus und im Gedenken des Massenmordes, oder finden wir noch zu einem persönlich, religiösen Zugang zurück? Wir wissen, dass es keiner sein wird, der Volksverhetzung auf Vorurteilen aufbaut, gegen wen auch immer.
Ich lese den Text noch einmal in einer anderen Übersetzung. Es ist also derselbe Text, aber in leicht veränderten Worten:
Die Bibel in gerechter Sprache schreibt zu Offenbarung 2, 8-11:
„Dem Boten der Gemeindeversammlung in Smyrna schreibe: Dies sagt der Erste und der letzte, der tot war und lebendig wurde. Ich kenne deine Bedrängnis und Armut – aber reich bist du – und die Gotteslästerung derjenigen, die sich als jüdisch ausgeben, ohne es zu sein, sondern eine Versammlung des Satans sind. Fürchte nichts, was du erleiden wirst! Da! Der Teufel will einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr geprüft werdet. Ihr werdet zehn Tage Bedrängnis haben. Sei treu bis zum Tod, und ich werde dir den Kranz des Lebens geben! Wer ein Ohr hat, höre, was die Geistkraft den Gemeindeversammlungen sagt! Wer sich nicht unterkriegen lässt, wird vom zweiten Tod nicht angetastet.“
Interessant ist schon, wie die Überlieferung der Worte des Lebendigen an die Gemeindeversammlungen hier gedacht sind. Es ist eine Schrift, die die Gestalt einer Erzählung hat. Die Orte, an die diese Schrift zuerst geschickt wurde, tauchen als Bezeichnungen der Gemeinden auf. Diese Gemeinden erhalten Botschaften von Gott, die sich auf ihre jeweiligen Glaubenslagen und Lebenssituationen anwenden lassen. Die Übermittlung erfolgt in der Erzählung von Gott durch Boten an die Gemeinde, die sonst Engel genannt werden. Diese Übersetzung schreibt das Wort „Boten“ statt Engel, um die Rolle der Vermittlung zu verdeutlichen. Engel treten hier nicht als Schutzengel, auf sondern als Boten. Das Wort „Gott“, um das es ja wohl auch immer geht, taucht wörtlich an keiner Stelle auf, es sei denn durch das Bild des Ersten und Letzten, womit der Ewige gemeint ist.
Die Botschaften sind einerseits relativ klar, weil vom Umgang mit Bedrängnis gesprochen wird. Es geht ums Durchhalten. Doch für eine reine Durchhalteparole ist mir der Text zu schade oder auch zu allgemein. Sind nicht gerade auch Kriegspredigten von solchen Parolen geprägt worden und kann dieser Text gar eine Art Kriegspredigt gewesen sein?
Um dies klar zu stellen, möchte ich die Worte des Textes mit einer einzigen Frage prüfen:
Wer bin ich? Wer bin ich, der diesen Text zuerst hören soll und was hat die Botschaft mit meiner Person zu tun?
Die erste Möglichkeit ist, dass ich Christ bin. Ich lebe in einer Gemeinde und nehme an Gemeindeversammlungen teil. Ich glaube an Christus, der tot war und wieder lebendig geworden ist. Ich gerate um meines Glaubens willen in Bedrängnis, ja, ich werde geschmäht und beleidigt. Das griechische Wort an dieser Stelle erinnert an Blasphemie. Doch dies alles hat auch einen Sinn. Ich soll lernen, mich nicht zu fürchten. Ich werde durch den Widerstand auf die Probe gestellt und geprüft, ob ich es ernst meine und ob ich auch durchhalten kann. Ja, ich werde sogar um des Glaubens willen um mein Leben gebracht. Ich muss mit dem Martyrium rechnen. Ich setze mein Leben für den Glauben aus Spiel. Ich setze mein Leben ein. Zuletzt werde ich, ob lebendig oder tot, am Sieg Anteil haben.
Wenn ich diesen Text so als Christ lese, so kann ich es mir zwar in einer bestimmten Lage der Christenverfolgung denken, dass es darum geht, den Glauben gegen alle Widerstände festzuhalten, aber ich kann mir auch vorstellen, dass diese Auslegung missbraucht wird von religiösen Wahrheiten oder Identitäten. Wer immer sich wähnt, für Christus auf der richtigen Seite zu kämpfen, kann hier zum letzten Einsatz mit der Waffe aufgefordert werden, denn von Gewaltlosigkeit steht hier nichts. Gut, wer genau hinsieht, der merkt, dass das nicht gemeint sein kann, und die Bedrängnis eher passiv durch Schmähung oder Gefängnis erlitten wird und nicht durch Gegengewalt, doch was nützt das in einer Situation, in der die Religion meint, sowieso die einzige Wahrheit vertreten zu müssen. Das andere ist, dass ich hierbei bestimmte Aussagen weggelassen habe, weil ich sie nicht eindeutig zuordnen kann. Jeder liest Texte selektiv, das ist gar nicht anders möglich. Aber worum geht es denn bei dem Teufel und dem Satan konkret und was hat das mit einer Synagoge zu tun? Wäre es nicht besser, man würde diesen Text als Jude lesen?
Ich gehe also auf die Frage: Wer bin ich? Noch einmal ein und lese den Text als Jude, vielleicht einfach als Jude, der von Jesus überzeugt ist, der aber eben Jude ist und zum Volk Israel gehört. Die Rede von Engeln und Boten, vom Ersten und Letzten kenne ich aus der Bibel, aus dem, was wir das Alte Testament nennen. Der Gott Israels war immer wieder mal am Boden, und doch ist er immer wieder lebendig geworden. Doch jetzt ist Krieg, Krieg gegen die Römer. Keiner weiß eigentlich genau warum, denn die jüdische Religion ist immer respektiert worden. Doch in letzter Zeit wurde die Forderung des Kaiserkults verschärft. Ich kann als Jude kein Kaiserbild als Gott anbeten. Doch es gibt solche Synagogen, die sich als römerfreundlich geben. Sie wollen sich aus dem Krieg raushalten und an die römische Umgebung anpassen. Doch dadurch geben sie ihr Judesein auf. Sie nennen sich noch Juden, sind es aber faktisch nicht mehr. Der Satan tritt in Gestalt des Kaisers auf. Sie sind Synagoge des Satans, des Kaisers. Dabei wissen wir doch aus dem Buch Hiob, dass der Satan die Aufgabe hat, unseren Glauben durch Leiden zu prüfen. Er ist der Diabolus, der Versucher. Er testet unsere Standhaftigkeit. Auch wenn wir mal zehn Tage ins Gefängnis kommen, wird unsere Festigkeit nur geprüft. Wer treu bleibt wird siegen. Wird den Kranz des Lebens bekommen.
Sie haben gemerkt, dass es gerade vor dem Hintergrund des jüdisch-römischen Krieges sehr gut möglich ist, den Text als Jude zu lesen. Eine Durchhalteparole ist er darum erst recht. Doch die Synagoge des Satans ist niemals das Judentum im Ganzen, sondern muss konkret verstanden werden, als Versammlung einer römerfreundlichen jüdischen Gruppe. Antijudaismus ist hier nicht enthalten, eher im Gegenteil. Das Christentum ist sowohl christlich als auch jüdisch. Das Problem mit dem Kaiserkult haben Juden wie Christen gehabt. Es gab noch keine massenhafte Verfolgung, außer nach dem Brand Roms unter Nero. Aber zehn Tage Gefängnis wegen einer Eidesverweigerung konnte es schon mal geben. Wichtig ist auch, dass der Text aus jüdischer Sicht nicht ausdrücklich dazu auffordert, an einem Krieg teilzunehmen. Es geht nur darum, standfest zu bleiben. Doch stellten wir auch fest, dass der Bezug zum Judentum zwar stark ist, aber in einer christlichen Schrift von Christus, vom Messias nicht zu trennen ist. Inwiefern ist der Text jüdisch, inwiefern ist er christlich, das ist schwer zu entscheiden. Daher versuche ich noch eine dritte Antwort auf die Frage: Wer bin ich?
Die dritte Antwort auf die Frage: Wer bin ich? Muss sich von den religiösen Festlegungen lösen und antworten: Ich bin Mensch. In einer Versammlung von Menschen in einem bestimmten Ort, Smyrna damals, jetzt Izmir, Türkei, ich Worte Gottes von der Ewigkeit, von Tod und Leben, vom Ersten und Letzten. Ich werde angesichts des Todes an den Sinn des Lebens von Gott her erinnert. Er macht die Mitte meines Glaubens aus. Wie gehe ich um mit Bedrängnis, mit Armut und mit Schmähungen? Kann ich durchhalten, ja sogar eine innere Widerstandskraft bewahren oder entfalten? Kann ich den Glauben an den Ewigen als Quelle von innerer Kraft erfahren? Der Weg Christi in Leiden und Sterben am Kreuz führte nicht in die Verzweiflung, sondern in die Ruhe und die Gewissheit. Gott wird Mensch und leidet mit. Gott wird hier nicht als der Allmächtige erlebt, der Wunder vollbringt, sondern als der Mitleidende, der die Gewissheit gibt, dass es lohnt, an der Quelle des Lebens, am Sinn durch Gottes ewige Gegenwart festzuhalten. Hier wird zwar keine ewige Wahrheit mit der Waffe verteidigt, hier fällt man aber auch nicht resigniert vor den Reichen und Mächtigen auf die Knie. Ja, der erste Tod beendet unser Leben, aber er trennt uns nicht von Gott. Wenn der zweite Tod kommt, werden wir mit Gott auferstehen und es wird ein neues Jerusalem geben, einen neuen Himmel und eine neue Erde. Gott wird abwischen alle Tränen von unseren Augen und es werden Leid und Geschrei vergehen. Gott ist dann immer mit uns und lässt uns nie mehr allein.
Wir stoßen also bei der Frage „Wer bin ich?“ Mit der Antwort „Mensch“, auf die Fragen von Tod und Auferstehung, von Erlösung und der Gewissheit des Heils. Das Heil ist ein Bild, eine Vorstellung vom Himmel, der allen Menschen offen steht, der Leid und Unterdrückung beendet. Vielleicht kann man sagen: In der Bedrängnis fallen wir nicht vor den Mächtigen auf die Knie, wir machen uns aber auch nicht die Hände an ihnen schmutzig. Das Bild vom himmlischen Jerusalem entlarvt alle irdischen Mächte und stellt die jetzigen Machthaber als hilflos hin. Denn vor dem Tod müssen sie alle resignieren. Nicht dagegen Gott. Er bleibt lebendig, auch wenn alle Diktatoren und Mächte sterben. Es geht nicht darum, an die Ewigkeit glauben zu müssen, um auf der richtigen Seite zu stehen, sondern an den ewigen Gott, den Ersten und Letzten zu glauben. Damit müssten die Schwierigkeiten und Bedrängnisse, Schmähungen und Gefängnisse gar nicht unbedingt glaubensbedingt sein, sondern können als Lebensereignisse erfahren werden. Der Glaube an den ewigen Gott, an Tod und Auferstehung setzt die Widerstandskraft frei, die uns in all den Leiden, die wir erleben mögen, geschenkt wird. Diese Kraft kann nicht erarbeitet werden. Sie ist nicht das Ergebnis einer Leistung, denn wir brauchen sie ja gerade dann, wenn wir nichts tun können. Wir haben auch kein Glaubenskonto bei Gott. Sondern wir stehen allezeit in Jesus Christus mit dem Lebendigen in Beziehung. Diese Beziehung macht uns stark, wenn wir schwach sind. Amen.
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