Zeugnisse islamischer Tradition, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2012

Zu: Der Ḥadith, Urkunde der islamischen Tradition. Ausgewählt und übersetzt von Adel Theodor Khoury, Band V: Aus der schiitischen Überlieferung, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011, ISBN 978-3-579-08070-3, Preis: 49,95 Euro.

 

Aus der schiitischen Ueberlieferung vonDer Ḥadith liegt nun in der fünfbändigen deutschsprachigen Ausgabe in der Übersetzung und Edition von Adel Theodor Khoury im Gütersloher Verlagshaus vor. Was diese fünfbändige Ausgabe vermutlich besonders auszeichnet gegenüber allen Ausgaben der arabischen Welt ist, dass hier die schiitischen Texte in einer Ausgabe mit den sunnitischen veröffentlicht werden. Die Texte des 5. Bandes gehören nicht zur Sunnah, der rechtsgültigen islamischen Tradition im sunnitischen Islam. Umgekehrt ist bekannt, dass einige Ḥadithe seitens der schiitischen Tradition abgelehnt werden. Die schiitische Tradition erscheint gegenüber der sunnitischen als Erweiterung und Verschiebung. Die Liste der zwölf Imame der Schiiten, auf die die einzelnen Sprüche und Texte zurückgeführt werden, wird durch ´Ali ibn Abi Ṭalib angeführt, den Schwiegersohn Mohammeds. Die Stichworte der Kapitel des fünften Bandes greifen noch einmal fast alle Themen der Bände eins bis vier auf. Als Beispiele seien genannt: religiöses Wissen, Glaube an den einen Gott, die Beschreibung der Säulen des Islam, Regelungen für die Ehe, Speiseregelungen sowie Strafbestimmungen und Rechtsfragen.

Zunächst erscheint die schiitische Seite eine Art Aufklärung zu beinhalten, da sie sich auf die Anwendung der Vernunft beruft. Doch dient die Anwendung der Vernunft allein dazu, die Erweiterung der Tradition Mohammeds und des Korans durch die zwölf Imame zu begründen. Andere Regelungen sind nicht durch die Vernunft begründet, sondern wie in der Religion allgemein üblich durch eigenen Traditionsbeweis im Rückbezug auf Mohammed oder einen seiner Nachfolger. So wird nun die Verschiebung in der weiteren Entwicklung des Islam deutlicher: Die Grenzen zu anderen Religionen, auch zu denen des „Buches“, werden unüberwindlich. Der lebendige interreligiöse Kontakt der Anfangszeit scheint verloren gegangen zu sein. Der Übertritt zum Christentum konnte mit dem Tod bestraft werden. Die Bestimmungen über die Steinigung bei Unzucht, das unglückliche Schicksal in der Geburt von Töchtern, die Freiheit zur „Genuss-Ehe“ (eine Art Prostitution) verdeutlichen beispielsweise, dass in dieser Tradition zum Teil zeitgeschichtliche Diskussionen um die Anwendung des Korans verarbeitet werden. Schwierig wird es, wenn einzelne Sätze dieser Tradition als Handlungsanweisungen im 21. Jahrhundert verstanden werden sollten. Der Autor bzw. Herausgeber schreibt im Vorwort, dass es den Rahmen des Buches sprengen würde, wenn die Sprüche und Erzählungen ausführlich kommentiert würden. Es ist gut, dass der Ḥadith jetzt im Ganzen in deutscher Sprache vorliegt. Manche Texte gerade aus dem fünften Band, aber auch aus der sunnitischen Tradition werden – so unkommentiert – allerdings manche Vorurteile gegenüber dem Islam eher bestätigen und verhärten. Man kann sich kaum vorstellen, was geschieht, wenn die Zeitbindung einer religiösen Tradition aufgelöst wird und diese Sätze in der globalisierten Welt Anwendung finden. Umso wichtiger ist es gerade auch im interreligiösen Dialog um diese Tradition zu wissen und Fragen nach ihrer Anwendung deutlich anzusprechen, auch um mehr über die zeitgemäße Auslegung des Islam zu erfahren. Adel Theodor Khoury hat mit der deutschsprachigen umfassenden Ausgabe des Ḥadith einen sehr wichtigen Beitrag für den christlich-islamischen Dialog geleistet.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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