Kunst verändert: die Architektur, den Raumeindruck, die Sicht auf ihre Inhalte und damit auch ihre Betrachter. Wechselnde Kunst verändert folglich immer wieder. Ausstellungen – die sich ja eigentlich immer als Wechselausstellungen verstehen – führen uns Veränderung, Metamorphose, Zeiträume, das Einwirken der Zeit vor Augen, und zwar umso deutlicher, je größer die Unterschiede der einzelnen Ausstellungen sind, je raumgreifender, intensiver und eigenständiger die Kunst jeweils ist.
(Abb. Günter Thomas, „Moving Life Moving“, Oktober 2011. Foto: Andreas Blauth,
http://kunst-marlies-blauth.blogspot.de/2011/10/kunst-in-der-apsis-moving-life-moving.html)
Man sieht und spürt den Wechsel; Wahrnehmung ist bekanntlich komplex und kann Gefühlsempfindungen so weit beeinflussen, dass sogar Raumtemperaturen verschieden eingeschätzt werden – zum Beispiel dadurch, dass eine Farbe (unsere Sprache sagt es ja korrekt!) kalt oder warm wirkt.
Damit diese Vermittlung von „Nicht-Beständigkeit“ im kirchlichen Raum Sinn macht, muss sie in einen konzeptionellen Rahmen eingebettet werden. Schon früh haben wir uns deshalb entschieden, mit der Kunst das Kirchenjahr, seinen Verlauf, seine inhaltlichen Schwerpunkte, seine „Highlights“ zu betonen.
Hilfreich dafür war der Blick auf die liturgischen Farben: Deren Farbsymbolik hatte ich früh kennen gelernt und wusste sie später für unser Kunstprojekt zu schätzen. Ein in pfingstliches Rot getauchter Raum ist durchaus ein sinnenhaftes Erlebnis!
Innerhalb der Paramentik – dort geht es um die im Kirchenraum, in der Liturgie gebräuchlichen Textilien, die im evangelischen Bereich in der Regel als „textile Bilder“ installiert werden – finden sich zwar auch nicht-abstrakte Darstellungen wie Kornähren, Lichtstrahlen, eine Krippe etc., doch im allgemeinen gehen sie über eine Illustration hinaus und bewegen sich im Bereich des Symbolhaften. Für mich liegt der Gedanke nahe, dass gerade der Protestantismus mit seiner noch heute spürbaren Zurückhaltung gegenüber Bildern und seiner Tendenz zur Reduktion und Abstraktion im Grunde sehr modern war, ja dass er sogar ein gedanklicher Wegbereiter für die abstrakte Kunst gewesen sein könnte. Oder anders herum: Die abstrakte Kunst entstand mit Kandinsky erst recht spät und konnte dann kaum noch auf die Bilder-Diskussion in der Kirche einwirken.
Solche Entwicklungen mögen dabei mitgespielt haben, dass das Auge im Kirchenraum, im Gottesdienst traditionell deutlich weniger „bedient“ wird als – vor allem – das Ohr, dass die bildhafte Vorstellung eine größere Rolle spielt als die tatsächliche Wahrnehmung.
Im Laufe unseres Projektes hat sich nun gezeigt, dass viele Kirchenbesucher vor allem Farbenfreude empfinden, und zwar erheblich stärker, als ich das je vermutet hätte. Es ist anzunehmen – und wäre interessant, das etwas systematischer zu erfragen –, dass der Gedanke an die göttliche Schöpfung, der einigen Kunstwerken deutlicher innewohnt als anderen, dabei wichtig ist. Die Kunst, die wir für die Passionszeit oder den November mit seinen Trauertagen aussuchen, kann mit ihrer sparsamen Farbigkeit und den entsprechenden Inhalten sogar zum Problem werden. Mag sein, dass sie mitunter einfach als „deprimierend“ empfunden wird; es wäre aber auch möglich, dass die Kirchenbesucher die Botschaft von der Auferstehung und vom ewigen Leben soweit verinnerlicht haben, dass sie einen Hinweis darauf in der Kunst regelrecht erwarten. Eine fröhliche Kirche, die Vitalität, „das Leben“ ausstrahlt, wird von den Menschen deutlich besser akzeptiert.
Man kann allerdings auch dagegen halten, dass die Bewegung in der Zeit, durch die Zeit, hier mit Blick auf die zyklischen Kirchenfeste und ihre ganz unterschiedlichen Temperamente, genau die Lebendigkeit besitzt und ausdrückt, nach der sich Menschen sehnen; das österliche Geschehen steht allemal im Mittelpunkt, der Karfreitag wird bekanntlich schon in der übernächsten Nacht überwunden. Kunst kann Bezug auf diese Dramaturgie nehmen, sie hat aber natürlich auch die Freiheit, zum Osterfest Fragen zu stellen oder es sogar in Frage zu stellen. In zehn Jahren Ausstellungsarbeit ergeben sich die verschiedensten Aspekte, so soll es aber ja auch sein.
In unserer Kirche (Alte Poststraße, Meerbusch-Osterath) waren architektonische Veränderungen, genauer gesagt eine neu entstandene 5 m hohe weiße Apsiswand, Auslöser dafür, die Kunst in die Kirche zu holen. Indem man einige Arbeiten eine Zeitlang auslieh und „probehängte“, konnte man die Apsis gleichsam ausloten. Aus dieser Testphase entwickelte sich alsbald unser Projekt, das mittlerweile etwa 70 Ausstellungen umfasst. Schnell wurde klar: Kunst, die überzeugend in den Kirchenraum spricht, muss keine religiöse Kunst sein. Die allermeisten professionellen Künstler erarbeiten in ihrem Lebenswerk ja Themen – Erfahrungen, Kommunikation, Fragen, Ängste usw. –, die jeden Menschen betreffen. Schnittmengen mit den Themen der Kirche – vor allem Menschenbilder und Sinnfragen – gibt es also jede Menge, direkte Bezüge, Zitate bisweilen auch. Mir sagte kürzlich eine Künstlerin, die eine Ausstellung bei uns plant: „Ich wundere mich selbst, wie viele biblische Themen ich im Laufe der Zeit aufgenommen bzw. übernommen habe. Das ist mir erst im Zusammenhang mit diesem Kirchenraum deutlich geworden.“
Zum zehnjährigen Jubiläum bzw. zum Kirchentag 2011/ Dresden, wo wir unser Kunstprojekt vorstellten, erschien ein Katalog, der unsere Arbeit dokumentiert (http://apsiskunst.blogspot.de/2012/11/kunst-in-der-apsis-katalog-zum-blattern.html). Ein Blick hinein zeigt gleich, dass wir – auch wenn viele künstlerische Arbeiten einen gewissen Abstraktionsgrad haben – keine bestimmte Kunstrichtung bevorzugen, sondern das Hauptaugenmerk auf die thematischen Zusammenhänge legen. Eine Ausstellung in der sommerlichen, (kirchen-)festlosen Zeit lässt da naturgemäß mehr Spielraum als eine zu Weihnachten, Kunst im Zusammenhang mit Erntedank muss anders aussehen als eine österliche Ausstellung. Wir hatten eine Malerin mit ukrainischen Wurzeln, deren Arbeiten eine deutliche Nähe zur Ikonenmalerei aufzeigten, zu anderer Zeit arbeiteten wir mit einer Installation aus fotografischen Strukturen oder mit transparenten Broten. Um verschiedene Aspekte eines Themas parallel zu zeigen, entscheiden wir uns hin und wieder auch kleine Künstlergruppierungen (Beispiel: eine Ausstellung zum Thema „Psalm“).
Die Verbindung zwischen Kunst und Kirche ist nie ganz abgerissen. Unsere Erfahrung zeigt, dass man sie sich durchaus als Brücke vorstellen kann, von der aus neue Perspektiven möglich sind – was immer Bereicherung ist: Besondere Gottesdienste, in denen die Botschaft durch Predigt, Liedtexte, Kunst, literarische Texte und Musik verklammert ist, bleiben möglicherweise in Erinnerung, weil sie besonders nachdrücklich sein können. Es gibt Kirchenlieder, deren Texte auf ganz erstaunliche Weise das Anliegen einer Ausstellung unterstreichen können, die Bilder können eine Predigt in anderes Licht setzen oder musikalische Beiträge buchstäblich untermalen. Neue, bisweilen ungeahnte Zusammenhänge zu knüpfen, spirituelle Eindrücke zu schaffen, den Blickwinkel zu verändern und zu weiten: Das ist die Aufgabe, die wir uns stellen und der wir uns stellen – und das gern!