Ina Praetorius: Ich glaube an Gott und so weiter… Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2013. ISBN 978-3-579-08169-4, 16,99 €
Soso, eine Auslegung des Glaubensbekenntnisses, ein Zerlegen, ein Verhackstücken Zeile für Zeile. Will ich das Buch überhaupt lesen? Denn ich erinnere mich, unangenehm, ans Auswendiglernen: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde. – Was ist das? (und so weiter)“. Luthers Erklärungen waren für uns KonfirmandInnen manchmal kryptischer als der Textabschnitt, den sie erläutern sollten.
Die Autorin Ina Praetorius, Theologin und Germanistin, wurde ungefähr zur selben Zeit konfirmiert wie ich, um den Beginn der 1970er Jahre. Gleich auf den ersten Seiten ihres Buches erzählt sie auch ähnliches: „Er [der Pfarrer] sperrte GOTT in Wissen ein.“ Dabei war ihr, und das ist so schön zu lesen, das Wort Gott als besonderes Wort mitgegeben, geschenkt worden. Nun also wurde dieses Geschenk „rüde“ behandelt, nämlich mit Wissen, Strenge und Dogma belegt und dadurch beengt. Glaube oder Religion muss aber, so ein Fazit des Buches, den Blick erweitern; sobald etwas davon den Menschen einzwängt, ihm die Luft zum Atmen nimmt anstatt ihm frischen Wind zu spenden, stimmt irgendwas nicht.
Schnell schließe ich Lese-Freundschaft mit der Autorin; nicht nur, weil wir derselben Generation angehören – was im übrigen, neben vielem anderen, in der Matrix enthalten ist, einem Begriff, der im Buch immer wieder auftaucht: „‘Matrix‘ ist ein lateinisches Wort und heißt ‚Mutterleib‘. Der wirkliche Mutterleib, aus dem ich gekommen bin, war umgeben von einem Universum aus Wörtern, Sätzen, Gesten, Geschichten, Bildern, die Teil meiner selbst wurden, bevor ich selbst zu erzählen anfing.“ Gemeint ist hier bei weitem nicht nur, aber auch der Begriff Tradition. Wie oft ist er uns so ziemlich ausgehöhlt begegnet, in Gestalt argumentativer Schlichtheit, die Erstarrtes rechtfertigen will. Praetorius hingegen versteht Tradition als Bewegung, Veränderlichkeit, sogar Unberechenbarkeit – gleichzeitig geborgen in Gemeinsamkeit und Heimat. Es scheine ihr, sagt sie, „durchaus angemessen, mit alten Worten, die vielen meiner Vorfahrinnen und Vorfahren wichtig waren, grundsätzlich respektvoll, vielleicht sogar ehrfürchtig umzugehen.“ Aber selbst das Apostolische Glaubensbekenntnis sei keinesfalls „überirdischen Ursprungs“ – dass es, und sie zitiert (den Dogmengeschichtler) Marcus Vinzent, vermutlich „in einer Art Baukastenweise“ allmählich zusammengestellt wurde, also von verschiedenen Menschen verschiedener Zeiten, wirke auf sie „entlastend“. Wohl deshalb, weil sie nun die „muffige Feierlichkeit“ abschütteln darf.
Die Einleitungskapitel klären die Position der Autorin, und so wirkt es überhaupt nicht befremdlich, sondern folgerichtig, dass sie der ersten Zeile des Apostolicums Ich glaube an Gott die Frage entgegen hält: “Wer ist das eigentlich: Ich?“ Längst ist klar: „Erklärungen“ will sie gar nicht schreiben, sondern meinen Gedanken einen Spielraum bieten, in den sie mich freundlich hineinschubst, um mich darin gewähren zu lassen. An die weiteren Teile des Glaubensbekenntnisses knüpft sie Biografisches, assoziiert sie Inhalte, während sie munter Begriffe verbindet und verändert. Und immer kriegt sie noch die Kurve weg vom allzu Subjektiven, schafft sie die Synthese; nicht zuletzt dadurch, dass sie, ganz Theologin, eine passende Bibelstelle zur Hand hat. Zum Glück räumt sie unterdessen immer wieder auf und entstaubt, und so zeigt sich die Auswahl der Bibelzitate absolut spannend, sie setzt sie in neues Licht, so dass man mehr wissen will und nicht anfängt, wie (wir früher als) gelangweilte KonfirmandInnen ein „Schon wieder!“ zu maulen. Das mag auch daran liegen, dass zwischendurch auch mal Koransuren oder ganz freie Übersetzungen von biblischen Texten oder Gebeten gebracht werden – und eben immer wieder anekdotische, überraschende, fröhlich-kritische Wendungen, die keinesfalls vom ernsthaften Anliegen ablenken, sondern es sogar verstärken. Ich beginne das Christentum als „Matrix“ zu sehen, fernab von jedem Anspruch, besser zu sein als anderes. Es geht ums – Ganze.
Wenn man das Buch einfach so durchblättert, fällt eines auf: auf fast jeder Seite sind einige Wörter typografisch herausgestellt, indem sie in Versalien dastehen. JHWH mag uns bekannt vorkommen, GOTT – in dieser Schreibweise, wie schon oben im Zitat – auch. Wenn man alle groß geschriebenen Begriffe notieren würde, das heißt beim Lesen „notiert“ man sie ja durchaus ins Bewusstsein, ergäbe sich eine Perlenschnur aus Gottes„namen“, bei der die oft angeführte These wieder einmal stimmt, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Einzelteile – in diesem Fall sogar viel, viel mehr als ihre Summe. Ich erhalte einen Eindruck davon, was und dass Gott alles ist (ich blättere jetzt mal): WAHRHEIT – SINN – DIE LEBENDIGE – JENSEITS – ETWAS ANDERES – ALLE MACHT – DAS LEBENDIGE – GEISTKRAFT – DER EWIGE.
Vor meinen Augen entsteht das Bild eines Rosenkranzes aus Wörtern, jedes Wort könnte ein Gebet sein oder zumindest eins werden. Und dazu entdecke ich manche sprachliche Kostbarkeit wie „und immer weiter weht der GEIST, tröstet, weckt und wirkt“ oder „wagemutig, lebenliebend ist JHWH, DER WEHT“ oder „Die beste Art, mit so viel Nichtwissen umzugehen, ist Vertrauen.“
Ich gehe nicht weg, ohne eine weitere wunderbare Stelle zu zitieren, die das Wort in einen ganz „anderen“ Zusammenhang rückt: „Wir kramten also die Wörter aus unseren Lebensrucksäcken, warfen sie fröhlich in die Luft oder auch zornig an die Wand, betasteten sie von allen Seiten.“ Da werde ich dankbar, dass ich hier auch mit ein paar Wörtern jonglieren durfte, von wem auch immer sie mir geschenkt wurden. „Dankbarkeit geht in Frömmigkeit über“ heißt es ganz am Ende des Buches, nach dem Dankeschön an alle irgendwie Mitwirkenden. Das Mitwirken, so weiß ich jetzt, ist oft einfach das Auf-der-Welt-Sein – denn, so die Autorin, „jede Tat gebiert eine neue“.