Glaubensaussagen kritisch bedenken, Rezension von Markus Chmielorz und Christoph Fleischer, Dortmund und Werl 2013,

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Zu: Ansgar Beckermann: Glaube, in: Grundthemen Philosophie hrsg. von Dieter Birnbacher, Pirmin Stekeler-Weithofer, Holm Tetens, Walter de Gruyter Berlin/Boston 2013, ISBN 978-3-11-027985-6, Preis: 19,95 Euro

Ansgar Beckermann, emeritierter Philosophieprofessor aus Bielefeld, plädiert am Ende seiner Religionsphilosophie für den Atheismus mit dem pragmatischen Argument, dass für die Existenz Gottes und übernatürlicher Kräfte nichts spricht. Er meint mit seinem Buch insgesamt gezeigt zu haben, dass der Atheismus gegenüber der Annahme der Existenz Gottes den Vorteil hätte, dass er die Menschen quasi zur Übernahme eigener Verantwortung anstiften würde. Diese Argumentation jedoch ist zwar möglich, aber nicht zwingend. Eine geisteswissenschaftliche Auseinandersetzung ohne Rhetorik ist anscheinend kaum möglich und führt so letztlich immer zur Evidenz oder zur Glaubwürdigkeit der Aussagen.

Der Autor stellt bezüglich des Glaubens die Frage nach der „epistemischen Vernünftigkeit“ (S. 8) und zeigt so indirekt, dass die Beurteilung der Wahrheitsfrage ohne die Einbeziehung subjektiver Faktoren nicht möglich ist. Dieses Argument wird jedoch nicht explizit behandelt und stattdessen oft der Anschein rationaler Objektivität vermittelt. Man sollte aus theologischer Sicht zunächst konstatieren, dass die Argumentation streng philosophisch ist. Es werden Kriterien formuliert und Unterscheidungen vorgenommen, die dazu beitragen, die Denkvoraussetzungen der eigenen Begrifflichkeit in der modernen Philosophie bewusst zu machen.

So wird der Begriff des Grundes dahingehend genauer betrachtet, ob Gründe nach der Wahrheit von Überzeugungen fragen oder ob sie von der Nützlichkeit einer Überzeugung ausgehen. Man könnte im Bild eines juristischen Verfahrens nach der Beweislast fragen. Diese liegt laut Beckermann nicht bei denjenigen, die die Existenz Gottes bestreiten, sondern bei denen, die sie befürworten. Es empfiehlt sich durchaus, auch von theologischer Seite, diese Argumentation zu berücksichtigen, um die eigene Glaubwürdigkeit im (post-)modernen Diskurs nicht zu verspielen.

Beckermann verweist auf den englischen Philosophen Clifford und resümiert: „Niemand hat das Recht, etwas auf der Basis unzureichender Gründe zu glauben.“ (S. 21). Mit der Argumentation von William James erscheint die epistemische Verantwortbarkeit der Religion fraglich zu sein, da die Annahme des Glaubens auf einer Entscheidung beruht und nicht auf einer Begründung. Es ist interessant, dass sich so auf philosophischer Ebene der Hiobdiskurs der Bibel in der Frage wiederholt, ob ein Glaube ohne Nützlichkeitserwägungen denkbar ist. Indem Beckermann die scharfe Unterscheidung in der Behandlung epistemischer und nichtepistemischer Gründe trifft, die m. E. auch in anderen Fragen des Lebens immer in einer Gemengelage vorliegen, betreibt er (ohne es vielleicht faktisch selbst zu wollen) erneut das Spiel des Rationalismus und Naturalismus.

Dennoch ist die Auseinandersetzung mit Religion gründlich und aktuell. Nicht nur die traditionellen Gottesbeweise und die Frage des Leids werden behandelt, sondern auch deren moderne Aktualisierungen. Auffallend ist jedoch, dass Verweise auf die moderne Ontologie mit Vertretern wie Paul Tillich oder Martin Heidegger gänzlich fehlen. Beckermann verliert sich stattdessen in der Frage, ob es objektive Beweise für die Existenz übernatürlicher Kräfte geben könnte.

In der Behandlung der ontologischen Gottesbeweise betont er zu Recht dessen Bedeutung für die Philosophiegeschichte. Die Frage, die Karl Barth jedoch aufwirft, warum Anselm bewusst in der 2. Person Singular, also in der Gebetsform und so der Anrede Gottes argumentiert, bleibt unbehandelt. Die Darlegung der Argumentation Immanuel Kants zum ontologischen Gottesbeweis zeigt jedoch sehr deutlich, dass nicht die Existenz Gottes zu beweisen oder zu widerlegen ist, sondern dass sich Aussagen über Gott einander widersprechen können.

Die Widerlegung der Gottesbeweise sollte von daher durchaus gründlich rezipiert werden, um in der einfachen Glaubens- oder Predigtsprache nicht in eben die gleichen Muster zu verfallen. So müsste man sich letztlich fragen: Welches Wesen fällt unter den Begriff Gott? Nicht Gott selbst ist zu beweisen und oder zu widerlegen, sondern die sprachliche Gestalt Gottes, Begriffe, die Gottesbilder in ihrem jeweiligen historischen Bezug beschreiben.

Interessant ist in der Behandlung des kosmologischen Gottesbeweises von Thomas von Aquin und seiner Weiterentwicklung durch Leibniz, dass die menschliche Frage nach dem „Warum“ nicht immer zu beantworten ist. Wenn allerdings nicht alles einen Grund hat, was existiert oder ist, dann ist/wäre dieser Gottesbeweis widerlegt. Beckermann selbst führt in Auseinandersetzung mit Kant Gründe gegen das durchgängige Kausalprinzip an. Der Begriff Metaphysik selbst wird in diesem Buch nicht weiter behandelt, wobei offen bleibt, ob diese Kritik auf andere Denkformen etwa die Voraussetzungen anderer Wissenschaften anwendbar ist.

Die mögliche Entscheidung, ein „unpersönliches Prinzip“ faktisch als Person und göttliches Gegenüber zu behandeln, ist laut Beckermann unzulässig, da es unmöglich ist, zu diesem in Kontakt zu treten. Aber unterliegt der Autor damit nicht genau dem gleichen Fehler, den er der Gegenseite anlastet, indem er die vermeintlichen Schlüsse widerlegt, die er zuvor rhetorisch ausgearbeitet hat? Man sollte jedoch konstatieren, dass es sich hier um ein philosophisches Lehrbuch der Religionsphilosophie handelt, das sowohl historische Positionen referiert, als auch in die aktuelle Diskussionen dieser Positionen einführt. Man könnte allerdings auch konstatieren, dass die differenzierte Behandlung der Gründe im Anfangsteil nicht immer durchgehalten wird, zumal im kosmologischen Gottesbeweis die Gründe als Verursachung (causa) angesehen werden. Es ist eben zu wenig, einen Grund nur darin zu sehen, dass eine Beobachtung für etwas spricht, ohne die subjektive Linie dabei mitzuverfolgen. Eine objektivierende Auseinandersetzung dagegen verdeckt die eigene Motivation, an Stelle sie als Voraussetzung einzubringen.

Die letzten drei Kapitel vor dem abschließenden 9. Kapitel des Buches befassen sich mit teleologischen Argumenten für die Existenz Gottes, mit dem – wie sich im Schlusskapitel zeigen wird für den Autor entscheidenden – Problem des Übels und mit dem Wahrheitsgehalt religiöser Erfahrungen.

Ganz in der Tradition sowohl der philosophischen, als auch naturwissenschaftlichen Moderne untersucht Beckermann unterschiedliche Ansätze, die sich mit der Ursache einer als ganzen zweckmäßig eingerichteten Welt auseinandersetzen. (Vgl. S. 85ff.) Dabei spannt er einen Bogen von Hume und der frühen Neuzeit über Darwin bis hin zu aktuellen Diskussionen, vor allem in den USA, über „Intelligent Design“ und „Fine Tuning“. Letztere setzen sich gegen Darwin ab und versuchen komplexe Strukturen nicht durch den Zufall von Evolutionsprozessen, sondern eben durch das intelligente Design eines Schöpfers zu erklären. Die Frage allerdings, dass das, was ist, auch eine Ursache haben muss, ist so alt, wie die Menschheitsgeschichte. Dass diese Erklärungsversuche bei einem Schluss auf den christlich verstandenen, allwissenden, allmächtigen und vollkommen guten Schöpfer (vgl. S. 106) enden können, ist ein Gegenstand der Philosophiegeschichte und der Theologie, ohne dass – und das versucht Beckermann sehr akribisch anhand von Zitaten nachzuweisen – dieser Schluss auch epistemisch zwingend notwendig ist.

Dreh- und Angelpunkt seiner Argumentation ist das „Problem des Übels“, dem er sich im 7. Kapitel widmet. (Vgl. S. 106ff.) Sind Leid und Schmerz notwendig zur Erlangung eines höherwertigen Gutes? Ist es immer das Beste, Leid zu verhindern? Was könnte einen Gott rechtfertigen, Leid und Schmerz zuzulassen? Wie steht es um einen allmächtigen Gott, der der Natur eigene Gesetze und Rechte eingeräumt hat? Können und wollen wir uns eine auf der Erbsünde bestehende göttliche Vergeltungslogik vorstellen? Auch der Theodizee-Diskussion nähert sich Beckermann mit dem Ansatz der Logik: „Das heißt, die Tatsache, dass unsere Welt so ist, wie sie ist, macht es nicht wahrscheinlich, dass es einen Gott im christlichen Sinne gibt.“ (S. 113).

Er knüpft an dieser Stelle an die moderne Wahrscheinlichkeitstheorie an, wie er insgesamt einem modernen, naturwissenschaftlichen Wissenschaftsbegriff folgt, um sich mit dem Thema seines Buches, dem Glauben auseinanderzusetzen. Und mit Glauben meint er tatsächlich den o. g. in einer bestimmten Weise verstandenen christlichen Gottesbegriff. So stehen denn auch im 8. Kapitel religiöse Erfahrungen in der Kritik, die eine Wahrnehmung des Übernatürlichen behaupten. Als epistemische Gründe für die Existenz Gottes können sie dem Autor nicht gelten, eher schon rückt er sie in die Nähe von Halluzinationen und damit den naturwissenschaftlich erklärbaren psychischen Störungen. Angesichts des sinnlosen Leids bleiben religionskritische Ansätze bestehen, denen Gott zum Problem wird.

So lautet denn auch die Überschrift des Nachwortes: „Ohne Gott leben“. (S. 151) Das Schlusskapitel kreist vor allem um zwei Themen. Es geht um Ethik und Moral und deren Begründung und um die „letzte Frage“, den Tod. Dabei kommt der Autor zumindest ohne den christlichen Gott aus. Eine normative Ordnung findet – in der Tradition von Habermas – ihre Legitimation allein durch Aushandeln und Konsens. Und ganz in der Tradition Epikurs verliert der Tod seinen Schrecken: „(…) Es ist möglich, auch ohne den Glauben an übernatürliche Wesen und Kräfte und ohne den Glauben an einen christlich verstandenen Gott zu leben. (…) Das ist der Preis des Erwachsenseins.“ (S. 160)

Das Buch hat seine Stärke darin, dem Weg von der Aufklärung, zu Moderne und Positivismus zu folgen. Diese Stärke ist zugleich seine Schwäche. Der Autor übersieht, dass auch der naturwissenschaftliche Rationalitätsbegriff der Moderne seine Grenzen findet. Er übergeht allzu schnell, dass es nicht nur im Bereich der Religion Erfahrungen gibt, die einem anderen Rationalitätsbegriff folgen, wie z. B. die Diskussion um ästhetische Erfahrungen und das Erhabene gezeigt haben. Nicht zuletzt übernimmt er einen Glaubensbegriff, der auf ein allzu eingeengtes Gottesbild abzielt und kann deshalb auch andere Spuren der Philosophie nicht aufnehmen, wie sie ausgehend von Martin Heidegger, aber auch von Kants Religionsschrift z. B. Gianni Vattimo und Jacques Derrida verfolgt wurden. Vor allem aber ignoriert er bewusst, dass Menschen offenbar gute Gründe haben zu glauben und dass diese guten Gründe viel mehr sind als unreifes Denken einer vormodernen Zeit.

Er fordert jedoch die Leserinnen und Leser auf, die Durchsichtigkeit schlichter Wahrheitsbehauptungen zu vermeiden, da die Vernunft im Glauben nicht ausgeblendet werden darf und soll. Interessant ist auch die Argumentation gegen die negative Theologie, die zwar darauf hinweisen kann, dass das menschliche Denken von Gottes Wirklichkeit nicht hinter die Formulierung der Begriffe zurückfragen kann, aber eben faktisch von der Existenz Gottes auszugehen hat. Wer sagt, man solle heute so glauben, als ob es Gott nicht gäbe, wie es Bonhoeffer 1944 aus der Haft geschrieben hat, betreibt letztlich das Spiel der Gottesleugner. Die Gottesbeweise jedoch, wie sie auch immer formuliert sein mögen, können nicht mehr beweisen als sie selbst voraussetzen und zeigen immer einen dem Glauben immanenten Zirkelschluss auf.

Glaube und Vernunft sollten im Gespräch bleiben. Dazu Anregungen und Denkstrukturen gegeben zu haben, ist das Verdienst der Religionsphilosphie, die Ansgar Beckermann zu Recht weiterentwickelt hat. Dass er zum Schluss selbst Position bezieht, spricht nicht gegen die Arbeit, sondern dafür. Im Sinne von William James bleibt die Aufgabe, sich für oder gegen einen Glauben zu entscheiden. Diese Entscheidung ist nicht a priori und nicht unveränderbar.

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Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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