Die Quellen der Kraft, Andacht fünf, Psalm 91, Kopf im Himmel – Füße auf der Erde, Christoph Fleischer, Werl 2014

Psalm 91 (Gute Nachricht Bibel)
1 Wer unter dem Schutz des höchsten Gottes lebt, darf ruhen bei ihm, der alle Macht hat. 2 Er sagt zum HERRN: »Du bist meine Zuflucht, bei dir bin ich sicher wie in einer Burg. Mein Gott, ich vertraue dir!« 3 Du kannst dich darauf verlassen: Der HERR wird dich retten vor den Fallen, die man dir stellt, vor Verrat und Verleumdung. 4 Er breitet seine Flügel über dich, ganz nahe bei ihm bist du geborgen. Wie Schild und Schutzwall deckt dich seine Treue. 5 Du musst keine Angst mehr haben vor Gefahren und Schrecken bei Nacht, auch nicht vor Überfällen bei Tag, 6 vor der Seuche, die im Dunkeln zuschlägt, oder dem Fieber, das am Mittag wütet. 7 Auch wenn tausend neben dir sterben und zehntausend rings um dich fallen – dich selber wird es nicht treffen. 8 Mit eigenen Augen wirst du sehen, wie Gott alle straft, die ihn missachten. 9 Du sagst: »Der HERR ist meine Zuflucht.« Beim höchsten Gott hast du Schutz gefunden. 10 Darum wird dir nichts Böses geschehen, kein Unheil darf dein Haus bedrohen. 11 Gott hat seinen Engeln befohlen, dich zu beschützen, wohin du auch gehst.
12 Sie werden dich auf Händen tragen, damit du nicht über Steine stolperst. 13 Löwen und Schlangen können dir nicht schaden, du wirst sie alle niedertreten. 14 Gott selber sagt: »Er hängt an mir mit ganzer Liebe, darum werde ich ihn bewahren. Weil er mich kennt und ehrt, werde ich ihn in Sicherheit bringen. 15 Wenn er mich ruft, dann antworte ich. Wenn er in Not ist, bin ich bei ihm; ich hole ihn heraus und bringe ihn zu Ehren. 16 Ich gebe ihm ein langes, erfülltes Leben; er wird die Hilfe erfahren, auf die er wartet.«

1 Wer unter dem Schutz des höchsten Gottes lebt, darf ruhen bei ihm, der alle Macht hat. 2 Er sagt zum HERRN: »Du bist meine Zuflucht, bei dir bin ich sicher wie in einer Burg. Mein Gott, ich vertraue dir!«

„Ein feste Burg ist unser Gott“ – Luther skizziert in Aufnahme dieses Bildes aus Psalm 91 die gefühlsmäßige Sicherheit des Glaubens in einer durch den Teufel bedrohten Welt. Luther versteht den Teufel nicht als Gegengott, sondern als das Prinzip der Gott entgegenstehenden Welt. Dadurch entsteht ein Dualismus, eine Gegenüberstellung von Gott und Welt. Man kann sagen: Durch Gott wird Welt. Nun werden Christinnen und Christen ebenfalls auf dieser Erde leben, aber eben nicht im Weltbezug, sondern im Gottesbezug.
Diese Aussage ist vielleicht etwas schwierig zu erklären, wenn man Gott als das Ganze des Lebens versteht. Aber es ist im Vollzug der einzelnen Lebenslinien eben durchaus nicht dasselbe, ob man sich an die Einzelheiten oder Spannungen des Lebens verliert, oder ob das Leben im Sinne des Ganzen geschieht.
Zunächst einmal ist das Ganze schlicht vorgegeben, wie man es sieht, wenn man das Leben als Geschenk dankbar annimmt. Ich lebe so wie das Ei, auf dem die Henne brütet, wie ein Fötus vom Mutterleib umgeben. Doch Himmel und Erde sind nicht zwei Welten. Himmel ist hier, wenn ich dem Grund des Lebens vertraue. Himmel ist hier, wenn ich mich tragen lasse von der Kraft, die mich umgibt. In Gott leben ist Ausdruck des Vertrauens. Das wird nun im Psalm im Einzelnen entfaltet. Der folgende Dialog kann als Selbstgespräch verstanden werden oder als ein Gespräch zwischen zwei Stimmen. Die eine Stimme ist die des Glaubens und die andere ist die Person, die die einzelnen Gefahren des Lebens durchlebt.

3 Du kannst dich darauf verlassen:
Der HERR wird dich retten vor den Fallen, die man dir stellt, vor Verrat und Verleumdung. 4 Er breitet seine Flügel über dich, ganz nahe bei ihm bist du geborgen.
Wie Schild und Schutzwall deckt dich seine Treue.
5 Du musst keine Angst mehr haben vor Gefahren und Schrecken bei Nacht,
auch nicht vor Überfällen bei Tag,
6 vor der Seuche, die im Dunkeln zuschlägt, oder dem Fieber, das am Mittag wütet.
7 Auch wenn tausend neben dir sterben und zehntausend rings um dich fallen – dich selber wird es nicht treffen.
8 Mit eigenen Augen wirst du sehen, wie Gott alle straft, die ihn missachten.
9 Du sagst: »Der HERR ist meine Zuflucht.« Beim höchsten Gott hast du Schutz gefunden.
10 Darum wird dir nichts Böses geschehen, kein Unheil darf dein Haus bedrohen.
11 Gott hat seinen Engeln befohlen, dich zu beschützen, wohin du auch gehst.
12 Sie werden dich auf Händen tragen, damit du nicht über Steine stolperst.
13 Löwen und Schlangen können dir nicht schaden, du wirst sie alle niedertreten.

Diese elf Verse haben eines gemeinsam: Sie schildern die Schutzerfahrung in unterschiedlicher Hinsicht. Einige Begriffe sind bildhaft symbolisch, lassen sich aber auch auf konkrete Erfahrungen beziehen. Die Schlinge des Jägers, daherfliegende Pfeile, ja sogar der Krieg. So wird die Gefahr auf die Todesangst hin gesteigert. Etwas allgemeiner ist „alles Verderben“ und die „Schrecken der Nacht“. „Pest“ und „Seuche“ lenken ab von der Bedrohung durch andere, als Frevler oder Feinde bezeichnet, hin zur Krankheit, die das Leben quasi von innen gefährdet.
Die Hauptaussage des inneren Dialogs ist: Du brauchst dich nicht zu fürchten. Das Gebet spricht in die Situation von Furcht und Angst hinein und nennt einige Angsterfahrungen stellvertretend beim Namen. Angst muss aus dem Schatten heraus. Sie sollte beim Namen genannt werden, dann verliert sie ihren Schrecken. Der Schrecken der Nacht verliert sich bei Tage und stellt sich auch als Täuschung heraus.
Die Schilderung der Bedrohungssituation wechselt ab mit Bildern des Bewahrens und Behütens.
Da ist zunächst das Bild eines großen Vogels, der seine Jungen mit seinen Flügeln beschützt und bedeckt. „Unter seinen Schwingen findest du Zuflucht.“ So wird es auch in einem Abendlied aufgenommen: „Breit aus die Flügel beide, o Jesu meine Freude und nimm dein Küchlein ein. Will Satan mich verschlingen, so laß die Englein singen, dies Kind soll unverletzet sein.“ (Paul Gerhardt/1647: Nun ruhen alle Wälder, Evangelisches Gesangbuch 477, Vers 8)
Dann ist es die Aussage, dass Gott selbst, der Höchste, Zuflucht und Schutz erweist. Es ist also kein indirekter Schutz, sondern ein direkter. Damit wir der erste Vers aufgegriffen: im „Schutz des Höchsten“. Die Schutzerfahrung ist die Bewahrung durch Gott, die Zusage seiner Gegenwart, die jede Angst vermindert.
Die weiteren Schilderungen sind allenfalls eine Verstärkung oder Verdeutlichung. Das gilt auch für die Engel. Engel sind Boten und Kräfte Gottes. Auch diese Schutzerfahrung wird auf eine konkrete Situation angewandt, die aber dann bildhaft symbolisch verstärkt wird, das Bild des Weges. Auf dem Weg kommt es also weder zu einem Unfall, zu einem Sturz, noch wird die äußere Bedrohung durch die Tiere eintreten. Durch die Hereinnahme der Wegerfahrung ist Gott nicht mehr auf einen Ort festgelegt, wie etwa den Tempel. Gottes Schutz ist universell, genauso auf dem Weg wie an einem Ort. Die Gegenwart Gottes wird zum überall gegenwärtigen Himmel.
Wichtig ist, von den Bildern ausgehend nach der Erfahrung der Präsenz Gottes zu fragen. Offensichtlich geht es nicht darum, angesichts der massiven Bedrohung eine Haltung der Vorsicht einzuüben. Selbst die härteste Schlacht ist ebenso denkbar wie der gefährlichste Weg.
Der eigentliche Effekt, den der Psalm wie die Gegenwart Gottes selbst bewirkt ist, im Einverständnis mit allem, was geschieht zu leben, sich jeder Bedrohung bewusst zu stellen und seine eigene Einstellung nicht durch Ängste zu verstellen. Es geht zugleich darum, nicht alle Bedrohung selbst beseitigen zu wollen. Gott nimmt sich dieser an und lässt die Gegner, die Feinde zu Fall kommen.

14 Gott selber sagt: »Er hängt an mir mit ganzer Liebe, darum werde ich ihn bewahren. Weil er mich kennt und ehrt, werde ich ihn in Sicherheit bringen. 15 Wenn er mich ruft, dann antworte ich. Wenn er in Not ist, bin ich bei ihm; ich hole ihn heraus und bringe ihn zu Ehren. 16 Ich gebe ihm ein langes, erfülltes Leben; er wird die Hilfe erfahren, auf die er wartet.«

Dem Beten, dem Reden zu Gott wird Antwort zuteil. Das ist keine direkte Antwort, sondern eine Zusammenfassung der Zusagen der Bibel, hier auch des Psalms. Das Bekenntnis des Beters, der Beterin wird mit der Zusage Gottes beantwortet. Hier wird noch der Name Gottes vorausgesetzt, der später durch die Bezeichnung HERR ersetzt wird. Der Name auf Hebräisch JHWH ist zu übersetzen mit „ich werde da sein“. Die Gegenwart Gottes ist seine Bedeutung, seine Nähe ist sein Heil. Wie hängt diese Nähe mit dem Glauben und dem Gebet zusammen? Die Nähe Gottes ist in Korrespondenz mit dem Glauben. Kann man auch sagen: Der Glaube an Gott ruft die Gottheit herbei? Fakt ist, dass nicht der Glaube die Antwort ist, sondern der Glaube ist Bitte um Gottes Nähe, und Gottes Handeln folgt daraus. Glaube ist also keinesfalls Antwort, wie es immer heißt, sondern Glaube ist Tat. Wo Vertrauen ist, da schenkt Gott seine Nähe. Wo Zuversicht ist, da gibt sich Gott zu erkennen. Wo jemand zu Gott ruft, werden er oder sie eine Antwort erhalten. Wer in Not ist und auf Gott vertraut, wer auf Gott wartet, wird Hilfe erfahren. Der Glaube wird mit einem langen Leben gesegnet. Ein wenig erinnern diese Aussagen an die Seligpreisungen nach dem Motto: „Selig sind die Leidtragenden, denn sie werden getröstet werden.“ (Matthäus 5,4). Die Kraft Gottes steht als Antwort auf die Bitte um Gottes Gegenwart neben dem Leben; sie entspricht dem Leben und drückt sich im Leben aus.
Was ist hier denn nun die Quelle der Kraft? Die Füße auf dem Boden und der Kopf im Himmel. Das Leben bewältigen und dabei den inneren Dialog führen, der zum Gebet werden kann. Im Gebet ist die Anrede „Gott“ und so ist Gott präsent. In dieser inneren Präsenz liegen die Kräfte, die zur Bewältigung des Alltags führen. Wenn wir nach der üblichen kirchlichen Lehre Gott außerhalb unserer Selbst suchen, stoßen wir bald auf den Widerspruch der mangelnden Gebetserhörung und auf die Frage des Leides, das Gott zulässt. Doch Gott ist nicht außen, sondern innen als Gegenüber im inneren Dialog. Dieser Gott ist nah im Glauben, und in dieser Nähe liegt zugleich die Kraft.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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