Die Predigt wird in der reformierten Kirche Soest am Sonntag Invokavit 2017 gehalten.
Genesis 3, 1-19
1 Die Schlange aber war listiger als alle Tiere des Feldes, die der HERR, Gott, gemacht hatte, und sie sprach zur Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? 2 Und die Frau sprach zur Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen. 3 Nur von den Früchten des Baumes in der Mitte des Gartens hat Gott gesagt: Ihr dürft nicht davon essen, und ihr dürft sie nicht anrühren, damit ihr nicht sterbt. 4 Da sprach die Schlange zur Frau: Mitnichten werdet ihr sterben. 5 Sondern Gott weiß, dass euch die Augen aufgehen werden und dass ihr wie Gott sein und Gut und Böse erkennen werdet, sobald ihr davon esst. 6 Da sah die Frau, dass es gut wäre, von dem Baum zu essen, und dass er eine Lust für die Augen war und dass der Baum begehrenswert war, weil er wissend machte, und sie nahm von seiner Frucht und aß. Und sie gab auch ihrem Mann, der mit ihr war, und er aß. 7 Da gingen den beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Und sie flochten Feigenblätter und machten sich Schurze. 8 Und sie hörten die Schritte des HERRN, Gottes, wie er beim Abendwind im Garten wandelte. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor dem HERRN, Gott, unter den Bäumen des Gartens. 9 Aber der HERR, Gott, rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Da sprach er: Ich habe deine Schritte im Garten gehört. Da fürchtete ich mich, weil ich nackt bin, und verbarg mich. 11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe? 12 Und der Mensch sprach: Die Frau, die du mir zugesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. Da habe ich gegessen. 13 Da sprach der HERR, Gott, zur Frau: Was hast du da getan! Und die Frau sprach: Die Schlange hat mich getäuscht. Da habe ich gegessen. 14 Da sprach der HERR, Gott, zur Schlange: Weil du das getan hast:
Verflucht bist du vor allem Vieh und vor allen Tieren des Feldes. Auf deinem Bauch wirst du kriechen, und Staub wirst du fressen dein Leben lang.
15 Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs: Er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihm nach der Ferse schnappen.
16 Zur Frau sprach er: Ich mache dir viel Beschwerden und lasse deine Schwangerschaften zahlreich sein, mit Schmerzen wirst du Kinder gebären. Nach deinem Mann wirst du verlangen, und er wird über dich herrschen.
17 Und zum Menschen sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem ich dir geboten hatte: Du sollst nicht davon essen! Verflucht ist der Erdboden um deinetwillen, mit Mühsal wirst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18 Dornen und Disteln wird er dir tragen, und das Kraut des Feldes wirst du essen. 19 Im Schweiß deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub kehrst du zurück.
Liebe Gemeinde,
dieser Bibeltext ist doch vielen sicher bekannt und in den Grundlinien geläufig. Ebenso bekannt ist, wie die Geschichte weitergeht: Gott verflucht die Schlange und vertreibt Adam und Eva und somit alle späteren Menschen aus dem Garten Eden bzw. dem Paradies.
Was uns die Bibel erzählt ist sehr kurz. Stellenweise so kurz, dass vor vielen Jahrhunderten sich schon die Rabbiner und jüdischen Schriftgelehrten fragten, wie denn einige Textstellen im Detail zu verstehen seien.
Ihre intensiven Überlegungen brachten sie auf Gedanken, die den kurzen Text ergänzten und teilweise weitere Geschichten ergaben zu Adam und Eva und den Geschichten im Alten Testament. Daher möchte ich heute mal etwas machen, das für Sie vielleicht ungewohnt sein mag, ich möchte Ihnen aus diesen Geschichten etwas vorlesen. Diese „rabbinischen Erzählungen“, wie man sie nennen kann, wurden kürzlich in einem Roman verarbeitet mit dem Titel „Das Buch Kain“ von Hansjörg Roth. Es ist nicht umsonst in biblischer Sprache gehalten, weil es so geschrieben ist, als wäre es eine Ergänzung oder Fortsetzung der Urgeschichte. Es ist zwar in erster Linie eine „Biografie“ Kains, setzt sich aber auch mit seinen Eltern, Adam und Eva, auseinander. Wie gesagt, was Sie jetzt hören, stammt zum großen Teil aus der rabbinischen Tradition; der Autor hat sie lediglich frei nacherzählt und etwas ausgeschmückt.
Ich lese zwei Abschnitte aus dem Buch „Das Buch Kain“ von Hansjörg Roth.
„Nachdem Eva von der Frucht gegessen hatte, fiel die strahlende Lichthülle, die sie bei ihrer Erschaffung bekommen hatte, von ihr ab wie Fetzen einer spröden Haut. Und sie stand da, nackt und bloß, und wusste nicht, ob sie sich vor ihrem Leib fürchten sollte. Da dachte sie an Adam und rief: „Adam, wo bist du?“
Da kam Adam herzu und wunderte sich sehr über Evas Blöße, denn sein eigener Leib war noch immer von einer Hülle umgeben. Und Eva erzählte was geschehen war.
„Weib, was hast du getan?“, rief Adam, „Nichts will ich damit zu schaffen haben.“
Eva erschrak. Wollte sich nun Adam von ihr wenden und sie verlassen? Oder würde sie wegen ihrer Tat sterben und El-ElohimGott-der Herr ein anderes Weib für Adam machen? Der Gedanke brach ihr fast das Herz. Deshalb sprach sie zu sich: Es gibt nur einen Weg dies zu verhindern: Auch Adam muss von der Frucht des Baumes essen. Denn sollten wir beide des Todes sein, so sterben wir gemeinsam, bleiben wir aber am Leben, so leben wir zusammen.
Doch dachte Eva auch an die Worte der Schlange, die gesagt hatte, dass ein jeder, der nachher erschaffen werde, den beherrsche, der ihm vorangegangen sei. Und Eva fürchtete, falls sie und Adam am Leben bleiben, dass El-ElohimGott-derHerr dereinst ein neues Wesen erschaffen könnte, dass sein Gebot besser befolgen würde, als sie es getan hatte, und dass dieses Wesen dann über sie und Adam herrschen könnte.
So wiederholte Eva die Worte der Schlange und sprach zu Adam, dass er das Gebot gewiss falsch verstanden habe, denn sie habe ja von der Frucht gegessen und sei dennoch unversehrt geblieben. Und dabei legt sie die Reste der Frucht in Adams Hand. Aber Adam, obgleich er insgeheim von Evas Leib entzückt war, sträubte sich gegen die Versuchung.
Da fürchtete Eva, Adams Wille könne am Ende stärker sein als der ihre, und flehte sie unter Tränen an […] und Adam biss in die Frucht. […] Da fiel auch von ihm die Lichthülle ab […]. Da sprach Adam: „Es ist nicht gut, dass wir uns so sehen. Darum lass uns wieder unsere Blöße bedecken.“
Und er ging von Baum zu Baum, um Blätter für eine Bedeckung zu pflücken. Aber die Bäume riefen: „Hinfort mir dir, der du ungehorsam warst. […]Von uns wirst du nichts bekommen.“ Da irrte Adam umher und bat jeden Baum, jeden Busch, ihn doch nicht zurückzuweisen. Und obgleich er ihnen auch drohte, verweigerten sich ihm die Bäume […], so dass sie für ihn unerreichbar blieben.
Nur nicht der Feigenbaum. Er verweigerte seine Äste nicht, sondern ließ Adam davon Blätter nehmen, so viele er wollte. Denn der Feigenbaum war der Baum des Erkennens und hatte den Menschen die Augen geöffnet.
Und hatte der Baum sich zu Anfang auch dagegen gewehrt, dass man ihn berührte, so hieß er es dennoch gut, dass der Mensch von seiner Frucht gegessen hatte, anstatt ein Leben zu fristen ohne jedes Erkennen und ohne jegliche Weisheit.“ (Hansjörg Roth: Das Buch Kain, Roman, Verlag Johannes Petri, Basel 2015, S. 175-177)
„Als Adam und Eva sich die Feigenblätter zu einer Bedeckung geflochten hatten, hockten sie sich unter den Baum und sahen einander an. Und während sie so dasaßen, erlangte Eva ihr erstes Erkennen. Nämlich, dass der Rat der Schlange ein schlechter gewesen war und ihnen nun gewiss den Zorn El-ElohimGott-desHerrn einbringen werde. […]
Und Eva erkannte, wenn nur sie und Adam des Todes wären, weil sie von der verbotenen Frucht gegessen hatten, wie leicht könnte El-ElohimGott-derHerr an ihrer Stelle einfach zwei neue Menschen erschaffen. Würden aber andererseits auch alle anderen Geschöpfe von der Frucht essen und damit dem Tod verfallen, um wie viel schwieriger wäre es dann für El-ElohimGott-denHerrn, auch sie nochmals neu zu erschaffen.
Und, so dachte Eva, um dieser großen Mühe willen würde es dann vielleicht sein, dass El-ElohimGott-derHerr nicht nur alle anderen Geschöpfe, sondern auch sie und Adam verschonen würde.
Deshalb erhob sich Eva von ihrem Ort, wo sie saß, hieß alle Geschöpfe zu sich kommen und gab ihnen von der Frucht zu essen.“ (S. 178)
Ich möchte die Lesung an dieser Stelle abbrechen, so wie wir uns anfangs ja auch einfach dort eingeblendet haben, als die vorherigen Ereignisse schon erzählt waren.
Zwei Dinge werden mir an dieser Geschichte deutlich, die einen Blick werfen lassen auf den Predigttext: Das erste ist das, was man in der Literaturanalyse die Perspektive nennt. Es ist mir selten so deutlich aufgefallen, wie von dieser Erzählung her, dass die Perspektive schon in der Urgeschichte die des Menschen ist. Von Gott ist die Rede wie von einem Gegenüber, dem wir sowohl das Leben verdanken, von dem aber auch der Tod droht als das Ende des lebendigen Daseins. Das Paradies, wie man ja den Garten Eden auch nennt, ist wie ein harmonischer und übertriebener Urzustand, der wie für das Kind im Mutterleib einmal zu Ende ist, wenn die Geburt da ist. Die sogenannte Austreibung aus dem Paradies ist die Geburt der Menschheit, so wie sie ist und wie wir sie kennen. Die sogenannten Strafen, die am Ende des Textes aufgezählt werden, sind Elemente unserer menschlichen Lebensbedingungen.
Das zweite, das mir aufgefallen ist, ist dass die Erzählung der Urgeschichte im Grunde nur eine Struktur bietet, die noch aufgefüllt werden muss durch Interpretation und Phantasie. Bezeichnend ist ja an dieser Erzählung im Roman „Das Buch Kain“, dass der Feigenbaum eigentlich der Baum war, um den es schon bei der Frage nach dem Baum der Erkenntnis ging. Es ist im Übrigen ja tatsächlich der einzige Baum, der beim Namen genannt wird, indem die Schurze von Adam und Eva tatsächlich daraus geflochten waren. Wenn man den Bibeltext mit ein wenig Vorstellungskraft liest, muss ja eigentlich klar sein, dass es genau der Baum war, unter dem sie sich befinden und der nun auch in der folgenden Geschichte eine Rolle spielt. Ach so, warum es sprechende Bäume gab? Gegenfrage: Wenn es schon sprechende Schlangen gab, dann sind sicher auch sprechende Bäume möglich. Es ist eben eine Erzählung.
Die rabbinischen Texte sprechen auch davon, dass im Paradies noch alle Tiere eine einzige Sprache gesprochen hätten, die auch der Mensch verstanden habe. Nach dem Sündenfall hingegen wurden auch alle Tiere aus dem Garten vertrieben; und erst seither hat jede Tierart ihre eigene „Sprache“, die der Mensch nicht mehr versteht.
Und so kann man weitermachen und durch das Lesen des Romans die eigene Lektüre hinterfragen. Die Möglichkeit sterben zu müssen, wird durch die Anwesenheit eines Todesengels verkörpert. Der Tod ist und bliebt immer ein Teil des Lebens.
Das Kapitel Genesis 3 ist eigentlich keine Geschichte eines Sündenfalls, sondern eine Illustration der Entdeckung der menschlichen Fähigkeit zur Erkenntnis. Nicht Gott selbst setzt den Menschen Grenzen, sondern diese sind im Leben selbst enthalten.
Die Frage ist schon: Wie wird sich Gott verhalten? Wird er im Paradies bleiben, oder wird er sich selbst in die Nähe des Menschen begeben? Dazu wird er seine Gestalt ändern müssen, um nicht ständig einen Konflikt zu provozieren. Gott der Schöpfer hat sich dazu entschieden, den Menschen die Freiheit zu geben und sie nicht in den Käfig des Garten Edens einzusperren. Die Tore des Paradieses sind verschlossen und werden es wohl bleiben.
Gott ist nun in der Nähe der Menschen. Gott ist im Himmel und zugleich auf der Erde. Die Menschen, so wie Gott sie geschaffen hat, sind zum Guten und zum Bösen fähig und können dies auch in den meisten Fällen unterscheiden. Zweifellos gibt es auch die Verhängnisse des Lebens, die kleine und große Schuld, ja im Extremen dann auch Verhältnisse und Gefängnisse, aus denen der Mensch den Weg nicht von selbst herausfindet bis hin zu den Katastrophen der Gewalt, der Kriegsverbrechen und des Völkermords.
Ich verstehe das christliche Bekenntnis so, dass es den Hang und die Fähigkeit zum Bösen realistisch erkennt und nicht beschönigt, daher auch zu Kritik und Selbstkritik fähig ist. Der Mensch kann und wird den Weg aus dem Bösen herausfinden, wenn er den Geist Gottes als den Geist des Lebens anerkennt. Aus der Verzweiflung des Einzelnen kann mich auch das Kollektiv nicht befreien. Nur wer den Glauben an den Grund des Lebens findet und bewahrt, kann den Weg zum Frieden finden.
Amen.
Lieber Vaags, bei meiner Predigt sollte sich die Begeisterung auch einstellen, tut es aber so nicht. Ich vermute, dass ich mich immer noch an der „Erbsünde“ abarbeite, anstelle einfach die Freiheit und ihre Folgen zu thematisieren. Ich persönliche habe dabei aber auch selbst einen Weg gehen müssen, indem ich mich zum Schluss gefragt habe, wo Gott denn nun ist, wenn er nicht mehr im Paradies ist. Ich habe christologisch gepredigt, ohne es deutlich zu benennen, weil ich das Messianische in Genesis 3 noch nicht so klar gesehen habe. Im Grund liegt es aber auf der Hand. Das Paradies kommt zu uns durch den Messias, durch Christus: „Gott ist gegenwärtig“.
Danke, ich hatte deine Predigt gelesen und habe am Samstagabend in der Heiligkreuzkirche von Pastor Geißen fast die gleiche Predigt gehört und erlebt. Am Sonntag in der Johanneskirche hat Herr Stephan Weyer eine ganz andere Auslegung gepredigt. Es erstaunt mich immer wie er es zustande bringt, seine Gemeinde zu begeistern. Aber auch Christoph Castorf hat eine andere Art seine Kirche zu füllen, Menschen zu bewegen wieder über Gott nach zu denken. Werde auch bald deine Predigt nicht nur lesen, sondern persönlich in deine Kirche dich erleben.
Danke