Leonard Cohen – „YOU WANT IT DARKER“. Zwischen Zweifel und Zuflucht, von Imke Schwarz

Mit diesem Beitrag möchte ich auf die Broschüre hinweisen: 

NOT DARK YET, Alter und Tod, Endlichkeit und Einsamkeit in Pop- und Rocksongs, 

Haus kirchlicher Dienste der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, Verantwortlich: Arbeitsfeld Kunst und Kultur, Dr. Matthias Surall, Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannover, 2018

Chorgesang aus Männerstimmen, fernes, langgezogenes Uuuh-uh, wie Rufe aus dem Jenseits. Der Gesang verebbt, ein beschwörender Elektrobeat, Herztönen gleich, rollt langsam heran. Dann ein Stopp, als würde der Atem angehalten. Der Chorgesang schwillt wieder an. Eine brüchige, tiefe Stimme, wie aus einem Grab dringt sie herauf:  

If you are the dealer, I’m out of the game
If you are the healer, it means I’m broken and lame
If thine is the glory then mine must be the shame
You want it darker / We kill the flame

Als Leonard Cohen den Song „You want it darker[1]aufnimmt, ist er bereits von Krankheit gezeichnet. Nur mit Hilfe seines Sohnes Adam gelingt in den Privaträumen des kanadischen Musikers in Los Angeles die Aufnahme des letzten, gleichnamigen Albums. Es erscheint 19 Tage vor dem Tod Leonard Cohens am 7. November 2016. Die Songs zeugen von seiner Auseinandersetzung mit dem baldigen Ende seines Lebens und dem Ringen mit dem, was bleibt und letzte Gültigkeit hat. „You want it darker“ ist Eröffnung und Epizentrum des Albums, Präludium und Deutungsschlüssel zugleich für die weiteren Songs. Es ist das Gebet eines Zweiflers, ein atheistischer Psalm. Das lyrische Ich setzt sich dem göttlichen Du direkt aus und lehnt sich dagegen auf: „Wenn du die Karten gibst, bin ich aus dem Spiel“. Die göttliche Ordnung wird von diesem Menschen hinterfragt. Er entzieht sich ihrer und geht damit –  stellvertretend für viele Menschen – einen noch dunkleren Weg, als Gott ihn schon durch die Setzung von Alter und Tod bestimmt hat: „Du willst es dunkler – wir töten die Flamme.“ In der Gegenwart Gottes, vor dessen Herrlichkeit und dessen heilender Kraft wird der Betende seiner Freiheit gewahr, sich von seinem Schöpfer ab- oder ihm zuzuwenden. Er (oder sie?) benennt die Gefahren dieser Freiheit und der Abkehr von Gott. Der Begegnung mit Gott verleiht Cohen in seinem Song christologische Züge: Die Menschen ehren Gottes Namen und kreuzigen ihn zugleich. In jedem Menschen, der keine Hilfe erfahren hat, leuchtet Christus auf, wird Gott gegenwärtig. Klagt an. Auf der anderen Seite klingt die Theodizee-Frage an: Warum hat Gott nicht eingegriffen? Wo blieb seine Hilfe? Die Gottesbilder wechseln vom allmächtigen Schöpfergott zum ohnmächtigen Gott in Christus am Kreuz. Ganz so, wie das Individuum die eigene Macht und Ohnmacht erfährt. Leonard Cohen spielt in dem Song nach eigener Aussage auch auf das Schicksal von Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden an:  

Magnified, sanctified, be thy holy name
Vilified, crucified, in the human frame
A million candles burning for the help that never came
You want it darker

Die Suche nach Gott bzw. nach einer höheren Macht in der Dunkelheit und an den Bruchstellen des Lebens: Leonard Cohen hat sie ein Leben lang praktiziert. Geboren als Sohn einer jüdischen Textilhändler-Familie, ist er zeit seines Lebens auf einer spirituellen Reise, lebt sogar einige Jahre in einem Zen-Kloster. Er kämpft mit Depressionen, schreibt bereits in jungen Jahren Songs, die sich mit dem Ende des Lebens auseinandersetzen. In seinem wohl berühmtesten Song “Halleluja”[2]besingt er die Zerrissenheit, mit der ein Mensch vor Gott tritt, der Ruf des Halleluja erschallt als großes Dennoch: „It´s not a cry that you hear at night, it´s not somebody who´s seen the light, it´s a cold and it´s a broken Halleluja.“Schon hier zeigt sich die Haltung des Musikers, der sich und die Welt als fragil und gottverlassen erlebt hat. Dennoch bleibt er verbunden, hält fest an dem, der ihn geschaffen hat, klammert sich an den Ursprung des Lebens. Hier singt einer, der die Macht von Dämonen kennt. In „You want it darker“ erzählt er mit feinem Humor von seinem Ringen mit ihnen und wiederum von der (zwiespältigen) Freiheit, die ihm geschenkt ist:

I struggled with some demons
They were middle class and tame
I didn’t know I had permission to murder and to maim
You want it darker

Im Zentrum des Songs steht ein wiederkehrender hebräischer Ruf, der die Hingabe und Bereitschaft ausdrückt, sich dem Willen Gottes zu unterwerfen. Er taucht im Alten Testament unter anderem auf, als Abraham seinen Sohn Isaak auf Gottes Geheiß opfern will. Dreimal bietet sich der Betende hier mit den Worten dar: Hineni – Hier bin ich. Er bringt Gott seinen Willen dar, beugt sich dessen mächtiger Präsenz: Einem Gott, der in biblischer Tradition hilflos ist und groß zugleich. Gekreuzigt, gemartert, wie vielleicht der Betende selbst: 

Hineni, hineni
I’m ready, my lord

You want it darker“ ist zum Vermächtnis von Leonard Cohen geworden. Für den Song ist er in mehrfacher Hinsicht zu seinen jüdischen Wurzeln zurückgekehrt: In der Zitation und Reflexion der Tora. In der Auswahl des Synagogenchores aus seiner Heimat Montreal, der den Gesang begleitet. Die jüdischen Einflüsse verschmelzen mit christlichem Gedankengut und weiteren Elementen aus einem breiten Strom philosophischer und religiöser Tradition zu einem musikalischen Testament: Letzte Worte eines Poeten, für den Melancholie niemals nur eine vorübergehende, selbstbezogene Stimmung war, sondern auch eine Haltung, mit der er als vergänglicher Mensch sich dem Unvergänglichen stellte. Ihm Zuwendung abtrotzte und Zuflucht suchte.

Im Dialog mit verschiedenen Zielgruppen lassen sich die Traditionen aufspüren, die in den Song eingeflossen sind. Die Transformation der Zitate und der Umgang Cohens mit seinem „Material“ bietet Anknüpfungspunkte für Gespräche im kirchlichen Kontext. Ebenso lässt sich der Song im Rahmen einer Passionsandacht verwenden – etwa in Kombination mit Jesu letzten Worten am Kreuz, die in ähnlicher Weise Zweifel und Gottverlassenheit vor den Schöpfer bringen. Collagiert mit weiteren biblischen Texten, z.B. aus dem Buch Hiob oder der Genesis (vgl. den „Hineni“-Ruf des Mose vor dem brennenden Dornbusch), wirkt der Songtext als ein Element im Gottesdienst. Leonard Cohens „dunkler Dialog mit dem Schöpfer“[3]ist ein Beitrag zu einer ars moriendi, wie sie in Zeiten der Verdrängung von Alter und Tod mehr denn je nötig erscheint: Die Kunst, sich den letzten Dingen zu stellen, mit ihnen in Zwiesprache zu treten und schließlich glauben und sagen zu können: „I’m ready, my lord.“ 


[1]Erschienen auf dem gleichnamigen Album 2016. Vollständiger Text unter https://www.songtexte.com/songtext/leonard-cohen/you-want-it-darker-1330b521.html. Abgerufen am 26. September 2018. 

[2]Erschienen 1984 auf dem Album „Various Positions“, vollständiger Text unter https://www.songtexte.com/songtext/leonard-cohen/hallelujah-7bdb72c0.html, abgerufen am 26. September 2018

[3]Titel des Beitrags von Gesa Ufer zu „You want it darker“ auf Deutschlandfunk Kultur, unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/leonard-cohen-you-want-it-darker-dunkler-dialog-mit-dem.1270.de.html?dram:article_id=370329

Von den ersten Menschen, weitererzählt von Kain, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017

Zu: Hansjörg Roth: Das Buch Kain, Roman, Verlag Johannes Petri, Basel/Schweiz 2015, gebunden, 321 Seiten, ISBN: 978-3-03784-064-1, Preis: 27,00 Euro

 

Um mal mit der Kritik zu beginnen: Der Roman über Kain beginnt wie ein Sachbuch mit einem Vorwort. Sicherlich ist der Inhalt dieses Vorworts eine notwendige Erklärung der editorischen Intention. Indem der Autor Hansjörg Roth rabbinische Geschichten nacherzählt und in den Kontext der fiktiv-erweiterten biblischen Erzählung einbaut, hat der Romantext in der Tat auch einen dokumentarischen Wert.

Die Zeittafel am Ende des Buches dokumentiert die Grundidee des Buches. Die 930 Lebensjahre Adams können wie eine frühe Menschheitsgeschichte gelesen werden. Diese 930 Jahre sind angefüllt mit den weiteren Nachkommen Adams und Evas einschließlich aller Kinder, Enkel, Urenkel usw. Dass die frühe Menschheitsfamilie mit allen Männern und Frauen untereinander verwandt war, ist wohl vom Grundgedanken anzunehmen. Da Kain seinen Bruder Abel getötet hat, hat er dessen Frau ebenfalls geheiratet und war dann mit seinen zwei Schwestern verheiratet. Davon ausgehend entwickelten sich mehrere Familien, wobei auch Adam und Eva ja Zeit genug hatten, noch weitere Nachkommen in die Welt zu setzen. „Von den ersten Menschen, weitererzählt von Kain, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen

Predigt über Genesis 3 mit Zitaten von Hansjörg Roth – Das Buch Kain, Christoph Fleischer, Welver 2017

Die Predigt wird in der reformierten Kirche Soest am Sonntag Invokavit 2017 gehalten.

Genesis 3, 1-19

1 Die Schlange aber war listiger als alle Tiere des Feldes, die der HERR, Gott, gemacht hatte, und sie sprach zur Frau: Hat Gott wirklich gesagt: Ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen? 2 Und die Frau sprach zur Schlange: Von den Früchten der Bäume im Garten dürfen wir essen. 3 Nur von den Früchten des Baumes in der Mitte des Gartens hat Gott gesagt: Ihr dürft nicht davon essen, und ihr dürft sie nicht anrühren, damit ihr nicht sterbt. 4 Da sprach die Schlange zur Frau: Mitnichten werdet ihr sterben. 5 Sondern Gott weiß, dass euch die Augen aufgehen werden und dass ihr wie Gott sein und Gut und Böse erkennen werdet, sobald ihr davon esst. 6 Da sah die Frau, dass es gut wäre, von dem Baum zu essen, und dass er eine Lust für die Augen war und dass der Baum begehrenswert war, weil er wissend machte, und sie nahm von seiner Frucht und aß. Und sie gab auch ihrem Mann, der mit ihr war, und er aß. 7 Da gingen den beiden die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Und sie flochten Feigenblätter und machten sich Schurze. 8 Und sie hörten die Schritte des HERRN, Gottes, wie er beim Abendwind im Garten wandelte. Da versteckten sich der Mensch und seine Frau vor dem HERRN, Gott, unter den Bäumen des Gartens. 9 Aber der HERR, Gott, rief den Menschen und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Da sprach er: Ich habe deine Schritte im Garten gehört. Da fürchtete ich mich, weil ich nackt bin, und verbarg mich. 11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, dass du nackt bist? Hast du von dem Baum gegessen, von dem zu essen ich dir verboten habe? 12 Und der Mensch sprach: Die Frau, die du mir zugesellt hast, sie hat mir von dem Baum gegeben. Da habe ich gegessen. 13 Da sprach der HERR, Gott, zur Frau: Was hast du da getan! Und die Frau sprach: Die Schlange hat mich getäuscht. Da habe ich gegessen. 14 Da sprach der HERR, Gott, zur Schlange: Weil du das getan hast:

Verflucht bist du vor allem Vieh und vor allen Tieren des Feldes. Auf deinem Bauch wirst du kriechen, und Staub wirst du fressen dein Leben lang.

15 Und Feindschaft setze ich zwischen dir und der Frau, zwischen deinem Nachwuchs und ihrem Nachwuchs: Er wird dir den Kopf zertreten, und du wirst ihm nach der Ferse schnappen.

16 Zur Frau sprach er: Ich mache dir viel Beschwerden und lasse deine Schwangerschaften zahlreich sein, mit Schmerzen wirst du Kinder gebären. Nach deinem Mann wirst du verlangen, und er wird über dich herrschen.

17 Und zum Menschen sprach er: Weil du auf die Stimme deiner Frau gehört und von dem Baum gegessen hast, von dem ich dir geboten hatte: Du sollst nicht davon essen! Verflucht ist der Erdboden um deinetwillen, mit Mühsal wirst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18 Dornen und Disteln wird er dir tragen, und das Kraut des Feldes wirst du essen. 19 Im Schweiß deines Angesichts wirst du dein Brot essen, bis du zum Erdboden zurückkehrst, denn von ihm bist du genommen. Denn Staub bist du, und zum Staub kehrst du zurück.

http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Masaccio%3A+Brancacci-Kapelle%3A+Vertreibung+aus+dem+Paradies?hl=vertreibung
Liebe Gemeinde,

dieser Bibeltext ist doch vielen sicher bekannt und in den Grundlinien geläufig. Ebenso bekannt ist, wie die Geschichte weitergeht: Gott verflucht die Schlange und vertreibt Adam und Eva und somit alle späteren Menschen aus dem Garten Eden bzw. dem Paradies. „Predigt über Genesis 3 mit Zitaten von Hansjörg Roth – Das Buch Kain, Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen

Alternativen zur objektiven Weltbetrachtung, Interview mit Gerhard Höberth, Christoph Fleischer, Welver 2017

Zu: Gerhard Höberth: Die Welt von innen, Genesis-1/ eine neu Interpretation, Reihe: Erkenntnisse aus dem Evolutionären Idealismus, cre-Astro Verlag, Wasserburg am Inn, 2016, Softcover, ISBN: 978-3-939078-07-3, Preis: 24,90 Euro

Gerhard Höberth schreibt in seinem Buch: „Ich glaube daran, dass in jeder Religion ein Kern steckt, der die Grundstruktur des Kosmos berührt. Ich glaube, dass man auf Wahrheiten stoßen kann, wenn man in religiösen Überlieferungen gräbt. Ich bin auf der Suche nach dem ‚geistigen Troja‘, der Essens in den spirituellen Systemen.“ (S. 34) Er verlässt m. E. an keiner Stelle den philosophischen Diskurs, womit die religiöse Wahrheitsfrage offen bleiben muss. Gott sieht er als spirituelle Kraft. Das Göttliche und das Weltliche dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden. Die Ebene des Rationalismus ist genauso wenig zu isolieren wie die religiöse Weltdeutung, die mythisch genannt wird.
Diese philosophischen Grundaussagen werden in diesem Buch an einem praktischen Bereich durchgespielt, der Schöpfungsgeschichte der Genesis in der Bibel. Bevor jedoch die hebräischen Buchstaben mithilfe der kabbalistischen Grundbedeutungen kombinierend erklärt werden, wird ein System des griechischen Philosophen und Mathematikers Pythagoras vorgestellt, mit dessen Grundstruktur die Aussagen der Genesis ontologisch gedeutet werden.

Christoph Fleischer: Du hast mit „Die Welt von Innen“ ein philosophische Buch vorgelegt, das du mit einer eigenwilligen Interpretation des ersten Kapitels der Bibel „Genesis 1“ verbindest.
Wirklich aus einem Guss scheint mir nur der zweite Teil des Buches zu sein, der mit den Vorstellungen von Pythagoras beginnt, denn du kommst bei der Interpretation der Bibel auf die Sätze des Pythagoras und andere Sätze der antiken griechischen Philosophie zurück. „Alternativen zur objektiven Weltbetrachtung, Interview mit Gerhard Höberth, Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen

Originelle Nacherzählung der Bibel, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016

Zu: Guus Kuijer: Die Bibel für Ungläubige, Erster Band: Der Anfang, Genesis, aus dem Niederländischen von Anna Carstens und Angela Wicharz-Lindner, Reclam Taschenbuch Nr. 20391, Philip Reclam jun. Verlag, Stuttgart 2016, 319 Seiten, ISBN: 978-3-15-020391-0, Preis: 9,95 Euro

Guus Kuijer ist 1942 geboren. Er ist ein in den Niederlanden bekannter Kinderbuchautor, der auch internationale Preise wie den „Astrid Lindgren Memorial Award 2012“, sowie zweimal den „Deutschen Jugendbuchpreis“ erhalten hat. Die „Bibel für Ungläubige“ ist bereits in zwei Hardcoverbänden auf Deutsch erhältlich, Genesis und Exodus und nun in der preiswerten Taschenbuchausgabe auch für den kleinen Geldbeutel erschwinglich. „Originelle Nacherzählung der Bibel, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2016“ weiterlesen