Humanismus-Kritik Heideggers, Rezension Christoph Fleischer, Welver 2017

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Martin Heidegger: Über den Humanismus, Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1949, 11. Auflage 2010, Preis: 9,80 Euro

 

Diese Einzelschrift „Über den Humanismus“ ist im Band 9 der Martin Heidegger Werkausgabe enthalten, die auch unter dem Titel „Wegmarken“ als Aufsatzband in der roten Reihe des Verlages Vittorio Klostermann für 19,80 Euro erhältlich ist. Es sind Aufsätze, die von 1919 bis 1961 erschienen sind, also eine Entwicklung der Philosophie Heideggers nachzeichnen können. Der Text der Einzelausgabe ist wort- und seitengleich. Redaktionelle Veränderungen gegenüber der Erstausgabe von 1949 sind als Anmerkungen notiert. Was allerdings fehlt, ist die Übersetzung der französischen Textteile, die im Original enthalten sind. Ein großer Nachteil ist auch, dass im Einzelheft die Seitenzahlen der Werkausgabe fehlen, die für ein fachlich orientiertes Zitieren notwendig wären.

 

Der Brief, auf den Heidegger antwortet, stammt von Jean Beaufret (Paris). Zitate aus dem Brief Beaufrets werden im Französischen wiedergegeben. Jean Beaufret setzt sich in seinem Brief mit Jean Paul Sartre auseinander und fragt Heidegger nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu dem französischen Mitbegründer des Existenzialismus.

Aus einer Kritik des Existenzialismus wird bei Heidegger eine Kritik des Humanismus. Mit diesem Begriff muss wohl zuerst eine zeitgenössische Strömung gemeint sein, obwohl im weiteren Verlauf des Textes auch ein kurzer Abriss der Geschichte des Humanismus von der Antike an gegeben wird.

Ich resümiere kurz, was Heidegger am Humanismus kritisiert. Er stellt die Frage, worin die Menschlichkeit des Menschen besteht und beantwortet die Frage damit, sie bestehe in seinem Wesen. (Vgl. S. 11). Dabei wird deutlich, dass Heidegger gar nichts gegen Menschlichkeit hat, diese eher stark machen will. Was er kritisiert, ist die Ideologisierung dieser Wertvorstellung. Er meint, es sei nicht nötig, dem Leben des Menschen einen gedanklichen Überbau zu geben, sondern die Menschen sollen sich seiner Meinung nach mit dem Sein-selbst zufriedengeben. Diese Argumentation entspricht Heideggers Metaphysikkritik.

Auffällig ist, dass sich Martin Heidegger im Lauf seiner Argumentation mehrfach positiv auf seine Hauptschrift „Sein und Zeit“ bezieht. Von einer Abkehr von „Sein und Zeit“ kann im Lauf der Entwicklung Heideggers also keine Rede sein. Einige Stichworte, die man im Werk Heideggers weiterverfolgen könnte, sind: „das Denken des Menschen“ (S. 8), „das Sein“ (S. 8), „die Öffentlichkeit“ (S. 9) „die Wahrheit des Seins“ (S. 20), „die Geschichte“ (S. 27) sowie „die Dimension des Heiligen“ (S. 43). Es ist anzunehmen, dass Heidegger in der Kritik an der humanistischen Weltanschauung auch den Nationalsozialismus einschließt, denn „das ‚Deutsche’ ist nicht der Welt gesagt, damit sie am deutschen Wesen genese, sondern es ist den Deutschen gesagt, damit sie aus der geschickhaften Zugehörigkeit zu den Völkern mit diesen weltgeschichtlich werde.“ (S. 30)

Er vermeidet allerdings eine explizite Erwähnung des Nationalsozialismus, obwohl allen klar sein müsste, dass diese oft vordergründig mit humanistischen Vokabeln operiert haben, wenn es etwa heißt: „Jeder Nationalismus ist metaphysisch ein Anthropologismus und als solcher Subjektivismus.“ (S. 33). Eine Suche nach Argumenten, die sich vom Nationalsozialismus absetzen, ist im Werk Heideggers eine Frage von Indizien, wie die zuvor ausgewählten Zitate.

Heidegger argumentiert oft mit Grundbegriffen und verbreitet so eine Atmosphäre der Allgemeingültigkeit. „Der Mensch ist der Hirt des Seins.“ (S. 34) Der Umgang mit Begriffen, die ein suffix mit „-ismus“ erhalten, ist schwierig, da sie einfach damit ausdrücken, dass sie etwas Wesentliches meinen.

Durch die im Argumentationsgang dargestellte Allgemeingültigkeit gibt es im Verlauf dieses Aufsatzes Sätze, die nicht nur plausibel klingen, sondern es wahrscheinlich auch sind. Inwieweit sie wirklich zu einer ideologiekritischen Haltung führen können, muss die weitere Untersuchung im Werk Heideggers zeigen. Ich zitiere einige solcher Sätze bewusst ohne Seitenzahlen, da mir die Seitenzahlen der Werkausgabe nicht vorliegen:

 

„Jeder Humanismus gründet entweder in einer Metaphysik oder er macht sich selbst zum Grund einer solchen.“

„Die Umkehrung eines metaphysischen Satzes bleibt ein metaphysischer Satz.“

„Es gibt nicht ein ‚systematisches Denken‘ und daneben zur Illustration eine Historie der vergangenen Meinungen.“

„Alles Widerlegen im Felde des wesentlichen Denkens ist töricht.“

„Aber weist denn das ‚Gegen‘, das ein Denken gegenüber dem gewöhnlich Gemeinten vorbringt, notwendig in die bloße Negation und in das Negative?“

„Wenn man vollends ‚Gott‘ als den höchsten Wert verkündigt, so ist dies eine Herabsetzung des Wesens Gottes.“

 

Fazit: Diese Zitate belegen m.E., dass Heidegger eine eindeutige und klare Einordnung des Humanen als Ideologie entweder nach den Kriterien einer Erbsünde oder einer moralischen Qualität ablehnt. Aus der Ablehnung eines Arguments folgt nicht automatisch dessen Gegenteil. Wenn man ein Wort wie Gott oder Mensch mit der Einstellung eines Werts verbindet, geht es in der Konsequenz nicht mehr um Gott oder Menschen, sondern um die dahinterstehenden Ideen und Werte. Bei Heidegger wird die Geschichte wird als eine Abfolge von Meinungen der jeweilig interessierten Autoren destruiert. Gleiches gilt für die Theologie, deren Gottesbild das Bild der Werte ausdrücken soll. Aber sind es nicht gerade die Werte, die in der Konsequenz des Nationalsozialismus und der Kriege, heute auch des Rassismus und der Globalisierung für die Menschheit lebensnotwendig erscheinen? Folgt aber aus der Meinung Heideggers wirklich die Abwertung aller Werte? Geht es ihm nicht eher darum, dass die Werte vorgeschoben sein können und das humane Sein und Leben im Lebensbezug der Wirklichkeit entziehen.

In der Gegenwart ist ebenso wie damals in der Nachkriegszeit erneut eine Diskussion um Werte aufgekommen. Über eine Diskusethik wird man dadurch aber nicht hinauskommen. Dazu könnte man als Beispiel das angebliche Recht auf Leben in der Frage der Empfängnisverhütung oder die Frage der Vielfalt allen Lebens durch die Eingrenzung auf monogame Lebensformen anführen, auch wenn Heidegger andere Beispiele angeführt hätte. Auch die Diskussion um das humane Lebensende ist manchmal mehr ideologiebelastet, als das es aus menschlicher Sicht weiterhilft. Ethische Themen sind allerdings immer der Aktualität entnommen und stehen unter einem ähnlichen Vorbehalt, dass sie durch die aktuelle Diskussion vorgeprägt sind. Ich finde Heidegger Argumentation hilfreich, wo sie unsinnige Polarisierungen aufbricht und entwertet. Das Wort Nihilismus ist eher ein Prinzip seiner Argumentation als dass er selbst nihilistisch wäre.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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