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Benjamin Balint: Kafkas letzter Prozess, aus dem Englischen von Anne Emmert, Berenberg Verlag, Berlin 2019, gebunden, 336 Seiten, ISBN: 978-3-946334-48-4, Preis: 25,00 Euro
Der im Titel angesprochene Prozess ist keine Neuauflage eines der Bücher Kafkas, sondern ein Prozess um sein Erbe im Land Israel. Das Buch von Benjamin Balint über Franz Kafka ist kunstvoll komponiert, indem es zwischen der Darstellung des Prozesses vor dem Obersten Gerichtshof Israels im Jahr 2016 und seiner Vorgeschichte mit den biografischen Skizzen zu Franz Kafka und seinem Freund Max Brod wechselt.
Max Brod lebte, genau wie Kafka, ebenfalls in Prag und war Schriftsteller und späterer Herausgeber der Werke Kafkas. Da er auch die unveröffentlichten Skizzen Kafkas z. B. des Romans „Der Prozess“ für Weltliteratur hielt, nahm er sie an sich und veröffentlichte sie auch gegen den ausdrücklichen Willen von Franz Kafka posthum, der 1924 in Prag im Alter von nur 41 Jahren an Tuberkulose verstarb.
Der Roman Balints erzählt nicht nur die Facetten der Freundschaft mit Max Brod, sondern auch deren gemeinsames Interesse am israelitischen Zionismus. Kafka war im Gegensatz zu einem eher bürgerlich/westlich orientierten Judentum, zu dem auch seine Eltern gehörten, auch an den kulturellen Darbietungen des Diasporajudentums aus Osteuropa interessiert. Er war beispielsweise Anhänger eine jiddisch sprechenden Theatergruppe, die regelmäßig in Prag auftrat.
Max Brod und seine Frau Elsa sind 1939 mit buchstäblich dem letzten Zug über Polen und das Schwarze Meer nach Israel geflohen. Auf dieser Flucht trug er persönlich einen Koffer mit den Notizen Franz Kafkas. Dort starb in der Zwischenzeit seine Frau (1942).
Max Brod starb erst im Jahr 1968.Das gesamte Erbe Max Brods, dessen erste Ehe kinderlos blieb, gelangte über Schenkung und Erbe in den Besitz seiner späteren Lebensgefährtin Ester Hoffe, die er in Tel Aviv, Israel, kennengelernt hatte.
Der Autor lässt bis zum Ende des Buches offen, ob er das Urteil des israelitischen Gerichtshofes im Jahr 2016 für richtig hält, die Schriften der israelitischen Nationalbibliothek in Jerusalem zu geben und somit die Erben der Nachkommen Esther Hoffe zu enteignen. Juristische und persönliche Fragen und Probleme vermischen einander.
Die Leitfragen lauten: Ist Franz Kafkas Erbe ein Erbe der jüdischen Diaspora? Ist Israel als Staat vielleicht sogar der Rechtsnachfolger des durch den Holocaust untergegangenen Judentums auch dann, wenn es in Deutsch verfasst ist?
Das Buch schildert die Biografie Kafkas und seines Freundes Max Brod und stellt sie in den Kontext der unheilvollen und traurigen Geschichte des Judentumes in Europa. Interessant und lebendig erzählt, ist es spannend und informativ zugleich, eine Zeitreise, die die Vergangenheit mit der Gegenwart verbindet.
Das Buch hat im zweiten Teil über 50 Seiten Anmerkungen, je ein Werkverzeichnis Max Brods und Franz Kafkas, sowie ein ausführliches Literaturverzeichnis.