Liebe Gemeinde,
es gibt Geschichten, die wir Menschen brauchen, um nicht an den nackten Wahrheiten der Wissenschaften zu Grunde zu gehen. Es gibt Erzählungen, die bleiben, wohingegen sich die Erkenntnisse der Wissenschaften wandeln und zu immer neuen Wissensgeschichten führen. Glauben und Wissen schließen sich nicht aus, sondern bleiben notwendig aufeinander bezogen. Die Wissenschaft braucht den Glauben als Begrenzung, damit sie nicht selbst zum Glauben wird und der Glaube braucht Sprache: Verstehen, Vernunft und Wissen, damit er kommunizierbar ist.
Der Glutkern der biblischen Geschichte von der Erschaffung des Menschen wärmt, brodelt und glüht bis heute. Der Mensch ist Teil einer großen Ordnung, Teil eines großen Ganzen und hat darin eine besondere Aufgabe.
Gott macht den Menschen aus Staub von der Erde
„Von Erde bist du genommen Mensch und zur Erde sollst du wieder werden. Erde zu Erde, Asche zu Asche, Staub zum Staub.“
Wir sind aus Erdenstaub gemacht. Wir sind irdisch, wir sind Teil der Erde. Unser Körper ist aus Elementen der Erde zusammengesetzt. Wir haben nicht nur einen Leib, wir sind Leib. Unsere Existenz ist leiblich, ist irdisch, ist bedürftig, ist vergänglich. Wir sind Leib. Den Menschen gibt es nur im Plural. Wir brauchen Nahrung, Berührung, das soziale Miteinander. Da wir leiblich sind, sind wir wie die Erde den äußeren Bedingungen der Umwelt ausgesetzt. Wir wachsen, wir blühen, wir vermehren uns, wir werden geprägt durch Wind und Wetter, durch Erziehung und Teilhabe und am Ende vergehen wir wie eine Blume auf dem Feld. Der Leib ist uns als Existenzform vorgegeben.
Vom Odem des Lebens beseelt
Wir sind nicht nur Leib. Wir sind beseelter Leib. Mit dem Odem Gottes wird der Leib zum Leben erweckt und bleibt lebendig. Solange wir atmen sind wir lebendig, aber Atmen allein als lebenswichtige Funktion des Körpers beschreibt den Vorgang des zum Leben erweckten Menschen rein mechanisch. Dadurch, dass Gott seinen Odem in die Nase des Menschen bläst, wird der Leib aus Erde beseelt. Die Seele des Menschen ist sein Geist. Der Mensch ist eine Schöpfung Gottes aus Leib, Seele und Geist. Wir sind leib-seelische- geistige Wesen.
In den Garten gesetzt
Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden. Das sollte sein Lebensraum sein.
Ein Garten ist ein Stück befriedeter Natur. Es wächst und blüht. Alles hat seine Ordnung. Der Garten ist geschützt. In diesem geschützten Garten Gottes ist der Mensch zu Hause. Von Anfang an gehört zum Menschsein schöpferische Arbeit. Die Schönheit des Gartens soll erhalten bleiben. Der Garten wird gehegt und gepflegt. Kultur und Kunst gehören zum Menschsein. Die besondere Aufgabe des Menschen als Teil der Schöpfung ist es, den Garten zu bebauen und zu bewahren.
Liebe Gemeinde,
wie aktuell diese Geschichte ist, dass Gott dem Menschen die Aufgabe zugeteilt hat, den Garten Eden zu bebauen und zu bewahren, brauch ich gar nicht ausführen.
Wir leben zwar nicht mehr im Garten Eden (im Paradies) und der geographische Ort des Garten Edens, der im heutigen Irak und Syrien liegt, ist von Panzerspuren durchfurcht, liegt in Trümmern und ist zerstört, – genau das Gegenteil von einem blühenden Garten! –, der Pflanzen, Bäumen, Tieren und Menschen Schutz gewährt, doch der Auftrag bleibt, auch dieses Stück Land wieder zum Blühen zu bringen. In der Erzählung vom Anfang liegt auch eine Verheißung für heute und morgen.
Sein zum Tode
Der Mensch, eingedenk seiner Sterblichkeit und der Gefahren des Todes, eingedenk auch der Gewalt, der Machtspiele, der Ungerechtigkeit, lebt in Sorge. Für den Philosophen Martin Heidegger ist die Sorge die Existenzform des Menschen. Dahinter steht die Wahrnehmung, dass der Mensch das einzige Wesen auf der Erde ist, der um seine Endlichkeit weiß. Diese Sorge wird von Martin Heidegger herausgearbeitet als „Sein zum Tode“. Diese Sorge macht ihn nicht nur produktiv, um Gefahren abzuwehren, sondern lähmt ihn auch, blockiert sein Bewusstsein, lässt ihn resignieren.
Wie sehr die Sorge um sich greift und Menschen besetzt, erleben wir gegenwärtig in der Corona-Pandemie. Unabhängig davon, wie wir die Gefahren der Pandemie einschätzten und abzuwehren versuchen, streben wir eine Sicherheit an, die möglichst absolut sein soll. Es gibt aber nur relative Sicherheit. Es gab noch keine Zeit im Leben der Europäer, die so sicher war wie heute. Doch durch vermeintliche Steigerung der Sicherheit im Namen der Gesundheit wird die Sorge nicht kleiner, sondern immer größer. Was das für langfristige Folgen für uns als Gesellschaft hat, ist noch gar nicht abzusehen.
Sein zum Leben
Unsere Erzählung von der Erschaffung des Menschen erinnert uns an den Anfang und an die Bestimmung des Menschen. Der Mensch ist eine leib-seelisch-geistiges Wesen und lebt in den guten Ordnungen Gottes. Dass es Tag und Nacht gibt, die Jahreszeiten, dass die Welt sich weiterdreht und Gott das Leben erhält ist ein unendlicher Trost in aller Sorge, Trauer und Angst. Die jüdische Lyrikerin Mascha Kaleko dichtet:
Die Nacht
In der das Fürchten
Wohnt
Hat auch
Die Sterne und den Mond
Der christliche Glaube setzt der Sorge das Vertrauen in Gottes Treue entgegen. Es ist das Vertrauen, dass Gott, der gute Schöpfer, seine Schöpfung erhalten wird. Jetzt ächzt, stöhnt und seufzt die ganze Schöpfung, wenn aber die Kinder Gottes offenbar werden (Paulus), die, die heute gegen allen Augenschein bauen und bewahren, dann wird eine neue Schöpfung geboren: Das Alte wird vergehen, Neues wird werden und das nicht erst am Ende der Zeiten, wo Gott seine ganze Schöpfung heimholt, wo wir in Einheit und Frieden leben werden, sondern schon heute, hier und jetzt, wo Menschen die Sorge hinter sich lassen und ihre Bestimmung schöpferisch tätig zu sein, leben.
Wir sind begrenzt und haben Grenzen. Wir sind irdisch und haben für die Erde eine Verantwortung. Wir sind himmlisch, mit Seele und Geist ausgestatten – in Verbindung mit Gott – wir können vertrauen. Amen