Offenbarung als Ausgang der Theologie? Notizen zu Franz Rosenzweig „Atheistische Theologie“, Christoph Fleischer, Welver 2021

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Literatur: Franz Rosenzweig: Atheistische Theologie, in: Kleinere Schriften, Schocken Verlag, Jüdischer Buchverlag 1937, später auch als Band III, Franz Rosenzweig, gesammelte Werke.

Durch diesen Aufsatz wird Franz Rosenzweig im Jahr 1914 persönlich mit Martin Buber bekannt. Allerdings hat Buber den Aufsatz unveröffentlicht zurückgeschickt.

Auch die spätere Schriftensammlung „Zweistromland. Kleinere Schriften aus Religion und Philosophie“ (Philo Verlag 1926, jetzt als Reprint bei Amazon), die vollständig in die o. g. Ausgabe aufgeht, enthält den Aufsatz „Atheistische Theologie“ nicht.

Das Wort „Atheistische Theologie“ war bis dahin kaum bekannt, Franz Rosenzweig zeigt jedoch, was damit gemeint ist. Zunächst war mir selbst nicht klar, ob der Autor selbst eine solche „Theologie“ befürwortet oder sich davon abgrenzt, was wohl eher der Fall ist.

In den letzten vier Sätzen des Aufsatzes zeigt Franz Rosenzweig, dass die Zukunft weder im Christentum noch im Judentum in einer „atheistischen Theologie“ liegen kann, ohne damit allerdings die Ergebnisse der philosophischen Religionskritik in Frage zu stellen. Ausweg ist nun der Begriff „Offenbarung“ als „geschichtliche Tat“, die die „Geschichtlichkeit der Geschichte“ in Kraft setzt. (Ich habe das absichtlich so zitiert, um aufzuzeigen, dass diese positive Theologie immer von ihrer Definition abhängig ist.)

Später wird er bis zu seinem Tod im Jahr 1929 die hebräische Bibel ins Deutsche übersetzen. Im Grunde wird es also wie auch bei Rudolf Bultmann zu einem hermeneutischen Ansatz der Bibelauslegung führen, bei dem sich die Schrift mit Blick auf den historischen Kontext selbst auslegt.

Formal gesehen ist eine „atheistische Theologie“ nötig geworden, seitdem in der Theologie wissenschaftliche Voraussetzungen definiert wurden, was seit der Aufklärung der Fall ist. Schlicht gesagt geht es dabei einerseits um die Geschichte der historisch orientierten Exegese (z. B. Leben-Jesu-Forschung), die mit Albert Schweitzer als gescheitert gilt, zumindest soweit sie meinte, ein authentisches Leben Jesu rekonstruieren zu können.

Franz Rosenzweig wechselt in seinem Aufsatz immer wieder von der christlichen Exegese hin zum jüdischen Selbstverständnis, indem er hierbei gemeinsame Tendenzen entdeckt.

Dies soll kurz am Beispiel des Mythos aufgezeigt werden: „… die rationalistische Vermenschlichung der Christusgestalt zum Jesus der Leben-Jesu-Theologie …, wurde in der Judenvolks-Theologie zum Hebel der rationalistischen Vergötterung des Volks“ (S. 284) (Dieser Satz richtet sich vermutlich an Martin Buber, der in seinen Reden über das Judentum betont, das Judentum sei in erster Linie als Religion zu verstehen und nicht als Volk, Staat oder Land, das dieser Vollendung entgegensieht. Die Vision einer Neuansiedlung in Palästina nahm am Ende des 19. Jahrhunderts immer konkretere Formen an.)

So wie einerseits Christus zum Gottesbild wird, wird im Judentum der Gottesbund, religiös gefeiert und zum Glaubensinhalt erklärt (d. meint, dass die religiöse Feier sich selbst erklärt bzw. selbstreflexiv definiert).

Die „Offenbarung“ wird sich als „Mythologie“ erweisen. Der Mythos ist ein Bild der Geschichte und wird benötigt, um die Bedeutung der religiösen Inhalte zu untermauern.

Die „atheistische Theologie“, so Rosenzweig, zeigt, was unter Verzicht auf den Mythos übrigbleibt. Franz Rosenzweig betont aber auch zu Recht, dass das „Über“ – Menschliche (Gottes) dem Menschen gegenüber wie ein Spiegel funktioniert. Vermutlich werden hier wie dort Projektionsinhalte auf Judentum oder Christentum angewandt.

Erst ganz gegen Ende des Aufsatzes erscheint die Mystik als Alternative, wobei Rosenzweig vermutlich auch hier wieder an Martin Buber selbst gedacht hat, der die Mystik der Chassidim erforscht und Beispiele veröffentlicht hat. Rosenzweig zeigt, dass in der Mystik zwar Gott auch an die Menschengestalt gekoppelt wird, dennoch aber unverfügbar und göttlich bleibt und zitiert ein Beispiel der jüdischen Mystik: „Gott spricht: wenn ihr mich nicht bezeugt, so bin ich nicht.“ (S. 289)

Der am Anfang zitierte Schlussabschnitt wird hier mit einem ausführlichen Schachtelsatz eingeleitet, der an die von Sören Kierkegaard bekannte Rede von einer Kluft erinnert, die das religiöse Erleben erst möglich macht. Analogien auf christlicher Seite lassen sich in der dialektischen Theologie Karl Barths finden.

Doch anstelle zwischen Gott und Mensch liegt die Kluft hier zwischen rationalem Glaubensverständnis einschließlich der Differenz zwischen Mystik und Rationalismus und dem Verständnis des Menschen als Empfänger der Offenbarung.

Meines Erachtens hat Martin Buber den Aufsatz zu Recht zurückgewiesen, weil der Schluss letztendlich argumentativ nicht genügend ausgearbeitet worden ist. Mystik lässt sich nicht vorschnell mit dem Gegenteil von Rationalismus gleichsetzen. Andererseits ist der Begriff der Offenbarung doch bei Rosenzweig zu sehr an der Geschichtlichkeit orientiert, sie offenbart also hauptsächlich die Differenz zwischen Gott und Mensch. Die positiven Inhalte der „Offenbarung“ bleiben unter Projektionsverdacht, was Rosenzweig hier nicht erkennt. Hierzu sei einmal auf das Buch „Moses“ von Martin Buber verwiesen, mit der er die Übersetzungsarbeit am Pentateuch quasi auswertet, und einen politischen Anführer entdeckt, dem die religiöse Verbindung wichtig ist. Mose ist für Buber der Erfinder eines Bundesgesetzes, das mit dem Kult ein Volk zusammenführt und bildet.

Es folgt nun die Dokumentation des Textes von Franz Rosenzweig als PDF, entnommen der Ausgabe von 1937 (s.o.).

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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