Ein Pfarrer in unserer Gegend erzählte mir vor längerer Zeit von der Frage eines seiner Konfirmanden: „Jesus ist doch an einer Krankheit gestorben?“ Gegenfrage des Pfarrers: „Wie kommst Du denn darauf?“ Der Konfirmand: „Jeden Sonntag wird doch gesprochen: ‚Gelitten unter Pontius Pilatus‘“.
Eine Krankheit ist für Betroffene nichts Positives. Gilt das auch für den Menschen Pontius Pilatus, der Jesus zum Tod am Kreuz verurteilt hat? Blutrichter oder Werkzeug Gottes in dessen Heilsplan mit uns Menschen? Immerhin hat er es als einziger Mensch außer Maria in unser Glaubensbekenntnis geschafft.
Alle vier Evangelisten berichten über ihn, wobei diesen teils unterschiedliche Aspekte wichtig sind. Da die Texte sehr lang sind, hören wir Auszüge aus Lukas, Kapitel 22, Verse 66 – 71 u. Kap. 23, 1 – 25 aus der Luther-Bibel:
66 Und als es Tag wurde, versammelte sich der Rat der Ältesten des Volkes – Hohepriester und Schriftgelehrte -, und sie führten ihn vor den Hohen Rat.
70 Da sprachen sie alle: Bist du der Sohn Gottes? Er sprach zu ihnen: Ihr sagt es, ich bin es. 23,1 Sie führten ihn vor Pilatus 2 und fingen an, ihn zu verklagen. Wir haben gefunden, dass dieser unser Volk aufhetzt und verbietet, dem Kaiser Steuern zu geben, und spricht, er sei Christus, ein König.
3 Pilatus aber fragte ihn: Bist du der Juden König? Er antwortete ihm: Du sagst es. 4 Pilatus sprach zu den Hohepriestern und zum Volk: Ich finde keine Schuld an diesem Menschen. 5 Sie aber beharrten darauf: Er wiegelt das Volk auf damit, dass er lehrt im ganzen jüdischen Land, angefangen von Galiläa bis hierher. 6Pilatus fragte, ob der Mensch aus Galiläa wäre, 7 und dass er unter die Herrschaft es Herodes gehörte, sandte er ihn zu Herodes, der in diesen Tagen auch in Jerusalem war. 8 Als aber Herodes Jesus sah, freute er sich sehr, denn er hätte ihn längst gerne gesehen. 9 Und er fragte ihn mancherlei. Er antwortete ihm aber nichts. 10 Die Hohenpriester und die Schriftgelehrten verklagten ihn hart. 11 Aber Herodes und seine Soldaten verachtete und verspottete ihn, legte ihm ein weißes Gewand an und sandte ihn zurück zu Pilatus. 13Pilatus aber rief die Hohenpriester und die Oberen und das Volk zusammen und sprach: 14 Ich habe an diesem Menschen keine Schuld gefunden; 15 Herodes auch nicht, denn er hat ihn zurückgesandt. Er hat nichts getan, was den Tod verdient. 18 Da schrien sie alle miteinander: Hinweg mit diesem. Gib uns Barabbas los! 19 Der war wegen eines Aufruhrs und wegen eines Mordes ins Gefängnis geworfen worden.
20 Da redete Pilatus abermals auf sie ein, weil er Jesus losgeben wollte. 21 Sie riefen aber: Kreuzige, kreuzige ihn! 22 Er sprach zum dritten Mal zu ihnen: Was hat denn dieser Böses getan? Ich habe keine Schuld an ihm gefunden, die den Tod verdient; darum will ich ihn züchtigen lassen und losgeben.
23 Aber sie setzten ihm zu mit großem Geschrei und forderten, dass er gekreuzigt würde. Und ihr Geschrei nahm überhand. 24Und Pilatus urteilte, dass ihre Bitte erfüllt würde 25 und ließ den los, der wegen Aufruhr und Mord ins Gefängnis geworfen war, um welchen sie baten; aber Jesus übergab er ihrem Willen.
Soweit das Evangelium des Lukas. Weitere Aspekte aus den anderen Evangelien werden noch ergänzend angesprochen.
Wer war nun dieser Mensch, von dem uns in den Evangelien, aber auch von nichtchristlichen Geschichtsschreibern, wie Philo von Alexandrien, Flavius Josephus und Tacitus berichtet wird?
Seine geschichtliche Rolle mit Bedeutung für die Christenheit spielt er als Präfekt, bei Luther Statthalter genannt, für Judäa, aber auch für das nördlich gelegene Samaria und Idumäa im Süden von Judäa.
Er stammt aus Mittelitalien. Sein Vorname ist nicht bekannt. „Pontius“ ist der Familienname, weil er von den „Pontiern“ abstammte. Der Beiname „Pilatus“ könnte von „Pilum“, dem Speer der römischen Legionäre abgeleitet sein. Oder auch in Verbindung mit „Pileus“ stehen, der Filzkappe, die römischen Sklaven bei ihrer Freilassung aufgesetzt wurde.
Pontius Pilatus wurde römischer Soldat, Offizier und Kommandeur, bis er nach seinem Militärdienst im Jahr 26 n. Chr. zum Präfekten in Palästina ernannt wurde. Unterstellt war er dem Legaten von Syrien, der den Kaiser im Osten des römischen Reiches vertrat.
Hauptaufgabe des Statthalters war es, in seiner Provinz für Ruhe und Frieden zu sorgen und die „Kultur zu fördern“. Dies geschah nach dem sogenannten Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“. Das heißt: Entgegenkommen, was Kultur bzw. Religion und Lebensführung anbelangt, aber hartes Durchgreifen bei Unruhen und Aufständen.
Judäa war eine unruhige Provinz. Und doch hat Pilatus es geschafft, es auf eine relativ lange Amtszeit von ca. 10 Jahren zu bringen. Eine Hilfe dazu war das gute Einvernehmen mit dem obersten Repräsentanten der Juden, dem Hohepriester Kaiphas.
Bekannt ist z. B. der Bau einer Wasserleitung nach Jerusalem, was auch durch notwendige Viadukte sehr kostspielig war. Deshalb griff Pilatus in die Tempelkasse, was die Bevölkerung in Aufruhr versetzte. Etwas differenziert betrachtet, war diese gleichzeitig eine Art Staatskasse, weil der Tempel auch Wirtschafts- und Finanzzentrum des Judentums war. Außerdem kann der Hohenpriester schlecht übergangen worden sein. Es kam aber dadurch zu einer Rebellion, bei der Verletzte und Tote aus der Bevölkerung zu beklagen waren. Es sind eine Reihe von Bluttaten bezeugt, aber auch ein Einlenken, wie beim erfolgreichen Protest gegen das Hereintragen von Standarten mit dem Kopf des Kaisers durch römische Truppen nach Jerusalem, was dem Bilderverbot des Gesetzes des Mose widersprach.
Der Hohe Rat nahm nicht alles hin, sondern beschwerte sich mehrfach beim römischen Kaiser, wenn die Maßnahmen der Statthalter zu weit gingen. Die Geschichtsschreiber berichten über Pilatus von Gewalttätigkeit, Räuberei, Bestechlichkeit, Misshandlungen und Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren. Kaiser Tiberius beließ ihn dennoch auf seinem Posten. Offensichtlich führte er die Unruheprovinz doch zur Zufriedenheit der Staatsführung. Letztlich kam es auch durch eine Intrige zu seinem Sturz.
Auslöser war ein Vorfall im Jahr 36, als ein sogenannter „falscher Prophet“ die Samaritaner aufwiegelte, mit ihm auf den heiligen Berg Garizim zu steigen. Die Menge erschien mit Waffen, offenbar gerüstet für den „Endkampf“. Pilatus schickte schwerbewaffnete Soldaten, es kam zu einer Schlacht mit vielen Toten und anschließenden Hinrichtungen.
Der Hohe Rat der Samaritaner beschwerte sich beim Legaten von Syrien, Vitellius, und behauptete, sie hätten keinen Aufstand geplant, sondern sich lediglich zur Flucht vor dem gewalttätigen Pilatus versammelt.
Vitellius schickte Pilatus nach Rom zur Rechtfertigung vor dem Kaiser. Gleichzeitig setzte er seinen Freund Marcellus zunächst kommissarisch auf Pilatus Stelle und enthob den jüdischen Hohepriester Kaiphas seines Postens, weil dieser angeblich mit Pilatus gemeinsame Sache gemacht habe. Als Pilatus in Rom ankam, war Kaiser Tiberius bereits verstorben und die Spur von Pontius Pilatus verliert sich in der Geschichte.
Zurück ins Jahr 30, als Pontius Pilatus noch auf dem Höhepunkt seiner Macht war und mit dem Fall Jesus befasst wurde. Der Statthalter residierte normalerweise in Cäsarea am Mittelmeer, kam aber wegen des jüdischen Passahfestes in seinen Palast nach Jerusalem. Natürlich nicht um mitzufeiern, sondern um bei einem möglichen Aufruhr vor Ort zu sein.
Der Hohe Rat hatte Jesus von Nazareth durch die jüdische Tempelwache festnehmen lassen mit dem Ziel ihn zu beseitigen.
Jesus war anstößig geworden. Er predigte das nahe Reich Gottes, sein Reich sei nicht von dieser Welt, er sei Gottes Sohn, setzte sich über Teile des Gesetzes Mose hinweg, setzte sich mit Armen und Ausgestoßenen an den Tisch und stellte wirtschaftliche und Machtstrukturen in Frage. Die Tempelaustreibung der Händler betraf die Einkommensquelle von Priestern einschließlich des Hohepriesters. Jesus hatte eine beträchtliche Anhängerschaft und er war als König in Jerusalem zum Passahfest empfangen worden. Wäre ein Aufruhr entstanden, hätte Pilatus wieder gewaltsam eingreifen müssen, was der Hohe Rat nicht heraufbeschwören wollte.
Jesus nach dem Gesetz des Mose zu steinigen, getrauten sie sich nicht, da der Statthalter anwesend war.
Nachdem Jesus beim Verhör vor den 71 Männern des Hohen Rates deren Frage nach seiner Gottessohnschaft und damit die Gotteslästerung aus ihrer Sicht bestätigt hatte, ging es gemeinsam zu Pilatus, der nach römischem Recht für die Todesstrafe zuständig war.
Ihnen war natürlich klar, dass der Präfekt sich nicht für innerjüdische Religionsstreitigkeiten interessierte. Deshalb brachten sie Anklagepunkte vor, die sie für römische Interessen hielten, nämlich: Volk aufhetzen, Steuern zahlen verbieten und sich König nennen. Dabei hatte Jesus nichts gegen das Zahlen von Steuern gesagt, sondern „gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“
Pilatus sah offensichtlich keine Gefahr in diesem Wanderprediger und lehnte einen Schuldspruch ab.
Als er aber hörte, dass Jesus aus Galiläa stammte, ergriff er die Chance, das Problem zuständigkeitshalber an Herodes Antipas – ein Sohn von Herodes dem Großen – los zu werden, denn Galiläa war dessen Herrschaftsbereich. Herodes war ebenfalls wegen des Passahfestes in seinem Palast in Jerusalem anwesend. Dieser wollte Jesus gerne kennenlernen, aber Jesus verweigerte die Aussage. Das löste den Spott von Herodes mit Gefolge aus und er wurde als sogenannter König mit dem weißen Königsgewand der Juden zu Pilatus zurückgeschickt.
Dieser Vorgang hat sich in unserer Sprache mit dem Ausspruch „Von Pontius zu Pilatus schicken“ bis heute gehalten. Hier wurde Jesus von Pontius Pilatus über Herodes zu Pontius Pilatus zurückgeschickt.
Pilatus teilte den Hohepriestern und dem anwesenden Volk mit, dass er und Herodes keine Schuld bei
Jesus gefunden hätten. Anmerkung: Wenn von Hohenpriestern in der Mehrzahl die Rede ist, denkt man, dass die Vorgänger oder zumindest der Vorgänger von Kaiphas, nämlich Hannas, dessen Schwiegervater, mitgemeint ist.
Was bei Lukas nur kurz geschildert wird, kommt bei den anderen Evangelisten ausführlicher zur Geltung. Es war üblich, dass der römische Statthalter einen politischen Gefangenen begnadigte und damit sein Wohlwollen gegenüber dem jüdischen Volk zeigte. Jetzt hatte Pilatus der Volksmenge Jesus und den Aufrührer und Mörder Barabbas zur Auswahl vorgeschlagen. Die Menge schrie: „Barabbas“. Pilatus versuchte es ein zweites und drittes Mal, Jesus durchzusetzen. Aber mit großem Geschrei wird die Kreuzigung gefordert. Bei Johannes wird noch zusätzlicher Druck aufgebaut, indem die Menge ruft: „Lässt du diesen frei, bist du des Kaisers Freund nicht.“ Pilatus wird die Drohung gespürt haben, ihn in Rom anzuschwärzen. Er gibt nach und ordnet die Kreuzigung an.
Matthäus schreibt außerdem, dass die Oberen der Juden aus Neid Jesu Tod wollten. Eine andere Person setzt sich nach Matthäus noch für Jesus ein; die Frau des Pilatus, deren Name wir nicht erfahren. Außerhalb des Neuen Testaments wird sie später Claudia genannt und sie wird in der koptischen und orthodoxen Kirche als Heilige verehrt. Warum? Während der Verhandlung schickte sie einen Boten zu ihrem Mann und ließ ausrichten: „Habe du nichts zu schaffen mit diesem Gerechten, denn ich habe heute viel erlitten im Traum um seinetwillen.“ Dieser Einsatz hatte nichts bewirkt und wäre auch gegen Gottes Heilsplan gewesen. Er war aber ein Bekenntnis zu Jesus.
Bei Matthäus finden wir auch die Stelle, an der Pilatus seine Hände in Unschuld wäscht. Das ist ein Zeichen, das die Juden aus dem 5. Buch Mose kennen. Wenn die Ältesten eines Ortes, in dessen Nähe ein Ermordeter gefunden wurde, aber der Täter unbekannt war, wuschen sie sich symbolisch die Hände in Unschuld.
Die als INRI (Jesus Nazarenus Rex Judaeorum = Jesus von Nazareth König der Juden) bekannte Kreuzesaufschrift bei Johannes kommt in allen Evangelien ähnlich lautend vor. Pilatus ändert diese auch nach Protesten der Hohenpriester nicht dahingehend, dass Jesus gesagt habe, er sei der König der Juden.
Dann kommt Pilatus im Neuen Testament noch einmal vor, wo er dem Ratsherrn Joseph von Arimatäa genehmigt, den Leichnam Jesu abzunehmen und in dessen eigener Gruft zu bestatten; zunächst sogar mit einigen Soldaten als Wache. Die Hohenpriester befürchteten, dass die Jünger von Jesus den Leichnam stehlen könnten.
Somit bleibt das zwiespältige Bild von der Rolle des Pontius Pilatus bei der Kreuzigung Jesu. Einerseits ist er der Henker Jesu, der aus Eigeninteresse wegen Machterhaltung und politischem Kalkül, nämlich Gefälligkeit gegenüber dem Hohen Rat, so gehandelt hat. Andererseits ist er in die Heilsgeschichte eingebunden und kann somit als Gottes Werkzeug gesehen werden. Ohne Kreuzigung keine Sündenvergebung und ohne Auferstehung kein ewiges Leben. Ohne das Urteil des Pontius Pilatus wäre die Weltgeschichte anders verlaufen. In der äthiopisch-orthodoxen Kirche wird er sogar als Heiliger verehrt.
Soweit gehen die anderen christlichen Kirchen nicht. Aber bis zur Entstehung des apostolischen Glaubensbekenntnisses im 5. Jahrhundert tauchte Pontius Pilatus trotz aller Widersprüchlichkeit immer wieder in Bekenntnissen der frühen Kirche auf.
Die Schuldfrage bezüglich der beteiligten Juden hat in der Geschichte zu vielen furchtbaren Verbrechen geführt, sicher mitverursacht durch die bei Matthäus beschriebene Antwort des Volkes auf die Händewaschung des Pilatus in Unschuld: “Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“ Dies gehört leider auch zur Wirkungsgeschichte der Verurteilung Jesu.
Wie geht es uns, wenn wir das Handeln des Pontius Pilatus bewerten? Kennen wir nicht auch Situationen, in denen wir vor die Wahl gestellt sind, nach unserer Überzeugung zu handeln oder sogenannten Sachzwängen zu folgen? Oder es stellt sich die Frage so: Welche Vor- oder Nachteile habe ich, wenn ich entgegen meiner Überzeugung handle?
Das ist dann auch oft die Frage nach der Wahrheit.
Nachdem Jesus bei Johannes zu Pilatus gesagt hatte, dass sein Reich nicht von dieser Welt sei, fügt er hinzu, dass er in die Welt gekommen sei, um die Wahrheit zu bezeugen. Pilatus fragt nur: „Was ist Wahrheit?“ Die Frage bleibt offen, weil sich der Statthalter dann wieder den Juden zuwendet.
Jesus beantwortet die Frage in Johannes 14, 6 so: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.; niemand kommt zum Vater denn durch mich.“
Für diese Wahrheit hat sich Pontius Pilatus nicht interessiert. Dennoch ist er in der Geschichte der christlichen Kirche milder betrachtet worden als im Judentum, wo er zwar teils für die jüdische Kultur zugänglicher, aber vor allem als grausamer Vertreter der unbeliebten Besatzungsmacht galt.
Er hat es in unser Apostolisches Glaubensbekenntnis geschafft; nicht als Krankheit, wie anfangs erwähnt, aber auch nicht als Heiliger. Sondern als ein Mensch, der in der Heilsgeschichte Gottes eine besondere und schuldbeladene Rolle gespielt hat.
Für uns gilt die Antwort Jesu auf die Frage des Pontius Pilatus nach der Wahrheit in besonderer Weise. Jesus ist der Weg zu Gott und damit die Verkörperung der Wahrheit. Und er gibt uns das Leben; ein echtes und erfülltes Leben hier und jetzt und über den Tod hinaus. – Amen
Berlin, 22. Februar 2021.- Das Leo Baeck Institute – New York | Berlin (LBI) eröffnet am 28. Februar 2021 den ersten virtuellen Ausstellungsraum zu Shared History (Geteilte Geschichte): 1700 Jahre jüdisches Leben im deutschsprachigen Raum.
Anhand von 58 Objekten erzählt Shared HistoryWoche für Woche die Geschichte der zentraleuropäischen Juden, beginnend mit dem Edikt von Konstantin dem Großen aus dem Jahre 321, das Juden erstmals Ämter in der städtischen Verwaltung in Köln zugestand, und endend mit einem zeitgenössischen Objekt von 2021.
Jedes Objekt wird die deutsch-jüdische Geschichte und ihre Verwobenheit mit Menschen, Regionen und Ländern in Zentraleuropa illustrieren; es fungiert immer auch als Metapher oder philosophische Idee, wird von einem wissenschaftlichen Essay und einer persönlichen Geschichte begleitet. Anders als in einer normalen Ausstellung kann man es greifen, bewegen, drehen und aus verschiedenen Blickwinkeln anschauen – ein haptischer Eindruck entsteht.
„Das Ziel dieser Ausstellung ist es, eine Bandbreite verschiedener Artefakte zu präsentieren, darunter auch fiktionale Konzepte, Mythen, architektonische Wahrzeichen, Symbole und Bilder. Jedes Objekt soll dabei als Kommentar zu historischen Ereignissen dienen und deren gegenwärtige Relevanz bezogen auf die übergreifenden Themen wie Migration, Inklusion, Exklusion, Akkulturation, Verfolgung, Erfolg und Resilienz veranschaulichen“, erklärt die Kuratorin und Leiterin des Berliner Büros Dr. Miriam Bistrovic.
Im Vorfeld haben Museen, Bibliotheken und andere Einrichtungen aus ganz Europa, Israel und USA und Südamerika Hunderte von Objekten nominiert, die nach eingehender Evaluation durch das LBI sowie Repräsentantinnen und Repräsentanten aus den jüdischen Gemeinden, Wissenschaft, Museen, Archiven und Bibliotheken die Basis für das Projekt bildeten. Die Auswahl der Objekte basierte darauf, wie gut es ihnen gelingt:
eindrücklich Begebenheiten oder Phänomene der deutschsprachigen jüdischen Geschichte zu schildern
wichtige Aspekte der jüdischen Religion oder religiöse Praktiken näher zu beleuchten und zu vermitteln oder als einprägsame Zeugnisse jüdischer Kultur zu dienen
den Sachverhalt, dass Jüdinnen und Juden seit Jahrhunderten im deutschsprachigen Raum leben, verständlich zu machen
eines oder mehrere der zentralen Themen des historischen Narrativs zu erläutern
die Interaktion und den andauernden kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Austausch zwischen der christlichen Mehrheit, Juden und anderen Bevölkerungsgruppen zu dokumentieren
den geographischen Raum zu repräsentieren, in dem Deutsch einst entweder die vorherrschende Sprache war oder noch immer ist oder in dem Deutsch innerhalb einer signifikanten Bevölkerungsgruppe als primäre Sprache gesprochen wurde.
interessante und visuell ansprechende Darstellungsmöglichkeiten zu bieten
Die 58 Objekte und ihre Geschichten wurden eingehend recherchiert und werden wöchentlich in chronologischer Reihenfolge auf der Shared History Website gepostet, sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache. Die Shoah unterbricht das Muster: „Damit machen wir die Diskontinuität der deutsch-jüdischen Geschichte sichtbar, den Zivilisationsbruch des Völkermords“, erklärt Dr.David G. Marwell, der Präsident des Leo Baeck Institute und frühere Direktor des Document Center Berlin.
Eine Woche lang veröffentlicht Shared History täglich ein Objekt, das sich jeweils einem bestimmten Aspekt des Holocausts widmet.
Dem Lyriker und Publizisten Dr. Max Czollek gefällt am Shared History Projekt besonders, dass „es sich nicht auf eine deutsch-jüdische Beziehungsgeschichte beschränkt. Die Objekte unterstreichen im Gegenteil, dass jüdisches Leben eigenständig und selbstbestimmt stattfand; dass die Rede von der Shared History also auch eine spezifische jüdische Geschichte zur Voraussetzung hat.“
Für Prof. Dr. Rafael Groß, den Präsidenten des Deutschen Historischen Museums, ist das Überraschende der jahrhundertelanger Dauer deutsch-jüdischer Geschichte, dass die Ausstellung „die kulturelle Höchstleistung einer kleinen jüdischen Minderheit zeigt, die keine spezifischen Rechte für sich beanspruchte. Es ging ihr um gleiche politische Rechte, um eine rechtliche Emanzipation.“
Als begleitende Aktivitäten sind eine Konferenz, eine Wanderausstellung, öffentliche Veranstaltungen, pädagogische Materialien und eine Publikation geplant.
Hier wurde diese Ausstellung bereits angekündigt und mit einzelnen Beispielen illustriert:
Predigttext (Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006)
4 Als viel Volk zusammengekommen war und die Bewohnerinnen und Bewohner der Städte zu ihm strömten, redete er mit Hilfe eines Vergleiches: 5 »Jemand ging hinaus, die Saat zu säen. Beim Säen fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel des Himmels pickten es auf.
6 Anderes fiel auf felsigen Boden und verdorrte, sobald es aufging, da es keine Feuchtigkeit fand. 7 Wieder anderes fiel mitten unter Dorngestrüpp, und da dieses wuchs, wurde es erstickt.
8 Ein anderer Teil fiel auf gute Erde und wuchs und brachte hundertfältige Frucht.« Er sagte es und rief: »Wer Ohren hat, zu hören, höre!«
9 Diejenigen, die von ihm lernen wollten, fragten ihn, was das für ein Vergleich wäre.
10 Er antwortete: »Euch ist es gegeben, die Geheimnisse der Königsmacht Gottes kennen zu lernen! Den Übrigen ist es gegeben, zu vergleichen, damit sie sehen, wenn sie nicht sehen, und hören, wenn sie nicht verstehen.
11 Vergleicht die Saat mit dem Wort Gottes. 12 ›Die auf den Weg fallen‹: das sind die Menschen, die das Wort gehört haben. Aber dann kommt eine diabolische Macht und nimmt das Wort aus ihren Herzen, damit sie nicht glauben und nicht gerettet werden.
13 ›Die auf den Felsen fallen‹: das sind solche, die das Wort gehört haben und es mit Begeisterung aufnehmen, aber keine Wurzel haben. Die glauben nur für den Augenblick, im Moment der Prüfung jedoch machen sie sich davon.
14 ›Was ins Dorngestrüpp fällt‹: das sind solche, die zwar gehört haben, die aber auf ihrem Weg durch Vorsorgen und Reichtum und Lebensgenüsse erstickt werden und keine Reife erlangen.
15 ›Was aber auf gute Erde fällt‹: das sind die, die mit ihrem guten und liebenden Herzen das Wort gehört haben. Sie behalten es und bringen Frucht in beharrlicher Kraft.
Liebe Gemeinde,
bei den vielen Nachrichten, Informationen und Meinungen, die wir hören und die wir abrufen können, müssen wir die Kunst des Ausblendens einüben, damit wir nicht an den vielen Informationen ersticken oder gar völlig orientierungslos werden. Dabei ist es interessant zu fragen, welchen Nachrichten wir Vertrauen schenken und warum das so ist. Es tobt ja geradezu eine Schlacht der Worte, wie etwa die Pandemie eingeordnet werden kann und welche Mittel am besten geeignet sind, sie einzudämmen oder gar zu besiegen.
Unsere Kommunikation wird im Angesicht der tödlichen Gefahr schnell martialisch, es scheint nur ein Entweder-Oder zu geben, und ganz schnell sind wir dabei, andere scharf zu verurteilen, die sich aus unserer Sicht nicht richtig verhalten.
Es wäre sicherlich einmal spannend das Gleichnis vom vierfachen Acker auf das Hören, das Verhalten und die Ausdauer, wie wir Menschen auf die zahlreichen Apelle der Politiker:innen und Wissenschaftler:innen reagieren, zu übertragen.
Aber das ist nicht das Ziel meiner Predigt. Mich interessiert: Wie kommt es dazu, dass Menschen von Gott so angesprochen werden, dass es sie ihr Leben lang nicht mehr loslässt? Wie kommt es dazu, dass Menschen bei allem Wandel, der auch das Verständnis des Glaubens betrifft, sich immer wieder von Gott berühren lassen, sich treu zur Gemeinde halten, ihren Glauben bewahren und leben?
Natürlich unterliegt dieses Bleiben Schwankungen und Anfechtungen, es gibt Zeiten der Dürre und der Unlust, vor allem auch der Enttäuschung von sich und anderen, aber immer wieder holt diese Menschen eine schier unstillbare Sehnsucht nach der Verbindung mit Gott ein, selbst dort, wo sie kaum fähig sind, gedanklich ihren Glauben in Worte zu fassen.
Der Glaube ist einfach selbstverständlich in ihrem Leben, auch wenn er sich kaum äußerlich oder durch ein besonders frommes Verhalten zeigt. Und das Überraschende ist, dass diese Art Glauben Spuren hinterlässt, die Jesus „hundertfältige Frucht“ nennt. Nicht ablesbar, nicht mathematisch evident, aber wirklich, eine Wirkung entfaltend, die wir Segen nennen.
Was ist es also, so will ich es einmal sagen, dass wir unsere Organe öffnen und gottoffen sind oder, wie es traditionell heißt, dass wir Gottes Wort hören, bewahren und tun?
Die Antwort finden wir im Evangelium selbst: „Was aber auf gute Erde fällt: das sind die, die mit einem guten und liebenden Herzen das Wort gehört haben. Sie behalten es und bringen Frucht in beharrlicher Kraft.“ (Lukas 8,15; Bibel in gerechter Sprache)
Diese weisheitliche Einsicht, dass ein gutes, das heißt doch ein bereites, und ein liebendes, das heißt hier ein auf Gott hingewendetes Herz, Frucht bringt, bestätigen die modernen Lern- und Motivationstheorien für Lernen und das Leben insgesamt.
Wir wissen, wir lernen einfacher und nachhaltiger, wenn wir etwas mögen. Wenn wir uns wirklich für etwas interessieren, dann wollen wir mehr darüber hören und erfahren, dann überwinden wir sogar Unlust und andere Widerstände, dann richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das, was uns interessiert.
Wir saugen förmlich alles auf, was wir dazu hören, wir investieren Zeit und Geld, ganz selbstverständlich. Die Sache, die Person oder die Leidenschaft gehört einfach zu uns. Sie ist nicht abzustellen. Sie zieht uns unerklärlich an. Sie erfüllt uns.
Es brauchte viele Jahre, bis einer meiner Söhne seine Vorliebe für mathematisches Denken entdeckte. Das war vorher nicht ersichtlich. Im Gegenteil, es fiel ihm schwer oder er hatte einfach keine Lust für die Schule zu lernen. Dann hat es einfach einmal Klick gemacht, ab da ging es ihm leicht von der Hand und auch seine Berufswahl wurde von seiner Neigung bestimmt.
Nicht anders ist es mit dem Glauben und dem Bleiben in der Beziehung zu Gott. Wenn wir mit Gott, den wir von Herzen liebgewonnen haben, verbunden bleiben – einfach weil unser Herz mit jeder Faser spürt, es ist gut auf Gott ausgerichtet zu sein – dann gehört der Glaube zu uns wie das tägliche Brot.
Die Form, wie wir unseren Glauben leben, kann sich ändern, was bleibt schon gleich in unserem Leben, es wandelt sich alles, und das meine ich nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich.
Was aber bleibt, ist eine Haltung von Respekt gegenüber dem Göttlichen und allen, die ernsthaft ihre Religion leben. Wir sind und bleiben spirituelle Menschen und haben eine spirituelle Sicht auf das Leben, und das erfüllt uns. Nicht nur wir, sondern auch andere bekommen von dieser Ausrichtung, diesem unserem guten und liebenden Herzen Gott gegenüber etwas ab, mögen wir es merken oder nicht.
Schön ist es, wenn wir Resonanz erleben, aber das ist nicht die Voraussetzung, dass etwas wirkt, vielleicht wirkt es sogar noch über unser Leben hinaus. Worauf sich ein Mensch in Liebe ausrichtet, das bleibt nicht ohne Segen. Diese Energie, einmal in die Welt gesetzt, bewirkt Gutes!
Es geht letztlich um diesen Einfall, dass Gott in unseren Sinn kommt oder anders herum, es geht darum, dass wir selbst entdecken, dass Gott nicht nur etwas mit unserem Leben zu tun hat, das wir theoretisch bedenken und aus dem wir alle möglichen Dinge ableiten, sondern, dass wir in der Tiefe unserer Existenz mit Gott verbunden sind, nicht nur als ewige Sehnsucht in uns, sondern wirklich heute, hier und jetzt mit einem liebenden Herzen.
Es ist nicht das Wissen das uns mit Gott verbindet, sondern es ist die Gewissheit, die sein Wort (Geist) in unserem Herzen bewirkt, die uns in aller menschlichen Zwiespältigkeit eindeutig zu einem fruchtbaren Boden macht. Der fruchtbare Boden ist gottoffen. Dahin lasst uns unsere Sinne öffnen, denn solch eine Gottoffenheit geht einher mit einer Welt- und Menschenoffenheit.
Der, der den Boden fruchtbar macht, bereitet in uns auch ein gutes und liebendes Herz. Wir müssen es einfach schlagen lassen. Und hören, hinhören, was Gott uns sagt, und das Gehörte leben im Austausch mit anderen, denn „niemand lebt für sich allein.“(Paulus, Römer 8,14). Amen.
Facharbeit, Sankt Leonhard Gymnasium, Aachen 2020 Kurs: Grundkurs Religion
Inhaltsverzeichnis
Einleitung und Begriffseingrenzung der Resilienz
Resilienz aus entwicklungspsychologischer Perspektive
Risikofaktoren
Schutzfaktoren
normative und nichtnormative Krise
Verbindung zwischen Resilienzdiskurs und Kirche
Vulnerabilität als Kernthema der Kirche
Verbindung zwischen Vulnerabilität und Resilienz
Krisenbewältigung als Thema der Bibel
Seelsorge
Haus der Stille
Kirchliche Arbeit- Grundvollzüge der Kirche
Diakonia
Martyria
Liturgia (oder Leiturgia)
Glaube und kirchliche Gemeinschaft als Schutzfaktor
Kritik an kirchlichen Resilienz-Workshops und der Begriffsdarstellung
Fazit
Vorwort
Resilienzforschung gewann innerhalb der letzten Jahre zunehmend an Popularität und ist nun auch in der Gesellschaft als Thema präsent. Es wird angestrebt eine möglichst hohe Resilienz zu erreichen und aufgrund dessen wird der Begriff ebenso zu einem Instrument der Vermarktungswirtschaft.
Zu der stark präsenten Resilienzthematik hat auch die Kirche Aspekte einzubringen. Im Rahmen dieser Facharbeit gilt es daher zu untersuchen, inwieweit Resilienz eine Aufgabe kirchlicher Arbeit ist und welcher Beitrag kirchlicher Arbeit zum Resilienzdiskurs geleistet wird. In diesem Zusammenhang wird kurz der aktuelle Entwicklungsstand der Resilienz dargelegt. Die gesamte historische Entwicklung des Forschungsdiskurses steht hierbei nicht im Vordergrund. Primär werde ich mich mit der heutigen Perspektive kritisch auseinandersetzen, um kirchliche Arbeit optimal auf die Thematik anwenden zu können und die Relevanz kirchlicher Arbeit für die aktuelle Forschung herauszustellen.
Zu Beginn soll dazu Resilienz als gesondertes Phänomen betrachtet werden. Die Betrachtung der entwicklungspsychologischen Perspektive erfolgt daraufhin, um die weiteren Gedankengänge der Arbeit in die Thematik einordnen zu können. Daraufhin lege ich die Verbindung zwischen Resilienz und Kirche dar, um grundsätzlich aufzuzeigen, weshalb sich Kirche zwangsläufig mit Resilienz beschäftigen muss. Ich beleuchte zudem die Grundvollzüge der Kirche, woraufhin die Darlegung verschiedener Beispiele kirchlicher Arbeit mit Bezug auf Resilienz erfolgt. Neue Impulse werden hierbei hervorgehoben. Zuletzt äußere ich Kritik bezüglich der unkritischen Verwendung des Terminus unter anderem in Bezug auf kirchliche Workshops.
Schließlich verfasse ich am Ende meiner Arbeit ein Fazit, das den Beitrag der kirchlichen Arbeit zum Resilienzdiskurs zusammenfasst. Hierbei stelle ich die allgemeine gesellschaftliche Bedeutung der Impulse heraus. Außerdem führe ich die Risiken, die dauerhaft beachtet werden müssen, auf.
Einleitung und Begriffseingrenzung der Resilienz
Die Arbeitsdefinition einer interdisziplinären Resilienz-Forschungsgruppe am IFZ (Internationales Forschungszentrum Salzburg) bezeichnet die Resilienz als „Fähigkeit Krisen erfolgreich zu bewältigen“ ([1] S.24, FN 41). Durch die Weite „innerhalb einer wissenschaftlichen Perspektive“ ([1] S.23) und zunehmende Instrumentalisierung durch die Vermarktungswirtschaft ist eine klare und eindeutige Definition jedoch schwierig. So ist nicht nur in Bezug auf Menschen von Resilienz die Rede, es wird auch zunehmend von resilienten Gesellschaften, Ökosystemen, Infrastruktur, Demokratie usw. gesprochen.
„Eine eingehende Beschäftigung mit Resilienz in theoretischer und praktischer Weise kann für den mitteleuropäischen Raum insbesondere seit dem Beginn des 21. Jahrhundert konstatiert werden“ ([1] S.21). Die zunehmende Relevanz der Resilienzforschung lässt sich unter anderem durch den Anstieg der Anzahl wissenschaftlicher Artikel zum Thema Resilienz feststellen (1983 unter zehn, 2013 knapp 1000) ([1] S.23). Dabei untersuchen „mehrere wissenschaftliche Disziplinen das Phänomen“ ([1] S.22/23).
Im Zuge der voranschreitenden Forschung innerhalb dieses Bereichs der wissenschaftlichen Disziplin der Psychologie „werden zurzeit zahlreiche Bücher und Schulungen zur Krisenbewältigung angeboten“ ([2]). Eine Google-Suche am 05.02.2020 ergibt mit den Suchwörtern „+Resilienz +Kurs“ 265.000 Einträge. Die Anzahl der Bücher, die amazon.de mit dem Suchbegriff „Resilienz“ filtert, beträgt zum selben Suchdatum 1650. Dr. Karin und Prof. Dr. Klaus E. Grossmann betonen, dass Resilienz selbst „in der Psychologie ein inzwischen inflationär verwendeter, künstlicher Begriff“ ist (Fingerle 2007, 299; [1] S.21 FN 15).
Die deutsche Wortherkunft lässt sich auf das lateinische Wort resilire (deutsch: zurückspringen, abprallen) zurückführen. Das englische Wort resilient bezeichnet üblicherweise eine „psychologisch relevante Eigenschaft“ ([1] S.45). Auch im deutschen ist die Auslegung von „Resilienz als Persönlichkeitsmerkmal“ ([1] S.25) möglich, wobei „Förder- und Erlernbarkeit von Aspekten, welche Resilienz begünstigen“ ([1] S.25) weiterhin bestehen.
Der psychologische Forschungsdiskurs bezieht sich bei der Auslegung der Resilienz auf menschliche Individuen. Im Rahmen dieser Arbeit steht die Perspektive der Psychologie und der kirchlichen Handlungsfelder im Zentrum der Betrachtungen. Dem psychologischen Forschungsdiskurs zugeordnet ist die leitende Fragestellung „welche Voraussetzungen eigentlich dazu beitragen, dass einige Menschen sich von Schicksalsschlägen schneller erholen als andere und wie Menschen möglicherweise lernen könnten, kommende Krisen zu überstehen“, so Prof. Dr. Cornelia Richter im ekir.de-Interview [2].
Resilienz aus entwicklungspsychologischer Perspektive
Der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit liegt auf der personalen Resilienz von Einzelindividuen. Zur Identifizierung von Resilienz muss grundsätzlich ein „objektiv feststellbarer Einfluss, der auf das Individuum einwirkt und zumindest von diesem als belastend wahrgenommen wird“, vorhanden sein ([1] S.45/46). Dies wird dargestellt durch einen „prinzipiellen Kausalzusammenhang“, der das Verhältnis einer Auffälligkeit und eines „kausalen Risikofaktors“ beschreibt ([1] S.46).
Risikofaktoren
Risikofaktoren sind allgemein als Variablen „die die Wahrscheinlichkeit eines negativen Outcomes erhöhen“ zu verstehen ([1] S.49). Sie sind aus unterschiedlichen Aspekten (z.B. Wirkung) heraus differenzierbar, wobei sie in der Regel nach ihrem Ursprung unterschieden und eingeordnet werden. Kategorisiert wird in internale, proximale und distale Bedingungen, wobei proximale und distale nicht wie internale intrinsische, sondern externale Bedingungen sind. Biologische und psychologische Risikofaktoren werden den internalen Bedingungen zugeordnet, wohingegen proximale Bedingungen sich auf Beziehungsqualitäten und Bezugspersonen beziehen und distale Grundlagen sozioökonomische und soziokulturelle Risikofaktoren darstellen ([1] S.50).
Genannte Faktoren stellen „Indikatoren für weitaus komplexere Prozesse und Mechanismen, die die individuelle Anpassung beeinflussen“ ([4]) dar, haben daher keinen direkten Wirkungszusammenhang und prägen „den Lebensvollzug des Menschen“ ([1] S.51) kurz-, mittel und langfristig.
Schutzfaktoren
Dem gegenüberstehend sind Schutzfaktoren, die als protektive Faktoren einem Risiko entgegenwirken und als „günstige Einflüsse“ ([1] S.52) eine daraus mögliche resultierende Festigung einer Störung „verzögern, abmildern oder verhindern können“ ([1] S.52). Daher ist die Betrachtung nur in Verbindung mit Risiko sinnvoll. Zeitlich ist die Ausbildung der internalen, proximalen und distalen Schutzfaktoren vor der „Einwirkung des Risikofaktors“ ([1] S.52) notwendig, da ein bewusster Rückgriff auf diese vollzogen werden muss, um die „Bewältigung der Herausforderung“ ([1] S.53) zu bewerkstelligen. Internale Bedingungen haben denselben Bezugspunkt wie bei den Risikofaktoren, doch in diesem Kontext wird zusätzlich bei den personalen Kompetenzen nach dem Entstehungszeitpunkt unterschieden, da dieser auch während des Bewältigungsprozesses zu verorten sein kann ([1] S.53). Bei proximalen Bedingungen ist hier außerdem zu berücksichtigen, dass „supportive soziale Umwelten als Puffer gegen negative pathologische familiäre Einflüsse wirken“ (5]. Für distale Bedingungen sind keine weiteren Aspekte hinzuzufügen und es kann auf die Ausführung im Kontext der Risikofaktoren verwiesen werden.
Ebenso sind Faktoren miteinzubeziehen, „die nicht primär auf Funktion und nachvollziehbare Optimierung abzielen“ ([1] S.54), jedoch als Teilaspekte von Transzendenz einflussreich sind. An dieser Stelle sind persönliche Reifungsprozesse und Seiten psychischer Veränderung gemeint ([1] S.54). (UNFERTI Krisenbegriff)
Verbindung zwischen Resilienzdiskurs und Kirche
Vulnerabilität als Kernthema der Kirche
„Parallel zur Resilienz hat sich „Vulnerabilität“ in den letzten Jahrzehnten zu einem neuen Schlüsselbegriff entwickelt“ ([6] S.224). Spektrum.de formuliert eine psychologische Definition, die Vulnerabilität als „genetisch oder/und biographisch erworbene Verletzlichkeit“ bezeichnet [7]. Wie auch der Resilienzdiskurs ist der Vulnerabilitätsdiskurs Teil mehrerer unterschiedlicher wissenschaftlicher Disziplinen. Innerhalb dieses „innovativen Forschungsfelds“ ([6] S.224) können christlich-theologische Perspektiven „zu deren Kernthemen Wunden gehören“ ([6] S.224), eingebracht werden. Trotzdem ist es die Theologie selbst „die gerade erst beginnt, diese innovative Forschung wahrzunehmen“ ([6] S.225). Eine Teilnahme der Theologie an den von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekten, die als Teil des „interdisziplinären Vulnerabilitätsdiskurs“ den Begriff „Vulnerabilität in Titel, Projektbeschreibung oder Projektergebnis haben“ [8], bleibt trotzdem bislang aus. Bei Förderbeginn lag die Anzahl entsprechender Projekte bei zwei, wohingegen im Jahr 2015 20 solcher Projekte unterstützt wurden [8]. Durch die zunehmende Behandlung des Themas in der Forschung und die aktuelle politische Relevanz, die durch Themen wie Armut, Flucht und Krieg entsteht, wird die Einbindung der christlich-theologischen Perspektive umso dringender, da neue und zentrale Impulse aus dieser hervorgehen ([6] S.225). „Der resilienzfördernde Umgang mit Wunden und Verwundbarkeiten“ zählt zu den „Kernkompetenzen der Theologie“ ([6] S.225), wodurch die Betrachtung der Perspektiven bedeutend wird.
Von besonderer Wichtigkeit ist in diesem Kontext der Begriff Inkarnation (Lehre von der Menschwerdung Gottes), der in der christlichen Theologie zu verorten ist. Gott macht sich „aus freien Stücken“ verletzlich, indem er in Jesus Christus Mensch wird [8]. Biblische Figuren wie Maria und Josef, Paulus und Maria Magdalena gingen ebenso das Risiko der Verwundbarkeit ein. Dieser Ansatz widerspricht jedoch der Sichtweise des aktuellen Vulnerabilitätsdiskurs, da nach dieser jegliche Formen von Verwundbarkeit vermieden werden sollten. Die Inkarnation betont daher einen bisher kaum beachteten Aspekt, der herausstellt, dass „die eigene Verwundbarkeit zu riskieren, für ein humanes Zusammenleben notwendig ist“ [8].
Selbstschutz und damit verbundene Sicherungsmaßnahmen erfüllen häufig das Gegenteil ihrer Intention, indem sie neue Gewalt erzeugen, aus der ein Anstieg der Verwundbarkeit resultiert. Andererseits besteht keine Möglichkeit vollständig über den Aspekt der Sicherheit hinwegzusehen. Das Christentum schafft an dieser Stelle einen dritten Aspekt im „Spannungsfeld von Verwundbarkeit und Sicherheit“ [8]. Dieser wird als „Andersmacht“ bezeichnet, „die dort entsteht, wo Menschen ihre eigene Verwundbarkeit riskieren, um das Leben Anderer zu schützen und zu fördern“ [8].
Dies geht über den kirchlichen Kontext hinaus und ist „im Leben aller, die den Gewaltspiralen der Verwundbarkeit widerstehen und Hingabe wagen“ [8] von hoher Bedeutung. Das „Wagnis eigener Verwundbarkeit“ [8] hat allgemein Humanität zum Ziel und intendiert eine Stärkung von Gemeinschaften und Menschen. Daher gilt es über die Notwendigkeit des Wagnisses hinsichtlich der Humanität abzuwägen [8]. Der Ansatzpunkt bezieht sich unter anderem auf eine gesellschaftliche, politische und personale Dimension, wodurch die Weite der Anwendbarkeit innerhalb des Vulnerabilitätsdiskurses demonstriert wird ([6] S.226).
Anhand der Inkarnation wird deutlich, dass die christliche Perspektive neue gesellschaftlich relevante Seiten des Vulnerabilitätsdiskurses beleuchtet. Somit kann die Kirche in diesem Themenbereich eine signifikante Rolle einnehmen, die von aktueller Relevanz geprägt ist.
Verbindung zwischen Vulnerabilität und Resilienz
„Vulnerabilität ist für die Resilienzforschung eine entscheidende Kategorie, denn nur wo es Wunden und Verwundbarkeiten gibt, braucht es überhaupt Resilienz“ ([6] S.225). Insofern entsteht eine Abhängigkeit der parallel entwickelten Forschungsdiskurse, wobei beide Themenbereiche auch weiterhin separat betrachtet werden. Das Begriffspaar „Vulnerabilität und Resilienz“ hat sich „in Medizin und Psychologie zu einem gängigen Begriffspaar entwickelt“ ([6] S.225) und auch in anderen Forschungssektoren wie der Sozialraum- und Sicherheitsforschung wird die Nutzung zunehmend üblicher, da für die Erkennung und Steigerung von Resilienz die Untersuchung von „konkreten Verwundbarkeiten“ ([6] S.225) grundlegend ist.
Die Art des Umgangs mit Verwundung ist „in weitem Sinn gefasst (…) eine Frage der Resilienz“ ([6] S.225). Somit ergibt sich eine Überschneidung der beiden Diskurse. Darüber hinaus werden in beiden Bereichen Zukunftsperspektiven behandelt, die sich auf das „gegenwärtige Handlungspotential“ ([6] S.227) auswirken. Mögliche zukünftige Verwundungen werden erforscht, woraufhin „Maßnahmen zum Schutz, zur Sicherung und Resilienzförderung“ ([6] S.227) getroffen werden. In diesem Zusammenhang zeigt sich wie die beiden Diskurse ineinandergreifen und innerhalb einer Kategorie gemeinsam angewendet werden. „Angst vor erneuter Verwundung“ ([6] S.227) ist hier wesentlich aufgrund der damit verbundenen Zukunftsaussicht.
Wie bereits in Kapitel 3.1 ausgeführt gehören Wunden und Verletzlichkeit zu den Kernthemen der Theologie. Dies bedeutet, dass eine Auseinandersetzung der Kirche mit Resilienz zwangsläufig stattfinden muss, infolge der Verbindung zwischen Vulnerabilität und Resilienz. In Anbetracht dessen ergibt sich, dass Resilienz als Aufgabe kirchlicher Arbeit, die im Rahmen der folgenden Kapitel spezifischer ausgeführt wird, zu behandeln ist. Durch die Verbindung erhält die Kirche gleichzeitig die Chance, über den Vulnerabilitätsdiskurs hinaus innerhalb des Resilienzdiskurses eine mitwirkende Rolle einzunehmen.
Krisenbewältigung als Thema der Bibel
Zwar ist Resilienz als quellensprachlicher Begriff in der Bibel nicht vertreten, jedoch ist die Überwältigung von Krisen ein häufig aufgegriffenes Thema. Mit Rückbezug auf die in Kapitel 1 aufgegriffene Arbeitsdefinition: „Resilienz als Fähigkeit Krisen erfolgreich zu bewältigen“ wird deutlich, dass die Darstellung der Bibel von Krisenbewältigung sinngemäß einen resilienten Umgang mit Krisen zeigt.
Unter anderem beinhaltet das Markusevangelium Narrationen, die den Umgang mit widrigen Umständen darstellen. Die „Wundergeschichten“ des Markusevangeliums sind durch ihre Krisen erzählende Art auch als „Krisengeschichten“ zu verstehen ([12] S.57). (Weiter unten werden die Todes- und Ostererzählung und die Heilung eines besessenen Jungen als entsprechende Beispiele weiter vertieft und auf spezifische Impulse für die Resilienzfrage untersucht.)
Psalm 23, Vers 4 lautet: „Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich“. Der Vers kann verstanden werden als die Überwindung einer Krise durch Gottes Unterstützung und greift daher ebenso Resilienz auf. Als ein weiteres demonstratives Beispiel kann 2.Korinther 12,10 angeführt werden: „Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Misshandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark“. Inhaltlich wird hier ein resilientes Verhalten bezüglich misslicher Situationen dargelegt.
Durch die Behandlung von Krisenbewältigung als umfangreiches Thema der Bibel ist das Thema für die Kirche essentiell. Demnach wird Resilienz nicht ausschließlich aufgrund der Überleitung durch den Rahmen der Vulnerabilität bedeutend, sondern additional durch die biblische Darstellung der Thematik. Demzufolge ist Letztere relevant und wird durch seine Wichtigkeit innerhalb der Kirche gleichzeitig zu einem integralen Bestandteil kirchlicher Arbeit. Des Weiteren ist die mögliche Impulsgebung sehr vielseitig durch die Vielzahl an biblischen Narrationen, die von Krisenbewältigung erzählen.
Grundvollzüge der Kirche
In den Anfängen der Kirche wurden drei griechische Begriffe gewählt, um die Grunddienste der Kirche zu beschreiben [15]. Der dadurch formulierte Auftrag bezieht sich auf die Dimension „einzelner Gemeinden“, wie auch auf die „Weltkirche“ [14]. Umfassend ist bei der korrekten Auslebung der formulierten Aufgabe der Gemeinschaftsauftrag miteinzubeziehen. Die sogenannte „Koinonia“ (altgriechisch κοινωνία, „Gemeinschaft durch Teilhabe“) impliziert die Ausführung des kirchlichen Auftrags in Gemeinschaft und setzt darüber hinaus die Entwicklung der Gemeinschaft als Ziel [14]. An dieser Gemeinschaft soll jeder teilhaben und Impulse setzen können. Folgend werden die drei Grundvollzüge „Diakonia“ (altgriechisch διακονία diakonía „Dienst“, von διάκονος diákonos „Diener“), „Martyria“ (altgriechisch μαρτυρία martyría, „Zeugnis“) und „Liturga“ (λειτουργία leiturgía, „Gottesdienst“) ausgeführt [14].
Diakonia
Diakonia ist „der Dienst am Menschen“ [15], verbunden mit der „tätigen Nächstenliebe“ [15]. Der sogenannte „Geschwisterdienst“ [14] beinhaltet eine Vielzahl an kirchlichen Tätigkeiten wie „die Seelsorge in Kindergärten, Jugendarbeit, Nachbarschaftshilfe, Altenarbeit, Besuchsdienste und Hospizarbeit (Begleitung Sterbender)“ [14]. Insbesondere ist die Unterstützung von leidenden Menschen im Fokus, ebenso wie die Sicherung der Existenz von Menschen, die unter extremen Umständen der Armut leiden. Diakonische Dienste sind stets bezogen auf die Gegenwart und wirken vor Ort. Hilfsorganisationen wie die evangelische Diakonie sind Teil des Aufgabenfelds. In der Diakonia Wirkende bekleiden das geistliche Amt des Diakons.
Jesus demonstriert durch seine Taten und seine Botschaft, dass jeder Mensch unabhängig von seinem sozialen Stand ein Teil von Gottes Reich ist [14]. Hiermit definiert er seine Nachfolge. Der Inhalt der Bildrede „vom Weltgericht“ (Mt 25, 31-46) drückt hinzukommend aus, dass „der Dienst am Nächsten zum Auswahlkriterium dafür, wer von Gott gesegnet sein wird und gerettet werden wird“ [14].
Martyria
Martyria bedeutet grundlegend Zeugnis von seinem Glauben zu geben und die „Frohbotschaft“ [14] zu verkündigen. Auch bei Reaktionen wie „Spott, Häme, Unverständnis und (…) Ablehnung“ [14] gilt es gefestigt hinter seinem Glauben zu stehen und diesen zu vertreten.
Heutzutage steht eine Vielzahl an Mitteln zur Verbreitung des Bekenntnisses zu Jesus Christus zur Verfügung. Der Glaube kann über Erziehung und Religionsunterricht weitergegeben werden. Die Verkündigung findet statt über Medien, stellt einen Inhalt von Predigt dar, zeigt sich in der Bibelarbeit und ist ein zentraler Aspekt der Vorbereitungen auf die Feier der Sakramente [14]. Aktuelle gesellschaftspolitische Teilnahme kann mit der Verkündigung einer christlichen Perspektive verbunden sein. Insbesondere bei ethischen Debatten kann die Kirche ihre aktuelle Relevanz und ihren Einfluss steigern und insofern das Glaubenszeugnis verbreiten [14].
Biblisch wird die Mission der Verbreitung von Leben und Wirken Jesu Christi im Ersten Petrusbrief aufgenommen. „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt“ (1 Petr 3, 15b). Jesus fordert außerdem: „Darum geht zu allen Völkern, und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe“ (Mt 28, 19f). Damit wird die Martyria explizit formuliert [14].
Ergänzend zur Martyria steht der Begriff Kerygma (altgriechisch κήρυγμα kérygma „Bekanntmachung“, „Predigt“; Verb κηρύσσω). Während Martyria sich auf die Verkündigung durch Zeugen zentriert, richtet sich Kerygma auf die Botschaft des Evangeliums und die Predigt und nicht auf die Mission der Verkündigung des Glaubenszeugnisses. Jeder Bibeltext hat ein Kerygma und der Weitergebende ist ein Zeuge und erfüllt die Aufgabe der Martyria [16].
Liturgia (oder Leiturgia)
Liturgia beschreibt die Feier des Gottesdienstes einschließlich der verschiedenen christlichen Riten und Zeremonien. Formen der Liturgie sind unter anderem „das persönliche und gemeinschaftliche Gebet, Andachten, Wortgottesdienste, Meditationen, Wallfahrten usw.“ [14].
Anfänglich stellte die Liturgie „eine Erinnerung an Jesu Tischgemeinschaften und an die Feier des letzten Abendmahles (vgl. dazu Mk 14, 17-25 par; Apg 2,43-47)“ [14] dar und Christen kamen als Tischgemeinschaft zusammen. Dadurch ergibt sich die hohe Bedeutung der Eucharistie, die in der evangelischen sowie katholischen Kirche zu den Sakramenten gehört, als Bestandteil des Gottesdienstes. Das Abendmahl steht besonders „für Versöhnung, Heilung und Gemeinschaft aller“ [14]. Zusätzlich wird der christliche Gedanke des miteinander Teilens betont.
Insgesamt wird durch den Gottesdienst „die Wirklichkeit Gottes erfahrbar“ [14], wodurch der Gottesdienst als Grundlage des christlichen Lebens Glaubende stärkt und ihnen Unterstützung gibt.
Neutestamentliche Verbindungen zur Resilienzfrage und neue Impulse anhand des Markusevangeliums
Im Folgenden soll das Kerygma des Markusevangeliums ausgeführt werden in Hinsicht auf Verbindungen und Anreize für den Resilienzdiskurs. Da die Verkündigung des Evangeliums Teil der kirchlichen Grunddienste ist, stellt diese Ausführung ein praktisches Beispiel kirchlicher Arbeit, die einen Bezug auf Resilienz hat, dar.
Grundsätzlich muss herausgestellt werden, dass Resilienz kein quellensprachlicher Begriff des Neuen Testaments ist. Trotzdem lassen sich Ansätze zum Umgang mit aus heutiger Sicht als Krise einzuordnenden Umständen, wie zum Beispiel „Ohnmacht und Angst, (…) Schwachheit, Misshandlungen, Nöte, Verfolgung, Bedrängnis (1Kor 12,10), (…) Krankheit und Tod“ ([12] S.47/48), finden. Im Zuge der Untersuchung der biblischen Elemente, die impulsgebend in Verbindung mit der Resilienzfrage und signifikant in Bezug auf Krisenbewältigung sind, werden folgend Inhalte des Markusevangeliums herangezogen.
In Mk 15,20b-29 wird die Todesgeschichte Jesu, die auf die Rezeption von Leid und Tod zentriert ist, erzählt. Ein wichtiger Aspekt der Narration ist die Erkenntnis des Hauptmanns beim Anblick des Sterbens Jesu. Dieser sprach: „Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!“. Maßgebend für seine Einsicht ist die Art des Sterbens ([12] S.49). Erst aus dem mit Jesus Tod verbundenem Leid geht die Erkenntnis des Hauptmanns bezüglich der „Gottessohnschaft“ ([12] S.50) Jesu hervor. Seine Erkenntnis resultierte nicht aus der Lehre Jesu. Daher zeigt sich Gottes Präsenz hier im „schlimmsten Leiden und Sterben“ ([12] S.50). Die Erkenntnis gewinnt noch an Bedeutung dadurch, dass der Hauptmann als römischer Soldat Teil einer Kultur ist, in „der Leiden und Tod (…) geächtet und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden“ ([12] S.50) mit Ausnahme des Heldentods. [[[Aus der Perspektive der Antike wird lediglich der Heldentod akzeptiert, wie der des Hektors, der ehrenvoll und seiner Familie sowie seinem Vaterland dienend stirbt. Somit erfolgte eine Anerkennung der Gesellschaft. Insgesamt trägt die Distanz antiker Götter zum Tod zur Betonung ihrer Göttlichkeit bei.]]]
Unter der gesellschaftlichen Verdrängung von Leid und Tod liegt im Tod Jesu daher eine „echte Krise“ vor, die durch seine „Dissoziation von der Gesellschaft“ ([12] S.52) neben seinen Gewalt- und Leiderfahrungen zusätzlich an Dramatik gewinnt. Im Gegensatz zu den griechischen Göttern und den Menschen, die dem Tod ausweichen, ist Gott besonders hier präsent. Aus der Tatsache, dass Gott gerade in Krisen präsent ist, resultiert gleichzeitig, dass das Ausweichen einer Krise widergöttlich ist. Damit verbunden wäre demnach die aktive Vermeidung der Präsenz Gottes.
Ein weiterer zentraler Begriff ist die Leidesnachfolge, die durch das Bild Jesu als leidender Messias geprägt wird. Durch Jesus Leiderfahrungen ermutigt er die sich zu ihm bekennende Gemeinde, Krisen in Form von Isolierung und Bestrafungen, die bis zum Tod reichen, anzunehmen, indem er demonstriert, dass Leid und Sterben nicht mit Gottlosigkeit verbunden sind. Jedoch muss an dieser Stelle betont werden, dass „die Präsenz Gottes im Leiden weder Selbstzweck noch das Endziel von Gottes Handeln“ ([12] S.54) ist. Die Ostererzählung bestätigt die Präsenz Gottes über die Krise hinausgehend und es zeigt sich die Wichtigkeit der Präsenz bei der Überwindung der Krise.
Signifikant ist, dass Gott „kontrafaktisch“ ([12] S.56) präsent ist. Dies ergibt sich aus der Verlassenheit als Zeichen der Krise, die auch bei Jesus identifizierbar ist. „Mein Gott, mein Gott, wozu hast du mich verlassen?“ (Mk 15, 34) schreit Jesus kurz vor seinem Tod. Das Paradoxe entsteht dadurch, dass sich Gottes Präsenz in Jesus Verlassenheit des Sterbens zeigt. Jedoch lässt sich diese Antithese auflösen, da gerade das Abstinente durch die Verdeutlichung seines Mangels heraussticht. Zusätzlich führen die Gefühle von Hilflosigkeit und Isolierung zu einer Ernsthaftigkeit der Krise ([12] S.55,56).
Darüber hinaus ist es erforderlich herauszustellen, dass Gottes Präsenz in der Krise „kontradiktorisch“ ([12] S.56) ist, da Gott grundsätzlich Einwände gegen das Bestehen der Krise hat. Folglich wird Gott vielmehr durch seinen Einspruch und seine Solidarität mit den Leidenden präsent.
Anhand des Aspekts der Leidesnachfolge wird die Krisen erzählende Art des Markusevangeliums deutlich, die das Verständnis von „Wundergeschichten“ der Schrift als „Krisenerzählungen“ ([12] S.57) schafft.
Die biblischen Mittel der Lösung einer Krise lassen sich anhand der „sogenannte[n] Heilung eines besseren Jungen“ ([12] S.57), die in Mk 9, 14-29 zu finden ist, hervorheben. Der Vater des Jungen, der „von einem sprachlosen und tauben Geist vollkommen besessen“ ist, wendet sich in der Not an Jesus, um Hilfe zu erhalten. An dieser Stelle unterstreicht dieser: „dem Glaubenden ist alles möglich“ (V.23). Seine Aussage manifestiert die Relevanz des Glaubens als Weg der Lösung und zeigt, dass keine Wundertat zur Lösung führt. Jedoch ist dies simplifiziert und die Bedeutung des Glaubens verfügt in diesem Kontext über eine höhere Komplexität. Auch in diesem Zusammenhang ist eine antithetische Struktur vorherrschend. Der Vater spricht: „Ich glaube- hilf meinem Unglauben“ (V.24). Der Unglaube ist eine bedeutende Beeinträchtigung der Überwindung der Krise und steht dem Glauben als Mittel der Lösung gegenüber und macht diesen unmöglich ([12] S.58). Dadurch zeigt sich die Unlösbarkeit die Krise. Das entstehende Paradoxon mündet in einem Schrei des Vaters, dem die Heilung des Jungen folgt. Dieser Schrei bringt somit die Heilung herbei, und er ist mit einer Art Gebet gleichzusetzen. Daher wird das Gebet als Instrument der Lösung gezeigt, wobei das Markusevangelium die Kongruenz des Gebets und des Glaubens betont (Mk 11, 23f.). In dem Vers 24: „alles, was ihr nun bittet, glaubt“ wird die zentrale Bedeutung von Kommunikation ersichtlich.
Aus der im Folgenden dargestellten Vertiefung kann ein Ansatz mit Bezug auf die Resilienzfrage abgeleitet werden. Glauben als „Kommunikation mit einem Gegenüber“ ([12] S. 59) wirkt gegen Unglauben und Verzweiflung in der Situation, da die Kommunikation gleichzeitig im Verhältnis mit Vertrauen steht und beide sich gegenseitig erzeugen. Zusätzlich verstärkt die Sprachlosigkeit als Inhalt der Krise die Bedeutung der Kommunikation. Letztere findet sich in dieser Situation als „Schrei [, der] die Ausweglosigkeit der Krise benennt“ ([12 S.60), wieder, obwohl dieser als Negierung der Kommunikation intendiert ist. Gerade dadurch entsteht zwangsläufig „ein Gegenüber“ ([12] S.61), was zur Überwindung der Krise führt.
Ein weiteres Beispiel dafür ist die Kreuzigungserzählung. „Indem Jesus Gott anklagt abwesend zu sein, setzt er ihn unausweichlich als Gegenüber seiner Kommunikation“ ([12] S.61). Es stellt den Ausgangspunkt der Lösung der Krise dar.
Anhand dieser Impulse des Markusevangeliums ergibt sich die „vertrauensbildende Kommunikation als entscheidendes Element der Krisenbewältigung“ ([12] S.60). Es kann ein Beitrag zum Resilienzdiskurs geliefert werden, indem aufgezeigt wird, dass die „kommunikative Versprachlichung“ ([12] S.69) der Paradoxie der Krise entgegenwirkt und ein Hauptmerkmal des Lösungswegs wird.
Haus der Stille
Als Bestandteil des kirchlichen Grunddienstes Diakonia ist das Haus der Stille als ein Beispiel anzusehen, das für Resilienz relevante Elemente enthält und ist daher ein gutes Beispiel für die spezifische Verbindung zwischen kirchlicher Arbeit und Resilienz.
Das Haus der Stille ist das 1992 eröffnete Einkehr- und Meditationszentrum der evangelischen Kirche im Rheinland in Rengsdorf [10]. Ursprünglich war es als Ruheort für die Mitarbeitenden der evangelischen Kirche im Rheinland angedacht, der auf Besinnung orientiert ist. Allerdings stand 2015 die Schließung bevor, die letztendlich durch Spendengelder und Fundraising verhindert werden konnte. Es folgte eine zentrale Änderung der Orientierung mit Fokussierung auf Öffentlichkeitsarbeit [11].
Insgesamt besteht die Anlage aus drei Gebäuden mit Unterkunftsmöglichkeiten innerhalb eines Parks am Rheintal. Die Umgebung ist ruhig und naturnah, die Versorgung ist vegetarisch [10].
Das Kursangebot wurde 2015 signifikant erweitert und aktuell werden jährlich „über rund 140 verschiedene Tages-, Wochenend- und Wochenkurse von Tanz über Eutonie, Fasten und Schweigen bis biografischem Schreiben, sowie Fortbildungen für beruflich und ehrenamtlich Mitarbeitende der Kirchen in Geistlicher Begleitung“ angeboten [11]. Ermöglicht wird dies durch die 14 Mitarbeitenden, die zusätzliche Unterstützung von Förderkreisvereinen erhalten. Die Termine sind im Kalender auf der Seite der evangelischen Kirche im Rheinland (ekir.de) nachzuschlagen [12].
Resilienz ist thematischer Bestandteil mancher Seminare. Ein Beispiel ist der 2019 angebotene Einkehrkurs unter dem Thema „Von der Kunst aus der Fülle zu leben“ [12]. Als Untertitel der Veranstaltung wurde „Resilienz stärken- innere Kraftquellen entdecken“ [12] gewählt. Inhaltlich wurde sich mit dem Umgang mit Veränderungen im Leben auseinandergesetzt. Die Entdeckung eigener Ressourcen stellte ein Kernthema dar, das allgemein häufig Bestandteil verschiedener Kurse ist. Des Weiteren wurden „Perspektive[n] von Glauben, Hoffnung [und] Liebe“ [12] beleuchtet. Insofern wurde eine Verbindung zwischen dem internalen Glauben und der Resilienz geschaffen. Anhand des Beispiels wird deutlich, dass die Auseinandersetzung mit Resilienz innerhalb der Kursangebote des Hauses der Stille zum Thema kirchlicher Arbeit wird.
Das gesamte „Angebot will ermutigen, die Beziehung zu sich, zu anderen und zu Gott zu überdenken“ [10]. Ziel ist eine erhöhte Achtsamkeit, die Setzung wesentlicher Anker und eine Besinnung, die durch Stille und Meditation verstärkt wird [10]. Eine Beschäftigung mit biblischen Botschaften ist ebenso Teil der Seminare. Die Kirche schafft somit einen praktischen Beitrag zum aktuellen Resilienzdiskurs, indem christliche Perspektiven miteinbezogen werden und Teilnehmer angeregt werden, diese auf ihr Leben zu beziehen.
Seelsorge (UNFERTIG)
Seelsorge ist Teil des Grundvollzugs Diakonia
Alle zwei Jahre findet der Ökumenische Bundeskongress Notfallseelsorge und Krisenintervention statt, dessen 18. Auflage im Jahr 2017 vom 30. März bis zum 1. April andauerte und in Hannover ausgetragen wurde. Das abschließende Podiumsgespräch des Kongresses wurde unter der Fragestellung, ob Resilienz machbar ist, gehalten und kirchliche wie auch wissenschaftliche Perspektiven wurden zusammengeführt. Dabei wurde ein direkter praktischer Bezug geschaffen, indem die Faktoren einer „erforderlichen Anpassungsleistung“ [9] hinsichtlich einer Rückfindung ins eigene Leben und eines möglichen Wachstums nach dem Ereignen einer traumatisierenden Erfahrung, diskutiert wurden. Erkenntnisse dienen zur praktischen Anwendung in der kirchlichen Arbeit.
Glaube und kirchliche Gemeinschaft als Schutzfaktoren
Der Glaube, der die allgemeine Grundlage kirchlicher Arbeit darstellt und von dem Zeugnis gegeben werden soll, steht in Verbindung mit Resilienz.
In einer Studie der Columbia University unter Leitung von Myrna Weissmann werden die „Faktoren oder Lebensumstände [,die] gegenüber Depressionen resilient machen“ untersucht. 103 Personen wurden auf durch Hirnscans auf neurologische Merkmale untersucht. Die Personen verfügten über verschiedene Dispositionen, wobei „ein Teil (familiär bedingt) extrem anfällig für Depressionen war“ [17]. Besonders anhand dieses Teils der Probanden können Einflussfaktoren untersucht werden, da im Normalfall höchstwahrscheinlich eine Erkrankung als Konsequenz der genetischen Disposition erfolgen würde. Gläubige wiesen Verdickungen der Hirnrinde an verschieden Stellen auf, was sie signifikant von den anderen Probanden unterschied. Personen mit entsprechenden neurologischen Merkmalen und einer Selbstbeschreibung als gläubig oder spirituell werden insgesamt weniger krank. Daraus kann eine „statistische Korrelation“ abgeleitet werden und die „These, dass der Glaube für die Psyche einen Schutzfaktor darstellt“ konnte weiter verstärkt werden [17].
Harold G. Koenig trägt die Ergebnisse von Studien mit diesem Forschungsschwerpunkt in der Metastudie „ISRN Psychiatry, doi:10.5402/2012/278730“ zusammen [17]. Laut Harold G. Koenig seien in Hinsicht auf psychische wie auch gesundheitliche Parameter signifikant positive Zustände bei Gläubigen erkennbar [17]. Als mögliche fördernde Faktoren werden neben dem intrinsischen Glauben „stabilisierende religiöse Rituale und (…) soziale Bindungen“ [17] angesehen. Dementsprechend können auch Koinonia und Liturigia als Begriffe mit eingebracht werden, da die Gemeinschaft durch Teilhabe und die mit Riten verbundene Feier des Gottesdiensts für zuvor genannte Faktoren bestimmend sind.
Daten der National Longitudinal Study of Adolescent Health konnten eine Korrelation zwischen der Einbindung in eine religiöse Gemeinschaft und Resilienz ebenso bestätigen [24]. Ein positiver Effekt auf das physische und psychische Wohlbefinden ist darüber hinaus feststellbar.
Insbesondere der soziale Bezug der kirchlichen Gemeinde und der internale Glaube schaffen daher mögliche Schutzfaktoren und der potenzielle Einfluss auf individuelle Resilienz lässt sich herausstellen. Aufgrund der Tatsache, dass der Glaube offensichtlich mit der Resilienz von Menschen korreliert, ist die zukünftige Untersuchungen spezifischerer Zusammenhänge von Interesse der Forschung [17].
Kritik an kirchlichen Resilienz-Workshops und der Begriffsnutzung
Diverse kirchliche Sektoren greifen den Begriff Resilienz direkt auf und verwenden ihn in Titeln von Workshops und Artikeln. Einige Beispiele sind der vom Evangelische Kirchenkreis Berlin Stadtmitte 2018 gehaltenen Workshop, betitelt mit „Balance und Resilienz durch TRE“ [18]. Auch das Maria-Laach Kloster verwendet den Begriff: „Resilienz-Training“ als Oberbegriff eines 2020 stattfindenden Workshops [19]. Des Weiteren formuliert die evangelische Zeitschrift „Sonntagsblatt“ „6 Tipps für (…) psychische Widerstandsfähigkeit“ unter dem Hauptthema „Resilienz fördern“.
Diese direkte simplifizierte Einbringung der Resilienz ist jedoch kritisch zu betrachten, da damit die allgemeine Erlernbarkeit von Resilient impliziert wird. Diese Implikation muss eingeschränkt werden aufgrund der genetischen Disposition, die als Faktor der Resilienz nicht vernachlässigt werden kann [21]. Demnach wird das Förderungspotenzial individuell und eine Verallgemeinerung ist nicht möglich.
Die Ausbildung von protektiven Faktoren ist vor der „Einwirkung des Risikofaktors“ ([1] S.52) notwendig, da ausschließlich dadurch ein Rückgriff zur „Bewältigung der Herausforderung“ ([1] S.53) möglich wird. Demzufolge ist die Krisen unspezifische Betrachtung resilienzstärkenden Faktoren, die innerhalb der Workshops stattfinden soll, grundsätzlich sinnvoll. Dabei stellt das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Resilienz und Spiritualität“ der Universität Bonn jedoch den zentralen Aspekt heraus, „dass Resilienz und Krise zumindest im Kontext individueller existentieller Krisen in einem intrinsischen Verweis- und Entwicklungszusammenhang stehen und Resilienz daher selbst ein Krisenphänomen par excellence ist“ ([22] S.12). Der Versuch der Ausbildung von Resilienz ist zwar weiterhin positiv, doch sind „ihre Wahrnehmung [und] möglicherweise sogar ihre Ausbildung nicht zu trennen vom Erleben einer schweren Lebenskrise“ ([22] S.12). Resultat dieser Feststellung ist die notwendige Untersuchung von passiv geprägten Wegen der Auseinandersetzung mit Krisen, die das Durchstehen einer Krise durch Aushalten darlegen. Ausschließlich Möglichkeiten der vollständigen Krisenbewältigung zu betrachten, kann als eindimensional gewertet werden und birgt in Verbindung mit der Annahme einer allgemein möglichen Erlernbarkeit der Resilienz Gefahren. Cornelia Richter beschreibt die Entwicklung der Resilienz zu einem allgemeinen „Sehnsuchtsbegriff“ ([22] S.11). Aktuell werde durch die Trendentwicklung Resilienz als ein Allheilmittel gegen Krisen und Probleme angesehen, so Klaus Ottomeyer [23]. Daraus resultiert eine „unkritische Erwartungshaltung“ ([22] S.11), die zu einer simplifizierten Sichtweise auf die Resilienz führt.
Von kirchlichen Sektoren wird der Begriff nicht wie im Maße der Coachingindustrie kommerzialisiert, doch aufgrund der voranschreitenden Simplifizierung komplexer Zusammenhänge verschiedener Faktoren muss ein äußerst kritischer Umgang mit der Thematik erfolgen, um in der Gesellschaft ein realistisches Bild der Resilienz und ihrer potenziellen Förderung zu erzielen.
Fazit
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass kirchliche Arbeit direkte Verbindungen mit dem Resilienzdiskurs aufweist.
Die Kirche ermöglicht neue gesellschaftliche Anreize, indem sie die Auswirkung spiritueller Ressourcen in Bezug auf Resilienz verdeutlicht. In der Forschung wird der positive Effekt von unter anderem der Gemeinschaftszugehörigkeit (Koinonia), des Glaubens und religiöser Rituale (Teil von Liturgia) nachgewiesen [17],[24], wobei weiterhin Forschungsbedarf besteht. Insbesondere der intrinsische Glaube muss herausgestellt werden, da dieser einen stabilen Schutzfaktor darstellen kann. Darüber hinaus könnte das positive psychische und physische Wohlbefinden Glaubender [17] einen Impuls im Gesundheitswesen setzen, der die Bedeutung von Spiritualität und Religion betont. Die spirituelle Dimension sollte daher insgesamt in der Gesellschaft mit Ernsthaftigkeit betrachtet werden.
Obgleich biblische Narrationen in einem anderen historischen und gesellschaftsstrukturellen Rahmen stattfinden, können wie anhand der Ostererzählung und der sogenannten Geschichte eines besessenen Jungen in Kapitel ((..)) dargestellt, Konzepte für die Resilienz anhand ihres Kerygmas abgeleitet werden. Durch die Menge an Krisenerzählungen ergibt sich eine vielseitige Chance für den Resilienzdiskurs [12].
Die Einbringung der passiv geprägten Verhaltensmöglichkeit in Krisen sticht als signifikante Anregung heraus, da eine neue Dimension des Umgangs mit Krisen geschaffen wird. Dieser dynamische Prozess des Aushaltens ist von aktiven Bewältigungsstrategien zu differenzieren und verhindert eine Verzweiflung an der scheiternden Überwindung der Krise.
Durch die vielseitigen Anregungen der Kirche kann diese innerhalb eines aktuellen und wichtigen Themas der Forschung und Gesellschaft eine prägende Rolle einnehmen. Daher profitiert die Kirche stark von der Thematik und zukünftig sollte dies zugunsten der Forschung und der Kirche augenutzt werden
Trotzdem muss der Resilienzbegriff grundsätzlich kritisch betrachtet werden. Oftmals wird der Terminus simplifiziert verwendet und funktionalisiert. Wie zuvor erläutert führt die kommerzialisierte Entwicklung der Resilienz zu der Entstehung eines „Sehnsuchtsbegriff[s]“, der mit einer „unkritischen Erwartungshaltung“ ([22] S.11) verbunden ist.
Es ist stets zentral, die individuellen Voraussetzungen miteinzubeziehen und die Begrenzung des Förderungspotenzials der Resilienz wahrzunehmen. Die Resilienz selbst ist grundlegend als „Krisenphänomen“ ([22] S.12) anzusehen und sie verfügt nicht über unendliche Möglichkeiten.
Literaturverzeichnis
[1] Elias D. Stangl, Resilienz durch Glauben- Die Entwicklung psychischer Widerstandskraft bei Erwachsenen, 2016
[13] Flebbe, Jochen „Ich glaube- hilf meinem Unglauben.“ Strukturen antithetischer Krisenbewältigung im Neuen Testament, in „Ohnmacht und Angst aushalten“ von Cornelia Richter, 1.Auflage 2017
[21] S. Scarr, L. McCartney: How people make their own environments: A theory on genotype environment effects. In: Child Development. 54, 1983, S. 424–435.
[22] Einleitung in „Ohnmacht und Angst aushalten“ von Cornelia Richter, 1.Auflage 2017
Robert Pfaller: Die Einbildungen. Das Zwiespältige. Die Geselligkeit. Wiener Vorlesungen, Band 199, Picus-Verlag, Wien 2020, 80 Seiten, gebunden, ISBN: 978-3-7117-3019-0 (Print), Preis: 12,00 Euro
Eine knackige Vorlesung zur Verleihung des Paul-Watzlawick-Ehrenrings im Oktober 2020 hat zu diesem feinen PICUS-Büchlein geführt, leider ohne Lesebändchen.
Eine Fülle von Nachdenkenswertem präsentiert Robert Pfaller, Philosophieprofessor aus Linz (geb. 1962) in drei Abschnitten: Die Einbildungen. Das Zwiespältige. Die Geselligkeit. Auch wenn ich seinem materialistischen philosophischen Ansatz kritisch gegenüberstehe, bin ich doch in der Analyse der Postmoderne – wie er unsere Gegenwart nennt – einig.
Die gegenwärtige Verbotskultur führt zu einer Entsolidarisierung und fragt nicht nach einem lohnenden oder guten Leben. Zahlreiche Paradoxien deckt Pfaller lustvoll auf, wie: „Denn wir mäßigen uns maßlos“, „Aufrüstungsspirale der Achtsamkeit“, „und selbst unserem Sprechen und Scherzen legen wir immer neue, scheinbar vernünftige Beschränkungen auf“(S.20). Und ganz aktuell: „Wir brauchen die Gesundheit, um zu leben, aber wir leben nicht für die Gesundheit.“(S.21).
Eine anspruchsvolle Lektüre, am Besten hat mir der Abschnitt über Geselligkeit gefallen, auch wenn Pfaller hier manchmal einen pathetischen Ton anschlägt: „Haltet darum eure Empörung über Kleinigkeiten möglichst klein. Denn nur dann werdet ihr imstande sein, euch über das zu empören, was euch klein hält.“(S.75)
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