Pfingstansprache 2021 zu Apostelgeschichte 2,42, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

 

„Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brot brechen und im Gebet.“ Apostelgeschichte 2,42

Liebe Gemeinde,

in den letzten Tagen haben wir deutlich den Wind gespürt, manche Meteorologen sprechen ja schon vom Mai-Monsun.

Die Pfingstgeschichte erzählt von einem mächtigen Brausen: Hier ist es der Geist Gottes. Vom Geist erfasst lassen sich bis zu 3000 Menschen taufen. Das ist die Geburtsstunde der Kirche.

Doch was geschieht danach? Wie hat die noch junge Gemeinde ihr Leben gestaltet?

Das was hier in Jerusalem am Anfang geschah, wurde aufgeschrieben und jede christliche Kirche lebt bis heute den Anfang weiter, hört auf das Wehen des Geistes und fängt immer wieder neu an Kirche zu sein und erkennbar als Kirche zu leben.

In der Lehre der Apostel bleiben

Der Wanderrabbi Jesus von Nazareth hat seinen Jüngerinnen und Jüngern seine Lehre gelehrt. Wir finden diese Lehre in den Evangelien in Form von Spruchsammlungen, Gleichnissen und Erzählungen.

Wo immer Kirche auf dieser Welt ist, werden die Evangelien gelesen, gepredigt und gelebt. Wie immer sich unsere Kirche in unserer Gesellschaft verändert, ja verändern muss, weil immer mehr Menschen bewusst nicht in der Kirche sind, wird eine Rückbesinnung auf die Evangelien und auf Jesus Christus wieder stärker werden. Die Sichtbarkeit von Kirche und den Gläubigen wird in einer pluralen Gesellschaft erkennbarer werden. Ich glaube das. Ich hoffe das. Ich werde auch dafür eintreten, dass bei aller Profilierung die evangelische Freiheit nicht auf der Strecke bleibt. Wir brauchen keine Nischenkirche, sondern Gemeinden, die ihre Öffnung hin zu den Menschen, ihre Weite und ihre Vielstimmigkeit leben und zur Sprache bringen.

Gemeinschaft

Der Glaube will gelebt und im Miteinander erfahrbar sein. Unter Einsamkeit leiden immer mehr Menschen. Ich will mich für ein Gemeindeleben einsetzen, wo unterschiedliche Menschen eine Möglichkeit haben, sich zu begegnen, wo Gruppen sich selbst organisieren und treffen können, um Projekte zu gestalten, um ihr Leben selbständig in die Hand zu nehmen. Ich wünsche mir mehr Beteiligung, weniger Betreuung. Und das auf allen Ebenen.

Einen Schritt darauf zu gehen wir heute. Wir führen Arno Wunderlich in sein Amt als Presbyter ein. Unsere Kirche will strukturell junge Menschen in die Entscheidungen einer Gemeinde mit einbinden. Deshalb können Gemeinden in ihre Leitungsgremien junge Menschen nachberufen. Das ist ein guter und richtiger Weg. Mehr Beteiligung heißt auch mehr Leitungsbeteiligung. Das wird unsere Kirche gut tun.

Im Brot brechen

Damit ist in erster Linie die Fürsorge für die Armen gemeint. Von Anfang an war christliche Gemeinde diakonische Gemeinde. Das Achthaben, dass alle das, was sie zum Leben brauchen, haben, ist gelebte Gemeinde. Gemeinde wird auch in Zukunft daran erkennbar sein, dass sie für andere da ist – ganz materiell: Kleidung, Nahrung, Herberge.

Im Brotbrechen teilt sich Christus uns heute mit. In Wein und Brot wird Christus geschmeckt, aufgenommen und gelebt. Das Mahl ist Kommunikation mit Gott und allen Geschöpfen. Hier wird der Glaube erneuert, Vergebung zugesprochen, Neuanfang möglich.

Gebet

Gemeinde ist, wo gemeinschaftlich gebetet wird. Im Gebet beteiligen wir Gott an unserem Leben, ziehen Gott in die Welt hinein. Das ist unsere Aufgabe und unser stellvertretender Dienst für die Welt. Es kommt dabei nicht auf die Menge der Beterinnen und Beter an. Es kommt darauf an, dass gebetet wird. Wobei das Beten und das Tun des Gerechten zusammen gehören (Bonhoeffer). Da schließt sich wieder der Kreis, angefangen von der Lehre Jesu über die Gemeinde als Gemeinschaft derer, die sich beteiligen, und dem Brot brechen, dem Teilen und der Teilhabe an Gott.

Liebe Pfingstgemeinde,

diese vier Säulen machen eine geistbewegte Gemeinde aus. Ich freue mich, dass Gott seinen Geist immer wieder neu über uns ausgießt – lasst uns miteinander Lydia-Gemeinde in Herzogenrath in weltweiter ökumenischer Verbundenheit als Schwestern und Brüder in der Nachfolge Jesu leben. Amen.

 

Sich Gott überlassen, Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2021

                                                              

Predigt zur Taufe eines Konfirmanden, Sonntag Rogate 2021  

 

„Alle eure Sorgen werft auf Gott, denn Gott sorgt für euch.“ 1. Petrus 5,7 (Luther 2017, Taufspruch)

Liebe Gemeinde,

Kennen Sie den Finnen Ere Karjalainen?

Nein, den Namen noch nie gehört? Ich auch nicht, bevor ich nicht eine kleine Recherche gemacht habe. Der damals 18-jährige Finne hält einen bislang ungebrochenen Weltrekord. Raten Sie mal in welcher Disziplin…

Im Handy-Weitwurf. 2012 holte er sich mit einem legendären Wurf über 101,46 Meter den Weltmeistertitel im Handy-Weitwurf. In Finnland ist das ein bekanntes Event, das jährlich ausgetragen wird. Menschen aus aller Welt nehmen an den Weltmeisterschaften teil. Nokia ist ja ein bekanntes finnisches Produkt – jedenfalls vor deiner Geburt hatte fast jeder ein Nokia-Handy – und diese Knochen lassen sich gut werfen. Nach einer Weltmeisterschaft werden dann alle Handys ordentlich recycelt.

Der Mensch hat schon immer gerne alle möglichen Gegenstände geworfen: weit geworfen, von sich weggeworfen und sich mit anderen darin gemessen.

Und so manches Handy wird auch heute aus Enttäuschung und Wut weggeworfen, aufs Bett geschleudert oder weit ins Wasser befördert.

Ein Freund erzählte mir, dass er sich wunderte, dass seine Geliebte nicht mehr auf seine Anrufe und Nachrichten reagierte, bis er von anderer Seite erfuhr, dass sie das Handy mit all den gespeicherten Liebes-Chat-Nachrichten einfach in einen See geworfen hatte. Das war der Anfang vom Ende einer leidenschaftlichen Beziehung.

Was tun wir nicht alles um den Kopf frei zu bekommen? Viele rennen sich die Seele aus dem Leib, umarmen Bäume im Wald, verbinden sich mit kosmischen Energien, fragen Engel um Rat, pendeln, legen Karten, lesen einen Ratgeber nach dem anderen, sprechen mit ihren Freundinnen und Freunden. Innere Unruhe ist echt eine Plage, und sie lässt sich nicht auf Knopfdruck stillen.

Was also machen, wenn sich die Sorgen wie ein hohes Gebirge vor einem auftürmen und nicht nur die freie Sicht versperren, sondern das Lebensgefühl niederdrücken? Die Schwere hängt einem wie ein fetter Mühlstein am Hals, auf der Brust liegt ein Felsbrocken, der Atem wird flach, das Gedankenkarussell der Sorgen dreht sich unaufhörlich.

Das Fatale ist, dass wir Menschen dazu neigen mit immer den gleichen Strategien gegen Sorgen und Ängste anzukämpfen. Wenn die Aufgaben uns beschweren und niederdrücken, müssen wir halt noch effektiver werden und schneller arbeiten, mehr lernen für die nächste Klassenarbeit, unsere Zeit besser einteilen. Wenn die Kilos nicht purzeln wollen, müssen wir halt die richtige Diät suchen und uns am Riemen reißen.

Heute ist das Schlagwort Resilienz in aller Munde. Resilienz fragt danach, wie wir widerstandsfähiger werden in Krisen. Wieso verkraften einige Menschen Krisen besser als andere? Was können wir daraus für uns lernen? Resilienz können wir trainieren, heißt es, und viele Firmen schicken ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf Resilienz-Trainings-Kurse. Mit was für einem Ziel nur? Natürlich um das ganze Potential der Angestellten auszunutzen…

Wir sollen funktionieren. Dann sind wir gut für die Gesellschaft. Kein Wunder, dass die psychischen Belastungen für den Einzelnen steigen, wenn der Erwartungsdruck ins Unermessliche steigt.

Heute werden vielfach Kinder und Jugendliche in Talkshows gelobt, wie still sie gehalten haben in der Pandemie und sich klaglos in die Maßnahmen geschickt haben. Oder waren die Erwartungen der Erwachsenen und der Druck schuld zu sein, wenn ein anderes Familienmitglied erkrankt, so nachhaltig und groß, dass ihnen nichts anderes übrigblieb als zu funktionieren?

Nicht nur wir Erwachsenen haben Sorgen, Kinder und Jugendliche auch. Leider fallen sie schnell aus dem Raster unserer Wahrnehmung. Ich befürchte, wir haben unseren Kindern und Jugendlichen zu viel zugemutet und ihre lebenswichtigen Bedürfnisse nicht genug berücksichtigt.

Was ist wichtig bei Ängsten und Sorgen? Erst einmal, dass wir sie wahrnehmen. Natürlich merken wir den Druck und die Schwere, aber lassen wir die Gefühle wirklich zu? Sind wir nicht Weltmeister darin, unsere Gefühle zu verbergen, sie zu übergehen, sie zu überspielen? Es hilft doch auch nichts, traurig oder die ganze Zeit ängstlich zu sein. Dann will doch auf kurz oder lang niemand mehr etwas mit uns zu tun haben. Immer noch ist die Scham groß über seine wirklichen und wahren Gefühle zu sprechen. Die Scham ist so groß, dass wir Gefühle gar nicht richtig wahrnehmen, dass wir sie abspalten von uns. Sie dürfen einfach nicht zu uns gehören, da sie nicht zu unserem Selbstbild passen.

Die Verdrängung der Gefühle funktioniert so lange gut, bis Sorgen und Ängste überhandnehmen und uns schach-matt setzen. Die Sorgen und Ängste jetzt einfach wegzuwerfen wie einen Stein, das wäre doch was?

Ist denn, wenn alles nichts hilft, weder Sport, noch Therapie, noch Medikamente, der Glaube nicht eine Chance, Sorgen und Ängste los zu werden?

Nein, er ist es nicht. Immer dann nicht, wenn wir meinen, der Glaube ist dazu da, dass wir besser funktionieren.

Ja, er ist es, wenn ich mich ganz Gott überlasse. Das ist dann aber keine Leistung, wie eine Diät, die ich rigoros einhalte oder wie ein Lernprogramm, das mich fit für die digitale Welt macht.

Es ist ein Vertrauen auf Gott. Ein Sich-Gott-Überlassen. In diesem Sinn heißt es im 1.Petrusbrief: Überlasse dich ganz Gott. Alles, was dich betrifft, weiß Gott sowieso schon. Ihm ist nichts fremd. Keine Scham. Keine Angst. Kein Zweifel. Keine Wut. Keine Sehnsucht. Keine Sorge.

In diesem Sinn empfiehlt uns die biblische Weisheit: Alle eure Sorgen werft auf Gott, denn Gott sorgt für euch.

Vertrauen hilft. Und die Gewissheit: Gott sorgt für mich. Das heißt nicht, dass ich die Hände in den Schoß lege und nichts aktiv tue. Nein, Glaube als Ausdruck von höchster Passivität führt mich gerade in die aktive Auseinandersetzung mit Problemen, Konflikten, Sorgen und Ängsten. Der Glaube ist hier auch nicht ein Sonderbereich, der hinzukommt: Zum Sport, zum Gespräch, zur Therapie, zu den Medikamenten, sondern er ist in allem. In allem sind wir rückgebunden an Gott. Mein Glaube ist dann der persönliche Ausdruck der Beziehung zu Gott – und auf Gott darf ich alles werfen, wirklich alles. Das macht das Leben nicht automatisch einfacher, aber lebendiger und tiefer.

Amen

Mehr als ein Blumenstrauß, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2021ö

Zu: Toon Horsten: Der Pater und der Philosoph, Die abenteuerliche Rettung von Husserls Vermächtnis, Aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas, Verlag Galiani (Kiepenheuer und Witsch), Berlin 2021, gebunden, 288 Seiten, Namensregister und Bibliographie, ISBN: 978-3-86971-211-6, Preis: 24,00 Euro

Auf einem Familienfoto, und zwar dem der Profess seiner Tante, findet der Autor Toon Horsten das Bild des Paters Herman Leo van Breda (1911 – 1974). Aus der Spurensuche nach der Bedeutung dieses Franziskaners wurde das Buch, das in Belgien als Bestseller bekannt wurde und nun in deutscher Übersetzung erschienen ist. Der Philosoph, um den es im Titel geht, ist Edmund Husserl aus Freiburg, über dessen Werk der genannte Pater ab 1936 in Leuven (Löwen, die flämische Schreibweise wird im Buch durchgehalten, d. Rez.) promoviert.

Rettung eines philosophischen  Nachlasses

1935 war Husserl aufgrund der sog. Rassegesetze der NS-Diktatur zwangsemeritiert worden und erhielt zum Abschied aus der Universität von der Familie Heidegger einen Blumenstrauß als Zeichen der Dankbarkeit. Ein öffentlicher Dank war dem Schüler Husserls und Nachfolger auf dessen Lehrstuhl nicht möglich.

Husserl selbst starb schon kurz nach dieser Verabschiedung im Jahr 1938. Van Breda war inzwischen nach Freiburg gereist, um im Archiv Husserls zu forschen und erhielt diese Nachricht. Was ihm übrig blieb, war die Kenntnisnahme des umfangreichen Nachlasses, den es nun aus Furcht vor der Zerstörungswut der Nazis zu retten galt. Diese Rettung ist in der Tat abenteuerlich. Hier soll die Rezension der Lektüre nicht vorgreifen.

Das Buch von Toon Horsten geht in diesem Zusammenhang auch inhaltlich auf die Methode der Phänomenologie und ihre Bedeutung ein und macht Leserinnen und Leser mit dem international wirkenden Kreis der Schüler und Schülerinnen Husserls bekannt.

Das daraus entstehende Husserls-Archiv hat dementsprechend auch verschiedene Standorte: Köln, Freiburg, Prag, Leuven und Paris in Europa und weitere in den USA.

Trotz der Bemühungen um das Verstecken des Nachlasses und später auch der Bibliothek Husserls, mussten gleichzeitig die Manuskripte ausgewertet und entziffert werden. Hierbei wurde van Breda zur Schlüsselfigur, da er als einziger das Versteck kannte. Es blieb tatsächlich über die gesamte Kriegszeit hin unentdeckt.

Biographie als wissenschaftliche Erzählung

Das Buch von Toon Horsten ist eine wissenschaftliche Erzählung aus einer durch Rassenhass und Krieg bedrohten Zeit. Vor dem Hintergrund dieser antijüdischen Hetze und Verfolgung nimmt die Rettung der Papiere und die Gründung des Husserls Archivs die Gestalt einer Betonung der Freiheit des Denkens in der Philosophie an. Und dies geschah unter der Ägide eines katholischen Ordensgeistlichen, der auch den Rückhalt seines Bischofs besaß.

Er wird zum Motor dieser Bemühungen. Es gelang ihm auch, die Witwe Husserls zum Umzug nach Leuven zu bewegen. Sie war inzwischen zum katholischen Glauben konvertiert. Sie wohnte mit Ihrer Haushaltshilfe in einem Trakt eines Frauenklosters. Eine Weiterfahrt in die USA, wo die Kinder zwischenzeitlich lebten, war nicht mehr möglich.

Es ist ein wenig eine Geschichte nach dem Muster von Anne Frank und Schindlers Liste, genauso aber auch eine Erzählung über die Bedeutung und Wertschätzung der Methode Husserls, die sich später bis in die Kreise der französischen Existenzialisten verfolgen lässt.

Rettung jüdischen Kulturguts

Die Rolle der Kirche als Retterin des Kulturguts der Philosophie sollte nicht unerwähnt bleiben. Übrigens wurde in diesem Zusammenhang auch das Archiv der inzwischen in einen katholischen Orden eingetretenen Edith Stein gerettet und wird seitdem auch vom Husserls Archiv herausgegeben. Der Versuch, die Ordensfrau und Lehrerin selbst zu retten misslang allerdings, wohl weil sie den Weg in die Vernichtung bewusst auf sich genommen hat, auch um ihre Schwester zu begleiten. Sie starb am 9. August 1942 in Auschwitz.

Das Buch endet streng biografisch mit dem recht frühen Tod des Protagonisten im Jahr 1974. In einem Nachwort wird die weitere Geschichte von Husserls Archivs kurz skizziert. Es ist ein spannendes Buch, wie es nur das Leben selbst schreiben kann.