Predigt Invocavit Mt 4,1-11 18. Februar 2024
Liebe Gemeinde,
„Und siehe da traten Engel herzu und dienten ihm“ (Mt 4,11) – oft läuft mir, wenn ich den Schlusssatz der Versuchungsgeschichte Jesu bei Matthäus höre, ein wohliger Schauer über den Rücken. Die Versuchung ist bestanden nach 40 Tagen Einsamkeit, Fasten und Kampf mit den (eigenen) Dämonen in der Wüste. Die himmlische Welt dient Jesus, richtet ihn auf und lässt ihn erste Schritte seiner Mission gehen.
Wenn wir auf die gegenwärtige Situation unserer Kirche schauen, könnten wir zu dem Schluss kommen, die Kirche selbst sei mitten in der Wüste und muss sich erodierenden Prozessen, Versuchungen und Ängsten erwehren. Im Bild gesprochen: Ab und an blüht dann mal ein kleines Pflänzchen Hoffnung mitten in der Wüste auf. Alle freuen sich darüber und klammern sich daran. Doch am nächsten Tag ist das Pflänzchen schon wieder weg. Mal im Ernst, abgesehen davon, dass das Bild der Wüste zu allen Zeiten der Kirchengeschichte passt – der Versuchung sind wir als Gemeinde und als einzelne immer ausgesetzt – möchte ich das Bild der Wüste nicht länger für unser Erleben von Kirche strapazieren, aber ich möchte die drei Versuchungen Jesu auf die gegenwärtige Situation der Kirche und unserer Lydia-Gemeinde beziehen.
Sehnsucht
Wir sollen uns von unserer Sehnsucht leiten lassen, heißt es. Das sei ein guter Kompass und in der Sehnsucht liege eine ungeheure Kraft, gesteckte Ziele zu erreichen. Jesus überkommt in der Wüste der Hunger. Hunger ist mehr als Appetit oder Heißhunger. Auf dem Höhepunkt seines Fastens schreit alles in ihm nach Brot. Hier setzt der Satan an, er solle doch als Sohn Gottes Steine in Brot verwandeln.
Nun, wir sollen zwar nicht Steine in Brot verwandeln, aber möglichst viele kaum mehr benutzte Kirchen stilllegen, fallen lassen, entwidmen oder verwandeln in CO 2 abgasneutrale Orte. Wobei hier – anders als bei Jesus – die Finanzen und der Klimawandel die ausschlaggebenden Faktoren sind. Wäre es nicht einfacher Kirchen abzustoßen und sie nicht als Steine der Verkündigung in einem säkularen Umfeld zu bewahren?
Der Einwand Jesu eben nicht Steine in Brot zu verwandeln beeindruckt. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Wovon aber dann? Der Mensch lebt von Worten – die von Gott ausgehen.
Das unmittelbare Bedürfnis Jesu nach Brot wird in seiner Replik auf die Versuchung des Satans noch einmal von Jesus selbst geprüft und er kommt zu dem Ergebnis: Nicht mein bedürftiger Körper ist jetzt gefragt, sondern mein Geist und mein Verhältnis zum göttlichen Vater. Jesus gewinnt Klarheit und weist die Versuchung ab.
Es gilt Sehnsucht von Sehnsucht zu unterscheiden. Die Sehnsucht nach schneller Veränderung, Anpassung an gesellschaftliche Trends ist verständlich, aber ich verstehe nicht, warum unsere rheinische Kirche mit der vereinbarten CO 2 Neutralität aller ihrer Gebäude – einschließlich der Kirchen – bis zum Jahr 2035 besser dastehen will als der Gesetzgeber es vorsieht. Damit werde den Gemeinden Auflagen aufgebürdet an denen sie nur scheitern können. Die Sehnsucht danach Primus zu sein und es besser machen zu wollen als andere ist eine gefährliche Versuchung.
Etwas mehr Abstand, Zeit zum Austausch, ruhiges Abwägen würde uns als Kirche guttun. Das tut uns auch als Gemeinde gut. Auch im Presbyterium. Die Frage aus der ersten Versuchung Jesu, was nährt uns wirklich, kann uns helfen zu Entscheidungen zu kommen, Gemeinde vor Ort zu gestalten. Jesus hat sich entschieden, der Versuchung nicht nachzugeben. Wo liegen unsere Versuchungen in der Frage, wie gestalten wir die Lydia-Gemeinde für die nächsten zehn Jahre? Neben all dem was wichtig ist: Lasst uns auf Gott und aufeinander hören. Gott spricht zu uns.
Lust
Liebe Gemeinde,
verbreitet ist die Schadenfreude, wenn etwas oder jemand fällt. Weniger verbreitet ist die Lust am eigenen Untergang. In der Kirche ist der unheimliche Genuss daran, den eigenen Niedergang zu beklagen, sich schlecht zu machen und sich gleichzeitig wohlig um sich selbst zu drehen, epidemiehaft verbreitet. Ja, Trauer darüber, dass wir uns von vielem Liebgewordenen und Gewissheiten m wahrsten Sinne des Wortes verabschieden müssen gehört zu Veränderungsprozessen dazu und darf sein, aber die Trauer ist zu unterscheiden von einem krampfhaften Festhalten-Wollen nach dem Motto: Augen zu und durch! Nach mir die Sintflut! Gerade weil die gesellschaftlichen und kirchlichen Veränderungen uns Schwindel bereiten und wir gar nicht mehr hinterherkommen, ist es gut, einen festen Stand zu haben, um nicht in den wilden, zerstörerischen und lähmenden dunklen Abgrund hineingezogen zu werden.
Jesus springt nicht von der Zinne, obgleich es ihm der Durcheinanderbringer schmackhaft macht. „Du wirst aufgefangen. Die Engel werden dich sanft in ihren Händen tragen.“
Liebe Gemeinde,
es gibt ein geistliches Geschwätz, das zum Himmel stinkt. Es suggeriert in allem: Gott wird dich auffangen – in Gottes Händen bist du geborgen! Ich kann diese Anmaßung, wie sehr diese Rede über Gott verfügt, immer schlechter ertragen – da sie Passivität und Verdrängung fördert. Jesus ist nicht bequem. Er lässt sich nicht verlocken zu springen, da er weiß, dass die Verheißungen Gottes kein Wunschkonzert sind, sondern Zuversicht schenken in höchster Not. Das ist kein Spiel. Gottes Verheißungen eröffnen Zukunft, schenken Freiheit trotz Verstrickungen, machen reich trotz Mangel, ermächtigen trotz Ohnmacht.
Jesus bleibt einfach stehen. Trotz des Schwindels der uns ergreift einen festen Stand haben oder immer wieder zu einem guten Stand kommen, trotz der Ohnmacht und der Angst vor den Herausforderungen ermächtigt sein und sich der Versuchung erwehren über den Zustand der Lydia-Gemeinde und den einschneidenden Veränderungen nur zu jammern, das wünsche ich mir. Dass wir uns dazu verhelfen. Dass wir miteinander die Freude am Glauben wecken und leben – gleich ob Mitglieder und Finanzen schwinden – und wir als Kirche rein soziologisch gesehen auf den absteigenden Ast sitzen. Das können wir auch. Jammern ist ansteckend, Freude auch. Das Schöne ist: Im Glauben müssen wir unseren Stand nicht selbst erkämpfen. Freude über Freude.
Anbetung
Macht ist und bleibt eine Versuchung. Nicht nur im großen Stil des Herrschens über ganze Länder und Kontinente, um eigene Interessen und das Erweitern seiner Einflusssphäre zu sichern, notfalls mit Gewalt und Krieg. Es ist noch nicht ausgemacht, ob das autoritäre oder demokratisch kapitalistische System dominieren wird, der global geführte Kampf darum ist entbrannt. Schon jetzt wissen wir, er hat stattgefunden und findet statt auf Kosten der Armen und unter Missachtung der Menschenrechte, von Tier- und Schöpfungsrechten ganz zu schweigen. Ganz anders die Absage Jesu an das Herrschen mit Gewalt über andere. Diese Versuchung ist für Jesus vielleicht die geringste, für die Welt und die Kirche in der Welt aber die größte. Hieße das doch, Gott zu lieben und die Wahrheit und die Gerechtigkeit und nicht dem Mammon zu dienen, dem Kapital zu folgen, das vermeintlich eigene Recht auf Teufel komm raus kriegerisch durchzusetzen. Angeblich für Werte in Wahrheit für Interessen werden die Opfer übersehen, zählt nicht das Leben eines Menschen, sondern allein das Ziel. „Die Herren dieser Welt kommen und gehen – unser Herr kommt“ hat der Kämpfer der Bekennenden Kirche der ersten Stunde Martin Niemöller gesagt. Es passt dieses Wort, dass dem Glauben eine grundsätzliche subversive und kritische Haltung gegenüber den Mächtigen – und auch gegenüber den Wortführern in den eigenen Reihen – in die DNA schreibt. Bleiben wir kritisch. Bleiben wir wachsam. Bleiben wir nüchtern. Es ist gut, dass die Zeiten der Pfarrherrlichkeiten ausklingen. Der Nährboden für falsche Abhängigkeiten und sexuelle Übergriffe wird den Pfarrern entzogen, wenn die Gemeinde sie nicht länger mit einem Heiligenschein versieht. Es gibt in der evangelischen Gemeinde geistlich gesehen kein oben und unten, nur – aber auch das muss kritisch begleitet werden – verschiedene Aufgaben und Funktionen.
Jesus wehrt den Versuch der Macht ohne Liebe und Gerechtigkeit ab. Wer Gott anbetet, der betet nicht eine weltliche Macht an, sondern eine geistige Macht, Gott selbst. Diese Anbetung führt nicht in die Isolation, sondern in die Gemeinschaft. Macht wird hier durch Gerechtigkeit und Liebe bestimmt.
Liebe Gemeinde,
das sind die drei Versuchungen Jesu und der Kirche: der Sehnsucht und nicht dem Geist zu folgen, die Lust sich in die Arme Gottes fallen zu lassen und nicht für das eigene Tun und Handeln gerade zu stehen, und die Anbetung der Macht, das über Andere herrschen und bestimmen wollen – und sei es nur durch eine fiese Mail – und sich der Liebe und Gerechtigkeit zu entziehen.
Jesus hat den Teufel besiegt, wir werden immer wieder schwach werden, den Versuchungen erliegen, aber wir dürfen immer wieder aufstehen, uns an Jesus ausrichten, Gott und den Menschen dienen. Und ohne unser Zutun treten dann die Engel zu uns und helfen uns zu leben.
Amen
Als gläubiger Mensch habe ich doch auch mal das Buch „Das Religionsparadox“ von Victoria Rationi gelesen – und muss der Autorin leider in einigem zustimmen …
Gerhard