Was hat Weihnachten mit Dantes Göttlicher Komödie zu tun? Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2024

Christvesper Predigt 2024     

eigenes Foto: Lürbker Weihnachtskrippe, Ausschnitt Verkündigung der Engel.

Sünd und Hölle mag sich grämen, Tod und Teufel mag sich schämen; wir, die unser Heil annehmen, werfen allen Kummer hin.  EG 39,2 Paul Gerhardt 1666

Liebe Gemeinde,

in Dantes Göttlicher Komödie gibt es eine Gruppe von Seelen, die weder in den Himmel noch in die Hölle kommen – die sogenannten „laueren“ Seelen. Diese sind diejenigen, die ein Leben der Unentschlossenheit und Gleichgültigkeit geführt haben, die weder im Guten noch im Bösen standhaft waren, sondern in einer Art neutraler Haltung verharrten. Sie sind für den Himmel unbrauchbar, weil sie nie die Entscheidung getroffen haben, sich für das Gute einzusetzen, und für die Hölle ungeeignet, weil sie nie wirklich Böses getan haben. Dante beschreibt sie als „die, die in ihrem Leben weder geliebt noch gehasst haben“, und ihre Strafe ist, dass sie auf ewig in einer Art existentiellen Leere gefangen sind, ohne Hoffnung auf Erlösung oder Befreiung. (Quelle: chat-gpt mit der Frage nach den lauen Seelen in der Göttlichen Komödie)

bloß nicht auffallen und ja nichts riskieren

Diesen Typus Mensch, weder Fisch noch Fleisch, bloß nicht auffallen und ja nichts riskieren gab es schon immer. Mir scheint, dass dieser Typus heute grassiert. Ich könnte ja etwas falsch machen, also mache ich es lieber gar nicht. Ich halte mich zurück in einer Gruppe, sage nicht, was ich denke, hinterher muss ich mich noch rechtfertigen, ich passe mich lieber an. Damit fahre ich gut im Leben. Ich suche nicht den Streit, die Auseinandersetzung. Das ist viel zu anstrengend. Ich bin am liebsten mit denen zusammen, die genauso denken wie ich. Und wer nicht so denkt, verschwindet mit der Zeit ganz von allein.

Beispiel: (Gedanken eines Gottesdienstbesuchers)

Es ist halt der Wunsch meiner Mutter, dass wir als Familie in den Heilig Abend-Gottesdienst gehen. Diese ganze museale Veranstaltung sagt mir zwar nichts, aber um des lieben Friedens willen, geh ich halt mit und besuche diese mittelmäßige Show. Irgendwie haben die Christen noch nicht begriffen, dass sie voll out sind, keiner kümmert sich mehr um sie, sie spielen keine Rolle mehr. Sie sind unglaubwürdig und haben mir nichts mehr zu sagen.

Dante bezeichnet die Lauen als „die, in ihrem Leben weder geliebt noch gehasst haben.“  Das ist doch eine interessante Beschreibung! Wie stehts mit dir? Hast du geliebt? Liebst du? Was fühlst du? Wie zeigt sich deine Liebe? Wird sie sichtbar? Wie wandelt sie sich? Es gibt viele Arten zu lieben.

Das Weihnachtsevangelium ist eine Liebesgeschichte

Eines der schönsten Liebesgeschichten ist für mich das Weihnachtsevangelium. Gott wird Mensch, nimmt unser Wesen an, wird ein hilfsbedürftiges Neugeborenes, um uns von Sünde und Tod zu erlösen.

Jesus ist dem ganzen zufälligen Leben ausgesetzt. Nichts ist planbar. O wie gern planen wir: geben dem Leben, dem Tag und dem Fest eine Struktur – und es hilft und doch ereignet sich das Entscheidende in den Zwischenräumen, geschieht einfach. Das Gespräch an der Weihnachtstafel oder im Restaurant oder während der langen Autofahrt zu den Verwandten am ersten oder zweiten Feiertag, bekommt durch eine Frage oder ein Erzählen eine andere Wendung, geht in die Tiefe, weil eine oder einer sich traut, etwas von sich zu zeigen und es in dem Moment gerade passt, auf Zuhören und Resonanz stößt, nicht in der Hektik des Alltags und der tausend Dinge, die noch zu planen sind, untergeht.

Wir brauchen solche Räume des Miteinanders, wo wir uns der Nähe und der Zuwendung der anderen versichern, wo wir spüren, hier bin ich wie ich bin angenommen, ich darf mich zuwenden und auch abgrenzen, ich darf hier mit meinen Gefühlen, Wünschen und Sehnsüchten sein. Das gelingt, wenn sich Vertrauen gebildet hat, wenn wir nicht auf unsere vermeintlichen Fehler festgelegt werden und wir den anderen Raum geben, ihr Wesen zu entfalten. Das gelingt, wenn wir die Zeit nicht vollstopfen und sich einstellende Leere aushalten, uns selbst spüren.

Jesus ist dem ganz zufälligen Leben ausgesetzt. Das beginnt schon mit seiner Geburt. Die vielen Krippenbilder von der heiligen Familie lügen alle. Wir haben Sehnsucht nach heiler Familie, die Krippenbilder sind Sehnsuchtsbilder. Sie halten ein Ideal fest, romantisieren ein Wunder, das in Bildern nicht festgehalten werden kann. Wenn es damals Selfies gegeben hätte, die Welt wäre voll davon und würde doch auf den tausenden von Selfies nichts erkennen. Das Entscheidende geschieht in der Begegnung. Wie immer im Leben. Auch im Glauben. Auch in der Begegnung mit dem Neugeborenen, der später der Erste sein wird, der den Tod überwunden hat, und der mit seiner Liebe die Sünde zugedeckt hat. Gewalt ist keine Option mehr. Versöhnung ist der Weg zum Frieden.

Weihnachten als unverfügbare Begegnung

Wenn aber Weihnachten vor allem eine Begegnung mit dem unverfügbaren Göttlichen ist und sich in geglückten Begegnungen ereignet, dann ist Weihnachten ein Resonanzgeschehen. „Wir, die unser Heil annehmen, werfen allen Kummer hin“, dichtet Paul Gerhardt im 17. Jahrhundert. Das ist eine doppelte Bewegung: annehmen und wegwerfen.

Ich nehme das Geschenk Gottes an und lasse dafür das Kreisen um mich selbst. (Selbsterlösung, Selbstoptimierung)

Ich spüre Gottes Liebe und übe mich in Liebe.

Ich lasse mich neu Werden und lasse Neues werden.

Ich lasse mich versöhnen und bin bereit zu versöhnen.

Ich bin aufgehoben und frei für andere.

Weihnachten als Resonanzgeschehen zu begreifen heißt, es nicht gleichgültig distanziert anzuschauen, sondern bereit zu sein, Gott und Mensch zu lieben, mehr noch: die ganze Schöpfung.

Gott gegenüber indifferent zu sein oder den Menschen gegenüber soviel Distanziertheit gegenüber zu bringen, dass sie prinzipiell austauschbar sind, dass ich mich ihnen nicht zumute, nichts von ihnen erwarte, oder mitfühle und Verantwortung übernehme, führt in eine existenzielle Leere, in ein Funktionieren um des Funktionierens willen, in ein gefühlsloses, erstarrtes Innen- und Beziehungsleben, letztlich in eine unmenschliche Welt.

Für diese „laueren Seelen“, die weder lieben noch hassen, gibt es kein Weihnachten, kein Licht, keine Hoffnung, keine Zukunft – nur eisige Kälte.

Für sie gibt es noch nicht mal nach Dante einen Zugang zur Hölle, weil selbst der Teufel nichts mit solchen Menschen zu tun haben will, die kein Feuer unterm Hintern haben.

Deshalb: Wenn wir schon die brennenden Kerzen vom Weihnachtsbaum entfernt haben, brennt für Gott und die Liebe!

Sünd und Hölle mag sich grämen, Tod und Teufel mag sich schämen; wir, die unser Heil annehmen, werfen allen Kummer hin.  EG 39,2 Paul Gerhardt 1666

 

„Und der Friede Gottes, welcher höher ist als allem menschliche Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem HERRN.“

Amen

Siehe auch:
Hans Conrad Zander: Warum es so schwierig ist in die Hölle zu kommen. Himmlische Komödien aus der Geschichte der Religion, Bonifatius Verlag, Paderborn 2022, 2 Auflage, Seiten 11 – 19

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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