Niemand von uns stirbt für sich selbst, Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2024

Foto: Niklas Fleischer (c), auf dem Ostfriedhof, Dortmund, Opfer eines Bergwerkunglücks

Predigt über Römer 14, 7+8, Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr 2024

Liebe Gemeinde,

Hans Fallada erzählt in seinem letzten Roman kurz nach dem zweiten Weltkrieg die Widerstandsgeschichte des Berliner Ehepaars Anna und Otto Quangel, die mit Flugblättern gegen die Naziherrschaft rebellierten. Sie fliegen auf und werden beide zum Tode verurteilt. Der Roman trägt den Titel: Jeder stirbt für sich allein.

Gleich wie die Umstände des eigenen Todes sein werden, wir wissen, unser eigenes Sterben kann uns niemand abnehmen. Da müssen wir allein durch.

Niemand von uns lebt für sich selbst – niemand von uns stirbt für sich selbst

Es geht um Zugehörigkeit.

Wohin und zu wem gehöre ich?

Niemand von uns ist ohne Geschichte und lebt in Beziehungen. Selbst wenn Menschen schon gestorben sind, stehen wir doch mit ihnen in einer Verbindung. Da ist ein innerer Dialog oder ein bildhaftes Erinnern, das uns stärkt oder mitunter auch irritiert. Auch die vielen Menschen – Singlehaushalte sind weit verbreitet – die allein in einer Wohnung leben, stehen in Beziehungen. Allein sein heißt nicht einsam sein. Aber: Einsamkeit greift um sich, wird zu einer unerträglichen Last für viele Menschen in unserer modernen Gesellschaft. Die Gründe sind vielfältig. Oft ziehen sich Menschen in sich selbst zurück nach Schicksalsschlägen oder familiären Konflikten. Sie verkümmern mehr und mehr, verlernen Beziehungen zu pflegen, haben jegliches Vertrauen in Menschen verloren, bewegen sich anonym in Straßen und Häusern.

Wohin und zu wem gehöre ich?

Wenn ich das nicht beantworten kann, wird es schwierig einen Sinn im Leben zu finden. Paulus Worte: Niemand von uns lebt für sich selbst weisen über das menschliche Beziehungsgeflecht hinaus. Seine Worte eröffnen eine spirituelle Dimension. Auch sie gehört zum Leben. Die spirituelle Heimatlosigkeit in unseren Breiten grassiert wie die Einsamkeit. Ob es da einen Zusammenhang gibt?

Für Paulus schenkt der Glaube an Christus eine doppelte Zugehörigkeit: Sie verbindet uns untereinander und mit Gott. Jesus sagt zu seinen Jüngerinnen und Jüngern: „Niemand kann euch aus meiner Hand reißen.“ (Johannes 10,28)

Das ist nicht nur ein Gedanke oder ein historischer Text, das ist eine Glaubenswirklichkeit bis heute. Deshalb kann Paulus den Römern schreiben: Niemand lebt von uns für sich selbst.

Wenn du zu Christus gehörst, bist du nicht allein. Alle können dich verlassen und zuletzt verlässt du dich in deinem Sterben selbst, aber selbst im Sterben gehörst du zu Christus.

Wohin und zu wem gehöre ich?

Am Donnerstagmorgen habe ich ein Gedicht im Radio gehört. Leider konnte ich es nicht recherchieren, aber es hat mich berührt. In eindrücklichen Bildern dichtet eine schwarze Österreicherin wie sie auf Gott bezogen ist. Sie sieht wie Gott mit seinem Pinsel den blauen Himmel malt, wie er den Wolken eine Gestalt gib und wie Gottes Pinsel ihre schwarzen Augen, ihren breiten Mund, ihre dunkle Haut malt. Das Gedicht ist eine Hymne auf den Künstler Gott, ein Lobpreis ihrer Schönheit. Es scheint als sei das lyrische Ich ganz einverstanden mit Gott und sich selbst. Da kann ihr von außen Rassismus entgegenschlagen. Sie gehört zu Gott.

Woher weiß ich, dass ich zu Gott gehöre?

Wenn deine Seele mit Gott in Verbindung ist, weißt du das. Du sprichst mit Gott, ob nun mit Worten oder in einem inneren Dialog, selbst wenn du schweigst oder tätig bist, schläfst, isst oder trinkst bist du mit Gott in Verbindung. Ob du krank bist, mit dir und deiner Laune zu kämpfen hast, du vor Freude vergehen könntest, dich Sorgen bedrängen – du gehörst zu Gott. Das macht dich nicht reicher, klüger oder glücklicher. Es ist, was es ist. Du kannst dich nicht anders denken oder sein.

Unser Glaube schenkt uns Zugehörigkeit, einen Fluchtort, Widerstandskraft, Furchtlosigkeit, Selbstlosigkeit, Freude, Sinn, Halt in großen Nöten und die Hoffnung auf einen Gott, der da rettet, heilt und verbindet, was verletzt ist.

Wohin und zu wem gehöre ich? Darauf gibst du Antwort mit deinem Leben.

Paulus hat an anderer Stelle von seinen Erfahrungen gesprochen: „Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit…und Ängsten“, weil ich zu Christus gehöre; „denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.“ (2. Korinther 12,10)

In seiner Schwachheit schaut Paulus auf Christus. Auf seine Kraft und Stärke. Christus macht ihn selbst in Schwachheit stark.

Wohin und zu wem gehöre ich?

„Niemand von uns lebt für sich selbst, niemand von uns stirbt für sich selbst. Leben wir, so gehört unser Leben dem Lebendigen. Sterben wir, so gehört unser Sterben dem Lebendigen. Ob wir leben oder sterben, wir gehören zum Lebendigen.“ (Römer 14,7+8 Bibel in gerechter Sprache)

Anmerkung zum oben zitierten Gedicht:

der künstler
heute morgen habe ich aus dem rahmen meines tensters geschaut und
das gemalde der wolken bewundert.
ich stellte mir Gott mit dem pinsel zwischen den fingern vor,
haue farhe
der spitze des pinsels tropfend
mit geschlossenen augen stellte ich mir Sein weißes, mit
verschiedenen, aber ahnlichen himmelsschattierungen beflecktes
gewand vor,
Seine sich bewegende leinwand würde sich mit iedem strich in einen
meisterwerk offenbaren.
ich konnte nicht anders, als mir den tag vorzustellen, an dem Er an
mich dachte
das lob am himmel als Er das tiefste kaffeebraun wählte mit dem Er
meine augen zierte
Er wusste
dass ich eine verkörperung Seiner freude sein würde.
und legte daher die breitesten lippen auf mein oesicht.
das weichste rouge auf meine wangen
und das dunkelste haar auf meinen konf
ich stellte mir vor wie Sein pinsel sich im einklano mit Seinem konf
neiote während er meiner haut einen weiteren braunton hinzufügte.
rosa von einem umgekippten glas wein auf meine lippen

Birthmarks von Precious Chiebonam Nnebedum, haymonverlag, Insbruck-Wien, 2022, S.200/201

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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