
Rezension zu:
Christian Peters: Luthertum und Pietismus, Die Kirche von Soest und die neue Frömmigkeit (1650 – 1750), Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Neue Folge 80, Aschendorff Verlag, Münster 2024, gebunden, 972 Seiten, 139 farbige Abbildungen in der Mitte (Fotos), ISBN 978-3-402-15147-1: Preis: 69,00 Euro (print)
Pauschalierende Titel sind immer etwas irreführend und geben ohnehin nicht alles wieder. In den Titel des Buches hätte noch der Begriff Aufklärung gehört, vielleicht noch andere Begriffe, die das Spannungsfeld der barocken Kirchensituation in Soest beschreiben. Oder hätte man sagen können: Kirchenerneuerung zwischen Theologie und staatlicher Aufsicht? Der Ausgangspunkt ist so trivial wie sensationell: In Halle wurde bei der Durchsicht des dortigen Archivs ein Stapel Briefe gefunden, ein umfangreicher Briefwechsel zwischen August Hermann Francke und seinem Nachfolger und Sohn Gotthilf August Franke mit dem Soester Pfarrer Johann Nikolaus Sybel (1690 – 1759).
Das erste Kapitel des vorliegenden Bandes lautet schlicht: Johann Nikolaus Sybel (1690 – 1759). Das zweite Kapitel nennt sich Edition und bietet die gedruckte Ausgabe der Briefe von und an Johann Nikolaus Sybel, so wie sie in Halle aufgefunden wurden. Darunter auch die „Neue“ Soester Kirchenordnung und die vorher herausgegebenen „Soester Kirchenagenden“. Das dritte Kapitel dokumentiert das Schriftenverzeichnis der jeweilig im Text genannten Pfarrer und Schulleiter. Von Sybel sind hier nur die Studienabschlüsse genannt, drei Dissertationen, herausgegeben an seinem Studienort Gießen.
Die Einleitung weist darauf hin, dass August Hermann Francke aus Halle ein Anhänger Philip Jakob Speners war, der mit seiner Schrift Pia Desideria den sogenannten Pietismus begründet hat. Auch die freie Gemeinschaft der Herrnhuter gehört zu diesem Einfluss, wiederum beeinflusst durch den in der Kirche nicht anerkannten Mystiker Jakob Böhme aus Görlitz. Da es eine Versammlungsfreiheit (in Preußen) nicht gab, gab es eine nachmittägliche Gottesdienststunde, evtl. auch einen Gebetskreis, collegia pietatis genannt.
Das Soester Gymnasium war unter kirchlicher Leitung, der Rektor war ein ausgebildeter Pfarrer, aber im Hauptberuf Schulleiter. In der Schule war zuerst noch die spätorthodoxe Haltung üblich, bis im 18. Jahrhundert frühaufklärerische Tendenzen hinzukamen.
Das erste Kapitel ist zwar als Lebenslauf von Johann Nikolaus Sybel angelegt, enthält aber gerade im ersten Teil einige Ausblicke auf die Soester Pfarrerschaft, auf pietistische Einflüsse, auf die weitere in der Kirche eingebundene Verwandtschaft Sybels und auf die kirchliche Struktur der freien Landeskirche Soest. Sybel wurde schon mit 23 Jahren Pfarrer an St. Georgii in Soest, bekam aber erst 1519 die Pfarrstelle seines verstorbenen Vaters. (Die Kirche St. Georgii wurde im 19. Jahrhundert abgebrochen., Anm. des Rez.) Als ein Zeichen des überregionalen Einflusses August Hermann Franckes auch bis nach Soest wird das Projekt des Waisenhauses angesehen. Im Buch ist noch ein altes Foto des im 2. Weltkrieg schwer beschädigten Gebäudes.
Die Einrichtung der Kinderlehre und der Konfirmation zeigt eine stärkere Bemühung und die Erziehung und den kirchlichen Einfluss. Das Gesangbuch, das selbst in Soest herausgegeben und gedruckt wurde tat ein weiteres. An der Schule war der pietistische Einfluss erst ab ca. 1730 spürbar. Dann erst wurde die Neubesetzung der Rektorenstelle nach halle ausgerichtet. Auch das gottesdienstliche Leben wurde reformiert: Johann Nikolaus Sybel war maßgeblich an der Herausgabe der „Soester Kirchen Agenden“ beteiligt. Im Kontakt mit Gotthilf August Francke (s.o.) gab er der Agende eine „klare liturgische Formensprache“ (S. 144). Während nach 1737 durch Visitationen der pietistische Einfluss mit „Wochenpredigten, Kinderlehre und Betstunde (S. 147) stärker geworden war, war mit dem Wechsel zu König Friedrich II. der aufklärerische Einfluß in Westfalen wieder größer.
In den letzten dienst- und Lebensjahren war der zeitlebens unverheiratete Sybel Inspektor der Soester Kirchen. Doch die Gesundheit ließ nach und er litt unter den Einquartierungen während des sieben jährigen Krieges. Sybel starb am 1.2.1759 mit 69 Jahren. Als sein Hauptwerk wird die Soester Kirchenagende bezeichnet.
Fazit: Das umfangreiche Buch enthält einen ausführlichen Dokumententeil, der wiederum in die Anmerkungen zum Lebenslauf Sybels eingearbeitet ist. Ich habe mich entschieden zunächst nur den Lebenslauf Sybels zu lesen und die Dokumente erst danach zur Kenntnis zu nehmen. Der Briefwechsel ist damit für die Forschung erschlossen.
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