Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025, Rezension zu Hartmut von Sass: Atheistisch Glauben. Ein theologischer Essay,

Matthes & Seitz, Berlin 2024. Vierte Auflage

Gott atheistisch gedacht

Gott hat nach dem Theologen und Religionsphilosophen Hartmut von Sass keine Geschichte, dennoch können Geschichten von ihm erzählt werden, wie etwa biblische Geschichten. In seinem Essay Atheistisch glauben entfaltet Hartmut von Sass keine Gotteslehre, sondern entwirft eine Architektur des Glaubens im 21. Jahrhundert. Im neuen Haus des Glaubens schreibt von Sass christliche Tradition fort und plädiert für einen existentiellen Glauben, der sich im Alltag und in der Welt bewährt.

Gott als Person hat ausgedient

Es ist von Sass wichtig zu zeigen, dass der Glaube auch dann nicht zu Ende ist, wenn es keine andere Welt neben dieser Welt, etwas ein Jenseits oder Gott als Subjekt (Person) gibt. Im Gegenteil: Glaube (ohne Netz) macht die Welt neu und Erfahrung des Glaubens schenkt eine neue Sicht auf die Welt. Hartmut von Sass unternimmt nichts Geringeres, als einen Glauben ohne Gott (Subjekt) zu skizzieren. Einen solchen Glauben bezeichnet er als atheistisch. Jegliche Metaphysik und jeglicher Theismus sind darin überwunden.

Der Glaube bereichert die Welt

Da der Glaube ein „menschlich Ding“ ist, ist er ein Weltaspekt, der neben anderen Weltaspekten und Zugängen, wie etwa ein naturwissenschaftlicher oder ein ökonomischer die Welt bereichert. Anhand der Ästhetik (Kunst) macht Hartmut von Saß deutlich, dass der Weltzugang immer mit dem Rezipienten zu tun hat. Darin ähneln sich Kunst- und Glaubenserfahrungen. Glauben wird als eigenständige religiöse Erfahrung in der Welt als gleichberechtigt gegenüber anderen Sicht- und Zugangsweisen zur Welt verortet. Dieser Glaube steht nicht in Widerspruch zu wissenschaftlichen Aussagen, auch kennt ein solcher Glaube keine Theodizee. Wo kein Gott ist, der rettend in die Welt eingreift, ist eine Theodizee überflüssig. Damit werden auf einem Schlag viele theologische Fragestellungen ad absurdum geführt. Nicht das Warum ist die entscheidende Frage, sondern das Wohin. Wie bewährt sich der angefochtene Glaube in Krisen und Leiden, ist eine weiterbringende Fragerichtung.

Glaube als Modus

Hartmut von Sass spricht von einem modalen Glauben. Im Modus des Glaubens leben und seine ganze Existenz darin verorten, qualifiziert das Leben als religiös. Wenn auch Hartmut von Sass die theologische Rede von einem handelnden Gott atheistisch verneint, so spricht er von Gott als Macht, die in menschlichem Leben wirklich wird. Gott ereignet sich. Diese Wirklichkeit Gottes ist und bleibt gebunden an der menschlichen Erfahrung. Außerhalb der menschlichen Erfahrung kann diese Wirklichkeit nicht qualifiziert werden. Wobei Hartmut von Sass festhält, dass Gottes Offenbarung nichts anderes sein kann als seine Liebe (1 Joh 4,16).

Eschatologie im Hier und Jetzt

Da Gott sich im Hier und Jetzt ereignet, entwickelt Hartmut von Sass im johanneischen Geist eine präsentische Eschatologie. Ein ewiges Leben bei Gott jenseits des Todes, etwa in „Gottes neuer Welt“, gehört bei ihm nicht zur Architektur eines modernen Glaubens. Hartmut von Sass bleibt sich treu, lediglich aus religiösen Erfahrungen über Gott zu reden. Da es keine Erfahrungen jenseits des Todes gibt, endet mit dem irdischen Leben das Leben selbst (Ganztodthese).

Ohne Gott an Gott glauben?

Der Mythos erzählt von Gott als handelndes Subjekt. Immer wieder wurden religiöse Erfahrungen von Menschen in einem komplexen Geflecht in Sprache, Glaubenssätze und später Dogmen überführt. Das sehen wir besonders in der Christologie, wie aus Jesus von Nazareth dem Menschensohn der Gottessohn wurde. Aus meiner Sicht nimmt Hartmut von Saß dem christlichen Glauben das Geheimnis, wenn seine Architektur des Glaubens nur religiöse Erfahrungen gelten lässt, nicht aber ein systematisch-theologisches Denken darüber, welche Macht hier erfahren wird. Wer oder was offenbart sich hier? Wer oder was entzieht sich hier? Wie kommt es zu einer religiösen Erfahrung oder gar Gewissheit? Ferner: Am Anfang steht der Mythos. Die Gotteserfahrung wird mit der Sprache des Mythos gedeutet. Daraus entstehen Glaubenssätze, die überliefert werden. Die Ähnlichkeit und Differenz zwischen Mythos, Erfahrung und Dogma (Vernunft) führt in eine produktive Spannung in der Ökumene, im Dialog der Religionen, im Gespräch mit modernen Wissenschaften und im Lebensvollzug (Ethik/Kultur).

Die Produktivität der Spannung zeigt und löst sich im theologischen Ansatz Hartmut von Sass auf: Ohne Gott an Gott zu glauben. Wie aber kann der Glaube ohne Gottes Handeln den Mythos bewahren? Und ist atheistisch Glauben nicht unter der Hand ein neues Dogma?

Joachim Leberecht

Wo ist Gott im Leiden? Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Predigt Hiob – oder die Frage: Wo ist Gott im Leiden?

Text entnommen aus https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/

1 Da reagierte Hiob und sprach: 2 »Auch heute noch besteht meine Klage im Widerspruch, meine Hand liegt schwer auf meinem Stöhnen.
3 Wer gäbe, dass ich Gott zu finden wüsste, dass ich zu Gottes Thron gelangte!
4 Ich wollte vor Gottes Antlitz den Rechtsfall vorbringen und meinen Mund mit Zurechtstellungen füllen.
5 Ich wüsste dann endlich die Worte, die Gott mir erwiderte, merkte, was Gott mir sagte.
6 Würde Gott mit großer Kraft gegen mich streiten? Nein – aber mich beachten!
7 Dort setzte sich ein Aufrechter mit Gott auseinander, und ich wäre auf immer meinem Gericht entronnen.
8 Schau: Gehe ich nach vorn, so ist Gott nicht da, und nach hinten, da bemerke ich es nicht,
9 nach links beim göttlichen Wirken, ich erblicke es nicht, lenkte Gott nach rechts, so sähe ich es nicht.
10 Ja, Gott kennt den Weg mit mir, prüfte Gott mich – da käme ich wie Gold heraus.
11 Mein Fuß hielt an Gottes Schritt fest, diesen Weg beachtete ich und wich nicht ab.
12 Das Gebot der göttlichen Lippen – ich ließ nicht ab vom mir geltenden Gesetz, ich bewahrte die Worte aus Gottes Mund.
13 Die Gottheit aber bleibt sich gleich – und wer könnte das wenden? –
sie will es tun und tut es.
14 Ja, Gott wird dem mir geltenden Gesetz Genüge tun und Ähnliches ist viel bei Gott.
15 Darum erschrecke ich vor Gottes Angesicht; ich nehme es wahr und erbebe davor.
16 Gott selbst macht mein Herz verzagt, die Gottheit, die Macht über die Macht hat, versetzt mich in Schrecken.
17 Ja, nicht von der Finsternis werde ich vernichtet und auch nicht von meinem eignen Gesicht, bedeckt von Dunkel.

Liebe Gemeinde,

mein Name ist Hiob, was übersetzt heißt: Wo ist mein Vater? In meinem Fall läge es auch nahe zu übersetzen: Wo ist mein göttlicher Vater? Um es vorwegzusagen: Ich weiß es nicht, dennoch will ich von meiner Erfahrung berichten, die mein Vertrauen in Gott gestärkt hat. Ob das ein Widerspruch ist oder ob beides nebeneinanderstehen kann, mein Nicht-Wissen über Gott und meine Erfahrung Gottes, überlasse ich Ihnen. Es wäre schon sehr viel, wenn Sie einfach zuhören und das Gehörter in sich aufnehmen. Zuhören ist nämlich gar nicht einfach. Ich sage nicht, dass mein Weg auch ihr Weg, meine Wahrheit auch ihre Wahrheit, meine Gotteserfahrung auch Ihre werden muss. Aber ich will meine Erfahrung mit Ihnen teilen.

Warum oder die Frage nach Schuld

Ich war reich gesegnet. Mir fehlte es an nichts. Doch von einem zum anderen Tag ist mir alles genommen worden. Wie ist nicht entscheidend. Entscheidend war für mich, dass ich mich unendlich verlassen fühlte, sosehr, dass ich den Tag meiner Geburt verfluchte. Ich war gezeichnet am ganzen Leib und habe das als große Schmach erlebt. Drei Freunde besuchten mich. Sie hatten von meinem Unglück gehört. Die ersten sieben Tage saßen sie mit mir auf der nackten Erde und schwiegen, teilten mein großes Leid, halfen mir durch die endlos langen Tage und Nächte. Dann aber fing die Frage nach dem Warum meines bösen Schicksals an. Ich kann mich heute noch aufregen über vieles, was sie gesagt haben.

„Warum ist mir das passiert?“ Diese Frage hämmerte auch in meinem Kopf. Und ich fand keine Antwort. Was meine Freunde aber sagten, entfremdete sie mir, machten den Schmerz nur noch größer. Ich war völlig allein. Sie sagten, dass es mich böse erwischt habe, läge an mir selbst. Ich hätte Schuld auf mich geladen. Dass mir alles genommen wurde und ich so elend darniederläge, hätte ich selbst zu verantworten. Anders sei es nicht zu erklären. Gott ist gerecht, nur der Frevler wird bestraft. Der Gerechte aber wird fröhlich leben. Einer dichtete mir gar schlimme Verbrechen an. Ich erforschte mein Gewissen, aber da war nichts, was mich belastete, jedenfalls nichts, was mein Schicksal gerechtfertigt hätte. Derselbe meinte sogar, ich müsste mich nur vor Gottes Gericht demütig beugen, dann würde alles wieder gut werden. Er unterstellte mir praktisch, dass ich nicht mehr an Gott glauben würde. Um Gottes willen, damit er Recht bekommt, müsste ich klein beigeben.

Gott handelt nicht

Rückblickend sehe ich, meine Freunde wollten das damals allgemein gültige Gottesbild retten. Es waren viele gute, richtige Sätze über Gott, aber es waren Menschensätze. Diese Sätze halfen mir in meinem Leiden nicht weiter. Sie quälten mich. Sie waren absurd. Was meine Freunde nicht sahen. Ich suchte in meinem Leiden verzweifelt nach Gott, aber da war kein Gott, der mir antwortete. Gott sprach nicht zu mir. Gott hörte mich nicht. Gott sah mich nicht. Gott rettete mich nicht.

Mit Gott streiten

Auch ich glaubte an Gerechtigkeit. Ich hatte Lust mit Gott zu rechten. Ja, in meiner Fantasie habe ich Gott alle Beweise meiner Unschuld vor die Füße geworfen und sah genüsslich, wie Gott gezwungen war, meine Unschuld anzuerkennen und seine Schuld mir gegenüber einzugestehen.

Erst viel später habe ich erkannt, dass mein Streiten mit Gott auf derselben Ebene lag, wie die Reden meiner Freunde. Ich war verunsichert, ich habe geklagt, Gott angeklagt, ja. Und wisst Ihr was? Das tat gut! Ich würde es immer wieder tun.

Solange Menschen auf dieser Erde Unrecht erleiden, ist bittere Klage Ausdruck empathischen Glaubens: Aufruf Gottes rettende Energien zu aktivieren und Aufruf zur Menschlichkeit: Mahnung Recht einzuhalten.

Gott spricht

Lange, lange, lange hat Gott nicht zu mir geredet. Er hat geschwiegen. In der Regel schweigt Gott. Auch ich stand fragend, klagend und anklagend vor dem „schweigenden Geheimnis“ (Karl Rahner). Gott hat sich mir entzogen. Gott war fern. Gott war dunkel und das hat mir schrecklich Angst gemacht. Meine alte Gottesgewissheit ist zerbrochen. Ganz langsam ist etwas Neues in mir gewachsen. Eine zarte Pflanze. Ich weiß gar nicht, wie sie dahingekommen ist. Wie konnte auf dem Boden, der mir entzogen wurde, etwas Neues wachsen und reifen. Ich erwarte nicht mehr, dass Gott von außen eingreift in mein kleines Leben oder in die Welt. Aber Gott hat zu mir gesprochen und ich habe ihn geschaut (Kontemplation). Gott ist in mir gewachsen, nachdem ich meine Vorstellungen über ihn ad acta gelegt habe. Ich weiß nicht, ob Gott Leiden verhindern kann, ich glaube auch nicht, dass Gott uns durch das Leiden auf die Probe stellt oder erziehen will, ich weiß auch nicht, ob Gott im Leiden dabei ist und mitleidet, ich weiß nur, dass Gott, „Macht über die Macht hat“ (Hiob 23,16b) und) ein „schweigendes Geheimnis“ (Karl Rahner) ist. Vor diesem „schweigenden Geheimnis“ beuge ich mich.

Wo ist mein göttlicher Vater? Ich kann ihn nicht lokalisieren. Gott ist unverfügbar. Ich weiß nur: Mein Erlöser lebt. „Vom Hörensagen hatte ich von dir [Gott] gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (Hiob 42,5) Nicht, dass ich Gott gesehen hätte, er ist mir widerfahren. Mein inneres Auge hat ihn geschaut (Mystik). Durch das Leiden hindurch hat sich Gott mir gezeigt. Ich konnte mein Leben wieder auf Gott ausrichten.

Im biblischen Buch Hiob ist meine Geschichte aufgeschrieben: Mein „Weg durch das Leid“ hin zu Gott.

Lest nach.

Literatur:

Bibel in Gerechter Sprache, Gütersloh 2006

Hiob. Die Bibel erzählt: Hg Klara Butting/Gerand Minnard, Erev-Rav, Wittingen 2003

Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte,(Hg) Alexander Deeg/Andreas Schüle, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018, S.380-386

Ein Weg durch das Leid. Das Buch Hiob: Ludger Schwienhorst-Schönberger, Verlag Herder, Freiburg i.Br., Neuausgabe 2022

73 Overtüren. Die Buchanfänge der Bibel und ihre Botschaft, (Hg) Egbert Ballhorn, u.a., Gütersloher Verlag 2020, 2. Auflage, S. 240-249

           

Predigt Happy End?  Sommerkirche über Das Buch Jona, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Predigttext: Jona, Kapitel 4 …

Liebe Gemeinde,

jetzt blüht er wieder gelb-grün oder rot-grün der Rizinusstrauch, von August – Oktober. Genannt wird er auch Christuspalme wegen seiner handförmigen Blätter, die an Christi heilende Hände erinnern sollen. Bekannt ist der Rizinus auch unter dem Namen Wunderbaum, da er schnell in die Höhe schießt.

Schon sind wir mitten im letzten Kapitel der Jona-Erzählung. Jona hat sich einen Schauplatz außerhalb der Stadt Ninive gesucht, um zu sehen, ob Gott nicht doch sein Gericht an Ninive vollstreckt.

Der Rizinusstrauch.

Dem aus Wut und Zorn bis zur Selbstaufgabe niedergeschlagenen Jona spendet Gott auf dem Höhepunkt seines hitzigen Gemüts Schatten, Kühle und Ruhe durch einen schnellwachsenden Rizinus. Zufälle gibt´s! Das erfüllt Jona mit Freude, ja fast mit überborderden Jubel. Überhaupt könnte man denken, der Prophet Jona ist ein echter Borderliner, getrieben von seinen Ängsten und Emotionen mit einer guten Portion Narzissmus und Größenwahn. Aber damit ist er ja nicht allein auf der Welt.

Als Jona früh am Morgen mitbekommt, dass überall der Wurm drin ist, der schattenspendende Rizinus ist über Nacht verdorrt, der heiße Ostwind im Laufe des Tages lässt sein Blut brodeln, die Mittagssonne sticht ihm ins Gehirn, wünscht er sich erneut den Tod.

Da hat ihn Gott am Wickel. Er hält Jona einen Spiegel vor, aber Jona erkennt sich nicht darin. Jedenfalls hören wir nichts mehr davon. Jona gibt keine Antwort auf die Fragen Gottes. Das Jona-Buch endet mit einer Frage, die nicht beantwortet wird.

Die Jona-Erzählung hat kein Happy End!

Doch höre ich schon den Widerspruch: Der Fisch hat ihn doch ausgespuckt! Jona ist am Leben. Jona hat seine Mission ausgeführt. Jona ist gereift, er ist gewachsen, er hat sich seinen Konflikten gestellt, ist in die Tiefe seines Lebens hinabgestiegen, hat seine große und doch so kleine Angst um sich selbst überwunden, er ist über sich hinausgewachsen, hat die Grenzen seines alten Denkens überwunden, er war sich nicht zu schade Menschen zu begegnen, denen er im Traum nicht die Hände gereicht hätte, seine starke Angst ein unreines Gebiet zu betreten, hat er hinter sich gelassen, er hat die Menschen gewarnt und ihnen gesagt, dass sie ernten werden, was sie gesät haben. Sie sollen davor die Augen nicht verschließen. Ja, Jona hat ihnen mit seinen Worten die Augen geöffnet. Das, was er nicht geglaubt hat, ist passiert. Das war doch ein Höhepunkt in seiner Propheten-Karriere. Jona hat ihnen nicht nur die Augen geöffnet, er hat ihnen sogar im Namen seines Gottes gedroht: Apokalypse Now!

Das mit dem Angst machen klappt noch heute. Wir brauchen dafür in unseren Breitengraden längst nicht mehr den Namen Gottes, aber Angstschüren ist das Krebsgeschwür unserer Zeit.

Angst triggert vor allem unser Sicherheitsbedürfnis. „Kriegstüchtig“ müssen wir werden. Gefahr droht aus dem Osten. Putin will sich bis zum Ende des Jahrzehnts große Teile Europas einverleiben. „What ever it takes“ ist unsere Antwort. Aber- und Abermilliarden sollen investiert werden in Waffensysteme aller Art. Die Kriegstüchtigkeit soll mindestens so schnell wachsen wie ein Rizinusstrauch. Was für eine hirnverbrannte Ideologie, eine Investition in Todesenergien statt in Frieden, Bildung und Bewahrung der Schöpfung. Entrüstet euch!

Haben wir denn gar nichts aus den beiden Weltkriegen im letzten Jahrhundert gelernt?

Statement für universale Menschlichkeit.

Konkret geht es im Jonabuch um eine Umkehrgeschichte. Um eine Umkehr Gottes. Gott will das assyrische, heidnische Ninive vernichten, weil die Menschen in der Stadt Böses treiben. Dem Unrecht soll ein Ende gesetzt werden durch Auslöschung. Damit geht Jona d´accord. Ein neuer Anfang soll her durch Vernichtung. Die politische Pointe der hebräischen Erzählung ist aber eine Mahnung gegen Rache und Gewalt und ein starkes Statement für universale Menschlichkeit.

Wir wissen, Israel ist seit der Staatsgründung in seiner Existenz bedroht. Der terroristische Einfall der Hamas am 7. Oktober 2023 mit über 1000 Ermordeten und hunderten Verschleppten war ein Akt gegen Menschlichkeit und Völkerrecht. Diese Erfahrung hat die israelische Bevölkerung und Juden weltweit re-traumatisiert. Die Antwort Rache und Vergeltung. Das Ziel: die vollständige Vernichtung der Hamas. Der Zweck heiligt die Mittel aus Sicht der israelischen Regierung. Die Folge unendlich menschliches Leid der palästinensischen Bevölkerung durch die israelische Armee. Ein himmelschreiendes Unrecht, das wir mit Waffenlieferungen an Israel unterstützen.

Wann endlich kehren wir um? Wann endlich überwinden wir Rache- und Vergeltungsschläge? Das ist der einzige Weg zum Frieden.

Die jüdische Jona-Erzählung mahnt Mächtige zur Umkehr, zu einem Sinneswandel, zu einem echten Neuanfang.

Aber zurück zu unserer Geschichte. Ja, kein Happy End! Aber warum?

Am Ende der Jona-Erzählung steht eine Frage, die beantwortet werden will durch die Jahrhunderte hindurch bis heute. Sie will beantwortet werden durch dich und mich. Das ist großes literarisches Kino!

Die Frage ist nur, ob wir die Frage an uns heranlassen. Das sie uns im Kern trifft. Das wir gar nicht mehr anders können als sie mit unserer ganzen Existenz zu beantworten.

Wie hältst du´s mit der Empathie?

Gott geht hier voran. Wie schon in der Geschichte von der großen Flut, wo es am Ende heißt, dass Gott die Erde und alles was auf ihr lebt nie mehr vernichten will, erinnert sich Gott seines Mitgefühls für Mensch und Tier. Gott erinnert sich daran, dass in Ninive Menschen und Tiere leben, „die nicht wissen, was rechts oder links ist“ (Jona 4,11b).  Wie sollte es ihm da nicht gereuen und er selbst von der Vernichtung Ninives absehen, Güte und Barmherzigkeit in ihm siegen?

Davon will Jona nichts hören. Davon wollen wir alle nichts hören. Wir alle aber leben vom Mitgefühl anderer mehr als wir ahnen.

Jona hatte gute Gründe. Wir auch. Der Zweck heiligt die Mittel. Das war schon immer so. Allerdings führt uns das nicht weiter.

Weiter führen uns Empathie und Menschlichkeit. Dazu unbedingt notwendig: die Bereitschaft zu vergeben, einen Neuanfang zu wagen, wie es Gott hier macht. Die wichtige Frage nach Recht und Gerechtigkeit braucht Empathie, ein Verstehen, die Fähigkeit sich in die anderen hineinzuversetzen und die Suche nach Ausgleich.

Ich will Jona nicht abschreiben. Auch sein Weg bleibt offen. Und er hat vieles gelernt in dieser Geschichte. Sie hat kein Happy End für den Helden Jona. Sie ist aber auch keine Tragödie.

Jona trägt etwas in sich, das größer ist al er. Seine göttliche Berufung. Sein Name heißt übersetzt Taube. Eine Taube kehrt immer wieder zurück zu ihrem Ursprung. Eine Taube mit dem Ölzweig im Schnabel steht für Frieden und für Neuanfang.

Gottes Wirklichkeit zeigt sich uns, wenn wir Menschlichkeit leben, wenn wir mit Respekt allem Leben begegnen und Leben fördern.

Wir leben in einer Welt, wo viele Menschen nicht wissen, „was rechts oder links“ ist – und wir gehören selbst dazu!

Wir dürfen aber im Glauben ein Gottesbild in uns tragen und auch nähren, dass seine Güte, Liebe, Schöpfungs- und Menschenfreundlichkeit unter uns groß macht. Das wärmt uns. Das stärkt uns. Das tröstet uns. Das mahnt und lehrt uns.

Das widerfährt uns, wie es Jona widerfahren ist.

„Gott ist gegenwärtig“, Rezension von Christoph Fleischer, Fröndenberg 2025

Zu:

Johannes Burkardt: Gerhard Tersteegen, Die Bernières-Louvigny-Übersetzungen, Luther-Verlag Bielefeld 2023, broschiert, 1120 Seiten, ISBN 978-3-7858-0863-4, Preis: 29,90 Euro (print)

Aufbau des Buches

Das genannte Buch hat zwei Teile, die umfangreiche Einleitung in die Beschäftigung Gerhard Tersteegens (1697 – 1769) mit ausgewählten Texten des (damals) bekannten römisch-katholischen französischen Laientheologen Jean de Bernières-Louvigny aus Caen (Normandie, Frankreich, 1602-1659). Die Einleitung hat 184 Seiten und ist der eigentlich informative Teil des Buches. Daraufhin folgt auf ca. 900 Seiten der editorische Teil. Gedruckt kann ein solches Buch nur mit einem kräftigen Druckkostenzuschuss der Evangelischen Kirche von Westfalen zu einem erschwinglichen Preis erscheinen.

Eigenhändiger Text des Übersetzers eingefügt

Während Gerhard Tersteegen im ersten Teil noch der vom Autor gegebenen Einteilung folgt, hat er später stärker in den Aufbau eingegriffen und eine eigenhändige Einleitung hinzugefügt: „Vorrede des Ausgebers. Von dem Unterschied und Fortgang in der Gottseligkeit.“ Mit einem 47 Punkte enthaltenden Inhaltsverzeichnis. In dieser Vorrede vermutetet man nicht zu Unrecht die Darlegung der eigentlichen Motivation zur Herausgabe der Benieres-Louvigny-Auswahl in deutscher Sprache. Dieser Text sollte einmal in Hochdeutsch gefasst werden, denn er enthält das theologisch-mystische Programm Gerhard Tersteegens. (Anm.: Der Text wurde auch in seine eigene Aufsatzsammlung „Weg der Wahrheit“ aufgenommen. Erschienen in Solingen,1768. D. Rez.)

Weitere Inhalte der Bernières-Louvigny Übersetzung

Gerhard Tersteegen, sonst überwiegend als Kirchenlieddichter bekannt, dokumentiert in seiner Übersetzungsarbeit zwei Werke von Bernières-Louvigny, und zwar die „Geistlichen Liebes-Kernen oder kräftige Auszüge aus denen Büchern des Herrn Bernières, genannt Der inwendige Christ mit einigen Zugaben“ und das zweite Hauptwerk: „Das Verborgene Leben in Christo in Gott“ (Titel nicht in der historischen Schreibweise, sondern hochdeutsch, um die Rezension verständlicher zu machen. D. Rez.). Dieser Buchteil hat, ergänzt um eine Konkordanz der Erstausgabe des „Verborgenen Lebens“ mit weiteren Ausgaben, einem Bibelstellenindex und einem Namens- und Ortsindex ca. 900 Seiten.

Editorische Einleitung von Johannes Burkardt

Doch nun zurück zur editorischen Einleitung des Buches von Johannes Burkardt: Die Einleitung umfasst auch einzelne Untersuchungen, Ausblick auf die Entstehung der Werke Bernières-Louvignys, die weitere Verbreitung, aber auch die Ausgestaltung der Übersetzung und bewusster Auswahl und Edition. Tersteegen, so Johannes Burkardt greift durchaus in das ihm vorliegende Werk ein, in dem er auch noch Gedichte hinzufügt. Solche den Inhalt illustrierende Gedichte sind keinesfalls nur von Tersteegen, sondern auch von Johannes Scheffler (Angelus Silesius), womit Tersteegen sich auch als Herausgeber und Übersetzer dazu bekennt, die Arbeit eines Mystikers verbreiten zu wollen und so selbst als Mystiker zu erscheinen.

Tersteegen trägt mit seiner Auswahl aus dem Werk Bernières zur mystischen und konfessionsungebundenen Christlichkeit bei, die sich nur zum Teil in dem von ihm vertretenen Pietismus widerspiegelt.

Der Autor Johannes Burkardt macht sich in der Herausgabe der Tersteegenschen Übersetzungsarbeit darum verdient, dem Mitbegründer des Pietismus Tersteegen sein Hauptverständnis als Mystiker zurückzugeben oder zumindest neu zu betonen.

Ein Beitrag Tersteegens zur Mystik

Schon bald nach seinem Tod wurden die Schriften Bernières-Louvignys im Französischen ediert und vermarktet, besonders von den Ursulinen aus Caen und deren Pater d´Àrgentan.

Doch warum greift Tersteegen diese Texte auf und gibt sich damit eine endlose editorische Mühe? Einer Bekannten, die angesichts „ihrer Sünden“ und negativen Reaktionen aus ihrem Umfeld verzweifelte, riet Tersteegen 1729 zur Lektüre Bernières, „Weil Gott (darin) nicht unbedingt ein Einsiedlerleben verlangt, sondern jeden an den Platz stellt, wo er ihn oder sie braucht“ (vgl. S. 49).

Tersteegen scheint damit die mehr auf moralische Fragen verkürzte kirchliche Lehre unterwandern zu wollen. Dabei kam ihm der Buchhändler und Verleger Böttinger aus Duisburg zu Hilfe, der das von Tersteegen übersetzte „Verborgene Leben“ herausgab, obwohl er im Generalverdacht stand, die Erlaubnis der theologischen Fakultät nicht eingeholt zu haben. (An dieser Stelle war mir als Leser nicht ganz klar, welche Fakultät genau gemeint war und wie das Verfahren der kirchlichen Zensur gedacht war. Oder hätte die Imprimatur des preußischen Staates eingeholt werden müssen, die dazu ein Gutachten einer theologischen Fakultät eingeholt hätte?  D. Rez.).

Gerhard Tersteegen zeigt in seiner ausführlichen Vorrede zur Ausgabe der Schriften Bernières-Louvigny eine klare Konzeption auf: Das wahre Christentum, die Vollkommenheit der ersten Christen gibt es nur bei den Mystikern. Das Wort Mystiker ist im Text Tersteegens nicht selten. 1750 hat er den Text „Handbrieflein von der wahren Mystik“ der Ausgabe hinzugefügt.

Johannes Burkardt erläutert die Konzeption des Buches „Das verborgene Leben“ (unter dieser Kurzfassung des ursprünglichen Titels) ausführlich und weist auf die Spruchsammlung im 3. Teil hin. Hier zeigt sich auch formal eine gewisse Nähe zu Johannes Scheffler (Angelus Silesius), wobei die Zitate in der Fassung Tersteegens nicht als Gedicht gefasst sind. Das geistliche Leben hat für ihn in der Folge Bernières ein klares Konzept: „Einstieg in den Weg der Liebe, Treue zu Gott, inneres Leiden, Gebet, …(usw.) (S. 97).

Was mir als Leser nicht klar geworden ist, ist, ob im Gebrauch dieser Bücher, die Tersteegen herausgibt, an eine gemeinschaftliche Lesung wie etwa in pietistischen Kreisen gedacht ist, und so der Pietismus auch eine gewisse Funktion in christlichem Schrifttum sieht. Der meditative Charakter der Texte Tersteegens spricht dafür. Ein selbständiges geistliches Leben ist mit der Hilfe dieses erbaulichen Schrifttums möglich geworden, über konfessionelle Grenzen hinaus.

Mystik ist überkonfessionell und ökumenisch

Fazit: Christliche Mystik ist in der Fassung Tersteegens überkonfessionell und ökumenisch, da es damals in evangelischen Kreisen sicherlich absolut unüblich war, Werke katholischer Autoren zu übersetzen und herauszugeben. Der mystische Pietismus ist in dieser Form keinesfalls eine christliche Sekte, sondern ein bewusst ökumenisches, die Mystik einbeziehendes Unterfangen, das die Verantwortung des Einzelnen bewusst einbezieht und sogar fordert.

Heute von Gott reden, Rezension von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Rezension zu: Ralf Frisch: Gott. Ein wenig Theologie für das Anthropozän, TVZ, Zürich 2024

Vom Verschwinden und Wiederfinden Gottes im Anthropozän

Vier Grundfragen umkreist der Autor in seiner „Theologie für das Anthropozän“ in 42 kurzen Kapiteln: 1. Was meinen wir, wenn wir Gott sagen? 2. Was bedeutet es, wenn wir sagen, dass es Gott gibt? 3. Woher kommt das Wissen über Gott? 4. Was spricht für Gott trotz Gottes- und Religionskritik? (56) Ralf Frisch mutmaßt: „Vielleicht erscheinen diese Fragen nur deshalb als schwierig, weil es eine Tendenz im neuzeitlichen  theologischen Denken gibt, dem Nichtglauben mehr Glauben zu schenken als dem Glauben.“ (56)

Gebet als Lackmustest der Gottesvorstellung

Ralf Frischs kolumnenartiger theologischer Essay will Theologie und Kirche provozieren, indem er gegenwärtiger Theologie und kirchlicher Rede von Gott auf den Zahn fühlt. Seine These: Wer im Anschluss an Bonhoeffer meint ausschließlich von einem ohnmächtigen Gott reden zu können, verschweigt den Zeitgenossen im gottvergessenen Anthropozän den erlösenden Retter-Gott der biblischen Erzählungen. Die christliche Hoffnung lebt aber aus dem Glauben an einen (all)mächtigen Gott. Die Erzählung in den Evangelien von der Auferstehung Jesu zeigt einen wirkmächtigen Gott, der Tote erwecken kann. Gott ist bei Frisch keine Chiffre, sondern im Sinn der alten Kirchenlehre eine wirkmächtige Gottheit in drei Personen. Daher ist für Frisch auch das Gebet zu einem transzendenten Gott „der Lackmustest aller Gottesvorstellung“ (22). Wenn aber Gott als der ganz Andere vermeintlich nicht mehr „redlich“ gedacht werden kann, dann ist Gebet ausschließlich Transformation des eigenen Selbst.[i]

Der Glaube an die Anderswelt

 Nach Frisch Formulierung gibt es neben der Welt eine Anderswelt (12f), die der Mensch nicht mit den Mitteln der Welt messen und beschreiben kann. Vernünftiger Glaube ist denkbar (credo ut intelligam, Anselm von Canterbury). Auch wenn sich Gottes Gott-Sein der Ratio entzieht, ist Gott im Glauben erfahrbar.

Überforderung des Menschen im Anthropozän

Mit seinen vielen rhetorischen Wenn-Sätzen will Frisch auch denkerisch seine Leser:innen aus der Eindimensionalität einer alleinigen Zentrierung im Anthropozän auf den Menschen locken. Im Anthropozän ist allein der Mensch für die Lösung seiner Probleme verantwortlich. Wenn aber der Mensch für alles selbst verantwortlich ist in einer mündigen Welt (Bonhoeffer), dann überfordert er sich selbst. Hier bringt Frisch die gute alte lutherische Rechtfertigunslehre ins Spiel. Aus seiner Sicht verraten evangelische Theologie und Kirche den Ursprung ihrer Existenz. Es steht nicht mehr, aber auch nicht weniger als die evangelische Freiheit auf dem Spiel. Wenn Religion zu Moral verkommt, fängt sie an zu stinken (Nietzsche). „Weil das Heilige zum Moralischen geworden ist und nichts außer Moral heilig ist, wird Moral zum Statussymbol und moralisches Handeln zur Bedingung von Anerkennung. […] Die Ironie der Geschichte besteht allerdings darin, dass der Protestantismus der Gegenwart die Rolle eingenommen hat, die vor fünfhundert Jahren der Katholizismus innehatte“(189).

Das Heilige

Um von einer Theologie der Ohnmacht Gottes wegzukommen, reaktiviert Frisch die Rede vom Heiligen nach Rudolf Otto[ii] (84ff). Frisch plädiert für die Unverfügbarkeit und Heiligkeit Gottes, die der Mensch erfahren kann. Gott lässt sich in kein System und auch in keine Theologie (!) pressen. Wer den Heiligen erfährt im Guten wie im Bösen (deus absconditus) erschrickt vor seiner Macht. Biblisch ist der HERR Zebaoth ein mächtiger (Heeres)-Gott.  Die dunklen Seiten Gottes führen in den Zweifel, mitunter in die Verzweiflung. Mit Luther gilt es sich an den Deus revelatus zu halten. Für den Protestantismus im Anthropozän sind diese Fragen und Glaubenserfahrungen jedoch obsolet geworden, hier wird Gott kastriert und übrig bleibt eine Wohlfühlkirche Gleichgesinnter, die sich vom woken Zeitgeist nicht unterscheidet.  Die katholische Weltkirche, die das Geheimnis Gottes und des Menschen (!) besser bewahrt (197), ist für Frisch resilienter aufgestellt. Eine evangelische Wort-Kirche aber vernachlässigt Anbetung und das Geheimnis Gottes. Damit versperren die evangelischen Kirchen der Reformation sich selbst den Zugang zu einer tiefen Spiritualität und unterscheiden sich nicht mehr von der Welt.

Mythos und Wissenschaft

Wie Ralf Frisch neue philosophische, naturwissenschaftliche und hermeneutische Erkenntnisse anreißt und mit der Theologie ins Gespräch bringt, ist anregend. Damit bricht er alte Grabenkämpfe auf und zeigt, dass sich für verschiedene Wissenschaften die Frage von Geist und Materie neu stellt. Wenn die Theologie bei ihrer Sache bleibt, wird sie eine interessante Gesprächspartnerin in der Frage sein, wie die Welt zu deuten ist.  Binäres Denken ist überwindbar. Es gilt nicht entweder – oder, sondern sowohl — als auch, und noch vieles mehr. Frisch verweist hier auf den agnostischen Philosophen Thomas Nagel (87), der in seiner Philosophie zeigt, dass der Naturalismus (Materialismus) in der Frage nach Geist und Bewusstsein keine befriedigenden Antworten gibt, ja gar nicht in der Lage ist, diese zu geben.

In der Frage zum Verhältnis wissenschaftlicher und mythologischer Welterklärung (Hermeneutik) zitiert Frisch Claude Lévi Strauss, der in seiner Vorlesung: Anthropologie in der modernen Welt darauf hinweist, dass die moderne Kosmologie „selbst dazu tendiert, zu einer Geschichte des Lebens und zu einer Geschichte der Welt zu werden, [daher] können wir nicht ausschließen, dass das wissenschaftliche und das mythische Denken, nachdem sie lange Zeit unterschiedliche Wege gegangen sind, sich eines Tages einander annähern werden (169).

Erzählen stiftet Sinn

Frisch bricht eine Lanze für das Erzählen biblischer Geschichten, „weil das göttliche Rettungsdrama der Welt“ (176) nach Karl Barth „nur erzählend beschrieben werden kann.“[iii]Immer wieder zieht Ralf Frisch aus Film, Literatur und Lyrik Parallelen zu genuin religiösen und damit theologischen Fragen. Theologie und Kirche sind „blind dafür, dass Religion und Dichtung Geschwister sind.“[iv] Wenn Gott der Heilige ist, dann ist Theo-Poesie eine sprachliche Annäherung an das Heilige oder zumindest ein Verweis auf das Göttliche. Lyrik vermag die Frage nach Gott offen zu halten. Poesie kann  Lobbyistin der göttlichen Wahrheit sein. Ingeborg Bachmann dichtet: „Wahrheit ist, was den Stein von unserem Grab wälzt.“ (175)

Kritische Würdigung

Frisch legt seine von Luther und Karl Barths geprägte Theologie und Gottesvorstellung als hell leuchtende weiße Folie auf andere theologische Denkansätze, die dann in einem schwarz-weißen, Freund-Feinddenken bis hin zum indirekten Vorwurf der Häresie verunglimpft werden (107f). Im Kapitel „Die letzte Häresie“ schreibt Frisch: „Am Ende gibt es in der Kirche und der Theologie des Anthropozän nur noch eine letzte dogmatische Häresie. Die Häresie an Gott als souveränen, eigensinnigen und lebendigen Akteur zu glauben, der nicht mit dem Agieren von Menschen identisch ist“ (111).

Auch wenn ich seiner Analyse, dass kirchliche Verlautbarungen und viele Predigten Religion durch Moral ersetzen, teile und durchaus in vielen Kapiteln aufgrund seiner spitzen Feder gelacht und geschmunzelt habe, teile ich Frischs schnelle Abkanzelung von Theologie und Kirche nicht. Natürlich verstehe ich, dass Zuspitzung ein rhetorisches Mittel ist, aber für mich kippt sein Ton zu oft ins Polemische, und seine Analyse bleibt unterkomplex. Die Überschriften vieler Kapitel sind reißerisch, die nichts anderes als Aufmerksamkeit generieren wollen. Wenn der Artikel dann gelesen ist, weiß man auch nicht mehr. Schnelligkeit geht vor Gründlichkeit. Aber bei aller Kritik: Seinen Finger legt Frisch oft zurecht in die Wunden heutiger Theologie und Kirche.

Ohnmacht oder Allmacht Gottes?

Die Frage der Bonhoeffer-Rezeption ist für mich der Dreh- und Angelpunkt seines Essays. Frisch meint, Bonhoeffer von Bonhoeffer unterscheiden zu müssen und sieht in Widerstand und Ergebung[v] eine wirkungsgeschichtlich fatale Rede von einem ohnmächtigen Gott, der die Welt sich selbst überlässt, mehr noch, der sich aus der Welt herausdrängen lässt. Die mündige Welt und der autonome Mensch sind sich selbst überlassen. Was bleibt, ist ein ohnmächtiger Gott, der seine Welt liebt, aber nicht rettend in die Welt eingreift.  An anderer Stelle fasst Frisch zusammen: „Und doch machte die Ohnmachtstheologie durch die Zeiten hindurch Karriere. Vor allem nach Auschwitz brach sie mit der Allmachtstheologie“ (91). Frisch sieht sogar einen Zusammenhang in der Verweichlichung und Hypersensibilisierung unserer Gegenwart und der Unfähigkeit vernichtenden Kulturen zu begegnen, weil Rede und Glaube an den allmächtigen Gott verschwunden sind (99f).

Das alles ist für mich nicht nachvollziehbar. Vor allen Dingen stellt sich Frisch mit seinem berechtigten Anliegen, in Theologie und Kirche von der Wirkmächtigkeit Gottes her zu denken und zu reden, selbst ein Bein, da er die Allmacht Gottes politisch funktionalisiert. Er macht genau das, was er anderen theologischen Ansätzen vorwirft. Erschwerend kommt hinzu, dass der unhinterfragte Glaube an die Allmacht Gottes (Autorität) gerade im Protestantismus mit der verhängnisvollen Trias Gott, Thron und Altar großen Schaden angerichtet hat. Für mich kann eine notwendige theologische Rede von der Macht Gottes im Blick auf die Wirkungsgeschichte nur tastend und demütig geschehen. Bei Ralf Frisch fehlt nur ein Schritt zu einer Theologia gloriae. Da bleibe ich doch lieber bei einer theologia crucis. Oder anders gesagt, wir müssen die Spannung aushalten zwischen den Polen einer theologia crucis und einer theologia gloriae. Theologie und Kirchen müssen sich immer wieder neu zwischen diesen Polen ausloten. Vielleicht hat Frisch recht, dass die Theologie nach Auschwitz die Rede von der Macht Gottes vernachlässigt hat, aber war es nach Jahrhunderten einer ungebrochenen Rede von der Allmacht Gottes und dem Axiom der Apathie Gottes nicht an der Zeit, Empathie, ohnmächtiges Aushalten Gottes und sein Leiden an der Welt herauszuarbeiten und zu betonen? Auf dieser Linie sehe ich auch Bonhoeffers Gedanken über die Ohnmacht Gottes. Sie sind in und aus der geschichtlichen Situation in der Meditation über der Schrift entstanden. Frischs Bonhoeffer-Rezeption kann ich nicht folgen. Aus meiner Sicht dogmatisiert er hier seine Sicht auf Bonhoeffer. Heraus kommt das Gegensatzpaar Ohnmachtstheologie versus Allmachtstheologie. Das sind Schlagwörter, die nicht wirklich weiterhelfen. Vielleicht hilft uns im Zeitalter des Anthropozän besser, erneut Kreuz und Auferstehung theologisch in den Blick zu nehmen. Die Rede von der Ohnmacht Gottes hat seine Zeit. Die Rede von der Macht Gottes hat seine Zeit. Beides muss und darf kritisch reflektiert werden. In diesem Sinn kann ich Frischs Essay empfehlen.

[i] Frisch referiert hier: Hartmut von Saß, Unerhörte Gebete? Das Bittgebet als Herausforderung für ein nachmetaphysisches Gottesbild, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 2021, 39-65

[ii] Rudolf Otto: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen. Neuausgabe mit einem Nachwort von Hans Jonas, München 2014

[iii] Karl Barth, Gespräche 1964-1968, BGA 28, hg v. Eberhard Busch, Zürich 1997, 76

[iv] Martin Walser, Über Rechtfertigung. Eine Versuchung, Rowolth, Hamburg 2012, 72

[v] Dietrich Bonhoeffer: Theologische Briefe aus „Widerstand und Ergebung“, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017