Rezension zu „Drachenjahre“, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2024                                                                                            

Zu:

Robert Rother, Drachenjahre. Wie ich sieben Jahre und sieben Monate im chinesischen Gefängnis überlebte, Edel Books – Ein Verlag der Edel Germany GmbH, 2020, ISBN: 9783841906991, Broschiert, Seitenzahl 224, Preis: -antiquarisch erworben-

Wie ein Eisberg – der größte Teil bleibt verborgen

Einleitung
„Ich kann sagen, wie es war, was ich erlebt und gesehen habe. Aber nicht, was ich dachte und fühlte und was ich heute darüber denke und fühle“, schreibt Robert Rother im letzten Kapitel seines Buches. Diese beiden Sätze haben mir geholfen, Rothers Erzählstil besser zu verstehen. Während des Lesens habe ich mich gefragt, warum sind die Geschichten, die einer emotionale Achterbahn gleichen, gleichzeitig so distanziert geschrieben? Warum gehen Robert Rothers Erlebnisse nicht in die Tiefe? Warum kann ich nicht in seine Seele hineinsteigen und miterleben, was Rother durchlebt und durchlitten hat?
Warum darf ich nur den sichtbaren Teil des Eisbergs sehen und nicht seine ganze Tiefe und Größe?

Zweifacher Schutz
Ich glaube, dahinter steckt ein doppelter Schutz. Auch Marketing-Gründe spielen dabei eine Rolle.

Erstens: Wenn es eine Überlebungsstrategie für Robert Rother war gefühlshart – ja gefühlskalt – zu sein, dann ist allein schon das Aufschreiben seiner Geschichte ein therapeutischer Akt, der sicher nicht ungefährlich war. Robert Rother näherte sich durch das Schreiben seinen Gefühlen, ja seinem Unbewussten an, und er schreibt intuitiv über sich selbst, als würde er sich beobachten. Dadurch bleibt er auf eine gute Art auf Distanz zu dem Drachen in ihm und gleichzeitig besänftigt er das Ungeheuer.

Zweitens: Stellen wir uns einen Moment vor, wir wären selbst nur einen Tag in einem chinesischen Drecksloch untergebracht. Was für eine Menge von Gedanken und Gefühlen würden wir durchleben? Aber wie sollten wir das alles mitteilen und versprachlichen? Wir würden sagen: es war schrecklich. Wir würden Äußeres beschreiben – wie es auch Robert Rother in Drachenjahre macht- das innere Erleben mit seinem ganzen Chaos könnten auch wir nur streifen. Letztlich glaube ich, dass wir Leser es auch nicht aushalten würden, wenn ein Mensch uns brutal in sein Innenleben ziehen würde. Wir würden uns verschließen. Nur die wenigsten von uns sind in der Lage mit in die Tiefe hinabzusteigen. Robert Rothers Schutz, schützt auch Leserinnen und Leser.

Heldenreise
Drittens: Auch Vermarktungsgründe haben nicht unwesentlich die Story beeinflusst. Ein Erzähler, der mit seiner Geschichte eine Spannung aufbaut und in überschaubaren Kapiteln seine Erzählung aufteilt, der lässt sich gut auf dem Markt platzieren.
Und wie wir von Robert Rother wissen, will er immer ganz oben mitschwimmen und vor allen Dingen wahrgenommen werden. Böse gesagt: Er will immer Held sein (auch im Knast) – und Drachenjahre ist wie eine Heldenreise aufgebaut. Das funktioniert immer.

Ghostwriter
Die Heldenreise ist aber nicht auf Rothers Mist gewachsen. Ein Profi hat hier mitgeholfen. An dieser Stelle möchte ich ein Lob für Thomas Schmoll aussprechen, Rothers kongenialer Ghostwriter. Die Fülle des Materials, die Erlebnisse und Gedanken Rothers hat Thomas Schmoll sortiert und dem Buch eine gut lesbare Form gegeben. In einfachen, kurzen Sätzen und einer direkten Sprache fesseln die überschaubaren fünfundzwanzig Kapitel. Rothers Geschichte wird nicht chronologisch erzählt, sondern in Rück- und Vorblenden. Erst, wer das ganze Buch gelesen hat, stellt fest, wieviel Themen, Lebensphasen und Beziehungen – ja echte Freundschaften – aus dem Leben Rothers angeschnitten werden.

Das Buch setzt sich wie ein Puzzle zusammen. Immer mehr Teile (Kapitel) ergeben ein Ganzes, wobei das Ganze – wie erwähnt -nur der sichtbare Ausschnitt des Eisbergs ist. Die gesamte Korrektur, Struktur- und Redaktionsarbeit sind Thomas Schmoll in Abstimmung mit dem Autor hervorragend gelungen.

Und was ist mit China?
Auch wenn Drachenjahre keine gesellschaftspolitische Analyse des chinesischen Volkes und des kommunistischen Systems sind, bekommt der Leser doch eine Ahnung davon, wie dieses Land funktioniert, wie die Wirtschaft kapitalistisch aufgestellt ist, der Arbeitsdruck enorm hoch ist und die Eliten hemmungslos ausbeuten und absahnen. Ein patriarchaler Kapitalismus unter der diktatorischen Knute der Einheitspartei, das ist China heute. Die Situation in den Gefängnissen spottet jeder Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde. Wer die (ungeschriebenen) Gesetze verletzt, bekommt die volle Härte des Polizeistaats zu spüren. Robert Rother zeigt aber auch, wie kreative Geschäftsideen im Graubereich der vorhandenen Gesetze in China zu Erfolg führen können. Anerkennung findet, wer Geld-Macht hat. Aus einer langen Tradition der Standesgesellschaft in China ist eine konsumorientierte Statusgesellschaft geworden. Eingehegt wird der Kapitalismus durch Zucht, Ordnung und Willkür der staatlichen Behörden. Die Angst regiert überall und niemand ist gefeit vor den Klauen der Machthaber. Das erfährt man plastisch durch Rothers Erzählen nebenbei. Rother fühlte sich frei, bis das System mit aller Härte durchgriff. Das alles garniert mit einem durch und durch korrupten Gemeinwesen und einer Verachtung von individuellen Menschenrechten und Person-Sein. Auch um das System China zu entlarven anhand seiner Knast-erfahrungen, hat Rother zu Papier und Feder gegriffen.

Eine Pilgerreise
Neben der schon in der frühen Kindheit eingeübten Widerstandskraft gegen eine immer wiederkehrende lebensbedrohende Atemnot, einer ausgeprägten Willenskraft, einer feinen Nase, sich mit hilfreichen Menschen zu umgeben, einer Neugier und Wissbegierde – immerhin hat er sage und schreibe 300 Bücher im Knast verschlungen – steht eine radikale Wahrnehmung seiner Verlorenheit und ein intensives Suchen nach spirituellen Wahrheiten. Robert Rother hat seine verkümmerte religiöse Ader entdeckt, hat seine verdorrte Wurzel genährt und bewässert durch Lektüre Heiliger Schriften und Nachahmung spiritueller Mitgefangener. Das hat zu seiner Konversion geführt. Das Beten und die Neuausrichtung seines Geistes und damit seines Wesens hat ich durch die Wüstenjahre der Haft geführt. In Drachenjahren beschreibt Rother seinen neu gefundenen Glauben in Kapitel 14: „Das ganze hier ist ein pures Geschenk Gottes.“ Auch wenn die Aussage in der Euphorie der Entdeckung geschieht, der Geist ist durch nichts zu beeinträchtigen: „Gott schenkt eine Freiheit, die mir keiner nehmen kann. Mein Geist ist mit seinem Geist verbunden, wie alles mit allem verbunden ist.“ Zugang zu geistigen Wahrheiten findet Rother über die Lektüre des schwedischen Mystikers Emmanuel Swedenborg (1688-1772). Das Glaubenskapitel hat mich besonders angesprochen, weil Robert Rother in einer Extremsituation erfährt, was Glaube bewirkt und welche Kraft aus ihm kommt. Das ist ermutigend. Robert Rother ist im Knast kein religiöser Spinner, sondern ein Liebhaber Gottes und der Menschen geworden. Seine unermessliche Wut auf das Unrecht und auf die sadistische Haltung vieler Wärter hat sich gewandelt, von Rachegelüsten hin zu Vergebungsbereitschaft:

Fazit
Die Drachenjahre von Robert Rother lohnen sich zu lesen. Sie erzählen von der Unverfügbarkeit des Lebens, von Erfolg und Scheitern, von Familie und Kameradschaft, von Schuld und Vergebung, von Liebe und Weisheit.

„Status Confessionis“, Rezension von Christoph Fleischer, Fröndenberg 2024

Zu: Dietrich Bonhoeffer, Berlin 1932 – 1933, Dietrich Bonhoeffer Werke, hrsg. Von Eberhard Bethge (+) u. a., Zwölfter Band, hrsg. Von Carsten Nicolaisen und Ernst-Albert Scharfenroth, Chr. Kaiser Verlag 1997, 2. Auflage 2016, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 1997, ISBN 978-3-579-01882-9, gebunden, 630 Seiten, 128,00 Euro (print)

https://www.penguin.de/Buch/Berlin-1932-1933/Carsten-Nicolaisen/Guetersloher-Verlagshaus/e204686.rhd

Mit dem Titel dieser Rezension steige ich mittendrin ein: In einem Brief an Karl Barth vom 9.9.33, also schon gegen Ende des Berichtszeitraums, heißt es: „Daß der status confessionis da ist, daran kann ja nicht gezweifelt werden, aber worin sich die confessio heute am sachgemäßesten ausdrückt, darüber sind wir uns nicht im klaren.“ (S. 125, Tippfehler „im klaren“ steht so im Text). Laut Anmerkung ist hiermit kein „Bekenntnisfall“ wie etwa im Sinn einer Lehrbeanstandung gemeint, sondern eine „Bekenntnissituation“.

Der Berichtszeitraum wurde ursprünglich mit „1933“ angegeben (siehe Buchumschlag), umfasste aber schlicht zwei Semester der Lehrtätigkeit Dietrich Bonhoeffers, die er als Privatdozent neben seiner Anstellung als Pfarrer in Berlin ausübte. Der gemeinte Zeitraum beginnt im November 1932 und endet mit dem September 1933. Dietrich Bonhoeffer wechselte in ein Auslandspfarramt in London. Inhaltlich gesehen umfasst der Zeitraum umfasst also die Monate der Machtergreifung Hitlers mit den entsprechenden Konsequenzen wie der Entmachtung des Reichstages und ersten Verfolgungsmaßnahmen gegen Juden. Dass sich Bonhoeffer klar auf die Seite der Juden gestellt hat, lässt sich z. B. deutlich am Aufsatz „Die Kirche vor der Judenfrage“ ablesen (S. 349-358).

Der Beginn von Bonhoeffers Tätigkeit als Pfarrer in Berlin 1931 fiel zusammen mit der Aufgabe als Dozent an der Humboldt Universität. Im Jahr 1933 war Bonhoeffer, der nun wieder in seiner Heimatstadt lebte, 27 Jahre alt. Er war zudem eingebunden in die Arbeit des Weltbundes der Kirchen. Sein Arbeitspensum muss immens gewesen sein, da er akademische Lehrveranstaltungen und zugleich Gottesdienste und Predigten vorbereitet und durchführte. Politisch engagiert im Sinn einer Partei war er jedoch nicht.

Der Berichtsband „Dietrich Bonhoeffer, Berlin 1932 – 1933“ lädt dazu ein, Texte Bonhoeffers im historischen Kontext zu lesen und dabei seine biografischen Grundentscheidungen kennenzulernen. Das Angebot des Auslandspfarramts nahm er 1933 gerne an, da ihm hin und wieder schon Repressalien des NS-Staates angedroht wurden wie der Entzug der Lehrerlaubnis an der staatlichen Universität.

Die Briefe und Dokumente des ersten Teils (S. 13 – 150) lassen sich sicherlich gut ergänzend zu einer bekannten Bonhoeffer-Biografie lesen.

Der Zweite Teil enthält Dokumente zu „Lehrveranstaltungen“ und wissenschaftliche Texte, die zum Teil auch schon an anderer Stelle veröffentlicht worden sind. Das „Betheler Bekenntnis“, das unter Mitarbeit Bonhoeffers entstand, liegt in einer Synopse der Hauptentwürfe vor. Das endgültig edierte Papier bleibt unberücksichtigt, da Bonhoeffer selbst daran nicht mehr mitgearbeitet hat. Dieser Text gehört sicher in eine biografische Quellensammlung, jedoch war Bonhoeffer hierbei nur Mitautor.

In diesen Texten begegnet uns ein noch sehr junger Theologe, der angesichts der Herausforderungen der Zeit klare Positionen bezieht. Sein späteres Martyrium ist in diesem Berichtszeitraum bereits vorgezeichnet. Man lese nur den folgenden Satz vor dem Hintergrund des späten Gefängnisgedichts „Von guten Mächten“, mit dem Dietrich Bonhoeffer seinen Angehörigen Weihnachtsgrüße übermittelt: „Und dann ist es eben gut, dass es, auch wenn es einem noch so widersinnig erscheinen will, wieder Weihnachten wird und man von neuem dazu aufgerufen wird nun nicht an dem Dunklen und dem Hoffnungslosen hängen zu bleiben, sondern von neuem die Botschaft von dem Licht, das im Finstern scheint,  ernstzunehmen und von hier aus neu zu leben.“ (S. 34).

Die Texte Dietrich Bonhoeffers aus dem Jahr 1933 sind beileibe nicht nur von biografischem Wert. Hier sind Gedanken und theologische Konzepte angedacht, die bis heute bedacht werden können. Man lese nur den Vortrag „Christus und der Friede“ (S. 232 ff) und denke dabei an die heutigen Schwierigkeiten damit. Hier gilt beides: „Solange die Welt Gott los ist werden Kriege sein.“ (S. 233), Aber auch: „In der „Nachfolge Jesu stehen“ heißt „Zeuge des Friedens zu sein“ (ebd.)

Wer sich mit Dietrich Bonhoeffer beschäftigt, wird immer auf eine glaubwürdige und zugleich zeitgemäße Auslegung des Evangeliums stoßen.

Hinweis: Link zu „Das Betheler Bekenntnis“

Nachruf der Evangelischen Kirche von Westfalen auf Claus Humbert, Ralf Lange-Sonntag, Bielefeld, Januar 2024

Vorbemerkung: Obwohl unsere Freundschaft seit meinem Weggang aus Dortmund 2003 etwas eingeschlafen ist, hat mich die Nachricht über seinen frühen Tod sehr betroffen gemacht. Das Foto auf der Traueranzeige, die ich über das Internet einsehen konnte, zeigt ihn so lebensfroh, wie wir ihn kannten. Claus verstärkte in Münster unser Team der ESG, studierte dann aber nach einigen Semestern weiter in Heidelberg, wo er seine Frau Sabine kennenlernte. Er war Familienvater und engagierter Gemeindepfarrer in Witten. In Zusammenarbeit mit der Ökumenischen Werkstatt Wuppertal haben wir gemeinsam einen Konfijahrgang über KU in Ökumenischer Perspektive erstellt (Vom Glauben der die Welt umspannt).

Als ich später im Kirchenkreis Soest arbeitete bemerkte ich einmal auf Facebook ein Foto vom See Genezareth, dass mich dann regelmäßig als Startbildschirm auf meinem PC begrüßte.

Hier nun der Nachruf der Evangelischen Kirche von Westfalen:

 Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: Wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn. Röm 14,8 

In der Nacht zum 17. Dezember 2023 ist Pfarrer Claus Humbert nach schwerer Krankheit kurz vor Vollendung seines 65. Lebensjahrs gestorben. 

Claus Humbert war Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Annen in Witten, bevor er im Juni dieses Jahres in den Ruhestand ging. Neben Themen des Miteinanders von Kirche und Sport sowie sozialpolitischen Fragestellungen galt sein großes Engagement besonders dem jüdisch-christlichen Dialog. In einem Kontaktstudium mit „Studium in Israel e.V.“ konnte er seine Kenntnisse vom jüdischen Glauben ver-tiefen und Netzwerke im Dialog knüpfen. Anschließend war er Ansprechpartner für das Fortbildungsprogramm von „Studium in Israel e.V.“ Mehrfach führte Claus Humbert Gruppen nach Israel und Palästina und organisierte Pastoralkollegs zu Fragen des jüdisch-christlichen Dialogs. Dadurch hat er viele Menschen in Beziehung zum jüdischen Glauben und zum Land Israel bringen können. 

Claus Humbert war seit Jahren tätig als kreiskirchlicher Beauftragter des Kirchenkreises Witten-Hattingen für den christlich-jüdischen Dialog. Als Abgeordneter der westfälischen Beauftragtenkonferenz für den christlich-jüdischen Dialog vertrat er die Evangelische Kirche von Westfalen bei der EKD-weiten „Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden“. Die westfälische Beauftragtenkonferenz für den christlich-jüdischen Dialog wählte ihn auf ihrer letzten Sitzung im September 2023 zu ihrem Sprecher. 

Wir danken Claus Humbert für sein großes Engagement, das viele Impulse gesetzt und den Dialog entscheidend geprägt hat. Sein Humor und sein Optimismus werden uns im christlich-jüdischen Dialog fehlen. Wir werden Claus Humbert schmerzlich vermissen. 

Gott behüte seine Seele und segne seinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit. Seiner Familie und allen Trauernden sprechen wir unser Beileid aus und wünschen ihnen Kraft und Trost. 

Im Namen der Beauftragtenkonferenz der EKvW für christlich-jüdischen Dialog: 

Ralf Lange-Sonntag 

(Beauftragter der EKvW für den christlich-jüdischen Dialog) 

Predigt zur Konfirmation 2024, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2024    

Auferstehungsfenster Michael Triegel in Plauen, 2023

https://shop.gottesdienstinstitut.org/bildmedien-und-kunst//karte-auferstehung-auferstehungsfenster-plauen-michael-triegel-2023.html

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, Liebe Festgemeinde,

nun ist also der Tag gekommen, euer Tag! Heute werdet ihr konfirmiert. Darauf habt ihr euch vorbereitet. Wir haben miteinander Zeit verbracht: Gelacht, gequatscht, gesungen, gespielt, in der Bibel gelesen, über den Glauben gesprochen. Ich habe euch erlebt und ihr habt mich und die Gemeinde erlebt. Was soll ich euch sagen und mit auf den Weg geben? Wir haben auch darüber gesprochen und uns noch einmal das Auferstehungsfenster von Michael Triegel angeschaut. In eurem Vorstellungsgottesdienst vor drei Wochen habt ihr die Predigt dazu übernommen und die drei Bilder des Fensters erläutert: uns eine Sehhilfe gegeben. Heute möchte ich euch anhand der drei Bilder des Fensters meine Gedanken sagen und Perspektiven mit auf den Weg geben.

  1. Die Schöpfung ist gut

Der Mythos erzählt, dass Gott Adam und Eva erschaffen hat. Hier schauen Adam und Eva erwartungsvoll in die Zukunft. Der Vorhang ist gelüftet. Adam und Eva sind nackt. Sie haben das Paradies noch nicht verlassen, wissen nicht, was auf sie zukommt. Angesichts der Zukunft sind wir alle nackt und bloß. Natürlich wollen wir das nicht. Wir wollen uns bekleiden, wir wollen uns schützen, wir wollen gewappnet sein. Wir sorgen vor. Ihr geht in die Schule, um zu lernen, euch vorzubereiten auf das Leben, wie es heißt. Eure Eltern waren und sind damit beschäftigt, euch ins Leben zu begleiten. Das kostet viel Energie und manche Nerven. Ihr könnt davon ausgehen, dass sie es gut mit euch meinen, selbst wenn ihr das nicht so empfindet, selbst wenn sie Fehler machen.

Wisst ihr, wir Erwachsenen tun oft so, als wüssten wir alles besser. Das ist aber nicht der Fall. Natürlich helfen uns Wissen und Lebenserfahrung das Leben zu meistern, aber letztlich sind wir alle nackt und bloß. Wir sind bedürftig. Wir alle! Wir sehnen uns nach Liebe, wir sehnen uns danach, einen Platz zu finden in dieser Welt, wir sehnen uns nach Menschen, denen wir vertrauen und die uns vertrauen. In uns allen ist eine große Sehnsucht nach einem gelingenden und glücklichen Leben. Das hält an bis zum letzten Atemzug.

Niemand von uns kennt die Zukunft, aber wir können neugierig darauf sein. Das finde ich auch toll an euch. Dass ihr neugierig seid, dass ihr wisst, es gibt noch so viel zu entdecken und zu erleben. Geht mit offenen Augen durch das Leben. Schaut, was und wer euch guttut.

In der letzten Konfi-Stunde haben wir die Seligpreisungen gestreift. Die erste kommt mir bei unserem Fensterausschnitt in den Sinn: „Glückselig sind die, die wissen, dass sie vor Gott arm sind. Denn ihnen gehört das Himmelreich.“(Mt 5,3). Nackt und bloß sind wir. Angewiesen auf Resonanz, auf ein Du, auf ein Wir. Wer schon alles weiß – besonders alles besser weiß – ist nicht mehr empfänglich, ist nicht mehr offen für Neues in seinem Leben. Ist nicht offen für Gott.

Recht verstandener Glaube hilft diese Haltung einzuüben. Die Schöpfung ist gut. Ich bin gut und wertvoll. Ich vertraue mich und meine Zukunft Gott an, der mich reich beschenkt, der meine Sehnsucht kennt, der mich rettet in Not und Krisen, der mich annimmt, mir vergibt und einen Neuanfang schenkt.

Was kommt auf euch zu? Was kommt auf uns zu? Worauf schauen wir? Wer schaut auf uns?

  1. Wir wollen Freiheit

„Wir wollen Freiheit, um uns selbst zu finden“ (eg 663,1) haben wir gesungen. Wenn wir den Ausschnitt des Auferstehungsfensters ganz rechts anschauen, sehen wir alles andere als einen freien Menschen. Im Bildhintergrund sehen wir eine Mauer: „und dennoch sind da Mauern zwischen Menschen…“ „Unser versklavtes Ich ist ein Gefängnis und ist gebaut aus Steinen unserer Angst.“ (eg 663,3)

Gesichtslos und mechanisch geht die puppenhafte Holzfigur einer Tätigkeit nach. Der linke Fuß spreizt sich vom Paradiesapfel weg. Es scheint als fürchte sich diese Puppe immer noch davor, Verantwortung zu übernehmen. Ich könnte ja etwas falsch machen! Das wäre schlimm! Das will ich nicht! Ich könnte ja mit meiner Meinung anecken! Das will ich nicht! Mein Mund bleibt verschlossen. Ich könnte ja etwas sehen, was mich auffordert zu handeln. Das will ich nicht! Ich könnte ja eine Wahrheit hören, die mein Leben auf den Kopf stellt. Eine Wahrheit, die mich lebendig macht. Das will ich nicht! Ich will keine Veränderung! Ich will funktionieren! Mehr nicht.

Natürlich gehört zum Überleben Anpassungsfähigkeit. Das ist evolutionär in uns angelegt. Doch wenn ich sehe, welchem starken Druck ihr ausgesetzt seid, dann wird mir manchmal angst und bange um euch. Von allen Seiten hört ihr Erwartungen. Tu dies. Tu das. Vor allen Dingen aber: Tu das nicht! Von allen Seiten wird an euch gezerrt. Glaube dies, glaube das. TikTok zerrt an euch! Wer hat denn recht? Was ist Wahrheit? Da wird einem ganz schwindelig.

Die einen von euch – und auch von uns, es steckt in uns allen – leben überangepasst, funktionieren gut, bewegen sich auf dem Parkett des Lebens wie eine Schachfigur. Alles ist vorbestimmt. Alles wird vorausgeahnt und sich dementsprechend in ewig gleichen Bahnen verhalten. Doch sie selbst bleiben auf der Strecke. Sie spüren sich nicht mehr. Das wünsche ich euch nicht! Ich wünsche euch vielmehr, dass ihr einen guten Kontakt zu euch selbst habt, euch wahrnehmt und euch selbst vertraut.

Die anderen von euch – und auch von uns, es steckt in allen – können sich überhaupt nicht anpassen. Fegen die Figuren vom Schachbrett. Stiften Unruhe, wo sie nur können. Können es nicht aushalten, wenn etwas mal nicht so läuft, wie sie es sich wünschen. Für sie ist alles schwarz oder weiß – es gibt keine Zwischentöne. Die Welt wird in Freund und Feind eingeteilt. Auch sie spüren sich nicht mehr. Das wünsche ich euch nicht! Ich wünsche euch vielmehr, dass ihr Widersprüche im Leben aushaltet, dass ihr immer wieder auch Abstand von überbordenden Gefühlen bekommt, erst nachdenkt und dann handelt. Dass ihr euch und eure Gefühle versteht und euch nicht von ihnen beherrschen lasst.

Die Schöpfung ist gut. Das Leben ist in euch. Es meldet sich immer wieder. Hört auf eure innere Stimme, was sie euch zu sagen hat. In euch ist eine Kraft, die euch im Leben hilft, ihr selbst zu werden. Jede Religion lehrt das. Wir müssen es nur tun.

Im christlichen Glauben fallen Selbstwerdung und Gotteserkenntnis zusammen. Wer sich selbst findet, findet Gott und den Nächsten. Es ist die Liebe, die verbindet, die Trennendes überwindet und ein Gefühl mit allem verbunden zu sein stiftet. Die Freiheit des Menschen führt ihn nicht in Isolation, sondern in Beziehung.

Es gibt so vieles, was uns davon ablenkt, immer wieder. Doch wir können uns immer wieder neu ausrichten, Beziehungen leben, lieben und lieben lassen, Verantwortung übernehmen. Das gilt auch für die Gottesbeziehung. Sie ist Geschenk und Aufgabe zugleich. Auch der Glaube will erwachsen werden. Das geschieht aber nicht von selbst, sondern nur, wenn ihr mit ihm lebt.

  1. Ihr sollt ein Segen sein

In der Mitte des Fensters: Christus. Mit seiner rechten Hand segnet er alle, die an ihn glauben, ja die ganze Welt. Der Regenbogen an seiner rechten Ferse erinnert an Gottes Treue zu seiner Schöpfung. Gott verspricht: Ich will die Erde und das Leben auf ihr nie mehr vernichten. Ihr sollt leben. (Gen 8+9) Mit seiner linken Hand hält Jesus eine Fahne. Das Zeichen der Überwindung des Todes. Das Dunkel des Todes – und für uns Menschen bleibt der Tod immer dunkel – ist überwunden. Das ewige Licht leuchtet. Alles Leben ist sterblich. Es vergeht. Es bleibt die Hoffnung, dass es verwandelt wird.

Ihr habt mich auf die Fische unten links an den Füßen Jesu hingewiesen. Ich hatte sie gar nicht wahrgenommen. Die Fische scheinen durchs Bild zu fliegen. Ich erinnerte mich: Für Michael Triegel haben die Fische eine besondere Bedeutung. Sie fliegen immer mal wieder durch seine Bilder. Ganz schön irreal.

Der Fisch ist ein altes Symbol für das Christ-Sein. Menschen, die an Jesus Christus glauben, erzählen von ihm. Sie richten sich immer wieder an Jesus aus. Sie lassen sich von seinem göttlichen Licht stärken und leben ihr Leben in der Nachfolge Jesu. Sie lassen sich von Christus – wie ihr heute auch – segnen und werden zum Segen für andere.

Das ist mein Wunsch für euch: Seid gesegnet und werdet zum Segen für andere.

Und der Friede Gottes…

Predigt Karfreitag 2024 Frieden durch Vergebung, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2024

 „Sondern erlöse uns von dem Bösen.“  Matthäus 6, 13b

Vater-Unser-Predigtreihe in der Markuskirche in Herzogenrath

Liebe Gemeinde,

die letzte Bitte im Vater Unser gilt dem Frieden. In der lateinischen Messe wird nach den Worten: „Sondern erlöse uns von dem Bösen“ das Vater Unser, wie wir es kennen, unterbrochen und der Inhalt der letzten Bitte fortgeführt (1). Der Liturg benennt das Ziel der Bitte: Libera nos – Befreie uns!

„Gib Frieden in unseren Tagen…damit wir stets frei sind von Sünde und bewahrt vor aller Verwirrung.“ (2)

Gib Frieden in unseren Tagen. Das Vater Unser ist ein Gebet um Frieden. Die ersten drei Bitten rufen den himmlischen Vater zum Handeln auf und zeigen mit welcher Ausrichtung die Kinder Gottes um Gottes Reich in einer unerlösten Welt beten sollen. Gottes Reich, um das die Kinder Gottes „wissen“, soll auf dem ganzen Erdkreis Wirklichkeit werden. Dann werden Gewalt und Unrecht keine Macht mehr haben. Ein Leben in der ambivalenten Spannung, von Gottes Reich bewegt zu sein und gleichzeitig in einer unerlösten Welt zu leben, prägt unsere christliche Existenz. Das führt zu Anfechtung und nicht selten zum Glaubensverlust. Daher sollen wir beten: Bewahre uns „vor aller Verwirrung“ und befreie uns von dem Bösen. Das Böse ist hier die Kraft des Zerstörerischen schlechthin. In biblischer Sprache: Befreie uns vom Teufel und von allen bösen Geistern. Das Vater Unser ist eingehender betrachtet ein Gebet, das an eine exorzistische Praxis erinnert. Damit Frieden wird, muss das Zerstörerische weichen. Das kann der Mensch nicht leisten. Darum beten wir zum himmlischen Vater – besonders in Kriegszeiten wie diesen – Befreie uns von der sich endlos in die Höhe schwingenden Spirale der Gewalt in Kriegen.

„Gib Frieden Herr, gib, Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf. Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf.“(3)

Was aber können wir Menschen leisten, damit Frieden wird?

Das Vater Unser gibt hier einen Maßstab vor an dem wir gemessen werden, wenn wir es beten. Wir sollen bereit sein zu vergeben. Wir werden aneinander schuldig. Damit wir nicht weiter denjenigen, der an uns schuldig geworden ist für immer mit der Schuld belasten, sollen wir ihm vergeben. Denn wenn wir nicht bereit sind, erlittenes Unrecht von Herzen zu verzeihen, werden wir über die Schuld immer mit der Person ungut verstrickt bleiben. Vergebung kann weh tun und schmerzen. Wir müssen da nicht nur einmal über unseren Schatten springen. Wenn wir nicht zur Vergebung bereit sind, findet oft genug die eigene Seele keinen Frieden. Nicht umsonst ist es vielen Sterbenden wichtig, Abschied von ihren Lieben zu nehmen, das Verhältnis zu bereinigen, Versäumtes und auch Erlittenes verbal oder nonverbal auszudrücken, zu hören, dass alles Gut ist, um einander zu segnen und Auf-Wieder-Sehen zu sagen.

Die Apostel wussten, dass Jesus es mit der Vergebung ernst meint und dass der Kern seiner Lehre eine Zumutung ist gegen den eigenen Selbstbehauptungswillen und der Angst, schlecht dabei weg zu kommen. Wer hat schon die Größe zur Vergebung? Petrus will wissen, wieviel Geduld und Vergebungsbereitschaft er aufbringen muss und fragt Jesus: „Herr, wie oft soll ich meinem Bruder, der gegen mich sündigt, vergeben? Siebenmal? Jesus antwortete ihm: „Ich sage dir nicht siebenmal, sondern siebzig mal sieben mal.“(Matthäus 18, 21+22)

Jesus bittet noch am Kreuz für die, die ihn töten: „Vater vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun.“( Lukas 23,34)

Umrahmt von den Wir-Bitten: „Gib uns unser tägliches Brot“ und „Führe uns nicht in Versuchung“ steht der Vergebungsaufruf. Das ist die einzige Bitte im Vater Unser, wo der Mensch tätig werden soll. Zu Vergeben ist höchste Aktivität und dient dem Leben. Über Vergebung und Aussöhnung entsteht Frieden. Frieden untereinander und mit Gott. Das ist im Kleinen wie im Großen so: in der Ehe, in Freundschaften oder unter den Völkern.

Doch Vergeben heißt nicht zurückweichen oder duckmäuserisch sein. Vergeben heißt auch nicht alles ertragen, was zugefügt wurde. Je schwerer die Schuld, desto mehr sollte klar sein, dass Vergebung und Aussöhnung oft eines langen Prozesses bedürfen. Vergebung und Aussöhnung – wenn Gott sie schenkt – steht am Ende dieses Weges.

Wir müssen uns allerdings hüten von Opfern Vergebung zu verlangen, wie es leider in unserer Kirche bei sexuellem Missbrauch geschehen ist. Dieser von den Opfern geforderte Vergebungsmechanismus ist eine menschenverachtende Täter-Opfer-Umkehr. Hier stimmt die Symmetrie nicht. Machtverhältnisse gilt es kritisch bei Forderungen nach Vergebung – gerade in der Kirche – wahrzunehmen, damit nicht aus vorschneller Vergebung(sbereitschaft) Unterwerfung wird oder Menschen sich überanpassen. Unsere Bitte im Vater-Unser-Gebet will eine Klärung, will echte Freiheit und Zukunft stiften. Bleibt die Würde gewahrt? Das scheint mir eine gute Frage in Vergebungs- und Versöhnungsprozessen.

Vergebung hat Teil an der Neuschöpfung Gottes. Vergebung macht den anderen oder sich selbst nicht klein, sondern schreibt neue Lebensmöglichkeiten groß.

Vater Unser und das Kreuz

Auch so können wir Karfreitag verstehen: Gott vergibt uns unsere Schuld. Mit Jesu Tod ist alles beglichen. Der Schuldschein ist zerrissen (vgl. Kolosser 2,14). Wenn das nicht neues Leben ermöglicht, dann weiß ich auch nicht. Allerdings sollten wir uns dafür hüten, diese Vergebung rein individualistisch zu denken und damit zu verengen, weil mit Jesu Tod ein Heil(ungs)prozess für die ganze Welt eingesetzt hat. Daher zerreißt ja auch der Vorhang im Tempel von oben bis nach unten (Matthäus 27,51). Jesu Tod macht den Weg zu Gott frei und löst ein Beben aus (ebd.). Die Toten stehen aus ihren Gräbern auf (Matthäus 27,52). Alles kommt in Bewegung, die Erde und der ganze Kosmos. Aus Tod wird Leben. Verkehrte Welt? Umkehrung des verfluchten Todes.

Versöhnung mit Gott in der Vertikalen, in der Horizontalen unter seinen Geschöpfen. Das Kreuz als Zeichen des Lebens.

Uns wird allerdings zugemutet, dass Gottes Vergebung erst erfolgt, wenn wir einander unsere Schuld vergeben haben. Wer in Unfrieden lebt und daran festhält, dem wird Gott auch nicht vergeben, wie Jesus direkt nach dem Vater Unser seinen Jüngerinnen und Jüngern einschärft: „Wenn ihr den Menschen aber nicht vergebt, dann wird euer Vater eureVerfehlungen auch nicht vergeben (Basis Bibel Matthäus 6, 25).“ Es gibt keinen Freischein oder eine billige Gnade.

Wenn Jesus ein gelingendes Zusammenleben seiner Jüngerinnen und Jünger darin sieht, dass sie bereit sein sollen, einander zu vergeben, dann ist die Bereitschaft zur Versöhnung, die auch einhergeht den anderen nicht zu richten, das Wesen christlichen Lebens in der Welt. „Lasst uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der Tat und der Wahrheit.“(Jakobus 2,15)

Gib Frieden in unseren Tagen

Gib Frieden in unseren Tagen – darauf zielt das Vater Unser und setzt damit unsere Friedenseinstellung und Friedenshandlungen voraus.

Das heißt für mich: Als Kirche müssen wir mit vielen gleichen Sinnes endlich die Institution des Krieges überwinden, da im Krieg ausschließlich zerstörerische Kräfte wirken. Wir aber glauben mehr an die Macht des Stärkeren – oder an die bösen Kräfte – als an die Macht Gottes und den eindeutigen Auftrag seiner Kinder, ein Friedenszeugnis für die Welt zu sein.

Das heißt für mich: Die herrschenden Kriege müssen durch Diplomatie und Verhandlungen eingefroren werden, damit ein gerechter Friede ausgehandelt werden kann. Verhandeln und eine Aussöhnung anstreben heißt nicht einem Diktat-Frieden zuzustimmen.

Deutschland aber liefert fleißig Waffen, gießt Öl ins Feuer. In der Ukraine wie in Palästina. Seit dem schrecklichen Terrorüberfall der Hamas auf Israel hat Deutschland seine Waffenlieferung an Israel um das Zehnfache erhöht, macht sich mitschuldig an Kriegsverbrechen gegen die eingepferchte Zivilbevölkerung in Gaza.

Und unsere Kirchen hierzulande sind aus meiner Sicht viel zu leise, rufen nicht: Stopp! Üben ihr Wächteramt nicht aus! Kritisieren noch nicht einmal eine zunehmend kriegstreibende Sprache in Politik und Medien.

Seid wachsam und nüchtern

Es bedarf nüchtern zu sein und zu bleiben. Dazu hilft das Gebet des Vater Unsers: „Befreie uns von allem Bösen. Bewahre uns vor aller Verwirrung.“

Gerade in Zeiten der medialen Überflutung und der Propaganda über die Kriege u.a. in der Ukraine und Palästina sollten wir uns nicht vom Weg der Gewaltlosigkeit Jesu abbringen lassen. Der Kriegstreiberei vieler Politikerinnen und Politiker, mehr noch von der Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten, gilt es in den christlichen Kirchen zu widerstehen. Das Narrativ, dass nur Waffen und eine Remilitarisierung Europas unsere Sicherheit garantieren könnten, gilt es mit Entschiedenheit abzulehnen. Der Versuchung das Böse mit Bösem zu bekämpfen, gilt es als Lüge zu entlarven.

Gleich welchen Weg wir einschlagen: Wir werden nicht ohne Schuld daraus hervorgehen. Einzig und allein kann uns Menschen eine Versöhnungsbereitschaft, ein Aushandeln eines gerechten Friedens, ein Anerkennen der Ängste und der Bedürfnisse aller Kriegsparteien aus den Todesenergien herausführen.

Von Sigmund Freud haben wir gelernt, der Todestrieb gehört zum Menschen. Von Jesus haben wir gelernt, alles dafür zu tun, dass Leben gelingt. Sein Vertrauen zu seinem himmlischen Vater – am Kreuz von Golgatha durchgehalten – hat den Todestrieb durchbrochen. Karfreitag das ist die Überwindung des Todes und aller widergöttlichen Mächte.

Maranatha – komm Herr Jesus, komme bald.

1 „Dann spricht er [der Priester] den Embolismus, den die Gemeinde mit der Doxologie abschließt. Der Embolismus führt die letzte Bitte des Vaterunsers weiter und erbittet für die Gemeinde der Gläubigen die Befreiung von der Macht des Bösen.“ Quelle: AEM (Allgemeine Einführung zum Messbuch).
Die Messfeier – Dokumentensammlung. Auswahl für die Praxis, 12. Auflage 2015, Richtline 56a
2 zitiert nach Berger, Klaus: Das Vater Unser. Mit Herz und Verstand beten, Herder, Freiburg 2014, S. 190
3 Henkys, Jürgen: Evangelisches Gesangbuch, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2022, 430,1