Satirische Lyrik, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2020,ö

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Stefan Krückmann: Abschreibungen, Lyrisches und Satirisches, Chili Verlag, Franziska Röchter, Verl 2016, Paperback, 153 Seiten, ISBN: 978-3-943292-38-1, Preis: 9,90 Euro

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Kürzlich wurde ich durch eine Internetrecherche auf dieses interessante Lyrikbuch aufmerksam. Im bereits als Gedicht verfassten Vorwort wird deutlich, dass der Autor sich mit klassischer Lyrik gut auskennt und deren Formensprache spielerisch in seinen eigenen Kontext überträgt.

Da trifft sich Politisches mit Persönlichem, Allgemeines mit Konkretem. Das Persönliche und Konkrete braucht anscheinend den Schutz des Pseudonyms. Das Pseudonym scheint gleichzeitig nur eine schwache, ungesicherte Anonymität zu gewährleisten. Andererseits gibt es auch einen changierenden Effekt, so nach dem Motto: Wenn ich das nicht unter meinem Namen schreibe, dann zeige ich dadurch, dass ich selbst die Texte nicht unterschreiben würde. Ist es vielleicht gar nicht so drastisch gemeint, wie es gesagt ist?

Sicherlich ist es bei der Lyrik schon immer so, dass sie bei der Edition näher am Lebensalltag des Dichters ist, als etwa bei der Epik.

Die Lyrik des Buches bietet also reichlich Biographisches, doch zu wessen Leben dies gehört, bleibt dem Unwissenden verborgen. Was daraus allerdings deutlich wird, ist, dass manchmal das Private eben gar nicht so privat ist, wie Menschen es für sich selbst sehen möchten.

Kabarett und Lyrik gehen so eine Verbindung ein, wobei die klassische Form wieder eine Art Distanzierung bewirkt, die wirksam ist: Tritt ein wenig zurück und fasse den Ärger in ein Gedicht, dann kannst du vielleicht sogar selbst darüber lachen.

Ich kann es hier nicht besser formulieren, als der Autor im Nachwort: „Scharfkantig ausgefeilte Formen wie Sonett, Ballade, Villanell, Rondeau und Triolett rücken den Schwachstellen kollektiver Verblödung und Heuchelei im Gewande kirchlicher, ökonomischer und gesellschaftspolitischer Korrektheit zu Leibe; …“ Der Autor nennt es ein „subversives Vorgehen voll Swiftscher Galle“.

Mit Erlaubnis des Autors werde ich zwei Sonette zitieren, die das Geschriebene ein wenig illustrieren mögen. Ich finde, dass das Sonett, bei dem auf je zwei Strophen mit vier Sätzen zwei folgen, die nur drei Sätze haben, den Autor quasi dazu bringt, zuletzt ein nachvollziehbares und weiterführendes Fazit zu formulieren.

Das erste Sonett steht im Zusammenhang einiger Gedichte aus dem kirchlichen und pfarramtlichen Umfeld (Unter den Talaren, Text 2, S. 122):

 

Du aber, Pfaffendorf, bist keineswegs

Das kleinste Kirchspiel in der Osterbörde,

Wie gerne weidete ich deine Herde

In dem Bewusstsein eines Privilegs.

 

Nur eines geht mir dabei auf den Keks

Und schafft dem pastoralen Amt Beschwerde:

Die Macher mit der Managergebärde

Und die Schafsköpfigkeit ihres Geblöks.

 

Topfschlagen oder Blinde Kuh behagen

Synoden, Pfarrkonventen, Kirchentagen;

Welch infantiles Glück beim Ringelpietz!

 

Die Köpfe sind noch leerer als die Kassen,

Die Volkskirchen vom Kirchenvolk verlassen,

Charakter stört, und Geist ist nichts mehr nütz.

 

Wer verstanden werden will, muss pointieren und ggf. auch verzeichnen. Auch die Lyrik benötigt Aufmerksamkeit. Ich finde den Text ob seines Anspruchs schon fast noch etwas zu leise und schäme mich, dass ich mit dem Autor nicht noch lauter getrommelt habe, denn die geistige und auch personelle Schwindsucht ist mit Händen zu greifen. Ich habe nicht weniger Pfarrkonvente erlebt, bei denen einige den verpassten Nachtschlaf nachgeholt haben. (d. Rez.)

Auch die Gesundheit ist ein solches Thema, über das man im persönlichen Gespräch sicherlich unentwegt Anekdoten und Ärgerlichkeiten austauschen könnte. Von einer Reform zur nächsten reiten wir immer ärger in die Katastrophe hinein.

Dies wird im nächsten Gedicht deutlich, das die Behandlungssituation einer speziellen Erkrankung aufgreift, aber sicher auch auf andere Erfahrungen auszuweiten ist (Bis der Arzt kommt, Text VII.):

 

VII. Für Dr. med. Schnitzmann

 

Zerfressen vom Verdruss, vom Frust, vom Zucker

Und nun der Halsabschneider für die Zehen:

Es wird wohl scheibchenweise weitergehen,

Bis wann und wohin weiß kein Sternengucker.

 

Gleich armen Säufern sprichst du armer Schlucker:

„Auf einem Bein allein kann keiner stehen…“

So lass das Unvermeidliche geschehen;

Mitleidig winseln Kopfhänger und Mucker.

 

Drei Zehen wurden bislang abgenommen,

Nun musst du wieder auf die Beine kommen

Oder auf das, was sie dir davon ließen.

 

„Eins dreiundneunzig, und das soll so bleiben!“,

Sag dem Gefäßchirurg vor seinem Treiben;

Begnüge dich am Ende mit Versfüßen.

 

Dr. theol. Stümmelmann