„Kreuz und Auferstehung“ statt Gewalt und sühnendem Opfer. Ein Bericht, Christoph Fleischer Dortmund 2001

„Das Kreuz Jesu. Gewalt – Opfer – Sühne.“ – Jahrestagung der Gesellschaft für Evangelische Theologie vom 19. bis 21. 2. 2001

Als das Thema der Jahrestagung der Gesellschaft für Evangelische Theologie vom 19. bis 21. 2. 2001 in Münster vor zwei Jahren ausgesucht wurde, lag dessen Akzentuierung auf der Erfahrung von Gewalt und entsprechenden Antworten christlicher Theologie. Dies bot sich auch von daher an, da bekannt war, dass Anfang 2001 die ökumenische Dekade gegen Gewalt seitens des Ökumenischen Rates der Kirche eröffnet werden würde. Fernando Enns, Mitglied des Zentralausschusses des ÖRK und Initiator dieser Dekade nahm als Mitglied der Gesellschaft an der Jahrestagung teil. In der Tagung, die auch für den theologischen Nachwuchs interessant war, wurde der thematische Schwerpunkt „Gewalt“ nun aber dem Hauptthema christlicher Theologie, „Kreuz Jesu“, zugeordnet, was gewiß auch schon eine Vorentscheidung für beide war.

Der Begriff „Opfer“ gerade vom Wort „Sühne“ her geradezu religiös gemeint, als „sacrifice“, konnte im Sinn von „victim“ gedeutet werden: Jesus Christus als Opfer der Gewalt in vielfältiger Form.

Einig waren sich eigentlich alle Referenten, dass das Verständnis des Opfers im religiösen Sinn in Bezug auf Jesus Christus nur dann zu halten ist, wenn es sich gerade nicht am Tod oder der Tötung Jesu festmacht, sondern an der „Hingabe“ seines Lebens für Gott im umfassenden Sinn und mit letzter Konsequenz. Dies zeigte auch Frau P.D. Dr. Sigrid Brandt am Beispiel eines Zitates von Psalm 40 mit der Aussage: Den Willen Gottes im Alltag zu erfüllen, sei wichtiger als Opferkult. Dies führte zu der Deutung des Opfers als Lebenshingabe, und auf der Ebene der Tagungsdiskussion zur Alternative: Hingabe/Opfer oder Kreuz.

Der Begriff „Sühne“ trat in den Hintergrund, vielleicht auch deswegen, weil der vorgesehene Referent Prof. Bernd Janowski aus gesundheitlichen Gründen abwesend war und sein Vortrag lediglich vom Vorsitzenden der Gesellschaft Dr. Rudolf Weth vorgetragen werden konnte. Die heilvolle Bedeutung des Kreuzes Jesu erkannte man nun gerade nicht im von Prof. Bernd Janowski vorgeschlagenen Wort von der Stellvertretung, sondern, für manche vielleicht (nicht) überraschend, von der Aussage, dass die Auferstehung Jesu die Heilsbedeutung des Kreuzes erschließe und dass das Kreuz in sich keine sühnende oder opfernde Funktion haben kann.

Auch die paulinische Theologie, so schilderte es Prof. Michael Wolter ergab keine Anhaltspunkte für ein solches Verständnis des Kreuzestodes Jesu. Die Stellen der paulinischen Briefe, die theologisch gemeint sein könnten, zeigen bei näherer Betrachtung, dass viele heilsbetonenden Aspekte hier nachträglich eingetragen sind. Ursprünglich verstand Paulus das Kreuz als Anstoß, als Schmach des Sklaventodes im römischen Reich. Auf der Ebene der paulinischen Gemeinden hatte das Kreuz durchaus einen positiven Sinn, den eines Identitätszeichens: Der gemeinsame Bezug der Glaubenden zum Auferstandenen, der als der Gekreuzigte gezeichnet ist, vermittelt die Gemeinschaft von Unterschiedlichen, von Juden und Heiden, Männern und Frauen, Sklaven und Freien. So ist aus österlicher Sichtweise das Kreuz Jesu, so gewaltsam es war, im nachhinein als gemeinschaftsstiftend erlebt worden. Dies führte in einer Diskussion zu dem vielleicht nicht ganz ernst gemeinten Vorschlag, dass in der Passionszeit durchaus auch einige Osterlieder gesungen werden könnten.

Die Erfahrungen der Gewalt, die Frau Dr. Magdalene Frettlöh am Beispiel der sexuellen Gewalt als „Todeserfahrungen“ schilderte, werden doch letztlich nicht zum vorrangigen Thema der Kreuzestheologie, sowie sie sich nach dieser Tagung abzeichnet. Gewalt, also der Kontext und die Ursache der Kreuzigung im historischen Sinn, erweitert um das Opferwerden etwa von Opfern sexueller Gewalterfahrungen, aber auch anderen Opfern auch in politischer und ökologischer Hnsicht, wird wohl zum Wahrheitskriterium der Kreuzestheologie: Sage nichts, was den Opfern solcher Gewalt als Zynismus erscheinen müsste.

Dies ist aber noch keine Antwort auf die Frage nach der heilvollen Bedeutung des Kreuzes Jesu.

Gewalt, gerade in struktureller Form sieht Christinnen und Christen natürlich auch in der Täterrolle. Das Kreuz hat, so zeigte es Prof. Dr. Jürgen Moltmann in seinem Vortrag über das rechtfertigende und rechtschaffende Handeln Gottes, durchaus noch die Aufgabe, uns neben den Opferkriterien die vielfältigten Einbindungen in Täterstrukturen zu erinnern und darüber hinaus an die heilvolle und heilende Aussage der Botschaft des Lebens Christi in die Zukunft der Auferstehung hinein. Auf dem Hintergund der Kreuzigung wird die Auferstehung Jesu als das Ereignis der Erfahrung neuen Lebens, als die Quelle der Kraft im Hören auf das Wort vom Kreuz, als der Übergang zur Übermittlung des Geistes zum Heilsereignis. Auferstehung ist damit aber nicht nur Deutung, sondern ist als Form von Heilung und Heil zu sehen. Man mag sich fragen, ob die Gesellschaft für Evangelische Theologie nun wieder bei einem „alten Hut“ gelandet ist, der nach dem Einfluß der Bultmannschule auf die theologische Forschung und Lehre für überholt angesehen wurde, ob sie gar nun ein wenig katholisiert und von der Bedeutung des „höchsten Feiertags“ abzulenkt, oder ob sie nicht nun doch gerade in der Herausforderung der Postmoderne dazu anregt, die Texte der Bibel auf dem Hintergrund der Lebenserfahrung neu zu lesen, sie dabei von theologie – und kirchengeschichtlicher Überfrachtung zu lösen. Dann werden, wie von Prof. Dr. Jürgen Moltmann beschrieben, die Erfahrungen der Opfer von Gewalt und andere gesellschaftliche und soziale Erfahrungen auf dem Hintergrund der biblischen Botschaft und dem Zeugnis des zurechtbringenden Handelns Gottes gedeutet.

Die Tagung wurde dokumentiert in folgendem Buch: Das Kreuz Jesu, Gewalt – Opfer – Sühne, Rudolf Weth (Hg.). Neukirchener Verlag 2001

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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