Jüdische Denkweise im neuen Testament entdeckt. Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2011

Zu: Klaus Berger: Kommentar zum Neuen Testament, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2011, ISBN: 978-3-579-08129-8, Preis: 44,- Euro

Wie wird das gesamte Neue Testament in einem Band kommentiert? Geschickt setzt Klaus Berger die Benutzung einer eigenen Übersetzung voraus. Bestimmte Aussagen werden zudem aus der eigenen Übersetzung mit seiner Ehefrau Christiane Nord ergänzt. Auch die Analyse der Textstruktur wird nur exemplarisch geboten. Häufiger jedoch sind Überlegungen zu Form- und Gattungskritik, wobei dem Kommentar Bergers umfassende Kompetenz in dieser Frage zugutekommt. Interessant sind auch literarische Vergleiche (z.B. Mt 5-7 und Mt 23). Doch auch Überlieferungsgeschichte und Literarkritik fehlen nicht, wenn sie zur Interpretation nötig sind. So findet Berger in der Petrusrede Apg 10 den Aufriss eines fünften Evangeliums und vergleicht diesen mit dem Aufriss der vorhandenen Evangelien. An einigen Stellen zeigt der Kommentar ein eigenes Profil gegenüber der historisch-kritischen Exegese, der er selbst zweifelsohne verhaftet ist. Er weist nach, dass viele Aussagen der traditionellen Exegese auf dem Konstruktionsmodell der dialektischen Analyse beruhen. Doch dieses Denkmodell ist, so meint er, den biblischen Autoren gegenüber unangemessen und somit eine Zuschreibung. Dem gegenüber plädiert er für mehr Offenheit, lässt aber auch manche Entscheidung im Vagen. So kann er sich nicht dazu durchringen, den Abfassungsort des Hebräerbriefes in Rom zu sehen, wenn auch manches dafür spricht. Obwohl er seit dem Anfang seiner theologischen Tätigkeit dafür plädiert, die neutestamentlichen Aussagen im Kontext des Judentums zu sehen, unterscheidet er traditionell zwischen Judenchristen und Heidenchristen, was ihn dazu drängt, die Verschriftlichung der Evangelien sehr viel früher anzusetzen, als dies gemeinhin gesehen wird. Dazu ein Beispiel: Diese Form der Datierung lässt sich am Beispiel von Mt 27,25 bezweifeln. Die Aussage „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder.“ Wird einer ausführlichen Rekonstruktion der Satzlogik unterzogen. Der Kommentar schreibt: „Nach Mt 23, 25(-38) ist alles illegal vergossene Blut bei der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 ‚auf diese Generation‘ des jüdischen Volkes ‚gekommen‘, d. h. die Blutschuld der ganzen Geschichte … hat sie eingeholt.“ (S. 124). Wenn es also im gleichen Kontext Mt 23, 38 heißt: „Seht euer Haus wird leer und verlassen sein.“ Dann müsste damit doch gemeint sein, dass die Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 bei der Datierungsfrage berücksichtigt werden muss. Die Nähe zwischen Urchristentum und Judentum muss heute kein zwingendes Argument mehr für eine Frühdatierung seiner neutestamentlichen Bücher sein, was die Endgestalt der jeweiligen Schriften angeht.

Klaus Berger regt in mancher Hinsicht Diskussionen an und eröffnet neue Diskurse. Er polarisiert weit weniger, als das manchmal in den öffentlichen Diskussionen über ihn erscheint. Der Kommentar ist in thematischer Breite und Verständlichkeit für alle Berufe geeignet, die mit Religion und Theologie zu tun haben, z. B. auch für die Schule. Das vorrangige Interesse des Kommentars an der Deutung der vorliegenden Bibel-Texte macht ihn ebenso zu einem wichtigen Hilfsmittel der Predigtvorbereitung.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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