Predigt über Matthäus 27,33–54, Karfreitag 2013, Christoph Fleischer, Werl 2013

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Grabkreuz AuferstehungUnd als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und als er’s schmeckte, wollte er nicht trinken.

Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum.

Und sie saßen da und bewachten ihn. Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König.

Und da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken.

Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König von Israel, so steige er nun vom Kreuz herab. Dann wollen wir an ihn glauben. Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. Und von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde.

Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. Die andern aber sprachen: Halt, lass sehen, ob Elia komme und ihm helfe! Aber Jesus schrie abermals laut und verschied. Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, und die Gräber taten sich auf, und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!

Liebe Gemeinde,

zunächst sollten wir uns mit der Frage beschäftigen, wie wir diese Geschichte von der Kreuzigung Jesu gehört haben, und welche Gedanken uns dabei beschäftigt haben. Zunächst wird es uns leicht gemacht, uns das Ereignis vorzustellen. Wir kennen den Ort und seinen grausamen Namen. Dieser Name „Golgatha“ ist in die Weltgeschichte eingegangen. Er steht heute neben anderen Ortsnamen wie Auschwitz, Hiroshima, Verdun. Der Todesort Jesu, die Schädelstätte Golgatha, ist Symbol geworden für alles ungerechte und willkürliche Töten, das unter Beteiligung von Staaten geschieht. Und die Geschichte ist in ihrem politischen Gewicht deutlich genug markiert. Der Name des Statthalters Pontius Pilatus hat es immerhin bis ins Glaubensbekenntnis geschafft und wird jedes Mal genannt, wenn vom Kreuzestod Jesu die Rede ist. Der König der Juden wird mit Räubern gekreuzigt. Die Kreuzigung sollte ohnehin als Abschreckung gegen die unterjochten Völker verwendet werden. Die Römer hatten Spaß an öffentlichem Schauspiel der Hinrichtung. Jesus fällt unter die Soldaten, die um sein Gewand würfeln. Von Seiten der Hohenpriester und Schriftgelehrten und Ältesten kommt Hohn und Spott. Jesus stirbt schreiend einen grausamen Tod. Diese Art von Hinrichtung ist nicht nur dazu da, Menschen nicht so schnell wie möglich zu töten und zu beseitigen, sondern dazu noch, sie qualvoll und öffentlich sterben zu lassen. Die Kreuzigung zeigt uns daher einen sterbenden Menschen. Neben der Tatsache der Hinrichtung treten Tod und Sterben als Vorgang in den Vordergrund. Was zunächst banal klingt, ist eine Botschaft: Der Erlöser stirbt als Mensch. Dadurch wird die Erzählung der Kreuzigung zum Drama. Immer wieder werden seine Bedeutung als Messias und Retter und seine Machtlosigkeit kontrastvoll gegeneinander gestellt. Zuletzt heißt es: Dieser ist Gottes Sohn gewesen. Späte Anerkennung seines Anspruchs, aber deutlich in der Vergangenheit. Gottes Sohn – ja, er war es, aber jetzt ist er tot. Sicherlich bebte die Erde und schon war die Auferstehung einiger Toter zu beobachten. Von dem Gekreuzigten ist hier aber nicht die Rede. Er war der König der Juden, er war Gottes Sohn, aber jetzt ist er gestorben. Die Perspektive der Geschichte macht uns zu Beteiligten, zu Angehörigen, zu Trauernden. Das ist unsere Beteiligung, unser Thema, die Trauer über das Sterben Jesu. Wir erleben seinen Tod. Auch wir empfinden Ärger und Wut gegen die Anderen, die Täter, die Zuschauer. Wir sind stolz auf Jesus, der seinen Weg geht, in den Tod hinein. Jesus, Gottes Sohn, Juden König, vollbringt kein Wunder für sich selbst. Er akzeptiert den Tod, obwohl er ungerecht ist. Jesu Leben geht bei Gott weiter. Er stirbt für uns Menschen. Damit ist und bleibt Jesus Opfer im Sinn des englischen Wortes victim. Jesus ist unschuldiges Opfer einer zynischen Gewalt. Das andere Wort Opfer, mit dem das Blut des Lebendigen dem Schöpfer zurückgegeben wird auf dem Altar, kann mit dieser Kreuzigung nicht in Verbindung gebracht werden. Die Gewalt der Römer durchkreuzte Gottes Macht. Sie stellte den Gott der Juden bloß. Er ist Gegenstand der Anbetung und des Wunders, aber vermag nichts gegen Waffen und zynische Gewalt. Die zwielichtige Rolle der Hohenpriester lässt diese Deutung vielleicht zunächst ins Leere laufen, doch sind sie ja letztlich auch nur Diener der Macht und meinen sich dazu die Person des Statthalters zu Nutze zu machen. Alles, was diesen Menschen Jesus ausmachte, ist nun tot. Er ist als Mensch gestorben.

Was aber macht diese Geschichte von der Kreuzigung dann zu einer religiösen Geschichte? Wir hören vom Sohn Gottes, der sich aber nicht selbst zu helfen weiß. Wir hören vom König der Juden, der machtlos am Kreuz hängt. Selbst die wunderhaften Ereignisse am Ende mit dem Erdbeben und der Totenauferstehung, bei denen der Vorhang im Tempel zerreißt, haben allenfalls eine symbolische Bedeutung. Nein, das alles ist es nicht. Was diese Geschichte so stark macht und ihr ein religiöses Gewicht gibt, ist die Bestätigung der Bibel und des Geschehens in dieser Geschichte. Was dort geschah, ist in den Worten eines Psalms (Psalm 22) schon vorweg beschrieben. Jesu Tod entspricht dem ungerechten Leiden des Gottesmannes im Psalm 22, der Jesus ja wörtlich in den Mund gelegt wird: Eli, eli lama asabtani (Vers 2), „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“. Zusätzlich werden zitiert: Das Schreien des Sterbenden (Vers 6), der Spott der Anderen (Vers 8), dass kein Helfer da ist (Vers 12), dass seine Zunge vertrocknet (Vers 16) und dass andere seine Kleider verlosen (Vers 19). Der Psalm 22 ist das stellvertretende Gebet eines Sterbenden, der in seiner Not die Gott-Ferne erlebt. Für den alttestamentlichen Glauben galt noch nicht die Hoffnung auf die Auferstehung. Der Tod ist zugleich Nicht-Leben und damit Gott-Ferne. So heißt es etwa im Psalm 16: „10 Du, HERR, wirst mich nicht der Totenwelt preisgeben! Du wirst nicht zulassen, dass ich für immer im Grab ende; denn ich halte in Treue zu dir! 11 Du führst mich den Weg zum Leben. In deiner Nähe finde ich ungetrübte Freude; aus deiner Hand kommt mir ewiges Glück.“ (Psalm 16, 10 + 11).

Diese Vorstellung wird um den Gedanken der Auferweckung erweitert, nicht verneint. Gott ist und bleibt ein Gott des Lebens und der Lebendigkeit. Der Geist Gottes ist Lebenszeit. Für Matthäus ist die Kreuzigung ganz deutlich kein Dogma und kein Lehrsatz, sondern eine stellvertretene Interpretation des 22. Psalms. Eine Vorstellung, die das Sterben zum Thema hat. Der unschuldige und sinnlose Tod Jesu, des Sohnes Gottes offenbart die Situation des Sterbenden überhaupt. Jesu Gott-Ferne ist zugleich seine Nähe im Moment des Todes. In Jesus ist Gott Mensch, in Jesus ist Gott selbst Gott fern und machtlos dem Sterben und der brutalen Macht des Todes ausgeliefert. Der Tod soll besiegt werden, aber in welchem Sinn? Er soll kein Instrument der Macht mehr sein. Mit dem Tod sollen Römer und Nazis keine Angst mehr machen können und dürfen. Auch in der Hand der Kirche ist der Tod kein Machtinstrument, um etwa Angst vor der Hölle zu machen. Gott ist in Jesus an unserer Seite, weil dieser Moment der Gott-Ferne im Tod auszuhalten ist.

Später, die Auferweckung des Gekreuzigten, darin liegt die frohe Botschaft, die aber genau diese Botschaft der Gottesferne im Tod voraussetzt. Die Gottesferne im Sterben ist schon ein alttestamentliches Bild (siehe Psalm 22), nicht mehr und nicht weniger. Das hat manchen geholfen, Auschwitz besser zu verstehen. Es ist einfach nur der Abschied von Gottes Allmacht. Entweder leidet Gott mit, dann ist er nicht gleichzeitig allmächtig, oder er ist allmächtig, dann leidet er aber nicht mit. In Jesus ist aber nun Gott der Mitleidende. Nur von daher ist das Kreuz Jesu der Beginn des christlichen Glaubens, die neue Zeit Christi, des Menschensohnes bei Gott, des Gottessohnes bei uns. Gott ist machtlos. Die Macht ist seine Sprache nicht mehr, sondern allein das Leben. Gott ist die Liebe, die wir in unserem Leben durch Worte und Taten erfahren. Gottes Gegenwart gibt uns Kraft zum Vertrauen in aller Schwachheit und nicht gegen alle Schwachheit.

Das heißt nun: Die Bibel von Christus her lesen. Die neue Zukunft, die verheißen ist, beginnt heute! Das Gottesbild hat sich verändert. Mit Jesu Kreuz ist das Opfer vorbei. Gott will keine Opfer von uns. Er ist uns nah im Opfer Jesus Christus. Gott leidet selbst und wird zum Opfer. Machtstrukturen kann man nicht dadurch verändern, dass man einfach neue aufbaut. Selbst die katholische Kirche scheint dies nun heute, wenn auch spät, zu lernen. Ein Papst, der sich Franziskus nennt, will den Aufbau der Kirche von unten her, durch Verzicht auf Macht und durch Armut. Ich bin mal gespannt, wie eine solche Kirche unsere evangelische Konfession herausfordern wird. Jedes Bündnis mit Geld und Macht wird ein Ende haben müssen. Kirche wird allein auf Vertrauen und auf Liebe aufgebaut. Sie wird die Vertreterin der Menschenwürde auf unserem Planeten sein.

Das Kreuz Jesu ist –

für Sterbende und Trauernde ein Trost: In Jesu Gefühl der Verlassenheit ist er uns menschlich nah;

Das Kreuz Jesu ist –

für Unterdrückte und Verfolgte ein Zuspruch: Der Tod kann uns keine Angst machen. Aus den Gewehrläufen kommt keine Macht mehr.

Das Kreuz Jesu ist –

für alle Lebenden der Grund zum Glauben: Nicht Gottes Allmacht, sondern seine Ohnmacht macht den Glauben glaubwürdig.

Es geht nicht darum, sich auf etwas zu verlassen, was stark und mächtig sein könnte, sondern auf das Leben selbst zu vertrauen, in dem uns Gott als Vater und Schöpfer begegnet.

Wir lassen und nicht mit Vertröstungen abspeisen und spielen den Menschen kein Paradies mehr vor, das sie erst nach ihrem Tod erhalten. Wir wollen, dass hier auf dieser Erde Gerechtigkeit und Menschenwürde gelten.

Dazu gibt es den Franz von Assisi zugeschriebenen Spruch, mit dem ich schließe:

Herr, mach mich zu einem Werkzeug deines Friedens,

dass ich Liebe übe, wo man sich hasst,

dass ich verzeihe, wo man sich beleidigt,

dass ich verbinde, da, wo Streit ist,

dass ich die Wahrheit sage, wo der Irrtum herrscht,

dass ich den Glauben bringe, wo der Zweifel drückt,

dass ich die Hoffnung wecke, wo Verzweiflung quält,

dass ich ein Licht anzünde, wo die Finsternis regiert,

dass ich Freude mache, wo der Kummer wohnt.

Herr, lass du mich trachten:

nicht, dass ich getröstet werde, sondern dass ich tröste;

nicht, dass ich verstanden werde, sondern dass ich verstehe;

nicht, dass ich geliebt werde, sondern dass ich liebe.

Denn wer da hingibt, der empfängt;

wer sich selbst vergisst, der findet;

wer verzeiht, dem wird verziehen;

und wer stirbt, erwacht zum ewigen Leben.

(Frankreich um 1913, laut Gesangbuch ist der deutsche Text um 1945 anonym entstanden).

Amen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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