Predigt für den 7. Sonntag nach Trinitatis über 2. Mose 16, 2-18, Christoph Fleischer, Welver 2014

2.Mose 16,2-18 (Auswahl, Gute Nachricht Bibel)

2 Und es murrte die ganze Gemeinde der Israeliten wider Mose und Aaron in der Wüste.
3 Und sie sprachen: Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand,
als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen.
Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, daß ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.
9 Und Mose sprach zu Aaron: Sage der ganzen Gemeinde der Israeliten:
Kommt herbei vor den HERRN, denn er hat euer Murren gehört.
10 Und als Aaron noch redete zu der ganzen Gemeinde der Israeliten,
wandten sie sich zur Wüste hin, und siehe, die Herrlichkeit des HERRN erschien in der Wolke.
11 Und der HERR sprach zu Mose:
12 Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen:
Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt innewerden, daß ich, der HERR, euer Gott bin.
13 Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager.
Und am Morgen lag Tau rings um das Lager.
14 Und als der Tau weg war, siehe, da lag’s in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde.
15 Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: Man hu?
Denn sie wussten nicht, was es war. Mose aber sprach zu ihnen: Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat.
16 Das ist’s aber, was der HERR geboten hat:
Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht, einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.
17 Und die Israeliten taten’s und sammelten, einer viel, der andere wenig.
18 Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte.
Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.

Liebe Gemeinde,

diese Geschichte vom Manna in der Wüste ist sicherlich eine der erfreulichsten und am meisten mutmachenden Erzählungen des Alten Testaments. Sie will als Teil der großen Erzählung vom Auszug des Volkes der Israeliten aus der Sklaverei gelesen werden. Diese Erzählung gehört zur Verkündigung der jüdischen Religion genauso wie zur christlichen. In der jeweiligen Gegenwart ausgelegt, eröffnen sich immer wieder neue Perspektiven.

Und so behaupte ich am Anfang dieser Predigt, dass diese Geschichte symbolisch zu interpretieren ist. Die Wüste ist für alle, die den Text hören, nicht irgendein Landstrich zwischen Ägypten und dem Berg Sinai, sondern es ist die jeweilige Zeiterfahrung, in der sich das Leben abspielt. Die Geschichte handelt von Religion, die nicht losgelöst vom Alltag geschieht, sondern mittendrin ist. Schon die Frage nach Gott und seiner Rolle ist hier interessant. Daher habe ich die Verse zur Begegnung Moses mit der Stimme Gottes bei der Verlesung des Textes nicht ausgelassen, wie es eigentlich vorgesehen war. Für das Volk selbst ist Gott unsichtbar. Auch die Erfahrung kann keine Gewissheit der Nähe Gottes verbürgen. Ja im Gegenteil, kaum wird die ganze Härte der Gegenwart bewusst, und der Weg in die Freiheit ist ein jahrhundertelanger mühevoll steiniger Weg durch die Wüste, so fangen die Leute an zu murren und wollen doch tatsächlich zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurück. Vorher hat man sich die Sklaverei unheimlich hart und brutal vorgestellt und jetzt erscheint sie wie das Schlaraffenland, das nur eben hart erarbeitet werden musste. Immerhin ist von Fleisch die Rede und nicht von dünner Mehlsuppe, und von Brot in Fülle.
Symbolisch heißt das: Es kommt immer auf die Perspektive an, die sich von der jeweiligen Gegenwart her eröffnet. So schnell verblasst jede Fortschrittsidee, weil sie immer nur die Antwort ist auf die Fragen der Vergangenheit. Kommt es nicht eher darauf an, mit der jeweiligen Wüste, in der wir existieren, zurecht zu kommen?
Gottes Nähe ist hingegen kein Gegenstand, auch wenn später wohl die Bundeslade als ein solcher Gegenstand erscheint, der mitgeführt wird. Ob Gott da ist oder nicht, entscheidet nicht das Volk, entscheiden auch nicht Mose und Aaron als Mittler, sondern Gott, indem er sich zeigt. In der Wolke, die das Volk umgibt, wird eine Stimme laut und ist ein Gesicht zu erkennen. Mose und Aaron geben diese Botschaft dem Volk weiter. So entsteht der Stand der Priester und Propheten. Doch später wird deutlich: Jeder Mensch kann diese Stimme Gottes vernehmen. Sie kommt uns wie ein Kommentar vor, der aber das Handeln Gottes beinhaltet. Dabei kommt es wohl nicht zuerst um das Manna und die Wachteln, deren Wohltat später geschildert wird, sondern um die Zuversicht, dass der Weg nicht umsonst ist, den Gott das Volk und die Menschen führt. Mose schildert, wie er Gottes Stimme aus der Wolke vernimmt und wie er sie Aaron weitergibt, der wiederum dem Volk die entsprechenden Informationen unterbreitet.
Hierbei muss der Glaube immer wieder daran arbeiten, wie die jeweilige Gegenwart und die Nähe Gottes miteinander in Verbindung zu bringen sind. Das Volk sagt „Wollte Gott“ und Mose und Aaron sagen: „Ihr sollt inne werden, dass ich Gott, der Herr, euer Gott bin.“. In der Religion kämpfen immer wieder Gottesbilder miteinander. Das eine ist der Gott der Rechtfertigung. Mit diesem Gott kann man letztlich alles begründen. Mit diesem Gott wird aus dem Weg in die Freiheit bei der Anfechtung der Gott, der uns von den Fleischtöpfen wegholt. Ich sehe in der Botschaft des Mose genauso, dass sich das Handeln Gottes in der Gegenwart abspielt, aber die Frage ist immer eine Frage des Wozu. Gott handelt, weil er das Leben will. Hier werden keine Care-Pakete vom Himmel geworfen, wie es in den Hungergebieten der Welt manchmal der Fall ist. Die Hilfe Gottes spielt sich in der Wüste ab, in der wir leben. Doch die Wüste wird nicht als der Raum des Todes gesehen. Mit dem Titel eines alten Disneyfilms müsste man sagen: „Die Wüste lebt“. Die Wachteln kommen, abends, wenn sich die Zugvögel niederlassen, und das Manna kommt morgens mit dem Tau. Gott handelt in den Wundern des Lebens. Das Wort Gottes ist, das Versprechen des Lebens, und die Hilfe Gottes sind die Lebensmöglichkeiten, die sich in dieser Welt eröffnen.
Das Wunder ist immer von der Deutung abhängig. Jesus sagt zu den Geheilten: Dein Glaube hat dir geholfen.
Das Wunder Gottes ist, dass wir heute leben, dass wir diesen heutigen Tag erleben dürfen. Die Mannageschichte, die ja nur ein kleiner Teil der Erzählung ist, hat in verschiedenen Aspekten den Sinn, das Wunder des heutigen Tages hervorzuheben.
Im letzten Jahr stand der Kirchentag in Hamburg unter der Losung: „Soviel du brauchst“ – ein kleines Zitat aus dieser Geschichte. Sicherlich folgt aus der Erzählung auch ein neues Verständnis von Lebensmittel und Leben überhaupt, aber ich möchte einmal behaupten, dass es in der Geschichte selbst nur ein Beispiel ist für das eigentliche Thema: Das Leben ist heute!
Nicht nur in Israel damals, sondern auch bei uns heute ändert sich der Glaube. Das zwanzigste Jahrhundert war das Zeitalter des Fortschritts. Es hat sich ja auch in technischer Hinsicht unheimlich viel getan, was sich bis heute fortsetzt. Doch der der Glaube, dass der Fortschritt die Menschen humaner macht, hat sich nicht erfüllt. In der Religion war es ähnlich. Die Botschaft des Reiches Gottes erschien fast so ähnlich, wie die Vision einer sozialen Utopie. Der richtige Glaube, und schon wird Christus unsere Welt in ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit verwandeln. Ich glaube heute immer noch an dieser Verwandlung, aber ich sehe sie nicht als große Vision, als Zukunftstraum, sondern als ein Teil der Gegenwart.
In unserer Geschichte ist es das Manna, das die Gabe Gottes in dieser Welt verkörpert. Das alte Testament verbindet die Einführung von Namen und Begriffen oft mit einer Worterklärung. Das Wort Manna wird erklärt mit der Kurzformel Man-hu, was soviel heißt wie: „Was ist das?“ Wer die Wüste nicht kennt, wird in diesen kleinen Körnchen kein Lebensmittel erkennen. Der Friede ist nicht in erster Linie ein Ziel, sondern ein Weg. Das sieht man am deutlichsten dort, wo er gerade nicht ist. Und Gott nimmt ihnen die Mühe und Arbeit, das Brot zu sammeln, nicht ab. Das Manna muss mühevoll aufgesammelt werden.
Man könnte sagen: Eine Handvoll Reis ist in der Wüste schon viel. Wer die Geschichte von den Arbeiterinnen in Bangladesh kennt, weiß, dass eine Handvoll Reis nicht ausreicht, wenn man zwölf Stunden am Tag arbeiten muss. Es geht nicht darum, eine Moral der Bescheidenheit zu verklären, sondern den Blick auf die Gegenwart zu richten. Wem das tägliche Brot nicht ausreicht und wer dann beginnt zu sammeln, dessen Verhalten allerdings wird man schlicht als gierig bezeichnen müssen. Gier ist ja bekanntlich eine Ursache der Weltfinanzkrise vor einigen Jahren gewesen. Wer aus Gier heraus mehr sammelte, als es für einen Tag zum Leben nötig war, musste erleben, dass die Vorräte von Würmern gefressen wurden. In der Wüste gibt es keine Kühlschränke.
Die eigentliche Aussage besteht also darin, dass wir es im Glauben aushalten sollen und müssen, mit leeren Händen in den neuen Tag zu gehen. Unser Vertrauen ist, dass Gott uns die Hände füllen wird, nicht dass unsere Vorräte ausreichen. Glaube ist Vertrauen in das Kommende.
Und so wird die Mannageschichte nicht umsonst auch mit dem Abendmahl verbunden. Eine Oblate ist wahrlich keine vollständige Mahlzeit. Aber sie weist uns gerade daraufhin, was Glaube im Leben bedeutet. Glaube bedeutet nicht, immer schon zu wissen, was Gott tun wird und Gott besser zu kennen als alle anderen, sondern Glaube bedeutet, mit leeren Händen in den neuen Tag zu gehen, aufmerksam und bereit, Gaben Gottes zu entdecken.
Im Folgenden Teil der Predigt, als Abschluss, lese ich drei kurze Texte, die das Gesagte aus verschiedenen Perspektiven illustrieren.

das tägliche Brot – ist mehr als Essen und Trinken (Martin Luther)

Martin Luther: Unser tägliches Brot gib uns heute.
Was ist das?
Gott gibt das tägliche Brot auch ohne unsere Bitte allen bösen Menschen;
aber wir bitten in diesem Gebet,
daß er’s uns erkennen lasse
und wir mit Danksagung empfangen unser tägliches Brot.
Was heißt denn tägliches Brot?
Alles, was not tut für Leib und Leben,
wie Essen, Trinken, Kleider, Schuh,
Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut,
fromme Eheleute, fromme Kinder, fromme Gehilfen,
fromme und treue Oberherren, gute Regierung,
gut Wetter, Friede, Gesundheit, Zucht, Ehre,
gute Freunde, getreue Nachbarn und desgleichen. (Martin Luther: Kleiner Katechismus in: Evangelisches Gesangbuch RWL, S…)

2. Das Brot vom Himmel – Jesus Christus, der uns zeigt, dass wir Kinder Gottes sind und unser Leben ein Geschenk ist.

Du bist unser Gott, wir danken dir.
Aus deiner Hand nehmen wir alles, was wir brauchen.
Wir essen vom Brot des Lebens, wir trinken aus dem Kelch des Heils.
Du bist gnädig, barmherzig und von großer Güte.
Du rettest unser Leben aus dem Tod und machst unsere Zukunft hell.
Voll Freude feiern wir, dass wir deine Söhne und Töchter sind.

3. der tägliche Glaube ist Leben in der Dankbarkeit, offen für alle Neue!

Dietrich Bonhoeffer: Glauben empfangen wir von Gott immer nur so viel, wie wir für den gegenwärtigen Tag gerade brauchen. Der Glaube ist das tägliche Brot, das Gott uns gibt. Ihr kennt die Geschichte vom Manna. Das empfingen die Kinder Israels täglich in der Wüste. Wollten sie es aber aufbewahren auf den nächsten Tag, so war es verfault. So ist es mit allen Gaben Gottes. So ist es auch mit dem Glauben. Entweder wir empfangen ihn täglich neu oder er wird faul. Ein Tag ist lang genug, um Glauben zu bewahren. Es ist an jedem Morgen ein neuer Kampf, durch allen Unglauben, durch allen Kleinglauben, durch alle Unklarheit und Verworrenheit, durch alle Furchtsamkeit und Ungewissheit zum Glauben hindurch zustoßen und ihn Gott abzuringen. (Dietrich Bonhoeffer, Predigten, Auslegungen, Meditationen. Band 2, Gütersloh …, S. 106)
Der Text von Bonhoeffer bringt es auf den Punkt:
Der Glaube ist das Manna. Objektiv gesehen ist es klein und unscheinbar, liegt wie Tau am Boden. Doch daraus lässt sich Kraft für diesen einen Tag gewinnen, Dankbarkeit für das Leben am heutigen Tag.
Amen.


Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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