Predigt über 2. Korinther 3, 1-6, Christoph Fleischer, Welver 2014

Diese Predigt hielt ich am heutigen Sonntag, den 2.11.2014 in der Kirche Maria zur Höhe in Soest. Sie ist meiner Mutter gewidmet, die heute vor fünf Jahren gestorben ist.

  1. Korinther 3,(1-2)3-6(7-9)

 

1 Fange ich schon wieder an, mich selbst anzupreisen? Oder brauche ich vielleicht Empfehlungsschreiben an euch oder von euch, wie gewisse Leute sie nötig haben? 2 Ihr selbst seid mein Empfehlungsbrief! Er ist in mein Herz geschrieben und alle können ihn sehen und lesen.

3 Für alle ist sichtbar:

Ihr seid ein Brief von Christus, ausgefertigt und überbracht durch meinen Dienst als Apostel. Dieser Brief ist nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes.

Er steht nicht auf Steintafeln, sondern in den Herzen von Menschen.

4 So viel Selbstvertrauen habe ich vor Gott, weil Christus mich in seinen Dienst gestellt hat.

5 Ich meine nicht, dass ich einem solchen Auftrag aus eigener Kraft gewachsen bin und mir irgendetwas selbst zuschreiben kann.

Gott ist es, der mir die Fähigkeit dazu geschenkt hat.

6 Er hat mich fähig gemacht, ihm zu dienen durch die Bekanntmachung seines neuen Bundes. Dieser Bund unterscheidet sich dadurch von dem früheren Bund, dass Gott jetzt nicht ein geschriebenes Gesetz gibt, sondern seinen Geist.

Der Buchstabe des Gesetzes führt zum Tod; der Geist aber führt zum Leben.

 

Liebe Gemeinde!

(Ich zeige ein Schild und lasse dazu Assoziationen laut werden mit den Worten:)

Ihr seid ein Brief von Christus,Sync 25.10.2014 094147

nicht mit Tinte geschrieben,

sondern mit dem Geist

des lebendigen Gottes.

 

Das ist Vers 3 in Kurzform. Bei der Vorbereitung habe ich eine Beobachtung gemacht: Wenn ich diesen Spruch auf ein gelbes Schild schreibe, wie hier, dann stellt sich die Assoziation ein: Ortsschild. Wir sind ein Ort, an dem dies gilt: Brief Christi zu sein. Geschrieben mit dem Geist des lebendigen Gottes. Dieser Satz stellt die Kirche in all seinen Teilen dar, in allen Personen. Der Geist des lebendigen Gottes macht aus gewöhnlichen Menschen Botschafter Jesu Christi. Zu dem Inhalt gleich noch mehr.

Ihr seid ein Brief vopn Christus-blau

Jetzt ein Vergleich: Mache ich ein blaues Schild, dann erinnert das an eine Autobahn. Auf blauen Schildern stehen die Orte, zu denen man kommt oder der Name der Autobahn oder der Abfahrten. Die Straße selbst ist der Ort. Der Weg ist das Ziel. Der Geist des lebendigen Gottes führt uns zu dem, was wir sein wollen oder sollen, Brief und Botschaft Jesu Christi zu sein. Beide Aspekte ergänzen sich, einmal ist eher ein Ort gemeint, einmal ein Weg. Was genau gemeint ist, dazu später.

Jetzt möchte ich zuerst auf den Anlass zu sprechen kommen. Niemand weiß das so recht, weil uns die Schreiben der Korinther nicht bekannt sind, auf die Paulus hier antwortet. Das Stichwort „Empfehlungsschreiben“ aus Vers 1 macht es ganz konkret: Warum sollte Paulus ein Empfehlungsschreiben vorlegen? Andererseits ist es schon verständlich, dass andere Prediger, die nun in Korinth ankommen, sich mit solchen Schreiben ausweisen möchten.

Um das besser zu verstehen, lese ich einmal einen fiktiven Brief der Korinther in Auszügen vor:

„Lieber Paulus, wir haben Besuch bekommen von neuen Aposteln, und seitdem herrscht in unseren Versammlungen eine neue Stimmung. Sie hatten Empfehlungsbriefe bei sich, die uns neugierig gemacht haben. Die Gemeinde von Pergamon hat uns zum Beispiel beschrieben, wie durch das Wirken der neuen Apostel Kranke gesund geworden sind und Dämonen die Flucht ergriffen haben. Eine andere Gemeinde berichtet von der Gewalt ihrer Predigten: Tiefe Betroffenheit lösen ihre Worte aus und unglaubliche Begeisterung.“

In dem Brief werden nun die Heilungen und die Wirkung der Predigten näher entfaltet. Darauf gehe ich nicht näher ein. Nur noch zum Schluss:

„Lieber Paulus, alles ist wunderbar und kaum zu beschreiben. Nur eines drückt uns: Die neuen Erfahrungen machen uns dir gegenüber etwas hilflos. Wie sollen wir das einschätzen, was Du uns geboten hast? Um es offen zu sagen: Es hatte nicht den Glanz und die Kraft, die uns jetzt überwältigt. .. Versteh es richtig, Paulus, wir schreiben dir, weil du uns wichtig bist. Aber wir befürchten, dass Du mit Deiner Kraft am Ende bist.“(aus: Predigtstudien VI,2, 1995/96, Kreuz Verlag 1996, S.268).

Vor diesem Hintergrund geht es um eine Alternative: Geht es um ein religiöses Veranstaltungsprogramm, gleichwohl mit wunderbaren Wirkungen? Oder geht es um ein Verständnis des Evangeliums, das dem Menschsein selbst eine neue Richtung gibt?  Mich erinnert dieser Brief schon stark an die Evangelien und die Apostelgeschichte, wo ein Wunderglaube ja durchaus eine große Rolle spielt, der so bei Paulus kaum vorkommt.

Die Antwort des Paulus ist ein Reflex, eine Retourkutsche: „IHR seid ein Brief von Christus nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes.“

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Der weitere Predigttext scheint von diesem Thema ein wenig abzulenken, weil Paulus hier mehr von sich selbst spricht. Doch ich meine hier ein Ich zu entdecken, das anstecken soll. Diesem Ich kann man sich anschließen:
Der Brief, auf den Paulus sich beruft, der ist nicht auf Papier oder Stein geschrieben, sondern er steht in den Herzen der Menschen. Paulus – und wir alle – sind durch Christus selbst in unseren Dienst gestellt. Auf Christus können wir uns berufen und brauchen uns nicht als Ableger irdischer Apostel zu beweisen. Wir sind schon wer, bevor wir berufen wurden, weil wir vom Geist Gottes getauft wurden.  Deshalb können wir, sagt Paulus, auch unsere eigene Schwachheit zulassen. Ja später kann er sogar sagen: Christus habe ihm gesagt: Lass Dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. (2.Kor.12,9).

Hier haben wir schon praktisch das Thema der Reformation, dass sich im Kleinen Katechismus Martin Luthers unter der Erklärung des Glaubensbekenntnisses findet: Zum Dritten Artikel steht dort: „Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesus Christus, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durch das Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet und im rechten Glauben geheiligt und erhalten…“ (eg RWL 855.2).

Paulus und die Korinther sind gleichgestellt. Wir brauchen keine Zauberer und Demagogen, sondern einen Glauben an Christus, das genügt. Für ihn wir für uns gilt: „IHR seid ein Brief von Christus nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes.“

Am Ende dieses Abschnittes macht er es am Beispiel der Gesetzestafeln des Mose klar. Entscheidend ist letztlich nicht der Buchstabe, das was dort eingemeißelt steht, sondern die Praxis, das Leben mit diesem Gesetzt durch den Geist. „Der Buchstabe des Gesetzes führt zum Tod, der Geist aber führt zum Leben.“

Nun zu uns. Können wir uns auch auf diesen Geist des Paulus berufen, der in Christus gründet und nicht in eigener Kraft und Stärke, nicht in Wunderbeweisen, sondern in der Einsicht, dessen was gut und richtig ist?

Die Pastorin Gabriele Dietzel schreibt zu Recht vom Geist Gottes als dem „Lebendigkeitspotential“,(und fragt:) … Durch wessen Dienst sind wir zubereitet, als Einzelne und als Kirche, hier, in Deutschland? Und: Was sind wir für ein Brief – in diese Welt hinein? Wer liest uns und was bewegen wir? … (mit einem Zitat von Dietrich Bonhoeffer) Das befreite Gewissen ist nicht ängstlich wie das an das Gesetz gebundene, sondern weit geöffnet für den Nächsten und seine konkrete Not.“ (Deutsches Pfarrerblatt 9/2014 S.519)

Doch das ist keine Untätigkeit, sondern es bedeutet, die Tätigkeit des Geistes mit einzubeziehen. Das ist heute die Erkenntnis, dass wir niemals allein wirken, sondern immer auf andere bezogen sind und andere auf uns.

Und Helge Adolphsen schreibt: (So müsste eine Kirchenleitung heute schreiben:)

Wir kennen die kleinen Aufbrüche bei Euch, die Hausbesuche, die Gespräche nach dem Gottesdienst, alles, was ihr für eine persönlichere Kirche tut. Wir haben gern in Eurem Gemeindebrief gelesen. Aber das wollen wir nicht herausstellen. Es geht uns nicht um Kataloge guter und christlicher Taten. Wir haben Abschied genommen von dem Wunsch, unser Image nach außen zu verbessern und Reklame zu machen. … Wir haben eine geistliche Entdeckung gemacht. sind geradezu bekehrt worden. … Wir haben den Geist Gottes gespürt und ihn wirken lassen. (Textspuren 6: Radius Verlag Stuttgart 1995, S.168f).

Es kommt immer darauf an, den Satz in der Gegenwart zu hören und wahrzunehmen und nicht als Befehl oder Verpflichtung. Also es ist eine Zusage, wenn Paulus schreibt: „IHR seid ein Brief von Christus nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes.“

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Der Schlüssel des Verständnisses, der vom Geist und von der Lebendigkeit Gottes zu reden ist, ist jedoch das Wort „Christus“. So wie schon Martin Luther die Reformation von Christus her erschlossen hat und in Christus allein das Evangelium erkannt  hat.

Wer ist Christus? Klar Jesus, würden wir sagen. Aber ist das schon alles? Jesus Christus, das ist mehr als ein Name einer historischen Person. Jesus ist der Christus heißt, er ist der Messias. Doch, was Messias heißt, lesen wir schon in der Bibel, im Alten Testament, wie es schon die Evangelisten getan haben.

Dazu zum Schluss ein kleiner Ausflug in das Denken eines jüdischen Philosophen, Emmanuel Levinas aus Paris.

Zur Information einige Bemerkungen zum Lebenslauf von Emmanuel Levinas aus dem SPIEGEL (Quelle: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45424924.html).

Er wurde im litauischen Kaunas geboren, die Eltern waren strenggläubige Juden, der Vater hatte einen kleinen Schreibwarenladen. 1923 ging er als Student nach Straßburg, von dort aus war der Weg nicht weit nach Freiburg, wo er 1928/29 Seminare der berühmten Philosophen Edmund Husserl und Martin Heidegger besuchte.

Levinas hat sich auch später auf Heidegger berufen, obwohl dieser sich zu den Nazis bekannt hat. Seine Nähe zu Frankreich hat ihm im Prinzip das Leben gerettet:

Schon 1931 war Lévinas französischer Staatsbürger geworden. 1939 wurde er zum Militärdienst eingezogen. 1940 geriet er in deutsche Gefangenschaft und musste in der Lüneburger Heide, nahe Fallingbostel, als Waldarbeiter schuften. Die französische Offiziersuniform rettete ihm das Leben, während seine Eltern, zwei Brüder und Angehörige seiner Frau von den Nazis ermordet wurden. Niemals wieder, auch nicht als etablierter, mit dem Heidelberger Karl-Jaspers-Preis geehrter Professor, unter anderem an der Pariser Sorbonne, hat er deutschen Boden betreten.

Als Philosoph an der Sorbonne lehrte er Religionsphilosophie. Er hat eine interessante Verbindung zwischen dem Judentum und dem neueren Denken hergestellt, eine Verbindung, die auch für das Christentum wichtig ist. In einem Vortrag über „Menschwerdung“, eigentlich ein christliches Thema, geht er auf die Bedeutung der Rede vom Messias ein, über die Bedeutung des Wortes Messias und dessen Verkündigung in der Gegenwart. Ich meine sogar, dass man christliches und messianisches Denken gleich setzen kann, so wie es Levinas deutet.

Die Gedanken von Levinas sind nur vom einem jüdischen Hintergrund verständlich. Er negiert das Christentum nicht, sondern bezeichnet es als eine Gestalt des Messianismus. Das ist ja im Grund doch das Gleiche, was Paulus schreibt: Ihr seid ein Brief Christi, eine Darstellung des Messianischen.

Das heißt, was wir im Glaubensbekenntnis über Christus sagen,  kann nur in uns selbst wahr werden. Die Bürde auf sich zu nehmen, die das Leiden und die Verfehlung des Anderen mir aufladen, verweist mich auf mein Selbst. (Quelle: Menschwerdung Gottes? in: Emmanuel Levinas: Zwischen uns. Versuche über das Denken an den Anderen. Edition Akzente Hanser, München 1995, S.82).

Christus wird ein Teil unserer Selbst. Es geht nicht nur darum, passiv zu glauben, was Christus für uns tut, sondern diesen Glauben auch auszuüben, selbst zu Christus zu werden. Das ist für Levinas Messianismus und für mich Christentum. Damit darf ich zuerst einmal meine eigenen Verfehlungen auf mich nehmen. Ich darf mich als Getragen empfinden.

Daraus folgt der Weltbezug des Glaubens: Das Ich ist derjenige, der vor jeder Erscheinung schon erwählt ist, die ganze Verantwortung der Welt zu tragen. Ich bin nicht ohne den Anderen und die Annahme des Anderen ist das Gleiche wie die Selbstannahme. Der Glaube wird zur Selbstoffenbarung.

Doch daraus folgt der Glaube als Leben im Widerstand. Paulus negiert das Leistungsprinzip und verweist auf das Wirken des Geistes. „Der Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig“, das heißt: Sich demütig zeigen, als Verbündeter der Geschlagenen, der Armen, der Gehetzten – das heißt genau nicht sich in die Ordnung eingliedern. Levinas bezieht sich hier auf das Alte Testament und die Ankündigung des Messias. Aber sowohl im Messianismus als auch im Christentum ergibt das erst einen Sinn, wenn wir es auf uns selbst beziehen. Christus/Gott als Verbündeter der Geschlagenen, der Armen, der Gehetzten“ bringt diesen Geist in unser Leben. Wir sind der Brief Christi, das Aushängeschild Gottes, wenn wir diesen Geist befördern und umsetzen, so wie es unserem Alltag entspricht.

Mit dem Verhalten Christi, sich zum Anwalt der Gehetzten und Geschlagenen zu machen und sich bis zuletzt diesen Schicksal unterzuordnen stört er die Ordnung. Gott offenbart sich in Christus als Liebe und unterwirft sich den Verhältnissen. Gottes Allmacht ist abwesend. Das ist aber nicht weiter schlimm, da uns ja in Christus der messianische Geist gegeben ist. Die Abwesenheit Gottes ermöglicht es Christus, sich in uns, in den Menschen zu zeigen.

Der Blick geht nicht mehr nach oben, zum Himmel, sondern Gott begegnet uns in den Anderen. In uns begegnen die Anderen Christus.

„IHR seid ein Brief von Christus nicht mit Tinte geschrieben, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes.“

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Was uns in Christus begegnet ist nach den Worten des Paulus der Geist des lebendigen Gottes. Dieser Geist lebt in uns. Er ist das Leben, das von uns gewollt und geschützt, ja auch geheilt wird. Gott begegnet uns in den anderen und wir sind für sie der Brief Christi. Das ist Zuspruch und Anspruch.

Amen.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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