Dieser Text ist in der neuen Perikopenordnung für den vorletzten Sonntag des Kirchenjahres in der 6. Reihe vorgesehen. Ich greife diesen Textvorschlag auf. Auf Predigthilfen kann ich dabei nicht zurückgreifen, da der Text bislang nicht zu den Predigttexten gehörte.
Hiob 14 (Bibel in gerechter Sprache, Taschenausgabe, Gütersloher Verlagshaus 4. Auflage 2011, S.954f)
1Der Mensch, geboren von einer Frau,
kurz an Tagen und satt an Unrast.
2Wie eine Blume geht er auf und welkt,
flieht wie ein Schatten und hat keinen Bestand.
3Doch noch über den hältst du deine Augen auf,
und bringst mich ins Gericht mit dir.
4Wer gäbe es, dass rein aus unrein kommt,
kein Einziger, keine Einzige!
5Wenn die Tage eines Menschen fest beschlossen sind,
liegt die Zahl seiner Monate bei dir;
Du hast seine Grenzen markiert,
und er kann überschreitet sie nicht.
6Blick weg von ihm und er könnte aussetzen,
dass er sich wie ein Tagelöhner seines Tages freuen kann.
13Wer gäbe es, dass du mich in der Unterwelt verborgen hieltest,
mich verstecktest, bis dein Wutschnauben sich wendet,
dass du mir eine Markierung setztest und meiner gedächtest.
15Du riefest und ich würde dir antworten,
nach dem Werk deiner Hände trügest du Verlangen.
16Ja, jetzt zähltest du meine Schritte,
wachtest nicht über meine Verfehlung,
17versiegelt wäre im Beutel meine Sünde
und zugekittet hättest du meine Verschuldung.
Ich entscheide mich für diese Übersetzung, weil sie die 1.Person nicht unterschlägt: „mich bringst du ins Gericht mit dir“. In Vers 5 hätte ich zum Wort Grenze anstelle „markiert“ eher „gesetzt“ geschrieben. Buber übersetzt: „tatest du die Schranke ihm zu, die er nicht überschreite“ (Die Schriftwerke, verdeutscht von Martin Buber, Lambert Schneider Heidelberg 1986, S. 296). Die Übersetzung der guten Nachricht ist etwas schlichter und verwendet weniger den Konjunktiv. Aber in Bezug auf den hebräischen Text weist sich Mängel auf. Es ist kein Zufall, dass es in Bezug auf den Menschen nicht „Leben“ heißt, sondern dass von der „Zahl der Tage“, also der Zeit die Rede ist. Auch die übertriebene Betonung des Systems von „rein/unrein“ könnte den Blick dafür verstellen, dass die Geburt von der Frau schlicht natürlich ist. Der Mensch ist ein natürliches Wesen, wird von seinesgleichen geboren, wie die Tiere auch.
Zur weiteren Abklärung des biblischen Befundes lese ich zwei Kommentare, den von Franz Hesse, TVZ und H. Gross, Die neue Echter Bibel.
Franz Hesse: Hiob, Zürcher Bibelkommentare, TVZ Zürich1978
Themawechsel: Hinfälligkeit des Menschen, der Mensch ist abgewertet: vom Weibe geboren (wieso Abwertung, was könnte es anders meinen?. Sein Leben ist kurz und voll Unruhe.
Aus Klage wird Anklage: „Über dem kurzlebigen Menschen hält Gott nämlich sein Auge offen, nimmt sein Leben und seinen Wandel genau in Augenschein, um Gründe zu finden, ihn sogleich vor sein Gericht zu ziehen, d. H. zusätzlich durch sein Leid zu schlagen.“ (101) (Wieder zweifle ich die Interpretation an: in den Psalmen bedeutet auf „jdn. schauen“ Zuwendung (Er sieht auf den Armen). Gericht darf auch nicht mit Leid gleichgesetzt werden, das wäre dann Ein einfaches System, in dem auf Unrecht Leid folgt. Die Psalmen zweifeln diese Automatik zu Recht an.
(Hesse sieht hier folgerichtig (für seine Deutung) eine Parallele zu Eliphas. Dabei muss es doch eine Entgegnung sein.) Richtig: „Alle Menschen sind unrein.“ (101) Die Vergänglichkeit gilt für alle. Wenn Gott das Leben des Menschen schon begrenzt hat, so sollte er ihn doch wenigsten darin in Ruhe lassen und ihm einen Rest an Freude lassen.
Ausgespart: Was für einen Baum, der ausschlägt, neues Leben bedeutet, ist dem Menschen nur das Vergehen vorgesehen. Endlichkeit und Vergänglichkeit ergänzen sich. Tod heißt hier: Ende für immer.
13 Anrede Gottes. Das Totenreich wird Symbol der Hoffnung, wie ein Versteck. Gott wird dort auch den Zorn nicht hinsenden. Zum Schluss wird es zu einer Hoffnung.
15-17 Eine neue Wechselbeziehung vor Gott ist möglich. Gott verzichtet darauf, alle Schritte zu zählen und zu bewerten. Hiobs Sünde wird verborgen wie in einem festen Beutel. Später nimmt Hiob jedoch die Anklage Gottes wieder auf.
Zusammenfassung: „In Kapitel 14 zielt die Klage allgemeiner auf Vergänglichkeit und Kurzlebigkeit, auf ein Geschick also, das die Menschen insgesamt trifft.“ (105)
Es geht augenscheinlich um negative Anthropologie, aber es geht nicht um einen Sündenfall oder ähnliches, sondern um die natürlich begrenzte menschliche Existenz. Da im Tod alle Menschen gleich sind, kann die religiöse Unterscheidung auch nur vorläufig greifen. Auch vor dem Tod scheitert jede Unterscheidung zwischen richtig und falsch.
Doch da diese Anthropologie negativ ist, tröstet sie nicht wirklich. „Ich bin ein Gast auf Erden“ – ja, aber warum dann in diesem Leben nach Sinn suchen und nach Gott fragen? Es muss eine Antwort geben, dir das negative Element aushebelt. Dieser Begriff muss Leben heißen. Das geht nach Römer 6,3b4: „Wir alle, die »in Jesus Christus hinein« getauft wurden, sind damit in seinen Tod hineingetauft, ja hineingetaucht worden. Durch diese Taufe wurden wir auch zusammen mit ihm begraben. Und wie Christus durch die Lebensmacht Gottes, des Vaters, vom Tod auferweckt wurde, so ist uns ein neues Leben geschenkt worden, in dem wir nun auch leben sollen.“
Die Frage ist also, gibt es etwas, was in diesem Sinn als neues Leben bezeichnet werden kann?
Hier ist dann sogar von Vergebung und Freude die Rede.
Zwischenassoziation: Wäre es etwa so zu denken, wie eine Frau im Altenheim, bettlägerig, 90 Jahre alt, nicht dement: „Ich hatte Anfang der Woche einen Kreislaufkollaps oder etwas ähnliches. Ich muss völlig weg gewesen sein. Es war wie einschlafen. Ich bin eingedämmert. Dann standen sie alle um mich herum. Man muss mich wohl zurückgeholt haben. Das wäre ein schöner Tod gewesen.“
Gedanken zum Text über den Kommentar hinaus: Die neue Echter Bibel, H. Gross, Ijob, Echter Verlag 1986, S. 54ff
Die Grundargumentation ist anthropologisch. Wie Psalm 90,5f und Jesaja 40,6-8 drängt sich der Vergleich mit einer Blume auf. Parallel zu Kohelet 6,12 ist der Ausdruck, das Leben sei wie ein Schatten, der vorübergeht. Das Leben ist endlich und hinfällig, flüchtig. Von Geburt einer Frau ist der Mensch schwach. Wenn der Mensch von Erde genommen ist, also unrein ist, wie soll er dann rein werden. Ob das auf die Sündhaftigkeit weist, wie der Bearbeiter meint, ist m. E. nicht eindeutig. Was kann die Todesgrenze über das Leben des Menschen aussagen? Sollte man das nicht an Heidegger denken, der das Leben als Geworfen-sein bezeichnet. Doch lässt sich dann noch die Verantwortung im Leben begründen? Daraus folgt nun die Bitte, Gott möge wegschauen, den Menschen die wenigen stunden in Ruhe lassen, das heißt blühen und gedeihen, nicht aber stören und leiden lassen. Er soll sich des Tages freuen können, wie ein Tagelöhner (unser tägliches Brot gib uns heute?).
Allerdings ringt Hiob nun erst recht mit demTod als Problem.
Hiob tut jetzt so, als wäre es möglich, sich in der Totenwelt vor und von Gott zu verstecken, ja bergen, und ein Ziel setzen, an ihn zu denken. Hier deutet sich die Wendung in der Religion an, die in der Endgültigkeit des Todes auch Aspekte der Auferstehung, Ewigkeit oder Wiedergeburt sieht (Ich sehe Wiedergeburt nicht als Widerspruch zu Auferstehung).
Das ist hier noch keine Gewissheit, was als Möglichkeit auftaucht: Das Totenreich ist zum Durchgangsort geworden. „Gott würde ihm die Schuld vergeben, sein Leben bekäme neue Aussicht und Hoffnung; es wäre überstrahlt von Liebe Gottes.“ Dies entspricht damals und heute aber nicht der Realität. Doch die Hoffnung besteht. Kann sie durch den Glauben Christus, durch das Erscheinen des Messias eingelöst werden? Gegen die Hoffnung steht die Wirklichkeit des Lebens, stehen Armut, Krieg und Gewalt. So steht die Frage im Raum: gibt ein Sinn des Lebens vor dem Tod, gibt es schon heute die Ewigkeit? Ich denke, Psalm 90 steht im Raum: Raum: Lehre mich zu bedenken, dass ich sterben muss, auf dass ich klug werde.
Levinas referiert Heidegger (Emmanuel Levinas: Gott, der Tod und die Zeit, Passagen-Verlag, Wien 2013, S. 63): „Entflieht das Dasein im Modus des Verfallens der Gewissheit des Todes? Ermöglicht ihm sein Diskurs, der Gewissheit zu entfliehen? Es weicht dem Tod aus — und diese Tatsache des Ausweichens bildet den wahren Bezug zum Tod. In dem Maße, wie es genötigt ist, dem Tod zu entfliehen, bezeugt es die Gewissheit des Todes. Gerade seine Flucht vor dem Tod macht die Bezeugung des Todes aus.“
Dieser Gedanke ist interessant. Der Umgang mit dem Tod sollte nicht als Verdrängung bezeichnet werden. Der Mensch weiß um seine Sterblichkeit und nutzt deshalb seine Möglichkeiten, die das Leben ihm jetzt bietet. In Wahrheit lebt er nicht so, als ob er sterben würde, sondern er lebt so, als ob er den nächsten Tag noch erleben würde, auch im Bewusstsein, dass eben das eines Tages nicht der Fall sein wird. Das memento mori ist kein carpe diem, sondern eine Tiefe des tägliches Daseins, des Leben in bewusster Existenz, die Heidegger Eigentlichkeit nennt.
Levinas setzt fort: „Auf diese Weise gelangt man zu einer vollständigen Charakterisierung des Todes. Der Tod ist gewiss, das heißt, dass er stets möglich, jeden Augenblick möglich ist, dass aber sein „wann“ dadurch unbestimmt bleibt. Die vollständige Bedeutung des Todes ist demnach: eigenste Möglichkeit, unüberholbare, vereinzelnde, gewisse, unbestimmte Möglichkeit.“
Das Leben ist ein unbewusster Umgang mit demTod. Levinas sagt an anderer Stelle, dass esjaimmer der Tod des Anderen ist, der uns vor Augen seht. Der eigene Tod ist unbewusst und unerlebbar, es sei denn als Grenze. Der Tod als Verlust, als Schmerz, das ist der Tod der Anderen. Der bewusste Umgang mit dem Leben schließt das Wissen darum ein, dass nicht nur ich sterblich bin, sondern auch der Andere. Daher muss heute getan werden, was keinen Aufschub duldet.
„Bleibt noch zu zeigen, was die authentische Weise des Seins-zum-Tode ist. Es muss aufgezeigt werden, dass das Können der Möglichkeit des Todes kein gewöhnliches Können darstellt, kein Vermögen wie alle anderen, sondern in dem Sinne, dass es nichts realisiert. Was bedeutet die Beziehung zu einer solchen Möglichkeit? Es geht darum, diese Möglichkeit zu bewahren, man muss sie bewahren, ohne sie in Realität umzuwandeln. … Die Möglichkeit des Sterbens realisiert sich nicht (und realisiert nichts).“
Hier bezieht sich Levinas eindeutig auf den eigenen Tod. Es ist eigenscheinlich wichtig, dass der Tod nicht aktiv herbeigeführt werden sollte, um dieser Unmöglichkeit des Todes Respekt zu zollen. Alle Verfügung über das Leben, sei es ein fremdes oder des eigenen ignoriert letztlich dessen Unverfügbarkeit. Doch selbst im Suizid bleibt das leben unverfügbar, denn was ich durch den Tod erreiche ist für mich gesehen nichts, es hat keinen Wert.
„Der Tod ist nicht der Augenblick des Todes, sondern der Umstand, sich auf das Mögliche als Mögliches zu beziehen. Als privilegierte Beziehung zum Möglichen, die nicht zu dessen Verwirklichung führt, ist diese einzigartige Möglichkeit, sich zum Möglichen als Möglichem in Bezug zu setzen, das Sein-zum-Tode. ‚Der Tod als Möglichkeit gibt dem Dasein nichts zu ‚Verwirklichendes‘ und nichts, was es als Wirkliches selbst sein könnte.'(Martin Heidegger, Sein und Zeit, S. 262)“
Horaz, Carmen I,1
„Frage nicht (denn eine Antwort ist unmöglich), welches Ende die Götter mir, welches sie dir,
Leukonoe, zugedacht haben, und versuche dich nicht an babylonischen Berechnungen!
Wie viel besser ist es doch, was immer kommen wird, zu ertragen!
Ganz gleich, ob Jupiter dir noch weitere Winter zugeteilt hat oder ob dieser jetzt,
der gerade das Tyrrhenische Meer an widrige Klippen branden lässt, dein letzter ist,
sei nicht dumm, filtere den Wein und verzichte auf jede weiter reichende Hoffnung!
Noch während wir hier reden, ist uns bereits die missgünstige Zeit entflohen:
Genieße den Tag, und vertraue möglichst wenig auf den folgenden!“ (http://de.m.wikipedia.org/wiki/Carpe_diem, 10.11.2014)
Steve Jobs (Rede in Stanford 2005, Quelle: http://www.dobernator.com/lebe-jeden-tag-so-als-waere-es-dein-letzter, 10.11.2014)
„Als ich 17 war, las ich irgendwo ein Zitat, das ungefähr so lautete: “Lebt man jeden Tag, als wär’s der letzte, liegt man eines Tages damit richtig.” Das ist hängen geblieben. Seitdem frage ich jeden Morgen mein Spiegelbild: “Wenn heute der letzte Tag meines Lebens ist, würde ich dann gern das tun, was ich heute tun werde?” Und wenn die Antwort an zu vielen Tagen hintereinander Nein lautet, weiß ich, dass ich etwas ändern muss.
Mir ins Gedächtnis zu rufen, dass ich bald sterbe, ist mein wichtigstes Hilfsmittel, um weitreichende Entscheidungen zu treffen. Fast alles – alle Erwartungen von außen, aller Stolz, alle Angst vor Peinlichkeit oder Versagen – das alles fällt im Angesicht des Todes einfach ab. Nur das, was wirklich zählt, bleibt. Sich daran zu erinnern, dass man eines Tages sterben wird, ist in meinen Augen der beste Weg, um nicht zu denken, man hätte etwas zu verlieren. Man ist bereits nackt. Es gibt keinen Grund, nicht dem Ruf des Herzens zu folgen.“
Der Satz „Lebe jeden Tag so, als wäre es dein letzter!“ Ist augenscheinlich sehr beliebt. Es gibt (außer Horaz) keinen eindeutigen Autor. Wenn man den Satz googelt landet man auf unendlich vielen Selbstporträts. Das Lebensmotto unserer Zeit.
Der Satz klingt wie ein Widerspruch gegen alles Wirtschaften und Planen. Diese ungeteilte Zustimmung ruft meinen Widerspruch auf den Plan. Und wenn das ein Trugschluss wäre. Wenn nicht das Gegenteil wenigstens genauso richtig wäre: Lebe jeden Tag so, als wäre er nicht dein letzter“? Genau drin liegt die Botschaft Hiob und er stimmt darin mit Heidegger überein.
Ich beginne die Predigt mit dem Zitat von Stebe Jobs und behaupte dann, dass die Aussage umgekehrt zumindest genauso richtig ist.
Ich erzähle etwas über Hiob und seine Schicksalsschläge. Ich referiere dann noch einmal den Text und interpretiere ihn mit der Leitfrage: Was bedeutet die Todesgrenze für das Leben?
Zum Vergleich referiere ich dann Heidegger/Levinas.
Zum vergleiche ich dann beide Sätze und zeige dass sie beide richtig sind. Der entscheidende Unterschied liegt wohl darin, dass der Steve Job-Satz für das Individuum gilt, der negative Satz gibt dann, wenn mit Tod der Tod des anderen gemeint ist. Selbstverständlich handeln wir üblicherweise so, also ob wir auch morgen noch leben würden, und das ist auch richtig so.