Die Predigt zum Sonntag Invokavit wurde in unterschiedlicher Form gehalten in der REHA-Klinik – Möhnesee, in der Kirche Johannes der Täufer, Neuengeseke, in der Auferstehungskapelle Günne und in der St. Matthias-Kirche Meiningsen.
Liebe Gemeinde!
Hebräer 4, 14-16 (Lutherbibel)
14Weil wir denn einen großen Hohenpriester haben, Jesus, den Sohn Gottes, der die Himmel durchschritten hat, so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis. 15Denn wir haben nicht einen Hohenpriester, der nicht könnte mit leiden mit unserer Schwachheit, sondern der versucht worden ist in allem wie wir, doch ohne Sünde. 16Darum lasst uns hinzutreten mit Zuversicht zu dem Thron der Gnade, damit wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden zu der Zeit, wenn wir Hilfe nötig haben.
Liebe Gemeinde,
Dieser Predigttext antwortet auf eine Frage, die er selbst nicht stellt. Diese Frage lautet: Was bedeutet die Versuchung für Jesus und für uns? Damit ist der Sonntag Invokavit klar am Anfangs der Fastenzeit lokalisiert. Es soll also um die Versuchung gehen. Um die Versuchung Jesu, der Gläubigen und der Kirche. Jesus teilt die irdische Seinsweise ohne der Schwachheit zu erliegen. Wenn wir schwach sind, fühlt er mit uns. Damit dürfte die Fastenzeit zu bestehen sein. Verzicht ist kein Opfer, um Gott näher zu kommen, sondern eine Lebensweise in der Nachfolge Jesu. Es klingt alles also recht plausibel, wenn man denn das Fasten als den christlichen Lebensweg ansehen will. Da gibt es nur ein Problem: Jesus selbst hat gar nicht gefastet. Er hat seinen Jünger das Fasten sogar verboten, solange der Bräutigam bei ihnen ist. Am Sabbat haben sie die Ähren auf den Feldern ausgeklopft, um davon Brot zu backen. Trotzdem kann ja Fasten auch gut für uns sein. Die Aktion „Sieben Wochen ohne“ aus Hamburg hat da für eine gewisse Popularität gesorgt. Doch damit bekam das Fasten fast etwas Spielerisches, Zwangloses. Einfach einen Beitrag um zu zeigen: das Evangelium hat etwas mit mir selbst zu tun. Die Konsequenzen des Glaubens gehen bis in den Alltag hinein. Zurück zum Anfang: Es geht um die Versuchung. Die Frage ist nur, worauf bezieht sich die Versuchung, auf eine gläubige Übung wie das Fasten oder auf den Glauben selbst? Ich finde, wenn wir wirklich noch evangelisch argumentieren, dann müssten wir hier den Glauben selbst in der Versuchung sehen. Daher möchte ich jetzt im weiteren mit den Text aus dem Hebräerbrief einmal etwas genauer ansehen.
Ich muss gestehen, dass ich gerade in letzter Zeit den Hebräerbrief für mich als eine wichtige Schrift des Urchristentums entdecke. An wen richtet er sich denn anders, als an judäische Christen oder christliche Juden. Was heute unmöglich zu sein scheint, ist doch eigentlich die Quelle des Glaubens, da Jesus selbst ein geborener Jude war. Was aber hat dieser Brief für eine Botschaft. Vorweg: Es ist ein Brief, der den Glauben an die erste Stelle setzt, der dies aber in Bildern und Beispiele aus dem Alten Testament oder der jüdischen Glaubenswelt macht.
Sehen wir uns den Text genauer an, dann stellen sich folgende Fragen:
Warum ist Jesus der „Hohepriester“? Warum hat er den Himmel durchschritten? Was hat das Thema Sünde für uns noch zu bedeuten? Warum glauben wir an einen „Thron der Gnade“?
Ich möchte noch einmal in einer anderen Bibelübersetzung lesen, um ihn ins Gedächtnis zurückzuholen und auch um die Auslegung zu zeigen, die schon durch die Übersetzung geschieht. Teilweise werden die Bilder, die ich angefragt habe, hierbei schon aufgelöst:
Einer der ersten dieser modernen Bibelübersetzer war Jörg Zink. Seine Übersetzung aus dem Jahr 1965 lautet:
„So lasst uns gemeinsam an unsrem Bekenntnis festhalten. Denn wir haben einen überragenden Beistand, Jesus Christus, den Sohn Gottes, der alle himmlischen Welten durchschritt bis zu Gott selbst hin, der für uns eintritt, wie ein irdischer Priester im Heiligtum stellvertretend für die Menschen vor Gott steht. Denn uns vertritt nicht ein höchster Priester, der zu hoch stünde, um unsere Schwachheit nachempfinden zu können, sondern einer, der von allen Gefahren und Versuchungen bedroht war wie wir und ihnen doch nicht erlag. Darum lasst uns mit Freimut und Vertrauen vor Gott treten und seine Barmherzigkeit empfangen, seine Freundlichkeit, die uns helfen wird, wenn es Zeit ist.“ (Jörg Zink. Das Neue Testament, Stuttgart Kreuz Verlag, 4. Auflage 1968, S. 543).
Der erste Satz verbindet das Festhalten am Bekenntnis mit der Gewissheit in Christus einen Hohenpriester zu haben, der den Himmel durchschritten hat und der Sohn Gottes ist. Für einen Priester ist der Ort der Erlösung der Altar selbst. Die eigentliche Handlung geschieht im Tempel, im Gottesdienst. Davon weicht der Hebräerbrief aber schon deutlich ab. Das Durchschreiten des Himmels ist kein gesungenes Halleluja, sondern das gelebte Leben Jesu selbst bis in den Tod hinein. Auch von einem Opfer ist hier nicht die Rede. Es scheint eher um die Person Jesu selbst zu gehen, aber auch um Gott. Es geht also klar um das Bekenntnis zu Christus, dem Messias, dem Sohn Gottes.
Das Bekenntnis selbst hat ja für uns Christinnen und Christen wieder etwas mit einem Gottesdienst zu tun, nun keinen im Tempel, sondern in der christlichen Gemeinde. In diesem Bekenntnis ist Christus nun gegenwärtig und in diesem Bekenntnis geschieht dies alles stellvertretend.
Dass Jesus den Himmel durchschritten hat, muss aber nun auch nicht in jedem Halleluja und in jeder Predigt wiederholt werden, um die Erlösung herbeizuholen, denn sie ist geschehen.
Im zweiten Vers kommt nun der Begriff Hohepriester noch einmal. Hier wird er mit einem versteckten Vorwurf an den Tempel verbunden, dass dieser Priester mit unserer Schwachheit nicht mitfühlen kann. Der Vorgang des priesterlichen Opfers setzt einfach voraus, dass die Menschen das Nötige beibringen. Vielleicht kann das Opfer für Arme kleiner sein als das für Reiche, aber dieser Priester ist so gesehen mit Jesus nicht zu vergleichen, der mit seinem ganzen Leben unsere menschliche Schwachheit getragen hat. Er hat sein Leben hingegeben ist so Priester und Opfer in einem. Als Jesus in Versuchung geführt wurde, hat er nicht gesündigt. Warum ist dann aber überhaupt von einem Hohenpriester die Rede. Der Kommentar sagt es so: „Gott selbst offenbart in Jesu gehorsamer Selbstpreisgabe seine rettende Liebe, und so ist der Kreuzestod Jesu die Vollendung seines Gehorsams.“ (Harald Hegermann: Der Brief an die Hebräer, Theologischer Handkommentar zum NT, Bd. 16, Ev. Verlagsanstalt Berlin 1988, S. 115). Dass Jesus im Vollsinn Mensch war und zugleich ohne Sünde ist für den Hebräerbrief und seine Gemeinde kein Widerspruch.
In Vers 16 wird dann die Konsequenz für den Glaubensvollzug gezogen. Der Weg ist frei. Der Mittler hat gehandelt. Wir können zum „Thron Gottes“ treten. Insofern könnte man schon noch einmal an den Priester im Tempel denken, der ja im Bild auch an den Altar tritt als den Thron Gottes. Der Thron Gottes ist hier allerdings kein Altar, sondern das Bild der Gegenwart Gottes überhaupt. Vor Gott treten, das ist auch kein Bild des Todes, sondern gilt für jedes Gebet, für jede Ansprache Gottes. Wir finden allerdings durch Christus bei Gott Erbarmen und Gnade und uns wird zur rechten Zeit geholfen. Jesus hat den Weg zu Gott eröffnet. Das Hinzutreten zu Gott ist das Einstimmen in den lobpreis und die Zustimmung zum Empfang des göttlichen Erbarmens. Das wird im Taufgeschehen handgreiflich und ist so der Grundakt des Glaubens: Im Taufgeschehen zeigt sich der neue Zugang zu Gott. So wird es jedenfalls in der Gemeinde des Hebräerbrief empfunden worden sein, in der die Taufe sicher noch als Bekenntnis- und Erwachsenentaufe üblich war.
Es ist noch einmal zusammenzufassen, dass der Begriff des Hohenpriesters, wenn er auf Jesus übertragen wird, nichts mit dem Opfer zu tun hat. Es geht um die Verbindung zu Gott. Die Vorstellung Gottes wird hier mit der Monarchie, mit dem Königtum verbunden. Ein Gebet ist wie ein Vorsprechen beim König, das einem Normalsterblichen verwehrt ist. Dazu ist eben der Mittler notwendig, Jesus. Das Ergebnis ist das Bekenntnis zu Christus, das uns den direkten Zugang zu Gott ermöglicht. Die mitmenschlichen Fähigkeiten Jesu, das Mitleiden, seine Menschlichkeit stehen an der Stelle von Priestertum und Opfer.
Verstehe ich den Hebräerbrief als an ein israelitisches geprägtes Christentum geschrieben, dann ist die Botschaft klar: Es gibt kein Zurück zur Opferreligion, die überwunden ist. Alles das, was früher für den Opferkult galt wird auf den Glauben und das Leben im Glauben übertragen. Das zeigt vor allen ein kleiner Text am Ende des Hebräerbriefs, den ich kurz vorlesen möchte. Die Abgrenzung vom Judentum, die hier augenscheinlich ausgedrückt wird, ist nicht als Trennung gedacht. Sie ist nur ein Schritt ins Offene, auf das Ziel der universalen Glaubenserfahrung hin, die der Gott Israels in Jesus schenkt.
„7 Gedenkt an eure Lehrer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; ihr Ende schaut an und folgt ihrem Glauben nach. 8 Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.
9 Lasst euch nicht durch mancherlei und fremde Lehren umtreiben, denn es ist ein köstlich Ding, dass das Herz fest werde, welches geschieht durch Gnade, nicht durch Speisegebote, von denen keinen Nutzen haben, die damit umgehen.
10 Wir haben einen Altar, von dem zu essen kein Recht haben, die der Stiftshütte dienen. 11 Denn die Leiber der Tiere, deren Blut durch den Hohenpriester als Sündopfer in das Heilige getragen wird, werden außerhalb des Lagers verbrannt.
12 Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. 13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.
14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. 15 So lasst uns nun durch ihn Gott allezeit das Lobopfer darbringen, das ist die Frucht der Lippen, die seinen Namen bekennen. 16 Gutes zu tun und mit andern zu teilen vergesst nicht; denn solche Opfer gefallen Gott.“
(Hebräer 13, 7-15)
Jesus steht für uns vor Gott. Der Zugang zu Gott ist ermöglicht und damit voraussetzungslos und ohne Rangfolgen. Konsequenterweise spricht Luther hier vom Priestertum aller Gläubigen. Was die Versuchungen des Glaubens und des Fastens betrifft, kann das nur bedeuten: Die Tür zu Gott steht jederzeit offen. Amen.
Ein gute, aber auch schwierige Predigt über einen hintergründigen Text. Ich werde sie bestimmt noch einmal lesen. Nur beim Zuhören hätte ich vermutlich irgendwann nicht mehr folgen können.