Zu: Martin Dreyer: Der vergessene Jesus, Auf keinen Fall von gestern und auf jeden Fall für heute, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016, 254 Seiten, ISBN: 978-3-579-08530-2, Preis: 19,99 Euro
Zugegeben, wenn ich das „Credo“ Martin Dreyers am Ende des Buches zuerst gelesen hätte, dann hätte ich diese Rezension nicht geschrieben. Der Autor ist mit seiner persönlichen Geschichte als (Mit-) Begründer der Jesus-Freaks und als Autor der „Volxbibel“ in Jugendsprache ein evangelistisch tätiger Christ. Ehrlich gesagt stehe ich eigentlich nicht mehr so auf fundamentalistischen Bekehrungspredigten nach dem Motto: „Du musst Dein Leben Jesus anvertrauen.“ Aber Martin Dreyer würde ich doch schon mal gern hören. Die Vorstellung einer körperlichen Auferstehung hingegen, die er im „Credo“ schildert, ist einfach so unbiblisch und schlicht irre. Nach dem Zeugnis der Bibel war Jesus nach seiner Auferstehung nicht mehr derselbe wie vorher. Er ist nicht schlicht und einfach in sein altes Leben zurückgekehrt, sondern er ist als Toter, als Gekreuzigter seinen Freundinnen und Freunden erschienen. Er konnte durch Mauern gehen und sich in Luft auflösen, was vorher ja wohl kaum möglich gewesen wäre.
Nach den wirklich gut reflektierten Kapiteln über Jesus, der als Mann gelebt hat, der nichts gegen Haschisch und Kiffen gehabt hätte, der kein Pazifist war, sondern mit einer Geißel im Tempel herumgewütet hat, kann man den interessierten Leserinnen und Lesern nicht ein Credo auftischen, das zum fundamentalistischen Jesusbild zurückkehrt. In diesem neuen Jesusbild wird keine lebensfeindliche Religion gepredigt, die anderen ein schlechtes Gewissen macht, um ihnen dann gnädigerweise Gottes Vergebung anzubieten. Friedrich Nietzsche hätte seine Freude an der Schilderung Martin Dreyers gehabt. Dieser Jesus hätte dem Bild eines weltabgewandten Wanderpredigers in keiner Weise entsprochen. Jesus, wie Martin Dreyer ihn schildert, liebte Partys und hatte nichts gegen Sex. Er hätte nichts gegen Masturbation und Homosexualität gehabt.
Er konnte sogar als Poser (Angeber) auftreten, als er 5000 Menschen etwas zu essen gab. Doch dieses Kapitel ist zugegeben ein wenig schräg ausgedrückt. Werden hier nicht doch wieder der historische Jesus und der Jesus des Glaubens verwechselt?
War Jesus tolerant? Nach Martin Dreyer war er es nicht, denn Jesus habe das „personifizierte Böse“ bekämpft. Dieser Jesus war kompromisslos und radikal. „Jesus ist heute immer noch so aktuell, wie er es vor Tausenden von Jahren war. Wir müssen ihn bloß neu zu uns sprechen lassen. Direkt, ohne das religiöse Drumherum.“ (S. 237).
Es ist wahrscheinlich immer noch nicht das letzte Jesusbild, was uns Martin Dreyer präsentiert, denn in einigen Punkten ist er doch den redaktionellen Übermalungen auf den Leim gegangen. Und die Spannung zwischen Jesu Gewaltbereitschaft und seiner Botschaft der Feindesliebe ist nicht einfach plausibel zu erklären.
Doch Dreyers Schilderung Jesu ist menschlich deutlich und profiliert. Damit lässt sich etwas anfangen. Dieses Jesusbild ist kaum mit einer bestimmten Christologie in Verbindung zu bringen, es sei denn mit seiner Menschlichkeit. Dreyer folgert: Jesus ist ein Freund, „mit dem man über alles reden kann.“ (S. 241)
Mein Fazit: Jesus ist nicht der, der für mich alles regelt, sondern der, der mir die Kraft gibt, zu meinen Fehlern zu stehen und der mir den Mut gibt, immer wieder neue Schritte ins Leben zu gehen. Das Credo hätte also ruhig etwas provokativer ausfallen können.