Predigt über die Jahreslosung 2017, Christoph Fleischer, Welver 2016

Die Predigt wird am Sonntag, den 08.01.2017 in Bad Sassendorf und Lohne gehalten. Es ist eigentlich der erst Sonntag nach Epiphanias, aber zugleich der erste Gottesdienst im neuen Jahr. Ich nehme als Lesung einen Text zum Sonntag, da das Thema des Sonntags und der Jahresspruch zusammen passen. Der Wochenspruch zum Sonntag lautet: „Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ (Römer 8,14)

Heimathaus Welver, Foto: Niklas Fleischer (C)
Jahreslosung 2017: Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Aus dem Buchnde Prohpeten Hesekiel (Ezechiel) Kapitel 36, Vers 26

 

Liebe Gemeinde,

Am Beginn des neuen Jahres zumal des Reformationsjubiläums 2017 möchte uns mal mit Worten des Philosophen Friedrich Nietzsche ein wenig aufwecken. Vielleicht sind ja Philosophen auch so etwas wie Propheten. Nietzsche hat ein Buch geschrieben, das mit „Der Antichrist“ überschrieben ist. Eine zentrale Rolle in diesem Buch spielt Jesus. Jesus ist quasi selbst der Antichrist, weil er die Botschaft der Kirche, die dann entstanden ist, so nicht gewollt hätte. Jesus hätte nach Nietzsche auch keinen Glauben gewollt, keine Religion, sondern er wollte das Leben der Menschen verändern. Im Abschnitt 34 geht er auf die Verkündigung Jesu ein, die besagt, das „Reich Gottes“ sei kein Gegenstand der Zukunft oder der Hoffnung, sondern es ist „mitten unter euch“. Friedrich Nietzsche folgert: „Das ‚Himmelreich’ ist ein Zustand des Herzens – nicht etwas, das ‚über der Erde’ oder ‚nach dem Tode’ kommt. …. Das ‚Reich Gottes’ ist nichts, das man erwartet; es hat kein Gestern und kein Übermorgen, es kommt nicht in ‚tausend Jahren’ – es ist eine Erfahrung an einem Herzen; es ist überall da, es ist nirgends da…“ (Friedrich Nietzsche: Der Antichrist, in: Kritische Studienausgabe, Band 6, dtv München, 11. Auflage 2014, S. 207).

Man muss die christliche Hoffnung nicht bestreiten, um wie Nietzsche die Bedeutung des Evangeliums für die Gegenwart zu entdecken. Doch zur Zeit Nietzsches im späten Kaiserreich um 1888 war das Evangelium durchaus noch so etwas wie das „Opium des Volkes“ (Karl Marx), das das „Volk einlullt, den bösen Lümmel“, wie es Heinrich Heine beschrieb. Die Verkündigung des Reiches Gottes galt als Vertröstung eines seligen Lebens nach dem Tod, womit für alle Unannehmlichkeiten im Diesseits Entschädigung geschehen solle. Ich denke, dass wir hier tatsächlich 100 Jahre weiter sind und Nietzsches Ausführungen gar nicht mehr so antichristlich empfinden, wie er es selbst noch gesehen hat. Er hat der Kirche den Christus weggenommen und ihr den biblischen Jesus gezeigt. Jesus wollte sich weder am Kreuz opfern noch den Heiland spielen, sondern er wollte den Geist Gottes bezeugen, wollte verkündigen, dass wir alle Gottes Kinder sind und aufzeigen was daraus folgt.

Jesus hat dabei die Verkündigung der Propheten durchaus aufgegriffen.

Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch. Aus dem Buchnde Prohpeten Hesekiel (Ezechiel) Kapitel 36, Vers 26

Wörtlich zitiert ist der Vers des Hesekiel allerdings erst von Paulus im 2. Korintherbrief teilweise, in der Übersetzung Martin Luthers: „Ist doch offenbar geworden, dass ihr ein Brief Christi seid, geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf steinerne Tafel, sondern auf fleischerne Tafeln der Herzen.“ (2. Korinther 3,3, Lutherbibel 2017).

Doch sehen wir uns die Jahreslosung im Buch des Propheten Hesekiel selbst genauer an. Da unsere Bibel auch die Bibel des Volkes Israels ist, sind wir in die Geschichte Israels auch aus der Frühzeit involviert. Als relativ kleiner Staat war Israel immer  ein wenig davon abhängig, von den damaligen Großmächten geduldet und respektiert zu werden. Nach der Teilung zwischen Nord- und Südreich verlor das Nordreich seine Existenz, und zwar für immer. Das Südreich, genannt Judäa, lebte selbständig weiter, bis es im Konflikt mit Babylonien unterging. Im Nachhinein  wurde dieser Untergang religiös gedeutet. Anhaltspunkte für diese Deutung gab die Botschaft der Propheten, die zu ihrer eigenen Lebenszeit sicherlich kaum Gehör fanden. Aber ihre Botschaften wurden durch Prophetenschulen weiter überliefert. Die Prophetenbücher des Alten Testaments sind das Ergebnis dieser Überlieferung.

Der Prophet Hesekiel war mit der israelitischen Oberschicht in das babylonische Exil weggeführt worden. Seine Verkündigung erstreckt sich über die Zeit des verlorenen Krieges, der Zerstörung des Tempels bis hin zur Neuansiedlung an Euphrat und Tigris. Genauso wie er das Schicksal des Volkes auf dessen eigene Fehler zurückführt, so verheißt es ihm im Exil eine neue Zeit, in der die Heimkehr auch verbunden wird mit einem neuen Leben und Denken.

Das neuen Leben und Denken, von dem der Prophet spricht, ist also eine Gabe und Aufgabe gleichzeitig. Wie immer im Leben von Vertriebenen und Flüchtlingen dreht sich ihr Denken und Fühlen und die Perspektive der zukünftigen Rückkehr. Dieser Gedanke faszinierte natürlich die Deportierten.

Die Rückführung der Deportierten wird von Hesekiel als ein Zustand der Hoffnung gepredigt, der aber irgendwann eintreten könnte. Während man früher von einer vollständigen Vertreibung ausging, weiß man heute, dass wohl nur die Oberschicht noch Babylon umgesiedelt würde. Hier wird allerdings das Volk als Ganzes angeredet. Es wird Konsequenzen aus dem verlorenen Krieg ziehen müssen. Der Prophet Hesekiel sagt, er habe sie schon vorher vor der Anbetung fremder Götter gewarnt. Dr. Verena Sophie Thöne von der Uni Kassel schreibt dazu: „Interessant ist nun, dass die Wende des Schicksals nicht mit der Sorge um das Volk, sondern in der Sorge um den Namen Gottes, JHWH, gründet. Die IsraelitInnen haben mit ihren Taten Gottes heiligen Namen beschmutzt, was einen Image-Verlust für diesen bedeutet.“ (Arbeitshilfe zum Weitergeben, 4/2016, Dr. Verena Sophie Thöne, Universität Kassel, Link: http://www.ahzw-online.de/htdocs/index.php?aID=2452&ma=0102&in=1).

Damit nicht bei einer Rückkehr des Volkes  der gleiche Trott wie vorher zurückkommt, muss zugleich das Volk grundlegend verändert werden. „Nach einer äußeren Reinigungsprozedur (36,25) soll das verstockte, steinerne Herz des Volkes ersetzt werden durch ein erneuertes, fleischernes Herz und eine neue Geistkraft wird gegeben. … Dabei wird deutlich: ‚Israels Schicksal und Bestimmung sind unauflöslich damit verbunden, dass JHWH der Gott Israels als der wahre Gott anerkannt wird.’ (Greenberg, Ezechiel)“ (s.o.).

Herz und Fleisch sind körperorientierte Symbole, wobei Herz damals weniger mit Gefühl zu tun als mit dem Verstand. Ohne Herz zu handeln bedeutet so etwas wie „Gedankenlosigkeit, Unvernunft oder schlicht Dummheit“ (s.o.). Mit dem Fleisch hingegen wird das Natürliche des Körpers angesprochen, das sowohl aus dessen Hinfälligkeit aber auch aus körperlicher Gesundheit besteht.

Die Geistkraft ist ein im Hebräischen feminines Wort, das mit Lebenskraft, Lebensenergie und Gotteskraft verbunden wird. Die Geistkraft setzt „als dynamische Lebensenergie [..] die Menschen in Bewegung und verhilft zum rechten handeln.“ (s.o.).

Damit ist also zugleich die Erneuerung des Bundes verbunden, wie es auch in Hesekiel 36,28 heißt: „Und ihr sollt wohnen im Lande, das ich euren Vätern gegeben habe, und sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.“ (Lutherbibel).

In der Überlieferung der Bibel wird diese der Propheten losgelöst von der konkreten Heimkehrfrage. Die Bibel wird zur Maßschnur des Handelns, was übrigens etwas anderes ist als die viel beschriebene Gesetzlichkeit. Der Glaube an Gott muss sich einfach in den Alltag hinein übertragen lassen. Das gilt natürlich erst recht, indem durch Jesus diese Hoffnung auch zu unserem Glauben gehört. Und so stehen auch wir vor der Frage:

Wie kann diese Aussage nun auf uns als Christinnen und Christen übertragen werden? Zunächst einmal sehe ich, dass Jesus die Botschaft vom neuen Bund aufgegriffen hat und dass er sich selbst einfach als Beispiel für diesen neuen Bund gesehen hat. Ganz im Sinne des Prophetenwortes kommt es im Glauben auf eine lebendige und lebensbezogene Einstellung an, auf Nächstenliebe, die auch den Fremden einbezieht, und nicht nur Kollegen, Nachbarn und Familie. Ich bringe das mit dem Glauben an den einen Gott in Verbindung, der sich im Leben jedes Menschen zeigt. Dieser Glaube ist universell und kann nicht als Ausgrenzung verstanden werden. Es ist weniger eine Frage der göttlichen Konkurrenz oder „Beigesellung“ wie es der Koran nennt, sondern die Frage, ob wir im Sinn Gott auch Gott sein lassen können. Gottes Handeln ist für uns unverfügbar und als der Grund des Lebens ein Anlass zur Dankbarkeit und Respekt.

Das lässt sich zuletzt auch auf Christus beziehen, wenn man einem Gedanken Dietrich Bonhoeffers folgt: „Gleichgestaltet mit dem Auferstandenen – das heißt ein neuer Mensch sein. Er lebt mitten im Tode, er ist gerecht mitten in der Sünde, er ist neu, mitten im Alten. Sein Geheimnis bleibt der Welt verbunden.“ (Dietrich Bonhoeffer, Ethik, DBW Bd. 6, S. 82, zitiert nach: Burkhard Weber (Hg.): Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch, Die Jahreslosung 2017 –  ein Arbeitsbuch mit Auslegungen und Impulsen für die Praxis, Neukirchener Verlag, Neukirchen-Vluyn 2016, S. 36).

Die Jahreslosung 2017 ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Verkündigung des Alten Testaments in der Botschaft Jesu weiterführen lässt, ohne sie gegen Israel zu richten. Wir haben es nicht nötig, einen antijüdischen Spruch aus diesem Satz zu machen, sondern können ihn direkt auf uns selbst anwenden. Was kann für uns die Verkündigung des lebendigen Gottes bedeuten? Welche Konsequenzen liegen für uns in dieser Sache des Herzens und in dieser erneuerten Geistkraft? Das kann man doch alles nicht auf die gedachte Ewigkeit vertagen, sondern es ist für heute gesagt. Das Leben steht immer unter dem Anspruch einer Reformation, so wie Luther zu Recht in seinen 95 Thesen sagt: „Das ganze Leben ist eine Buße.“ Das Herz und der Geist sind keine Symbole der Innerlichkeit, sondern der Lebendigkeit und der Erneuerung im Glauben an den gegenwärtigen Gott.

Durch die Philosophie Friedrich Nietzsches geschieht zweierlei. Die Botschaft Jesu wird in die säkulare Sprache der Philosophie hinein übertragen. Zweitens: Die magischen Absichten der Religion werden ausgehebelt.

Religion darf nicht mehr als das Versprechen fiktiver Wunscherfüllung im Jenseits verstanden werden. Die Religion Jesu ist wieder das, was sie schon zu seinen Lebzeiten war, eine neue Praxis, eine Lebensweise. Diese Lebensweise gründet direkt in der Aussage, das Jesus der Sohn Gottes ist. Nur wird diese Aussage nicht exklusiv verstanden. Jesus vermittelt jedem, der sich an ihm orientiert, auch durch die Taufe und was dazugehört, das Bewusstsein Gottes Kind zu sein , und zwar in dem Wissen, dass das zuletzt eigentlich für jeden Menschen gilt. Zum Bild Gottes geschaffen, das ist genau die Botschaft, die Jesus aufgreift.

„Welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“ Dass diese Botschaft bis hin zu den Grundrechten führt und zur Erklärung der Menschenrechte, das dürfte dann auch jedem und jeder klar sein. Wir werden bei jeder Art von Politik darauf achten müssen, dass dieser christliche Grundgedanke gewahrt bleibt.

Amen.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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